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Grundschule; Schulanfänger; Aufnahme; gemeinsamer Einschulungsbereich; Zusammenlegung von acht Grundschulen; Beschluss des Bezirksamts MItte; altersangemessener Schulweg


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 07.09.2011
Aktenzeichen OVG 3 S 102.11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 54 Abs 3 SchulG BE, § 54 Abs 4 SchulG BE, § 55a Abs 2 SchulG BE, § 4 Abs. 2 GrSchulV BE

Leitsatz

Die Altersangemessenheit der Schulwege ist bereits bei der Bildung gemeinsamer Einschulungsbereiche gemäß § 54 Abs. 4 Satz 2 SchulG zu berücksichtigen.

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Der Antragsgegner stellt das Ergebnis der erstinstanzlichen Würdigung, wonach die am 28. September 2010 von dem Bezirksamt des Bezirks Mitte beschlossene Bildung des acht Grundschulen umfassenden gemeinsamen Einschulungsbereichs 07 rechtswidrig ist, nicht mit Erfolg in Frage. Das nach § 109 Abs. 2 SchulG insoweit zuständige Bezirksamt hat bei der gemäß § 54 Abs. 4 Satz 1 SchulG grundsätzlich zulässigen Bildung gemeinsamer Einschulungsbereiche entgegen § 54 Abs. 4 Satz 2 SchluG den Grundsatz altersangemessener Schulwege nicht hinreichend beachtet. Anders als die Beschwerde meint, genügt es nicht, die Angemessenheit des Schulwegs im Einzelfall anlässlich der Zuweisung eines Kindes zu einer bestimmten Grundschule innerhalb des gemeinsamen Einschulungsbereichs zu prüfen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 4 Satz 2 SchulG, seinem systematischen Zusammenhang sowie seinem Sinn und Zweck und entspricht im Übrigen auch dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers.

Schon der Wortlaut des § 54 Abs. 4 Satz 2 SchulG, wonach die zuständige Schulbehörde bei der Bildung gemeinsamer Einschulungsbereiche („Dabei“) den Grundsatz altersangemessener Schulwege zu beachten hat, lässt keinen Zweifel daran, dass die Frage nach altersangemessenen Schulwegen nicht erst im Zusammenhang mit der konkreten Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Grundschule zu beantworten ist, sondern bereits bei der Festlegung des gemeinsamen Einschulungsbereichs. Dies wird durch eine systematische Auslegung bestätigt. Da gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 der Grundschulverordnung - GsVO - sämtliche Grundschulen eines gemeinsamen Einschulungsbereichs als zuständige Grundschule angesehen werden, hat die Aufnahme in diese Schulen gemäß § 54 Abs. 4 Satz 3 SchulG nicht in unmittelbarer, sondern in entsprechender Anwendung des § 55a Absatz 2 Satz 2 SchulG zu erfolgen. Diese Regelung, die verschiedene Kriterien für die Platzvergabe normiert, wenn die Eltern den Besuch einer anderen als der zuständigen Grundschule wünschen, sieht gerade nicht vor, dass die Vergabe (auch) unter Beachtung angemessener Schulwege zu erfolgen hat. Dies lässt ebenfalls nur den Schluss zu, dass die hier streitige Problematik altersangemessener Schulwege bereits bei der Bildung gemeinsamer Einschulungsbereiche abschließend zu bewältigen ist.

Hinzu kommt, dass die von dem Gesetzgeber in § 54 Abs. 4 Satz 1 SchulG eröffnete Möglichkeit zur Bildung gemeinsamer Einschulungsbereiche ihren Sinn und Zweck kaum sachgerecht erfüllen kann, wenn die Angemessenheit der Schulwege nicht - wie in § 54 Abs. 4 Satz 2 SchulG vorgesehen - bereits bei der Beschlussfassung beachtet wird. Der Gesetzgeber wollte durch die Zusammenlegung von Einschulungsbereichen das Elternwahlrecht stärken und eine unterschiedliche Profilbildung der Grundschulen fördern (vgl. Abgeordnetenhaus-Drs. 16/2739, S. 15 zu 6.). Die Verwirklichung dieser Ziele kann durch die Schaffung großer gemeinsamer Einschulungsbereiche mit langen Schulwegen, zu denen auch der Bereich 07 des Bezirks Mitte gehört, faktisch leerlaufen. Dies gilt umso mehr, wenn - wie das Verwaltungsgericht der Begründung des Beschlusses vom 28. September 2010 unwidersprochen entnommen hat - die Zusammenlegung nicht in erster Linie dazu dient, das Elternwahlrecht zu vergrößern, sondern deutliche Engpässe an einzelnen Grundschulen zu verringern.

