Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 25.04.2013 | |
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Aktenzeichen | L 2 U 162/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 9 SGB 7 |
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. Juli 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beklagte wendet sich im Berufungsverfahren gegen ihre Verurteilung zur Anerkennung eines ängstlich-depressiven Syndroms als weitere Folge einer BK Nr. 5101 (schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können).
Der 1955 geborene Kläger arbeitete vom 1. September 1972 bis Mai 2006 als Koch. Im Oktober 2003 zeigte der ihn behandelnde Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. H der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit im Sinne eines allergischen Kontaktekzems an. Nachdem sämtliche Behandlungen keine nachhaltigen Verbesserungen des Beschwerdebildes erbracht hatten und ein Arbeitsversuch Anfang Mai 2006 scheiterte, wurde der objektive Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit als Koch festgestellt. Seit Mai 2008 bezieht der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung der gesetzlichen Rentenversicherung.
Mit Bescheid vom 8. August 2006 erkannte die Beklagte das bei dem Kläger vorliegende irritativ und allergisch provozierte atopische Handekzem bei Kontaktsensibilisierung gegenüber Cocamidopropylbetain, Diphenylthioharnstoff und Perubalsam als Berufskrankheit nach Nr. 5101 BKV an, lehnte jedoch die Anerkennung einer ebenfalls vorliegenden atopischen Dermatitis (anlagebedingte Minderbelastbarkeit der Haut), eine Rhinokonjunktivitis allergica saisonalis sowie eine Kontaktsensibilisierung gegenüber Nickel-II-Sulfat als BK ab.
Mit weiterem Bescheid vom 20. Dezember 2007 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen der bei ihm anerkannten BK ab 3. September 2007 (Ende der Verletztengeldzahlung) eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 25 v. H.
Die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 08. August 2006 und 20. Dezember 2007 wies die Beklagte nach Einholung eines hautärztlichen Gutachtens des Dr. H vom 26. November 2007 mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 2008 zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, es stehe nicht fest, dass die Nickel- und/oder Lebensmittelallergie sowie die Hauterscheinungen an den Füßen Folge der Berufskrankheit seien. Sie stütze sich insoweit auf das Gutachten des Dr. H, der zu dem Ergebnis gekommen sei, dass eine kausalrechtliche Verknüpfung zwischen dem unzweifelhaft beruflich verursachten/getriggerten Handekzem und dem Auftreten atopischer Ekzemherde in anderen Arealen aus medizinischer Sicht nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu begründen sei. Der klinische Verlauf nach Tätigkeitsaufgabe, der durch eine deutliche Verbesserung des Handekzems und durch ein Fortbestehen bzw. eine Progredienz (Zunahme) der atopischen Dermatitis in anderen Körperregionen gekennzeichnet sei, spreche dafür, dass die jetzt noch bestehenden ekzematösen Hautveränderungen in anderen Arealen einer eigenständigen und anlagebedingten Krankheitsdynamik unterlägen und nicht als Berufskrankheitenfolge anzusehen seien. Zudem habe nicht mit der erforderlichen Sicherheit wahrscheinlich gemacht werden können, dass die berufliche Tätigkeit eine primäre Nickelsensibilisierung hervorgerufen habe. Dr. H gehe davon aus, dass es viel wahrscheinlicher sei, dass die erhebliche Feuchtarbeitsbelastung (mit und ohne Schutzhandschuhe) in Kombination mit mechanischer Irritation (Druck und Reibung durch Arbeitsgeräte) ursächlich gewesen sei. Dr. H stimme der Stellungnahme des behandelnden Hautarztes Dr. A, wonach die Gefahr einer Nickelsensibilisierung durch Kontakt mit modernen Edelstahllegierungen, wie sie in Küchen verwendet würden, als sehr gering einzuschätzen sei, zu. Zudem habe sich zum Zeitpunkt der Begutachtung eine Kontaktsensibilisierung mit Nickelsulfat nicht mehr in überzeugender Weise dokumentieren lassen, so dass auch von einer Streureaktion im Sinne eines hämatogenen (über den Blutweg entstehendes) Kontaktekzems nicht auszugehen sei.
