Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 22. Senat | Entscheidungsdatum | 07.06.2012 | |
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Aktenzeichen | L 22 R 381/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 44 SGB 10 |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 09. März 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Im Streit ist ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung von 4.689,95 Euro.
Der 1944 geborenen Klägerin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Juli 1995 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit auf deren Antrag vom 21. März 1995 für die Zeit vom 01. Oktober 1995 bis 30. September 1998.
Mit Bescheid vom 27. März 1998 bewilligte die Beklagte antragsgemäß Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit über den 30. September 1998 hinaus mit Wegfall mit Ablauf des Monats September 2001. Zum monatlichen Zahlbetrag wird im Bescheid angegeben: „Wie bisher“.
Mit Bescheid vom 30. März 2001 teilte die Beklagte der Klägerin antragsgemäß mit, der Anspruch auf Versichertenrente werde über den bisherigen Befristungszeitpunkt hinaus anerkannt. Die Rente falle mit Ablauf des Monats September 2004 weg. Für die Berechnung der Rente gelte weiterhin „der bisherige Bescheid vom 27.März 1998“ unter Berücksichtigung der Rentenanpassung in bisheriger Höhe.
Mit Bescheid vom 19. April 2004 gewährte die Beklagte antragsgemäß der Klägerin Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den bisherigen Befristungszeitpunkt hinaus auf unbestimmte Dauer. Für die Berechnung der Rente gelte der bisherige Bescheid vom 30. März 2001. Zahlbetrag der monatlichen Rente sei wie bisher.
Mit Bescheid vom 07. Juni 2004 bewilligte die Beklagte Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige, beginnend mit dem Monat Oktober 2004.
Am 13.März 2009 bei der Beklagten eingehend beantragte die Klägerin bei der Beklagten Neuberechnung ihrer Rente wegen verminderter Erwerbsunfähigkeit. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Oktober 1996 (4 RA 31/96) gelte die Weitergewährung einer befristeten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit als Bewilligung einer neuen Rente. Dieses Urteil sei für alle Zeiträume bis 30. April 2007 anwendbar. Daher müssten die Renten neu berechnet werden.
Mit Bescheid vom 25. März 2009 stellte die Beklagte auf den Antrag vom 13. März 2009 die bisherige Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 01. Oktober 1998 bis 30. September 2001 neu fest. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab dem 21. März 1995 erfüllt.
Errechnet wurde eine Nachzahlung von 1.965,20 Euro. Mit Bescheid vom 27. März 2009 stellte die Beklagte des Weiteren auf den Antrag vom 13. März 2009 die bisherige Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 01. Oktober 2001 bis zum 30. September 2004 neu fest. Errechnet wurde eine Nachzahlung von 2.724,75 Euro. In beiden Bescheiden wurde mitgeteilt, die Neufeststellung der Rente erfolge aufgrund der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 24. Oktober 1996 (4 RA 31/96).
Über die Neufeststellung der bewilligten Altersrente würde ein weiterer Bescheid erteilt werden.
Mit Schreiben vom 01. April 2009 teilte die Beklagte der Klägerin u. a. mit,aufgrund der Bescheide vom 25. März 2009 und vom 27. März 2009 könnten Zahlungen nicht erfolgen. Für diese Berechnungszeiträume sei eine Nachzahlung durch die Zahlungsbeschränkung des § 44 Abs. 4 SGB X ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift seien Nachzahlungsbeträge für länger als vier Kalenderjahre zurückliegende Zeiten nicht zu leisten. Der Nachzahlungszeitraum sei ausgehend vom Zeitpunkt ihres Überprüfungsantrags zu bestimmen gewesen.
Dieses Schreiben wurde gemeinsam in einem Umschlag mit den Bescheiden vom 25. und 27. März 2009 an die Klägerin versandt.
