Gericht | OLG Brandenburg 5. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 08.02.2013 | |
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Aktenzeichen | 3 UF 11/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beschwerde wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 1.500 € festgesetzt.
Der Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
I.
Die Eltern haben für die beiden in den Jahren 2007 und 2008 geborenen Kinder J… und I.. Sorgeerklärungen gemäß § 1626 a BGB abgegeben. Im Haushalt der Eltern lebten ferner die beiden älteren Kinder der Antragstellerin, M…, 15 Jahre alt, und N…, 16 Jahre alt.
Am 2.1.2013 rief eine der Töchter der Antragstellerin, nachdem sie vom Antragsgegner geschlagen worden war, die Polizei. Die beiden Mädchen wurden danach in einer Einrichtung des Jugendamtes untergebracht, während die Antragstellerin ins Frauenhaus zog.
Das vorliegende Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist von der Antragstellerin am 11.1.2013 eingeleitet worden.
In dem Anhörungstermin vor dem Amtsgericht am 16.1.2013 haben die Eltern einen Vergleich geschlossen, der dem Elternteil, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht erhält, ein Umgangsrecht einräumt. Der Vergleich ist vom Amtsgericht gebilligt worden, § 156 Abs. 2 FamFG.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht antragsgemäß im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für J… und I… der Mutter allein übertragen und die Herausgabe der Kinder angeordnet. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich der Vater mit der Beschwerde. Er trägt vor:
Das Amtsgericht habe nicht geprüft, ob die Mutter überhaupt in der Lage sei, vier Kinder zu versorgen und zu erziehen. Auch habe das Amtsgericht allein ihm „Sprachlosigkeit“ gegenüber den beiden Töchtern der Mutter vorgeworfen, aber die „Sprachlosigkeit“ der Mutter gegenüber den beiden Töchtern nicht berücksichtigt. Richtig sei, dass er, nachdem M… ihn angegriffen habe, sich einmal vergessen habe und ihr eine Ohrfeige versetzt habe. Das sei allerdings innerhalb der sieben Jahre, in denen die Familie zusammengelebt habe, das einzige Mal gewesen, dass er körperlich tätlich geworden sei.
Das Amtsgericht habe bei seiner Entscheidung die damit drohende Entfremdung der Kinder ihm gegenüber nicht berücksichtigt. Eine Umgangsregelung habe die Mutter nur sehr widerstrebend geschlossen.
Bei der Kindesanhörung habe das Amtsgericht nicht beachtet, dass die beiden Jungen durch die älteren Mädchen massiv beeinflusst worden seien.
Die Mutter verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie trägt vor:
Sie sei sehr wohl in der Lage, alle vier Kinder zu versorgen und zu erziehen. Das Amtsgericht habe sowohl ihre als auch des Vaters Erziehungsfähigkeit erörtert. Dabei sei kein Beteiligter bevorzugt oder benachteiligt worden.
Die Kinder seien vom Amtsgericht ordnungsgemäß angehört worden. Die Jungen seien durch die älteren Mädchen nicht beeinflusst worden.
Das Jugendamt hat im Beschwerdeverfahren Stellung genommen. Insoweit wird auf den Bericht vom 30.1.2013 Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 57 Satz 2 Nr. 1, 58 FamFG zulässige Beschwerde des Vaters ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung liegen nicht vor.
1.
Das nach § 49 Abs. 1 FamFG für die getroffene Anordnung erforderliche dringende Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden, das sogenannte Regelungsbedürfnis, ist gegeben. Insoweit hat das Amtsgericht zutreffend ausgeführt, dass die Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren schon deshalb nicht abgewartet werden könne, weil im Hinblick auf die Eskalation in der Familie die Mutter im Frauenhaus und ihre beiden Töchter in einer Einrichtung der Jugendhilfe aufgenommen worden sind.
2.
Die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung ist nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt, § 49 Abs. 1 FamFG.
Gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge in diesem Teilbereich und die Übertragung auf den Antrag stellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. In dem summarischen Verfahren der einstweiligen Anordnung (vgl. Verfahrenshandbuch Familiensachen – FamVerf-/von Swieykowski-Trzaska, 2. Aufl., § 2 Rn. 223; Seiler, in: Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 8. Aufl., 1. Kap. Rn. 433) sind abschließende Feststellungen zu der Frage, wie dem Kindeswohl am besten gedient ist, meist nicht möglich, zumal es hierzu häufig der Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens bedarf. Streiten die Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsamen Kinder, ist daher vor allem eine Interessenabwägung vorzunehmen. Diese hat sich nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren (BVerfG, FamRZ 2007, 1626; OLG Brandenburg, 2. Familiensenat, FamRZ 2009, 445). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antragsteller mit seinem Antrag im Hauptsacheverfahren aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entständen, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren aber der Erfolg zu versagen wäre (BVerfG, a.a.O.). Entsprechend geht es, wenn in der ersten Instanz eine einstweilige Anordnung erlassen worden ist, im Beschwerdeverfahren vorrangig um die Abwägung der Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den Nachteilen, die bei Aufhebung der erlassenen einstweiligen Anordnung entständen. Regelmäßig entspricht es dem Wohl des Kindes nicht, eine bereits vollzogene einstweilige Anordnung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht ohne schwerwiegende Gründe abzuändern und somit vor einer etwaigen Entscheidung des Amtsgerichts in der Hauptsache über einen erneuten Ortswechsel zu befinden (OLG Brandenburg, 2. Familiensenat, FamRZ 2009, 445; FamRZ 2004, 210; OLG Brandenburg, 1. Familiensenat, FamRZ 1998, 1249; OLG Köln, FamRZ 1999, 181). Wenn das Hauptsacheverfahren noch offen ist, ist daher regelmäßig ausschlaggebend, dass ein mehrfacher Wechsel des Wohnortes und der unmittelbaren Bezugsperson, der das Kindeswohl in nicht unerheblichem Maße beeinträchtigen würde, zu vermeiden ist (vgl. BVerfG, a.a.O.; siehe auch OLG Celle, Beschluss vom 19.7.2012 – 15 UF 81/12, BeckRS 2012, 17264; Burschel, FamFR 2010, 329).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat es bei der vom Amtsgericht erlassenen einstweiligen Anordnung zu verbleiben. Wie der Stellungnahme des Jugendamtes vom 30.1.2013 zu entnehmen ist, ist die einstweilige Anordnung sofort vollzogen worden, das heißt, die gemeinsamen Kinder sind in die Obhut der Mutter gewechselt. Der Ausgang eines etwaigen Hauptsacheverfahrens ist noch offen. Anhaltspunkte dafür, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass ein etwaiges Hauptsacheverfahren zugunsten des Vaters ausginge, sind nicht zutage getreten. Vor diesem Hintergrund ist ein erneuter Obhutwechsel der Kinder zu vermeiden.
Der Vater führt mit der Beschwerdebegründung vor allem an, das Amtsgericht habe nicht hinreichend geprüft, inwieweit die Mutter mit der Erziehung aller vier Kinder überfordert sei. Anhaltspunkte für eine Überforderungssituation hat der Vater aber weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Solche Anhaltspunkte sind auch im Übrigen nach dem Akteninhalt nicht ersichtlich.
Für die vom Vater befürchtete Entfremdung im Verhältnis zu den Kindern sind ebenfalls keine Anhaltspunkte ersichtlich. Nach dem Bericht des Jugendamtes hat die Mutter die Kinder hinsichtlich des verabredeten ersten Umgangs an den Vater übergeben. Auch im Übrigen sind keine Umstände erkennbar, die darauf schließen ließen, dass die Mutter nicht bereit wäre, den dem Vater eingeräumten Umgang mit den Kindern zu gewähren.
Die vom Vater angesprochenen Gesichtspunkte mögen in einem etwaigen Hauptsacheverfahren näher geprüft werden. Gleiches gilt für den vom Amtsgericht zur Begründung seiner Entscheidung besonders hervorgehobenen Gesichtspunkt der Bindung der beiden Jungen an die älteren Halbschwestern (vgl. dazu OLG Brandenburg, 2. Familiensenat, BeckRS 2008, 14339; FamRZ 2003, 1953; OLG Celle, FamRZ 1992, 465, 466; OLG Zweibrücken, FamRZ 2001, 184). In einem solchen Verfahren wäre auch der Frage nachzugehen, ob, wie das Jugendamt in seiner Stellungnahme vom 30.1.2013 ausgeführt hat, angesichts von Entwicklungsverzögerungen und Auffälligkeiten im Sozialverhalten die Mutter eher in der Lage ist, den besonderen Förderbedarf der Kinder sicherzustellen.