Mit Bescheid vom 26. Januar 2009 gewährte die Beklagte dem Kläger anstelle der Rente als vorläufige Entschädigung eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von ebenfalls 25 v. H.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin übersandte die Beklagte ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. He vom 9. Mai 2009, der unter anderem ausführte, neben der Hauterkrankung des Klägers bestünden auch psychische Beschwerden, die zu eine Arbeitsunfähigkeit am 7. Januar 2008 geführt hätten. Im Vordergrund der Beschwerden des Klägers stünden neben den körperlichen Beschwerden Klagen über vermehrtes Grübeln, Konzentrationsstörungen, schlechte Stimmung, Lustlosigkeit, Reizbarkeit und Nervosität. Zusätzlich würden Angst und Unruhe, Zukunftsängste und auch eine Verstärkung von Ängsten und Unruhe in engen Räumen mit vielen Menschen beschrieben. Korrespondierend dazu seien auf der syndromatischen Ebene ein depressiv-ängstliches Syndrom mit einer verstärkten Depressivität ohne Störung der Vitalgefühle, einer Verbitterung, formal eingeengtem Denken sowie vermehrtem Grübeln zu befunden. Eine vermehrte Ängstlichkeit sei anlässlich seiner Untersuchung nicht zu beobachten gewesen, jedoch hätten sich anamnestisch phobische Ängste ohne wesentliches Vermeidungsverhalten gefunden. Insgesamt seien sowohl die depressive Symptomatik als auch die ängstliche Symptomatik als allenfalls mittelgradig zu beschreiben. Die depressive Symptomatik sei nicht so stark ausgeprägt, dass die Diagnose einer spezifischen depressiven Erkrankung gerechtfertigt sei. Es lägen also weder eine depressive Episode noch eine Dystrophie vor. Auch die Angstsymptomatik sei nicht so ausgeprägt, dass die Diagnose einer reinen Angsterkrankung, einer reinen phobischen Störung oder einer reinen Panikstörung vorliegen würden. Es lägen also insgesamt Angst und Depression in leichter bis mittlerer Ausprägung ohne wesentliches Vorherrschen des einen oder des anderen vor. Die Symptome einer spezifischen Angststörung oder einer depressiven Episode seien nicht erfüllt. Somit seien insgesamt in dieser Konstellation die diagnostischen Kriterien nach der ICD-10 für die Diagnose „Angst und depressive Störung gemischt“ (F 41.2) gegeben. Die Symptome würden auch über eine Anpassungstörung nach den ICD-10-Kriterien hinausgehen, da Anpassungsstörungen per definitionem nach Ablauf von zwei Jahren spätestens abklingen und die Störung des Klägers sich länger zeitlich zurückverfolgen lasse. Diese psychiatrische Erkrankung habe sich auf dem Boden einer akzentuierten Persönlichkeit entwickelt. Es fänden sich Persönlichkeitseigenarten, die sich durch das ganze Leben des Klägers zurückverfolgen lassen würden. Es gehe dabei im Wesentlichen um einen erheblichen Perfektionismus, eine erhebliche Gewissenhaftigkeit, Skrupelhaftigkeit, Leistungsbezogenheit, Rigidität, aber auch eine vermehrte Kränkbarkeit, Empfindsamkeit, ein erhebliches Misstrauen insbesondere auch im Umgang mit Behörden und anderen offiziellen Stellen. Diese Persönlichkeitseigenarten seien nicht so stark ausgeprägt, dass man aus psychiatrischer Sicht die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung im eigentlichen Sinne beschreiben würde. Sie seien lediglich als Persönlichkeitseigenarten zu beschreiben. Infolge dieser Persönlichkeitseigenarten falle es dem Kläger erheblich schwer, sich mit den akuten körperlichen und auch sozialen Belastungen auseinander zusetzen und mit diesen auch fertig zu werden bzw. sich an die veränderten Lebensbedingungen anzupassen. Die multiplen körperlichen Einschränkungen würden als kränkend erlebt. Aus psychiatrischer Sicht fänden sich somit die Diagnosen Angst und Depression gemischt sowie akzentuierte Persönlichkeit. Zwischen der Berufskrankheit des atopischen Handekzems und den psychiatrisch feststellbaren Erkrankung bestehe kein ursächlicher Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne. Das Hauptgewicht für die Verursachung der psychiatrischen Erkrankung liege in der vorbestehenden Persönlichkeit des Klägers. Die BK Nr. 5101 stelle eine sogenannte Gelegenheitsursache dar.