Mit Schreiben vom 29. April 2009 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die festgestellten Rentenbeträge in Höhe von 1.965,20 Euro und 2.724,75 Euro auf ihr Konto zu überweisen. Da das Schreiben vom 01. April 2009 als Verwaltungsakt aufgefasst werden könne, lege sie rein vorsorglich und hilfsweise dagegen Widerspruch ein. Die Verweigerung der offenen Zahlungen aus den Bescheiden vom 25. und 27. März 2009 lasse sich nicht auf § 44 Abs. 4 SGB X stützen. Die Vorschrift sei hier nicht anwendbar. Der Vorbehalt des § 37 SGB I schließe den Rückgriff auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -(SGB X) aus. Zudem verhindere schon die bestandskräftige Neufestsetzung der Erwerbsunfähigkeitsrente für die in den Rentenbescheiden vom 25. März 2009 und 27. März 2009 benannten Zeiträume eine Anwendbarkeit des § 44 Abs. 4 SGB X. Schließlich enthalte § 44 Abs. 4 SGB X keinen allgemeinen Rechtsgedanken, dieser wäre im Rentenversicherungsrecht ohnehin nicht anwendbar (Verweis auf BSG-Urteil vom 06. März 2003 – B 4 RA 38/02).
Mit Widerspruchsbescheid vom 08. Juni 2009 hat die Beklagte den Widerspruch „gegen die Bescheide vom 25. März 2009 und 27. März 2009“ zurückgewiesen.
Mit der am 01. Juli 2009 beim Sozialgericht (SG) ergangenen Klage verfolgt die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von 4.689,95 Euro. Sie habe am 13. März 2009 die Neufeststellung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf der Grundlage des Urteils des Bundessozialgerichts vom 24. Oktober 1996 beantragt. Anlass sei ein Hinweis einer Bekannten im März 2009 gewesen, dass auch die Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin falsch berechnet sein könnte. In den Bescheiden vom 25. und 27.März 2009 seien Ausführungen hinsichtlich etwaiger Aufhebungen, Rücknahmen, Widerrufen oder Verjährungen nicht erfolgt. Am 01. April 2009 habe die Beklagte der Klägerin ein Informationsschreiben übersandt, in dem erklärt worden sei, die Beklagte könne die Zahlung nicht vornehmen. Da die Klägerin die Neuberechnungen anerkannte und auch sonst keinen Anlass gesehen habe, die beiden Bescheide anzufechten, sei hinsichtlich dieser beiden Bescheide weder innerhalb der jeweiligen Widerspruchsfrist auch mit Schreiben vom 29. April 2009 Widerspruch eingelegt worden. Indessen sei darauf hingewiesen worden, dass diese Bescheide bestandskräftig und unanfechtbar geworden seien. Vorsorglich habe die Klägerin gegen das Schreiben vom 01. April 2009 Widerspruch eingelegt. Die Beklagte selbst sei davon ausgegangen, dass es sich bei dieser Mitteilung lediglich um eine schriftliche Information gehandelt habe. Denn mit Schreiben vom 08. Juni 2009 sei ein „Widerspruchsbescheid“ ergangen, mit dem angebliche Widersprüche gegen die Bescheide vom 25. März 2009 und vom 27. März 2009 zurückgewiesen worden seien. Auf das informelle Schreiben vom 01. April 2009 werde nicht eingegangen.
Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin seien die unanfechtbar gewordenen Rentenbescheide vom 25. und 27. März 2009. Das Schreiben der Beklagten vom 01. April 2009 sei hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin unerheblich. Es könne grundsätzlich keine Rechtswirkung entfallen und gehe mithin ins Leere. Unerheblich sei der Widerspruchsbescheid deshalb, weil ein Widerspruchsbescheid hätte ergehen können, da kein Widerspruch gegen die Rentenbescheide eingelegt worden sei. Die Beklagte habe lediglich die Möglichkeit gehabt, diese Rentenbescheide aufzuheben, zurückzunehmen oder zu widerrufen unter Vorlage der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen. Die Beklagte habe sich im System der § 39 ff. SGB X zu bewegen. § 44 SGB X sei nur anwendbar bei rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakten. Inwieweit der Rentenbescheid nicht begünstigend sei, erschließe sich nicht.