Schließlich lässt sich auch der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 54 Abs. 4 Satz 2 SchulG entnehmen, dass die Bildung gemeinsamer Einschulungsbereiche ausdrücklich davon abhängig gemacht werden sollte, ob zu jeder (zuständigen) Schule ein altersangemessener Schulweg besteht. Dort heißt es: „Bei der Bildung dieser Einschulungsbereiche ist von großer Bedeutung, dass von jedem Wohnort zu jeder Grundschule in diesem Bereich altersangemessene Schulwege bestehen müssen. Bei der Bildung gemeinsamer Einschulungsbereiche ist daher darauf zu achten, dass unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten die Schulwege auch für Schulanfänger zu bewältigen sind“ (Abgeordnetenhaus-Drs. 16/2739 S. 15).

Angesichts der eindeutigen Regelung in § 54 Abs. 4 Satz 2 SchulG kann entgegen der Beschwerde auch nicht auf § 54 Abs. 3 Satz 1 SchulG zurückgegriffen werden. Diese Vorschrift, die bei Erschöpfung der Aufnahmekapazität u.a. die Zuweisung an eine andere - nicht zuständige - Schule mit demselben Bildungsgang unter Berücksichtigung altersangemessener Schulwege regelt, ist hier nicht unmittelbar anwendbar, weil sämtliche Schulen innerhalb des gemeinsamen Einschulungsbereichs für jedes dort wohnende Kind zuständig sind (§ 4 Abs. 2 Satz 2 GsVO). Für eine analoge Anwendung ist - wie dargelegt - mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der Senat offen lassen, ob die Annahme des Verwaltungsgerichts zutrifft, wonach die Länge der Schulwege im gemeinsamen Einschulungsbereich 07 des Bezirks bereits dann als nicht altersangemessen anzusehen ist, wenn sie mehr als 1000 m beträgt. Auch wenn diese Auffassung, gegen die sich die Beschwerde wendet, gewissen Zweifeln unterliegt, ist es hier nicht erforderlich, eine - gemäß § 54 Abs. 4 Satz 2 SchulG ohnehin allein für die Neubildung von Einzugsbereichen geltende - Obergrenze festzulegen, deren Überschreitung regelmäßig zur Unangemessenheit des Schulweges führt. Ebenso wenig ist hier zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen - beispielsweise aufgrund einer atypischen Wohnsituation - von einer derartigen Obergrenze abgewichen werden kann. Schließlich stellt sich auch nicht die Frage, inwieweit sich Schüler, die in einem seit langem unverändert bestehenden Einzugsbereich einer Grundschule wohnen, auf einen altersunangemessenen Schulweg berufen können, denn es geht hier allein um die Voraussetzungen, unter denen ein gemeinsamer Einschulungsbereich gemäß § 54 Abs. 4 Satz 2 SchulG neu gebildet werden darf.

Die Angemessenheit eines Schulwegs für Schulanfänger im Sinne von § 54 Abs. 4 Satz 2 SchulG hängt grundsätzlich von deren Belastbarkeit sowie der Sicherheit des Schulwegs ab. Hierbei kommt es vor allem auf die Länge des (Fuß-)Weges und die benötigte Zeit an. Insoweit ist vor allem zu berücksichtigen, dass Schulanfänger in Berlin bei der Einschulung teilweise erst fünf Jahre alt sind. Die durch Gesetz vom 26. Januar 2004 (GVBl. S. 26) vorverlegte allgemeine Schulpflicht besteht nach § 42 Abs. 1 SchulG für alle Kinder, die zum Beginn des Schuljahres am 1. August das sechste Lebensjahr vollendet haben oder bis zum folgenden 31. Dezember vollenden werden.

Dem wird der Beschluss über die Bildung des gemeinsamen Einschulungsbereiches 07 nicht gerecht, weil die Länge der dadurch entstandenen Schulwege weit über dem liegt, was für einen fünfjährigen Schulanfänger noch als altersangemessen anzusehen ist. So beträgt beispielsweise die von einem in der Ramlerstraße wohnenden Schüler zurückzulegende Strecke zu der für ihn - gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 GsVO - zuständigen Guts-Muths-Grundschule (Singerstraße 8) mehr als 4500 m, wozu er deutlich mehr als eine Stunde benötigt (vgl. www.vmz-info.de). Bei derart langen Schulwegen handelt es sich angesichts der Größe des gemeinsamen Einschulungsbereichs, der acht Grundschulen umfasst, auch nicht um Ausnahmefälle.