Der vom Sozialgericht Berlin als Sachverständiger bestellte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A führte in seinem Gutachten vom 7. März 2011 unter anderem aus, aufgrund der durch die BK Nr. 5101 eingetretenen Berufsunfähigkeit als Koch und der daraus folgenden Arbeitslosigkeit einerseits und einer zumindest zeitweiligen Intensivierung der Hauterkrankungen andererseits habe sich bei dem Kläger seit Anfang 2008 ein Beschwerdebild mit Niedergeschlagenheit, resignativer Grundhaltung, innerer Angespanntheit, Irritabilität sowie grüblerischen Zukunftssorgen, begleitet von Schlafstörungen gebildet. Dieses Störungsbild lasse sich als ängstlich depressives Syndrom (ICD-10: F41.2) zusammenfassen. Die Störung sei zwar nicht hochgradig, aber sicher festzustellen. Sie äußere sich in Form einer typischen psychopathologischen Symptomatik mit dem Gefühl mangelnden Selbstvertrauens, Niedergeschlagenheit, Verlust an Vitalität und Zukunftssorgen als Reaktion auf die schwere Hauterkrankung und die dadurch entstandene Arbeitslosigkeit. Bei der psychopathologischen Befunderhebung fänden diese Beschwerden nicht zuletzt in einer ausgesprochenen Einschränkung der affektiven Modulationsfähigkeit ihre Entsprechung. Die Alltagsgestaltung sei zwar nicht hochgradig eingeschränkt, jedoch geprägt von einer Einschränkung des sozialen Aktionsradius und notgedrungenem Rückzug auf den engeren familiären Bereich, wobei auch hier Resignation und Frustration über den „Lauf der Dinge“ festzustellen sei. Diese Entwicklung sei vor dem Hintergrund einer anankastisch geprägten, ordnungsgebundenen Persönlichkeit zu sehen. Die genannte psychiatrische Störung stehe in kausalem Zusammenhang mit der komplexen Hauterkrankung und ihren psychosozialen Folgen. Bei der Berücksichtigung konkurrierender Kausalitäten lasse sich ein psychischer Vorschaden nicht feststellen. Die vulnerable Persönlichkeitsstruktur (anankastisch-depressiv) des Klägers stelle im Gegenteil einen kausalitätserleichternden Faktor dar, der im Verbund mit der Hauterkrankung als wesentlicher Bedingung im Rechtssinne für die psychische Störung zu werten sei. Als Nicht-Dermatologe halte er die psychische Störung im Wesentlichen durch die anlagebedingte Hauterkrankung, die atopische Dermatitis, bedingt, da diese den Kläger am meisten zu stören und zu beeinträchtigen scheine. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 15. November 2011 führte Dr. A unter anderem aus, die von ihm festgestellte psychiatrische Störung sei vollumfänglich durch die Berufskrankheit, dass Handekzem, verursacht worden. Unter Berücksichtigung einer schweren dermatologischen Erkrankung, die mit einer MdE von 25 v. H. zu bemessen sei, schlage er einen Gesamt-MdE-Wert von 35 v. H. (die psychiatrische Störung bedinge einen Teil-MdE-Wert von 10 v. H.) vor.