Die Beklagte habe mit den Rentenbescheiden eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit jeweils neu festgestellt. Damit bleibe für eine unmittelbare Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X kein Raum. Ein allgemeiner Rechtsgedanken sei § 44 Abs. 4 SGB X nicht zu entnehmen (BSG Urteil vom 06. März 2003 – B 4 RA 38/02 R). Ferner sei die Beklagte in diesen beiden Bescheiden nicht auf etwaige Verjährungsproblematiken eingegangen und habe nicht aufgrund dessen innerhalb der beiden nun unanfechtbaren Rentenbescheide eine Zahlung verweigert. Die Klägerin wende sich nicht gegen die beiden Rentenbescheide. Die Berechnung der Nachzahlungsbeträge werde durch die Klägerin als richtig anerkannt. Eine Aufhebung der bestandskräftigen Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juni 2009 sei mithin sinnwidrig. Allein die Auszahlung der zutreffend festgestellten Ansprüche und Erfüllung der bindend gewordenen Verwaltungsakte werde dem Rechtschutzziel der Klägerin gerecht. Der Beklagten sei eine Berufung auf § 44 Abs. 4 SGB X nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt. Die Beklagte habe die Klägerin nicht ausreichend aufgeklärt. Allein dem Zufall sei es zu verdanken, dass die Klägerin davon Kenntnis erhalten habe, dass sie einen berechtigten Anspruch auf Zahlung einer etwas höheren Rente habe.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, aus dem Rentenbescheid vom 25. März 2009 - 44 150944 S 515 RTNR 03 - den Betrag von 1.965,20 Euro und aus dem Rentenbescheid vom 27. März 2009 - 44 150944 S 515 RTNR 04 - weitere 2.724,75 Euro, mithin insgesamt 4.689,95 Euro, an die Klägerin zu zahlen.
Hilfsweise wurde beantragt,
es wird festgestellt, dass die Beklagte zur Zahlung von 1.965,20 Euro aus dem Rentenbescheid vom 25. März 2009 - 44 150944 S 515 RTNR 03 und von weiteren 2.724,75 Euro aus dem Rentenbescheid vom 27. März 2009 - 44 150944 S 515 RTNR 04 an die Klägerin verpflichtet ist.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre angefochtenen Entscheidungen. § 44 Abs. 4 SGB X finde Anwendung.
In der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2010 haben die Beteiligten einen Widerrufsvergleich geschlossen, dessen Widerruf der Beklagten des Vergleichs in einer Frist von drei Wochen nach Zugang der Sitzungsniederschrift vorbehalten wurde. Mit dem 05. Mai 2010 beim SG eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte den Vergleich widerrufen und den Zugang der Sitzungsniederschrift mit dem 19. April 2010 angegeben.
Die Beklagte meint, es habe keine Verpflichtung der Beklagten bestanden, das Urteil des BSG, Az. 4 RA 31/96 anzuwenden und die Klägerin darauf hinzuweisen. Habe sich durch mehrere richterliche Entscheidungen eine gefestigte Rechtsprechung herausgebildet, richtete sich die Behörde in ihrem Verwaltungshandeln danach aus. Entsprechend sei das Urteil des BSG im betreffenden Einzelfall umgesetzt worden. Es habe eine weitere höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Fallgestaltung erwirkt werden sollen. Bedauerlicherweise sei es der Beklagten nicht möglich gewesen, dieses Ziel zu erreichen, da die Berufungsinstanzen stets im Sinne des Urteils vom 24.10.1996 (Az.: 4 RA 31/96) entschieden, aber eine Revision im Hinblick auf die damalige alleinige Zuständigkeit des 4. Senats des Bundessozialgerichts für Angelegenheiten der Angestelltenversicherung nicht zuließen. In dieser Situation habe erst die Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde am 02.05.2005 (Az.: B 4 RA 212/04) insoweit Klarheit gebracht, dass die Beklagte für Fälle der Weitergewährung einer nach dem SGB VI bewilligten Rente nicht mit einer anderen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts rechnen konnte. Die Beklagte habe daraufhin das Urteil vom 24.10.1996 (Az.: 4 RA 31/96) bei der Weitergewährung von befristeten Erwerbsminderungsrenten bis zur Änderung des § 102 SGB VI durch Art. 1 Nr. 32 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 30.04.2007 (BGBl. I Seite 554) umgesetzt.