Diesem Ergebnis steht schließlich nicht die von der Beschwerde angeführte Rechtsprechung entgegen, die zur Angemessenheit von Schulwegen in anderen Bundesländern ergangen ist. Sie ist schon deshalb auf das vorliegende Verfahren und die Verhältnisse im Land Berlin nicht ohne weiteres übertragbar, weil es sich nicht um einen Flächenstaat mit zum Teil sehr unterschiedlicher Infrastruktur, sondern um eine Großstadt mit fast 3,5 Millionen Einwohnern und einer hohen Schuldichte handelt. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die für Berlin schon im Hinblick auf das Alter der Schulanfänger im Regelfall zu verneinende Frage, inwieweit diese ohne Begleitung auf den öffentlichen Nahverkehr verwiesen werden können (vgl. dazu z.B. OVG Lüneburg, Beschluss vom 17. Juni 2011 - 2 MN 31/11 -, juris). Dies entspricht auch den in Berlin herrschenden tatsächlichen Verhältnissen, die die Vorstellungen des Gesetzgebers geprägt haben. Im Übrigen ist der Antragsgegner der von ihm im Beschwerdeverfahren zitierten Rechtsprechung im Auswahlverfahren selbst nicht gefolgt. Er hat dort vielmehr innerhalb Berlins eine Schulweglänge von rund 2000 m für altersangemessen gehalten und Schulanfänger gerade nicht auf die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel verwiesen.

Nach alledem greift auch der Einwand der Beschwerde nicht durch, dass angesichts der von dem Verwaltungsgericht für zumutbar gehaltenen Schulweglänge gemeinsame Einschulungsbereiche kaum mehr gebildet werden könnten. Abgesehen davon, dass einem Schulanfänger ein Schulweg von mehr als 1000 Metern zuzumuten sein dürfte, obliegt es dem Gesetzgeber, beispielsweise durch eine Änderung des § 54 Abs. 4 Satz 2 SchulG zu regeln, dass die Frage nach der Angemessenheit des Schulwegs ausschließlich im Rahmen der Zuweisung eines Schülers zu einer bestimmten Grundschule zu prüfen ist.

Ist mithin die am 28. September 2010 von dem Bezirksamt des Bezirks Mitte beschlossene Bildung des acht Grundschulen umfassenden gemeinsamen Einschulungsbereichs 07 rechtswidrig, so kann die Antragstellerin zu 1. die vorläufige Aufnahme in die Papageno-Grundschule beanspruchen.

Zwar wäre grundsätzlich der Rechtszustand herzustellen, der bestünde, wenn der Antragsgegner keinen gemeinsamen Einschulungsbereich gebildet hätte. Hiernach wäre die Gustav-Falke-Grundschule gemäß § 55a Abs. 1 Satz 1 und 2 SchulG zuständige Grundschule, da die Antragstellerin zu 1. in deren (früherem) Einschulungsbereich wohnt. Im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG ist jedoch zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes der Antrag der Eltern der Antragstellerin zu 1. auf deren Aufnahme in die Papageno-Grundschule gemäß § 55a Abs. 2 SchulG zu berücksichtigen. Ein fiktives Aufnahmeverfahren für diese Schule nach den ohne Bildung des gemeinsamen Einschulungsbereichs anwendbaren Vorschriften lässt sich im Hinblick darauf, dass die Eltern der im gemeinsamen Einschulungsbereich 07 wohnenden Kinder unter den acht für sie zuständigen Grundschulen frei gewählt und eine Rangfolge festgelegt haben, nach derzeitigem Sachstand nicht durchführen. Es lässt sich daher nicht feststellen, welche Erfolgsaussichten der Antrag auf Aufnahme in die Papageno-Grundschule gehabt hätte. Da die Antragstellerin zu 1. andererseits diese Grundschule aufgrund der stattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung im Eilverfahren bereits besucht, ist es zur Vermeidung eines Rechtsverlusts geboten, ihr den weiteren Besuch dieser Schule zu ermöglichen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).