Des Weiteren holte das Sozialgericht Berlin ein Gutachten des bereits im Verwaltungsverfahren tätigen Dr. H vom 10. Juni 2011 sowie ein weiteres Gutachten des Dr. Sch (Oberarzt der Klinik für Dermatologie und Allergologie des Klinikum) ein.
In der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2012 erklärte der Kläger den Rechtsstreit hinsichtlich der Anerkennung einer Nickel-II-Allergie, einer Allergie gegen Lebensmittel und Gewürze und ein Fußekzem für erledigt. Die Beklagte erklärte, dass sie weiterhin von einer MdE von 25 v. H. auf hautfachärztlichen Gebiet ausgehe. Übereinstimmend erklärten die Beteiligten, dass es im vorliegenden Verfahren nur um die Folgen der anerkannten BK Nr. 5101 und die daraus resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit auf psychiatrischem Gebiet gehen solle.
Mit Urteil vom 9. Juli 2012 stellte das Sozialgericht Berlin fest, dass bei dem Kläger als weitere Folge der bei ihm anerkannten BK Nr. 5101 ein ängstlich-depressives Syndrom (ICD-10: F 41.2) bestehe und verurteilte die Beklagte, dem Kläger ab 7. Januar 2008 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 35 v. H. der Vollrente zu zahlen. Zur Begründung hinsichtlich der Beurteilung der Folgen der BK Nr. 5101 auf psychiatrischem Fachgebiet stützte sich die Kammer im Wesentlichen auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. A vom 7. März 2011 in Verbindung mit seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 15. November 2011. Dieser führe in seinem Gutachten aus, dass sich bei dem Kläger aufgrund seiner durch die BK Nr. 5101 eingetretenen Berufsunfähigkeit als Koch und schließlich Arbeitslosigkeit einerseits und einer zumindest zeitweiligen Intensivierung der Hauterkrankungen andererseits seit Anfang 2008 ein Beschwerdebild mit Niedergeschlagenheit, resignativer Grundhaltung, innerer Angespanntheit, Irritabilität sowie grüblerischen Zukunftssorgen, begleitet von Schlafstörungen, entwickelt habe, also ein ängstlich-depressives Syndrom (ICD-10: F 41.2). Dr. A habe in seinem Gutachten schlüssig ausgeführt, dass die Aufgabe des Berufs als Koch und die sich daran anschließende Arbeitslosigkeit maßgeblich verantwortlich zu machen seien für das Entstehen der ängstlich depressiven Erkrankung des Klägers. Dieser Zwang zur Tätigkeitsaufgabe sei indes Folge der anerkannten BK Nr. 5101, deren Beschwerdebild dasjenige der atopischen Dermatitis erheblich überlagere und zu einer deutlichen Verschlechterung des Hautzustandes führe. Die Teil-MdE des Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet bewerte Dr. A mit 10 v. H. Es ergebe sich eine Gesamt-MdE von 35 v. H.
Gegen das ihr am 16. Juli 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 8. August 2012 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juli 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Einzelnen und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 08. August 2006 sowie der Bescheid vom 20. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 2009 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mehr als 25 v.H. unter Anerkennung eines ängstlich-depressiven Syndroms als weiterer Arbeitsunfallfolge, denn diese Gesundheitsstörung lässt sich nicht hinreichend wahrscheinlich (noch) auf die anerkannte Berufskrankheit zurückführen.
Unstreitig liegt bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr. 5101 der BKV vor, die die Beklagte mit Bescheid vom 08. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2008 auch anerkannt und mit den Bescheiden vom 20. Dezember 2007 und 26. Januar 2009 mit einer MdE von 25 v. H. bewertet hat.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 5101 der Anlage zur BKV schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen bei so genanntem Unterlassungszwang.
Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und dass die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R -, BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 7, jeweils Rdnr. 15; BSG vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, jeweils Rdnr. 13, und Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 02. April 2009 - B 2 U 9/08 R -, zitiert nach juris).
Zutreffend hat die Beklagte in dem Bescheid vom 08. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2008 als Berufskrankheit nach Nr. 5101 BKV ein irritativ und allergisch provoziertes atopisches Handekzem bei Kontaktsensibilisierung gegenüber Cocamidopropylbetain, Diphenylthioharnstoff und Perubalsam anerkannt.
Das darüber hinaus bei dem Kläger diagnostizierte depressiv-ängstliche Syndrom, das sich aus den Gutachten des Dr. He und des Dr. A ergibt, lässt sich zur Überzeugung des Senates weder unmittelbar noch mittelbar und auch nicht teilursächlich auf berufliche Einwirkungen im Sinne einer Berufskrankheit zurückführen.
Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung in Folge eines Versicherungsfalles muss im Falle der Berufskrankheit zwischen den Einwirkungen und den geltend gemachten Berufskrankheitsfolgen entweder direkt (unmittelbare Berufskrankheitsfolge) oder mittels des Gesundheitserstschadens (mittelbare Berufskrankheitsfolge) ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen.
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG SozR Nr 69 zu § 542 aF RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO; vgl. Krasney in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 RdNr. 314, Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, Kapitel 1.5, S 24 f.). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (BSGE 12, 242, 245 = SozR Nr 27 zu § 542 RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr. 10; BSG SozR 2200 § 548 Nr 75; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11; ähnlich Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO). Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen.
Diese vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 09. Mai 2006 (Az. B 2 U 1/05 R, zitiert nach Juris) ausführlich dargelegten Grundlagen der Theorie der wesentlichen Bedingung gelten für alle als Unfall- oder Berufskrankheitsfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen und damit auch für psychische Störungen.
Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Folge einer Berufskrankheit und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund von ihnen ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern (BSG Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84; vgl. BSG Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 50/02 R Erforderlich ist aber jeweils eine einzelfallbezogene positive Feststellung sowohl der Verursachung nach der Bedingungstheorie als auch der wesentlichen Verursachung der vorliegenden Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen. Das bloße Fehlen von konkurrierenden Ursachen genügt bei komplexen Krankheitsgeschehen, die mehrere Ursachen haben können, gerade nicht (BSG Urteil vom 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R;BSG Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R, zitiert nach Juris). Beweismaßstab für die haftungsbegründende Kausalität ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit vgl. bspw.BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 5/05 R zitiert nach Juris)
Zur Überzeugung des Senates liegen bei dem Kläger die von der Beklagten bereits anerkannten Berufskrankheitsfolgen vor. Das ebenfalls bei dem Kläger diagnostizierte depressiv-ängstliche Syndrom lässt sich weder unmittelbar noch mittelbar hinreichend wahrscheinlich auf berufliche Einwirkungen und damit auf eine Berufskrankheit zurückführen.