Die Klägerin meint, ihr Anspruch sei aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht gemäß § 44 Abs. 4 SGB X schon verjährt. Der Beginn der Verjährung könne nämlich frühestens mit dem Tage nach der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde vom 02. Mai 2005 anzunehmen sein. Die Klägerin habe damit innerhalb der Vierjahresfrist bereits im März 2009 die Neufeststellung der Rente beantragt. Die Einlassungen der Beklagten seien ein Eingeständnis der Verletzung bestehender Hinweis- und Beratungspflicht.
Das SG hat ohne mündliche Verhandlung am 09. März 2011 die Klage abgewiesen:
Zu Recht stütze sich die Beklagte auf § 44 SGB X. Die Voraussetzungen für die Rücknahme der Bescheide vom 27. März 1998 und 30. März 2001 seien erfüllt. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 SGB X lägen vor. Ein Nachzahlungsanspruch für die Zeiten vor dem 01. Januar 2005 lasse sich auch nicht aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ableiten. Eine derartige Pflichtverletzung sei nicht feststellbar. Auch bei Annahme eines Herstellungsanspruchs wäre die rückwirkende Leistungserbringung auf 4 Jahre begrenzt. § 44 Abs. 4 SGB X wäre dann entsprechend anzuwenden. Bezug genommen wurde auf Urteile des BSG B 13 R 34/06 R, B 13 R 58/06 R.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11. März 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 11. April 2011 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung. Zur Begründung wurde insbesondere vorgetragen, mit seinen Entscheidungen des BSG vom 24. Oktober 1996 (4 RA 31/96) und nachfolgend vom 16. November 2000 - B 4 RA 55/99 R habe das BSG entschieden, dass im Anschluss an die Gewährung einer befristeten Rente wegen Erwerbsminderung die anschließende Gewährung einer erneuten Rente wegen Erwerbsminderung einen neuen Rentenbeginn im Sinne von § 300 Abs. 1 SGB VI darstelle. Mit Beschluss vom 02. Mai 2005, B 4 RA 212/04 R habe das BSG eine gegen einen Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 19. Juli 2004 (L 16 R 37/04) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen. Mit Bescheiden vom 25. und 27. März 2009 habe die Beklagte Renten mit den dort genannten Beträgen neu festgesetzt. Die tatsächlich erfolgten Zahlungen blieben hinter diesen Beträgen zurück: Die Zeit vom 01. Oktober 1998 bis 30. September 2001 mit einem Rückstand von 1.965,20 Euro und für die Zeit von Oktober 2001 bis 30. September 2004 mit 2.724,75 Euro. Diese Zahlungen seien nicht verjährt, da die Forderungen erst aufgrund der beiden ab 2009 erlassenen Rentenbescheide entstanden seien. Die Anwendbarkeit des § 44 SGB X sei in Anbetracht dessen gar nicht erst eröffnet. Durch die Bescheide vom 25. März 2009 und 27. März 2009 sei rechtskräftig festgesetzt worden, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten Anspruch auf Erwerbsminderung in der dort genannten Höhe habe.
