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Asyl Türkei; Antrag auf Zulassung der Berufung; Verfahrensmangel; Anspruch auf rechtliches Gehör; Fehler der Sachverhalts- und Beweiswürdigung; Verstoß gegen Denkgesetze; Aufklärungsrüge; Nichtberücksichtigung von Beweisanträgen


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 15.05.2012
Aktenzeichen OVG 10 N 41.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 103 Abs 1 GG, § 86 Abs 1 VwGO, § 108 Abs 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 138 Nr 3 VwGO, § 78 Abs 3 Nr 3 AsylVfG, § 60 Abs 1 AufenthG, § 60 Abs 7 S 1 AufenthG

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. März 2012 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.

Gründe

Der allein auf den Verfahrensmangel der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist danach nur zuzulassen, wenn ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt. Ein solcher Verfahrensmangel liegt vor, wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) versagt worden ist. Im Zulassungsantrag der Klägerin wird aber nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG entsprechend dargelegt, dass das angefochtene Urteil den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt.

1. Das Vorbringen der Klägerin, das die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts betrifft, wonach ihr Vortrag zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG unglaubhaft sei, ist zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Versagung rechtlichen Gehörs nicht geeignet. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie als Yezidin die Türkei unter Druck vor politischer Verfolgung verlassen musste. Gegen die Richtigkeit ihrer Angaben spreche insbesondere maßgeblich, dass erhebliche Zweifel daran bestünden, dass sie in den Jahren vor ihrer Ausreise im Dorf X… gelebt habe. Nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes hätten bereits im Jahre 2004 in diesem Dorf keine Yeziden mehr gelebt, es bestünden Widersprüche zwischen den Angaben der Klägerin und denen des Vaters ihrer Kinder. Die Klägerin habe auch zu ihrer Herkunft aus dem genannten Dorf keine schriftlichen Unterlagen vorgelegt (vgl. näher EA S. 7 f.). Die Klägerin rügt, diese Würdigung des Verwaltungsgerichts verstieße gegen allgemeine „Denksätze“ und die Logik.

Berufungszulassungsrechtlich sind grundsätzlich Fehler der Sachverhalts- und Beweiswürdigung unbeachtlich, da sie prinzipiell der materiell-rechtlichen Rechtsfindung und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen sind. Fehler in diesem Bereich können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich ausnahmsweise einen Verfahrensmangel in Gestalt der Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§§ 108 Abs. 1, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) darstellen, wenn ein Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze sich auf die tatsächliche Seite beschränkt und die rechtliche Subsumtion nicht berührt (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 -, BVerwGE 84, 271, juris Rn 24 ff., BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - BVerwG 7 C 1.11 -, UA Rn. 36). Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs, der gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO die Zulassung der Berufung im Asylverfahrensrecht rechtfertigen könnte, liegt demgegenüber selbst bei einer Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die an den genannten schweren Defiziten leidet, nicht vor. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt den Prozessbeteiligten lediglich eine verfahrensrechtliche Teilhabe an dem Gang der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungsfindung, insbesondere durch das Recht auf Äußerung und die Berücksichtigung des Vorbringens, bietet hingegen keinen Schutz vor fehlerhaften Sachverhalts- und Beweiswürdigungen (vgl. HessVGH, Beschluss vom 26. März 2007 - 7 UZ 3020/06.A -, NVwZ-RR 2008, 135, juris Rn. 79; NdsOVG, Urteil vom 2. Juli 1997 - 11 L 2879/97 - juris Rn. 1; Berlit in: GK-AsylVfG, § 78 Rdnr. 78 Rn. 72).

Auf die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt, also seine Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, kann ein Antrag auf Zulassung der Berufung im Asylverfahren nicht gestützt werden, weil dieser Zulassungsgrund in § 138 VwGO, auf den § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG abschließend verweist, nicht genannt ist (OVG Bln-Bbg., Beschlüsse vom 21. Februar 2012 - OVG 10 N 51.08 - und vom 8. Mai 2012 - 10 N 42.12 -; VGH BW, Beschluss vom 5. Dezember 2011 - A 9 S 2939/11 - juris).