Weder haben die Berufstätigkeit des Klägers noch die als Berufskrankheit anerkannte Hauterkrankung selbst zu dem depressiv-ängstlichen Syndrom geführt. Letzteres wäre bspw. dann der Fall, wenn der Kläger unter den durch die Berufskrankheit hervorgerufenen Hautveränderungen psychisch besonders leiden würde, weil diese zu auffälligen Veränderungen oder Entstellungen im Gesicht etc. führen würden. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Weder Dr. He noch der Sachverständige Dr. A beschreiben einen Leidensdruck des Klägers wegen der unangenehmen oder entstellenden Wirkung der Hautveränderungen. Zwar führt Dr. A neben der Arbeitslosigkeit, die den Kläger stark belastet hat (dazu unten), – auch – die zeitweilige Intensivierung der Hauterkrankung Anfang 2008 als Auslöser des depressiv-ängstlichen Syndroms an; dass durch diese Intensivierung der Hauterkrankung bzw. durch den beruflich bedingten Anteil der Hauterkrankung ein psychiatrisches Krankheitsbild entstanden ist, lässt sich seinem Gutachten jedoch nicht entnehmen. Ausdrücklich nennt er als Ursache des depressiv-ängstlichen Syndroms die anlagebedingte Hauterkrankung, da diese den Kläger seiner Meinung nach am meisten zu stören und zu beeinträchtigen scheine; worin diese Beeinträchtigungen liegen und ob sie zu den psychischen Symptomen führen, erläutert er allerdings nicht, sondern führt lediglich aus, bei dem Kläger sei eine Resignation und Frustration „über den Lauf der Dinge“ festzustellen. Ob solche angesichts der beruflichen Perspektive und der angespannten privaten Situation mit einer ebenfalls an einer Depression erkrankten Ehefrau und einem behinderten Sohn durchaus nachvollziehbaren Gefühle Krankheitswert haben, erläutert er nicht. Insoweit erscheinen dem Senat Resignation und Frustration durchaus angemessene Reaktionen zu sein.
Die Anpassungsstörung ist auch nicht als mittelbare Folge einer Berufskrankheit festzustellen.
Zwar stellen sowohl Dr. H als auch der Sachverständige Dr. A als Ursache für das bei dem Kläger diagnostizierte depressiv-ängstliche Syndrom auf die bei dem Kläger eingetretene Berufs- und Arbeitslosigkeit ab. Dr. A führt dann in einem weiteren Schritt die Berufsaufgabe und die dann folgende Arbeitslosigkeit – noch – ursächlich auf die Berufskrankheit, die mit einem Unterlassungszwang verbunden war, zurück. Dieser rechtlichen Wertung, die im Übrigen das Gericht und nicht der medizinische Sachverständige zu treffen hat, kann sich der Senat nicht anschließen. Dass ausschlaggebend für das Entstehen des depressiv-ängstlichen Syndroms der Unterlassungszwang der bisherigen Tätigkeit des Klägers als Koch ist, lässt sich keinem der beiden Gutachten entnehmen. Dies wäre lediglich in Ausnahmefällen anzunehmen, in denen ein Versicherter sich mit seinem Beruf über alle Maßen identifiziert hat und in dem der Verlust gerade dieser Tätigkeit Ursache der psychiatrischen Erkrankung ist. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die MdE abstrakt und nicht bezogen auf die konkret ausgeübte Tätigkeit eines Versicherten zu bestimmen ist. Eine Ausnahme kennt das Unfallrecht lediglich für den Fall des besonderen beruflichen Betroffenseins, der hier jedoch nicht in Betracht kommt. Beide Gutachter stellen vorliegend aber auch nicht auf einen Leidensdruck des Klägers wegen des Verlustes seines Lehrberufes ab, sondern im Wesentlichen auf die anschließende Arbeitslosigkeit, was für den Senat, der bereits eine Vielzahl von Verfahren auch im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung bearbeitet hat, mehr als nachvollziehbar ist. Eine erneute Berufstätigkeit für leistungsgeminderte 50-jährige Versicherte, die nicht mehr in ihrem Ausbildungsberuf, sondern nur noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sind, ist angesichts der großen Anzahl nicht leistungsgeminderter jüngerer Arbeitsloser schwer zu realisieren. Hinzu kommt vorliegend, dass die von der Beklagten veranlasste Berufsfindung zu dem Ergebnis geführt hat, dass bei dem Kläger eine mangelnde Anpassungs-, Umstellungs- und Konzentrationsfähigkeit vorliegen, die die Einarbeitung in neue Arbeitsaufgaben erschweren. Des Weiteren leidet der Kläger unter nicht als Berufskrankheit zu bewertenden Beschwerden der Wirbelsäule, die den Kreis der Einsatzmöglichkeiten des Klägers weiter verringern. Dass ein Versicherter angesichts einer solchen beruflichen Perspektive, die zu Ängsten und der Frage, wie es beruflich und finanziell weitergehen soll, führen, ein depressiv-ängstliches Syndrom entwickelt, ist für den Senat mehr als nachvollziehbar.