Abgesehen davon bestehe zugunsten der Klägerin gegenüber der Beklagten ein Zahlungsanspruch jedenfalls in Höhe von 3.222,89 Euro: Die Beklagte habe in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass sie bewusst und gewollt davon abgesehen habe, zugunsten von Rentenbeziehern die Entscheidung des BSG vom 24. Oktober 1996 anzuwenden. Nach § 115 Abs. 1 SGB VI sollten der Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass diese eine Leistung erhalten könnten, wenn sie dies beantragten. Ein solcher geeigneter Fall habe vorliegend spätestens durch die Entscheidung des BSG vom 05. Mai 2005 – B 4 RA 212/04 B vorgelegen, da nach dieser auf Seiten der Beklagten kein Zweifel mehr bestehen durfte. Hätte die Beklagte die Klägerin bereits im Anschluss an die vorgenannte Entscheidung des BSG vom 05. Mai 2005 auf diese und damit auf die Bestätigung der Entscheidung vom 24. Oktober 1996 aufmerksam gemacht, hätte die Klägerin im Jahr 2005 einen Überprüfungsantrag nebst einem Antrag auf Nachzahlung stellen können. Ausgehend von diesem hätte die Beklagte zugunsten der Klägerin in diesem Fall zwingend wenigstens Leistungen ab dem 01. Januar 2001 zusprechen müssen, somit 3.222,89 Euro. Die Beklagte habe sich jedoch bewusst geweigert, zugunsten der von dieser Entscheidung profitierenden Rentenberechtigten die Leistung zukommen zu lassen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Neuruppin vom 09. März 2011, Az. S 2 R 294/09, wird die Beklagte verurteilt, aus dem Rentenbescheid vom 25.03.2009 - 44 150944 S 515 RTNR 03 - den Betrag in Höhe von 1.965,20 Euro und aus dem Rentenbescheid vom 27.03.2009 - 44 150944 S 515 RTNR 04 - weitere 2.724,75 Euro, mithin insgesamt 4.689,95 Euro an sie, die Klägerin, zu zahlen.
Hilfsweise:
Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Neuruppin vom 09. März 2011, Az. S 2 R 294/09, wird festgestellt, dass die Beklagte zur Zahlung von 1.965,20 Euro aus dem Rentenbescheid vom 25.03.2009 - 44 150944 S 515 RTNR 03 - und von weiteren 2.724,75 Euro aus dem Rentenbescheid vom 27.03.2009 - 44 150944 S 515 RTNR 04 - an die Klägerin verpflichtet ist.
Hilfsweise:
Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Neuruppin vom 09. März 2011, Az. S 2 R 294/09, wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 4.689,95 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 09. März 2011 zurückzuweisen.
Die Beklagte hat weiter vorgetragen, aufgrund der Änderung des § 102 SGB VI durch Art. 1 Nr. 32 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007 (BGBl. I Seite 554) zum 01.05.2007 sei die Rechtsprechung des BSG vom 24.10.1996 (Az. 4 RA 31/96) ausschließlich für in der Vergangenheit liegende Weiterzahlungen von Erwerbsminderungsrenten umzusetzen. Die Umsetzung der BSG-Rechtsprechung habe also einen auf die Vergangenheit beschränkten Sachverhalt, so dass ein umfassendes Umprogrammieren der maschinellen Rentenberechnungsprogramme, durch das in betroffenen Einzelfällen eine vollmaschinelle Bescheiderteilung möglich geworden wäre, nicht zu rechtfertigen gewesen sei. Die Beklagte habe daher einen Weg finden müssen, mit einem verhältnismäßig geringen programmiertechnischen Aufwand die nach der BSG-Rechtsprechung erforderlichen Berechnungen durchzuführen und über die Berechnungen entsprechende Bescheide zu erlassen. Der von der Beklagten letztlich gefundene Weg bedeute jedoch, dass die maschinellen Bescheide, die jeweils zu den einzelnen Weiterzahlungszeiträumen einer Erwerbsminderungsrente erstellt wurden, manuell nachbearbeitet und – schon zum besseren Verständnis des Bescheidempfängers – durch ein begleitendes Schreiben erläutert beziehungsweise konkretisiert werden mussten. Die Handlungsanweisungen für die