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Entscheidung 1 (Z) Sa 17/12


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Zivilsenat Entscheidungsdatum 30.05.2012
Aktenzeichen 1 (Z) Sa 17/12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Zuständig ist das Amtsgericht Oranienburg.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung eines Stornoabzuges für eine zum 1. Juni 2010 beitragsfrei gestellte, kapitalgedeckte Rentenversicherung in Anspruch. Der Vertrag wurde 2003 in einer Filiale der … Sparkasse in …, die die Produkte der Beklagten vertrieb, abgeschlossen. Die Beklagte hat die Zuständigkeit des Amtsgerichts Oranienburg nach § 215 VVG gerügt. Bei dem zu Grunde liegenden Vertrag aus dem Jahre 2003 handele es sich um einen Altvertrag, auf den § 215 VVG nicht anwendbar sei. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass das Amtsgericht Oranienburg gleichwohl örtlich zuständig sei, weil sich aus der Neufassung des VVG nicht ergebe, dass die Zuständigkeit des § 215 VVG sich nicht auf Altverträge erstrecken solle. Hilfsweise hat sie die Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Pankow/Weißensee beantragt, dessen Zuständigkeit sich als Gerichtsstand der Agentur aus § 48 VVG a. F. ergebe. Mit Beschluss vom 12. März 2012 hat das Amtsgericht Oranienburg sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Pankow/ Weißensee verwiesen. Das Amtsgericht Pankow/Weißensee hat sich seinerseits mit Beschluss vom 25. April 2012 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Oranienburg sei nicht bindend, weil § 215 VVG anwendbar und die Verweisung deshalb willkürlich sei.

II.

1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil von den am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichten das zum Bezirk des Brandenburgischen Oberlandesgerichts gehörende Amtsgericht Oranienburg zuerst mit der Sache befasst war.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Oranienburg als auch das Amtsgericht Pankow/Weißensee haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, ersteres durch nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 12. März 2012, letzteres durch den seine Zuständigkeit abschließend verneinenden Beschluss vom 25. April 2012, der als solcher den Anforderungen genügt, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekannt gemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler Senat NJW 2004, 780; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 36 Rdnr. 24 f.).

3. Als zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Oranienburg zu bestimmen.

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 12. März 2012 hat hier ausnahmsweise entgegen § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO keine Bindungswirkung.

Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-) Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung der Gerichtszuständigkeit und der Vermeidung von wechselseitigen (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler wie das Übersehen einer zuständigkeitsbegründenden Rechtsnorm rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung demzufolge grundsätzlich nicht (BGH, Beschl. v. 15.10.1996 - XII ARZ 15/96, zitiert nach juris, Rdnr. 6; Beschl. v. 08.04.1992 - XII ARZ 8/92, zitiert nach juris, Rdnr. 3; Senat, Beschl. v. 10.12.2003 - 1 AR 84/03, zitiert nach juris, Rdnr. 8). Hinzu kommen muss dafür vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (statt vieler Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; MDR 2006, 1184; NJW 2004, 780; eingehend ferner Tombrink, NJW 2003, 2364; jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Bei Herabsenkung der Willkürschwelle auf einfache Rechtsfehler würde § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO hingegen weitgehend leerlaufen, da sich sein Anwendungsbereich regelmäßig auf rechtsfehlerfreie Verweisungen beschränken würde. Deshalb bedarf die Annahme von Willkür zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (BGH, Beschl. v. 18.02.2010 - Xa ARZ 14/10, zitiert nach juris, Rdnr. 16).

Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Oranienburg nicht stand.

Zwar ist der Anspruch auf rechtliches Gehör beachtet worden, jedoch besteht regelmäßig ein erster Anschein für das Vorliegen von (objektiver) Willkür, wenn sich aus dem Akteninhalt ausdrückliche Hinweise auf die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (insbesondere: von Seiten der Parteien) ergeben und der Verweisungsbeschluss sich hiermit nicht auseinander setzt (Brandenburg OLGNL 2001, 214). So liegt der Fall hier.

In der Akte fehlt es nicht an Hinweisen auf die Zuständigkeit des Amtsgerichts Oranienburg nach § 215 VVG. Auch ist der Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 EGVGG, wonach für Versicherungsverhältnisse, die wie hier das vorliegende bis zum Inkrafttreten des neuen Versicherungsvertragsgesetzes am 1. Januar 2008 entstanden sind (so genannte Altverträge), bis zum 31.12.2008 die bis dahin geltenden gesetzlichen Regeln Anwendung finden, insoweit eindeutig, als dass die Regeln des VVG 2008 ab dem 1. Januar 2009 für alle Versicherungsverhältnisse gelten. Ein Ausnahmefall nach Art. 1 Abs. 2 EGGVG, wonach bei einem Versicherungsfall vor dem 31.12.2008 für Altverträge die Regeln des VVG a. F. unbefristet weiter gelten, liegt hier erkennbar nicht vor. Schließlich ist die Anwendbarkeit von § 215 VVG auf Altverträge, in denen kein Versicherungsfall vorliegt, ab dem 1. Januar 2009 auch keineswegs umstritten.

Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung (Düsseldorf, VersR 2010, 1354; OLG Hamm VersR 2009, 1345; NJW-RR 2010, 105; Naumburg VersR 2010, 374, Bamberg 21.09.2010 = NJW-RR 2011, 388) befasst sich nämlich wie die weitere Rechtsprechung (OLG Nürnberg, NJW-RR 2010 = VersR 2010, 935; Braunschweig vom 05.10.2011 zitiert nach BeckRS 2011, 24284; Hamm VersR 2011, 1293; BeckRS 2011, 18637) ausnahmslos mit der Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 2 EGVVG, also mit Fällen, in denen vor dem 01.01.2009 der Versicherungsfall eingetreten ist.

Indem das Amtsgericht Oranienburg im Verweisungsbeschluss lediglich feststellt, dass es zur Anwendbarkeit des § 215 VVG auf Altverträge unterschiedliche Rechtsansichten gebe, setzt es sich weder mit diesen Rechtsansichten auseinander noch damit, ob zur Frage der Anwendbarkeit des § 215 VVG auf Altverträge, in denen der Versicherungsfall nicht eingetreten ist, überhaupt unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten werden, was, wie oben ausgeführt, nicht der Fall ist.

Hinzu kommt hier, dass das Amtsgericht Pankow/Weißensee unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, auch nicht dem des § 48 VVG a. F. als zuständiges Gericht in Frage käme.

Dass nämlich die Filiale der Sparkasse …, bei der die Klägerin den Rentenversicherungsvertrag mit der Beklagten geschlossen hat, die Kriterien einer Agentur im Sine des § 48 VVG a. F. erfüllte, ist zwischen den Parteien umstritten. Ob damit, selbst für den angenommenen Fall, dass die … Landesbank die Voraussetzungen für eine Vertretung der beklagten Versicherung erfüllte, diese Eigenschaft nicht nur für den Sitz der Landesbank …, sondern auch für alle Filialen der … Sparkasse gälte, hat sich der Verweisungsbeschluss ebenfalls nicht auseinandergesetzt.

Da eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Pankow/Weißensee unter keinem anderen erkennbaren Gesichtspunkt gegeben ist, entfällt hier ausnahmsweise die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses. Das Amtsgericht Oranienburg ist nach § 215 VVG zur Entscheidung über den Rechtsstreit berufen.