Für die Anerkennung weiterer Gesundheitsschäden ist es ausreichend, aber auch notwendig, dass diese im Sinne der Theorie von der wesentlichen Bedingung auf dem Unfallereignis beruhen. Dieser Ursachenzusammenhang ist – wie sonst auch - mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festzustellen. Vorliegend steht nach den Gutachten des Dr. A und des Dr. H fest, dass Ursache des depressiv-ängstlichen Syndroms die Arbeitslosigkeit des Klägers ist.
Dieses Syndrom ist auch – zunächst - in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinne als durch den Unterlassungszwang hinsichtlich der Tätigkeit als Koch verursacht anzusehen. Denn die Berufskrankheit und der daraus folgende Unterlassungszwang hinsichtlich der Tätigkeit als Koch lässt sich nicht hinweg denken, ohne dass die anschließende Arbeitslosigkeit und das daraufhin entstandene depressiv-ängstliche Syndrom entfallen (conditio sine qua non). Auf der zweiten Stufe der Prüfung kann aber im wertenden Sinne der Wesentlichkeit ein Ursachenzusammenhang zwischen der als Berufskrankheit anerkannten Hautkrankheit und der Arbeitslosigkeit und daraus folgend der psychiatrischen Erkrankung nicht festgestellt werden.
Die Arbeitslosigkeit des Klägers hat ihre wesentliche Ursache jedenfalls nicht in den Folgen der Berufskrankheit der Haut, auch wenn die Berufskrankheit im Sinne der Äquivalenztheorie eine Ursache der Arbeitslosigkeit ist (conditio sine qua non). Die Hautkrankheit steht einer Tätigkeitsaufnahme auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegen. Sie verhindert nur eine Tätigkeitsaufnahme im Beruf eines Kochs.
Damit steht aber fest, dass die Beschäftigungslosigkeit an sich gerade nicht auf den Folgen der Hauterkrankung und damit der Berufskrankheit beruht. Dies wäre im Sinne der Wesentlichkeit nur dann der Fall, wenn auch jede andere zumutbare Tätigkeit wegen der Berufskrankheit nicht aufgenommen werden könnte (so auch Urteil des Senats vom 24. Januar 2013, L 2 U 82/12 zitiert nach juris). Dafür besteht vorliegend nicht der geringste Anhalt. Tätigkeiten ohne eine Reizung der Haut, also insbesondere ohne die Allergie auslösenden Stoffe und ohne Nässe der Hände, sind dem Kläger angesichts der mit einer MdE von 25 v.H. bewerteten Hautkrankheit zumutbar.
Der Kläger ist vielmehr aus anderen als berufskrankheitsbedingten Gründen arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit beruht zunächst auf der Tatsache, dass der Arbeitsmarkt für über 50-jährige, (unter anderem wegen Wirbelsäulenbeschwerden) leistungsgeminderte Versicherte, die nicht auf eine qualifizierte Ausbildung zurückgreifen können, sondern lediglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sind, wenig Tätigkeiten vorhält. Für solche ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes stehen auch ausreichend jüngere nicht leistungsgeminderte Arbeitslose zur Verfügung. Der Kläger ist auch durch die bei ihm vorliegenden Wirbelsäulenbeschwerden nur noch eingeschränkt vermittelbar. Des Weiteren mangelt es ihm an einer Anpassungs-, Umstellungs- und Konzentrationsfähigkeit, die auch eine von ihm von der Beklagten begehrte Umschulung wenig aussichtsreich erscheinen ließ und seine Vermittlungschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiter verringert. Damit steht fest, dass nicht die Folgen der Berufskrankheit Ursache der Arbeitslosigkeit und des depressiv-ängstlichen Syndroms sind.