Sachbearbeitung der Beklagten sähen dementsprechend vor, dass zunächst Schritt für Schritt die maschinellen Bescheide zu den einzelnen Weiterzahlungszeitpunkten der Erwerbsminderungsrente zu erstellen, dann nachzubearbeiten und anschließend gemeinsam mit einem Erläuterungsschreiben zu versenden waren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Die zulässige und im Übrigen statthafte Berufung ist unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide vom 25. und 27. März 2009 in Verbindung mit dem Schreiben der Beklagten vom 01.April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juni 2009 sind rechtmäßig. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klägerin hat die Bescheide vom 25. und 27. März 2009 in Verbindung mit dem Schreiben der Beklagten vom 01.April 2009 insoweit angefochten, als sie die Auszahlung der mit ihrem Widerspruch beanspruchten Zahlungen in Höhe von 1.965,20 und 2.724,75 Euro geltend macht. Denn das Erläuterungsschreiben vom 01. April 2009 bildet mit diesen beiden Bescheiden eine rechtliche Einheit (vgl. Urteil des BSG vom 06. April 2011 – B 4 AS 119/10 R). Das Erläuterungsschreiben wurde mit den Bescheiden in einem Umschlag versandt, was von der Beklagten - insoweit von der Klägerin unwidersprochen - vorgetragen wurde. Dies passt mit den Verfügungen in den Verwaltungsakten insoweit zusammen, als die Schlussverfügung, mit der die Absendung der Bescheide verfügt wurde, ebenso wie das Schreiben vom 01. April 2009 datiert.
Damit konnte die Klägerin deutlich dem Erläuterungsschreiben entnehmen, dass die zunächst in den Bescheiden dargestellte - aber auch teilweise geschwärzte - Nachzahlung nicht an sie ausgezahlt wird. Die so von der Beklagten vorgenommene Regelung, dass die Rente mit den dargestellten Nachzahlungen in Höhe von 2.724,75 Euro und 1.965,20 Euro nicht erbracht werden, wurde von der Klägerin mit Widerspruch vom 29. April 2009 angefochten, da sie die Zahlungen in Höhe von 1.965,20 und 2.724,75 Euro hierin beansprucht Diese Beträge macht sie weiterhin mit der vorliegenden Klage geltend. Im Übrigen sind die Bescheide bestandskräftig.
Der Senat hat daher nicht zu prüfen, ob für diesen Zeitraum ein Nachzahlungsanspruch der Klägerin bestand und ob er zutreffend errechnet wurde. Insoweit sind die Bescheide vom 25. und 27. März 2009 bestandskräftig, da die Klägerin sich insoweit nicht gegen sie wendet, § 77 Sozialgerichtsgesetz, SGG.
Die Beklagte verweigert die Auszahlung der Beträge zu Recht. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass ihr Rentennachzahlungen in der beanspruchten Höhe für die Zeit vom 01. Oktober 1998 bis 30. September 2004 erbracht werden.
Die Beklagte darf die Zahlungen der Klägerin nicht erbringen. Dies folgt aus § 44 Absatz 4 SGB X.Danach werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag. Die Vierjahresfrist richtet sich nach dem Antrag, aufgrund dessen zurückgenommen wird (BSGE 68, 180, 182 = SozR 3-1300 § 44 Nr. 1; BSGE 72, 8, 11 f = SozR 3-5870 § 1 Nr. 2). Wegen des Unterhaltscharakters laufender Sozialleistungen sollen diese nicht für einen längeren Zeitraum nachgezahlt werden (BT-Drucks 8/2034, S 34 - Entwurf eines Sozialgesetzbuchs <SGB> - Verwaltungsverfahren -).
Die Voraussetzungen liegen vor. Die Beklagte hat ihre Verwaltungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Auch wenn die Beklagte in den Bescheiden vom 25. und 27.März 2009 und in dem Erläuterungsschreiben vom 01. April 2009 die Bewilligungsbescheide vom 27. März 1998, 30. März 2001 und 19. April 2004 nicht genannt hat, so hat sie doch dem Inhalt nach in den Bescheiden vom 25. und 27. März 2009 jene Bescheide mit Wirkung für die Vergangenheit bis zum 01. Oktober 1998 zurückgenommen.