2. Die Klägerin hat auch nicht substantiiert dargelegt, dass die Ablehnung ihres in der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2012 gestellten Hilfsbeweisantrags zu 2., zum Beweis, dass sie aus dem Dorf Y… (X…) bzw. aus der Provinz Mardin stammt, ein Sachverständigengutachten einzuholen, im Prozessrecht keine Stütze findet.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) umfasst die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er gewährt den Beteiligten aber keinen Schutz vor jeder sachlich unrichtigen Ablehnung eines Beweisantrags (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 1987 - BVerwG 9 CB 20/87 -, NJW 1988, 722, juris Rn. 7). Der Anspruch bietet auch keinen Schutz dagegen, dass ein angebotener Beweis aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht erhoben wird. Die Nichtberücksichtigung eines vom Gericht als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt nur dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (BVerfG, Beschluss vom 5. November 2008 - 1 BvR 1822/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.; OVG Bln-Bbg., Beschluss vom 21. Februar 2012 - OVG 10 N 51.08 -).

Das Verwaltungsgericht ist dem Hilfsbeweisantrag zu 2. nicht nachgegangen, weil es als wahr unterstellt hat, dass die Klägerin ursprünglich aus dem Dorf X… bzw. der Provinz Mardin stammt. Das Gericht glaubt der Klägerin nur insoweit nicht, als diese angegeben hat, in den Jahren vor der Ausreise dort gelebt zu haben (EA S. 8). Im Verwaltungsprozess kommt die Wahrunterstellung in der Regel für nicht entscheidungserhebliche tatsächliche Behauptungen in Frage (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 1987 - 9 C 47/85 -, BVerwGE 77, 150, juris Ls. 3). Angesichts dessen hat die Klägerin mit ihrem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe den Hilfsbeweisantrag nicht als wahr unterstellen dürfen, nicht substantiiert dargetan, dass der genannte Beweisantrag entscheidungserheblich war und seine Nichtberücksichtigung im Prozessrecht keine Stütze findet. Da das Gericht die Glaubhaftigkeit des Verfolgungsschicksals der Klägerin in der Zeit vor der Ausreise zu würdigen hat, erschließt sich auch nicht, warum es für die angegriffene Entscheidung erheblich sein soll, ob die Klägerin ursprünglich aus dem Dorf X… in der Provinz Mardin stammt, das heißt dort geboren und aufgewachsen ist.

3. Die Klägerin hat auch nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG entsprechenden Weise dargelegt, dass die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2012 gestellten Hilfsbeweisantrags zu 3., zum Beweis der Tatsache, dass eine allein kurdisch sprechende yezidische Analphabetin aus der Provinz Mardin die zwei uneheliche kleine Kinder hat, nicht in der Lage ist, ihren Lebensunterhalt in der Provinz Mardin, im Osten oder Westen der Türkei zu sichern, ein für die Entscheidung erheblicher Beweisantrag ist, dessen Nichtberücksichtigung im Prozessrecht keine Stütze findet. Das Verwaltungsgericht hat diesen auf die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zielenden Beweisantrag abgelehnt, weil er nicht entscheidungserheblich sei. Es sei nicht davon überzeugt, dass die Klägerin keine Verwandten (Vater der Kinder, Eltern, Bruder) habe, die ihr beistehen könnten (vgl. näher EA S. 10). Es hat damit zum Ausdruck gebracht, dass im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die die Klägerin bei ihrer Rückkehr in die Türkei zu erwarten hat, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Bedingungen jedenfalls mit einer Unterstützung ihrer Verwandten nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer extremen Gefahrenlage für Leib und Leben führen. Dass das Verwaltungsgericht den Beweisantrag gleichwohl als erheblich ansehen musste, hat die Klägerin nicht substantiiert dargetan.

Auch soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang ausführt, das Gericht habe insoweit nicht die erforderliche Sachverhaltsaufklärung vorgenommen, rügt sie erneut eine Verletzung der Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO, auf die - wie ausgeführt - ein Antrag auf Zulassung der Berufung im Asylverfahren nicht gestützt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG, § 152 Abs. 1 VwGO).