Der Kläger kann sich auch nicht etwa aus Rechtsgründen darauf berufen, ihm sei es nicht zumutbar eine andere als die zuvor ausgeübte Tätigkeit aufzunehmen, so dass seine Arbeitslosigkeit – und damit die auf ihr beruhende Störung - aus Rechtsgründen unfallbedingt und damit zu entschädigen sei. Die Schadensbemessung in der gesetzlichen Unfallversicherung als Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist an abstrakte Grundsätze gebunden. § 56 Abs. 2 SGB VII schreibt für die MdE-Bewertung vor, dass die geminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu ermitteln sind. Es kommt also für die Höhe der Verletztenrente gerade nicht darauf an, ob der letzte Beruf vor dem Unfall noch ausgeübt werden kann. Dieser das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung prägende Grundsatz würde in Frage gestellt, wenn sich nun Gesundheitsstörungen auf die Höhe der Rente auswirkten, die nur deshalb als unfallbedingt anerkannt werden könnten, weil sie „nur“ die Ausübung des bisherigen Berufs unmöglich machten.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der Gesetzgeber nur in den Fällen eines besonderen beruflichen Betroffenseins anerkannt (§ 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII). Hier handelt es sich um eng begrenzte Ausnahmefälle, wie z.B. den Klaviervirtuosen, der ein Fingerglied verliert. Nicht einmal Verletzungen von Berufsfußballspielern, die nach einer Verletzung nicht mehr spielen können, fallen unter diese Ausnahmekonstellation. Bei einem als Koch in einer Großküche tätig gewesenen Versicherten kommt diese Ausnahmevorschrift schon grundsätzlich nicht zur Anwendung. Die Verletztenrente im vorliegenden Fall kann nun nicht über den „Umweg“ einer berufsbezogenen Kausalitätsbetrachtung erhöht werden.
Ganz allgemein sind einer arbeitslosen Person in der Bundesrepublik Deutschland nach § 140 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Drittes Buch alle ihrer Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen zumutbar, soweit nicht allgemeine oder personenbezogene Gründe der Zumutbarkeit einer Beschäftigung entgegenstehen. Das Vorliegen einer Unfallverletzung schränkt die Zumutbarkeit nicht ein.
Damit sind weitere als die bereits von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden anerkannten Gesundheitsstörungen nicht als Berufskrankheitsfolgen anzuerkennen. Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. Juli 2012 ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Dr. Albrecht auch bei der Bildung der Gesamt-MdE die im Unfallrecht geltenden Grundsätze nicht ausreichend beachtet hat. Die Bildung der Gesamt-MdE ist in Anlehnung an die auch im Schwerbehinderten- und Versorgungsrecht geltenden Grundsätze grundsätzlich so vorzunehmen, dass eine integrierende Gesamtschau der Gesamteinwirkungen aller Funktionseinschränkungen auf die Erwerbsfähigkeit zu erfolgen hat, bei welcher der Grad der Gesamt-MdE in aller Regel niedriger ist als die Summe der Einzelschäden. Eine bloße Addition der Einzel-MdE-Sätze ist grundsätzlich nicht statthaft. Die Bildung der Gesamt-MdE ist in diesen Fällen vielmehr so vorzunehmen, dass die höchste Einzel-MdE ggf. unter Berücksichtigung weiterer MdE-Sätze zu erhöhen ist. Eine solche Erhöhung kommt jedoch grundsätzlich erst beim Vorliegen einer weiteren Einzel-MdE von 20 v. H. in Betracht (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. März 2010, Aktenzeichen L 2 U 177/07, Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08. März 2006, Aktenzeichen L 17 U 178/04, BSG, Urteil vom 15. März 1979, Aktenzeichen 9 RVs 7/78, für das hier rechtsgleiche Schwerbehindertenrecht, jeweils zitiert nach juris.de, und Ricke in Kasseler Kommentar, § 56 Rdnr. 23, jeweils m. w. N.).
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.