Im Rahmen eines etwaigen Hauptsacheverfahrens wären auch nähere Feststellungen zu Bindungen und Willen der Kinder zu treffen. Insoweit könnte auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit die beiden Jungen durch die älteren Halbschwestern beeinflusst werden. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass der Kindeswille regelmäßig erst ab Vollendung des 12. Lebensjahres eine relativ zuverlässige Entscheidungsgrundlage darstellt (OLG Brandenburg, 2. Familiensenat, FamRZ 2003, 1953, 1954; Jaeger in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, 5. Aufl., § 1671 BGB Rn. 81). Nach dem Akteninhalt spricht viel dafür, dass sich die Kinder in einem erheblichen Loyalitätskonflikt befinden. So hat das Jugendamt in seinem Bericht vom 30.1.2013 darauf hingewiesen, der Vater habe angegeben, die Jungen wollten nicht mehr zur Mutter und den beiden Halbschwestern zurück. Bei einer Befragung der Kinder durch das Jugendamt habe J.. aber seine Sehnsucht zu den großen Halbschwestern bekundet und erklärt, er wolle zur Mutter. I… habe geäußert, die Mutter solle wieder „zu uns nach Hause kommen“.
3.
Der Senat entscheidet gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ohne eine erneute Anhörung der Eltern und des Kindes. Denn das Amtsgericht hat eine solche Anhörung bereits vorgenommen.
Eine erneute Anhörung im Beschwerdeverfahren ist auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Amtsgericht für die Kinder keinen Verfahrensbeistand bestellt hat, nicht erforderlich.
Gemäß § 158 Abs. 1 FamFG hat das Gericht dem minderjährigen Kind in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, einen geeigneten Verfahrensbeistand zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. In § 158 Abs. 2 FamFG sind Fallgruppen genannt, in denen die Bestellung in der Regel erforderlich ist. Wenn eine solche Fallgruppe gegeben ist, hat das Gericht, wenn es von der Bestellung eines Verfahrensbeistands dennoch absehen will, dies in der Endentscheidung zu begründen, § 158 Abs. 3 Satz 3 FamFG.
Vorliegend ist schon zweifelhaft, ob ein Regelbeispiel nach § 158 Abs. 2 FamFG vorliegt. Allein in Betracht kommt § 158 Abs. 2 Nr. 3 FamFG. Danach ist die Bestellung eines Verfahrensbeistands in der Regel erforderlich, wenn eine Trennung des Kindes von der Person erfolgen soll, in deren Obhut es sich befindet. Insoweit ist eine Beschränkung auf Verfahren nach §§ 1666, 1666 a BGB, die ohnehin von § 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG erfasst werden, nicht erfolgt (vgl. BT-Drs. 16/6308, S. 238). Dessen ungeachtet wird angenommen, dass eine Trennung des Kindes von der Person, in deren Obhut es ist, vor allem Verfahren nach §§ 1666, 1666 a BGB, aber auch § 1696 Abs. 1 BGB betrifft (vgl. Keidel/Engelhardt, FamFG, 17. Aufl., § 158 Rn. 15; Büte in: Johannsen/Henrich, a.a.O., § 158 FamFG Rn. 10; Schumann in: MünchKomm ZPO, 3. Aufl., § 158 FamFG Rn. 10; Musielak/Borth, FamFG, 3. Aufl., § 158 Rn. 8). Vor diesem Hintergrund ist nicht zweifelsfrei, ob jeder Streit der Eltern über das Aufenthaltsbestimmungsrecht unter § 158 Abs. 2 Nr. 3 FamFG fällt, weil nicht auszuschließen ist, dass aufgrund der gerichtlichen Entscheidung ein Obhutwechsel in Betracht kommt. Das kann vorliegend aber auf sich beruhen.
Denn § 158 Abs. 2 FamFG ist eine „Soll-Vorschrift“. Das heißt, bei Vorliegen besonderer Umstände kann von der Bestellung des Verfahrensbeistands abgesehen werden. So liegt es nach Auffassung des Senats im einstweiligen Anordnungsverfahren. Wegen der Eilbedürftigkeit ist es nicht stets geboten, einen Verfahrensbeistand zu bestellen. Im vorliegenden Verfahren hat die Mutter ihren Antrag am 11.1.2013 gestellt. Der Anhörungstermin des Amtsgerichts mit der abschließenden Entscheidung hat am 16.1.2013 stattgefunden. Damit hat das Amtsgericht dem Eilcharakter des einstweiligen Anordnungsverfahrens Rechnung getragen. Eine derart kurzfristige Entscheidung wäre bei vorheriger Bestellung eines Verfahrensbeistands voraussichtlich nicht möglich gewesen.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Besondere Umstände, die ausnahmsweise dafür sprechen könnten, dem Antragsgegner, obwohl sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist, die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht insgesamt aufzuerlegen, sind nicht ersichtlich.
5.
Der Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist zurückzuweisen. Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet, wie vorstehend ausgeführt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.