Die Berechtigung hierfür wird von der Klägerin nicht in Frage gestellt, dies entspricht ihrem Antrag. Die Rücknahme ist wie dargelegt bindend gemäß § 77 SGG.
Die Klägerin beantragte am 13. März 2009 bei der Beklagten eingehend Abänderung bzw. Neuberechnung ihrer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Damit steht die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X ihrem Anspruch auf Auszahlung von Rentenzahlungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor ihrem Antrag vom 13. März 2009 entgegen.
§ 44 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB X ist eine Vollzugsregelung (BSGE 61, 154, 156 f ), die zwingend anzuwenden ist .Die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X stellt daher auch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, wenn die Beklagte sich hierauf beruft. Diese Argumentation ist schon von ihrem Ansatzpunkt her verfehlt. Die Beklagte kann sich - anders als bei einer Erhebung der Einrede der Verjährung - nicht auf § 44 Abs. 4 SGB X „berufen“ und allein deswegen mit einer solchen „Berufung“ auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. Sie hat vielmehr § 44 Abs. 4 SGB X als eine Vorschrift zwingenden Rechts zu beachten. Es unterliegt nicht dem Ermessen oder gar dem Belieben des Versicherungsträgers, ob er § 44 Abs. 4 SGB X anwenden will oder nicht. Vielmehr ist ihm diese Anwendung zwingend vorgeschrieben. Dann aber kann diese Anwendung seitens eines mit Verfassungsrang (Art. 20 Abs. 3 GG) an Gesetz und Recht gebundenen Trägers der mittelbaren Staatsverwaltung von vornherein einen Verstoß gegen Treu und Glauben nicht darstellen. § 44 Abs. 4 SGB X ist mit Art. 14 GG vereinbar (BSGE 60,158 ff). Der erkennende Senat nimmt auf dessen Begründung Bezug.
Dahinstehen kann, ob die Klägerin wegen einer Verletzung von Beratungs- und/ oder Auskunftspflichten der Beklagten aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen ist, als habe sie einen Antrag auf Neuberechnung ihrer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits früher gestellt.
Der Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses der Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12 m.w.N.; SozR 3-3200 § 86 a Nr. 2). Voraussetzung ist, dass die verletzte Pflicht dem Sozialleistungsträger gerade gegenüber der Versicherten oblag, dieser also ein entsprechendes subjektives Recht einräumt. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muss zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil der Versicherten bewirkt haben. Schließlich muss die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, die Betroffene gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren <Schutzzweckzusammenhang>, BSGE 79, 168 ff).
Dahinstehen kann auch, ob hier überhaupt der Anwendungsbereich des Herstellungsanspruchs eröffnet ist. Denn auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch als richterrechtlich entwickeltes Rechtsinstitut ist nur dann zurückzugreifen, wenn spezielle gesetzliche Regelungen nicht zur Verfügung stehen BSG SozR 4-4300 § 324 Nr. 3 Rdnr. 13, auch BSGE 92, 267 f).Im vorliegenden Verfahren hatte die Klägerin die gesetzliche Möglichkeit, gegen die Bescheide vom 27. März 1998, 30. März 2001 und 19. April 2004 Widerspruch einzulegen und sich zur Begründung auf die Rechtsprechung des BSG zur Rentenberechnung zu berufen.
Aber selbst in dem Fall, dass die Klägerin wegen einer Verletzung von Beratungs- und/ oder Auskunftspflichten der Beklagten aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen sein würde, als habe sie einen Antrag auf Neuberechnung ihrer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits früher gestellt, stünde der Auszahlung des Nachzahlungsbetrages § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Die Vorschrift gilt auch in dem Fall, dass aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs wegen Pflichtverletzungen des Sozialleistungsträgers Leistungen rückwirkend verlangt werden können (BSGE 98, 162, 164). Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an und verweist auf die Gründe jener Entscheidung.
Die Entscheidung steht mit anderen Urteilen des BSG nicht in Widerspruch. Diesen liegen Sachverhalte zu Grunde, die vom Anwendungsbereich des § 44 SGB X nicht betroffen waren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.