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Entscheidung 13 UF 48/11


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 18.04.2011
Aktenzeichen 13 UF 48/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

1. Das Familiengericht hat dem Verfahrenspfleger durch die Gestaltung des Verfahrens zu ermöglichen, seine Funktion sinnvoll wahrzunehmen und zu den die Interessen und den Willen des Kindes betreffenden Tatsachen und den diesbezüglichen Ermittlungen des Familiengerichts umfassend Stellung zu nehmen (BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 33).

2. Dazu muss er sich in die Verfahrensakten einarbeiten und die Gelegenheit haben, sich mit den Kindern unter gesprächstauglichen Umständen näher zu unterhalten (vgl. BGH Beschluss vom 16.03.2011 - XII ZB 407/10).

3. Ein Verfahrensbeistand kann innerhalb eines Verfahrens regelmäßig für mehrere Kinder bestellt werden, da im Allgemeinen zwischen ihnen kein Interessengegensatz existiert oder zu befürchten ist.

4. Die Aufhebung einer einstweiligen Anordnung wegen der unterlassenen Einleitung des Hauptsacheverfahrens (§ 52 Abs. 2 S 3 FamFG) kommt nur bei Antragsverfahren in Betracht, nicht hingegen bei Verfahren, die vom Amts wegen eingeleitet werden können (vgl. Horndasch/Viefhues, FamFG, § 52, Rn. 2 m.w.N.).

5. Das Verfahren über die Entziehung von Teilen der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB kann von Amts wegen (§ 24 FamFG) eingeleitet werden (vgl. Horndasch/Viefhues/Reinken, FamFG, § 24, Rn. 2).

Tenor

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nauen vom 10.03.2011 - 20 F 20/11 – im Tenor zu 1. und 3. sowie zum Kostentenor aufgehoben.

1. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 19.11.201 – 24 F 472/10 – aufgehoben ist.

2. Es wird festgestellt, dass der Lebensmittelpunkt der Kinder J… B. und C… L. beim Antragsteller liegt.

3. Der weitergehende Antrag des Antragstellers wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Verfahrens trägt der Landkreis Havelland.

Gründe

I.

Der Antragsteller hat die alleinige Sorge für seine Tochter J…. Nach einem Vergleich vom 23.04.2008 in dem Verfahren 24 F 21/08 (vgl. 45 GA) zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin, der Mutter seiner zweiten Tochter C…, lebt und verbleibt C… bei ihm.

Auf Antrag des Jugendamtes hat das Amtsgerichts Nauen durch Beschluss vom 19.11.2010 in einem einstweiligen Anordnungsverfahren zum damaligen AZ 24 F 472/10 dem Antragsteller für beide Töchter und der Antragsgegnerin für C… das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Hilfe zur Erziehung entzogen unter Anordnung einer Amtspflegschaft für beide Kinder, die fortan im ASB-Kinderheim Falkensee lebten. Diesen Beschluss hat das Amtsgericht in dem sodann unter dem neuen AZ 20 F 193/10 fortgeführten Verfahren durch Beschluss vom 09.12.2010 aufgehoben, unter erneuter Entziehung des Aufenhaltsbestimmungsrechtes des Antragstellers und Anordnung einer Amtspflegschaft für J…. Auf die Beschwerde des Antragstellers hat der Senat den Beschluss vom 09.12.2010 durch Beschluss vom 11.02.2011 – 13 UF 7/11 – wegen schwerwiegender Verletzungen der Verfahrensrechte der Kinder und des Antragstellers aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Mit Schreiben vom 25.02.2011 vertrat das Jugendamt gegenüber dem Antragsteller den Standpunkt, der Beschluss des Amtsgerichts vom 19.11.2010 sei wieder aufgelebt und wirke fort (vgl. A2, 12 GA); gleichzeitig ordnete es den Verbleib von J… im Kinderheim und den von C… bei der Antragsgegnerin an.

Daraufhin beantragte der Antragsteller im hiesigen Verfahren die Unwirksamkeit des Beschlusses des Amtsgerichts vom 19.11.2010 zu beschließen und dessen Aufhebung sowie die Feststellung der Erledigung des Verfahrens mit dem AZ 20 F 193/10, da die Antragsgegnerin die Frist zu Einleitung des Hauptsacheverfahrens habe verstreichen lassen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die Anträge des Antragstellers als unzulässig zurückgewiesen und dem Beschwerdeführer von Amts wegen im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen, betreffend die Kinder J… und C… entzogen, unter Anordnung einer Amtspflegschaft für J….

II.

Die nach § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat Erfolg.

1. Der Antrag betreffend den Beschluss vom 19.11.2010 zum AZ 24 F 472/10 ist als Feststellungsantrag auszulegen und als solcher zulässig und begründet.

Der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit ist zulässig, da sich das Jugendamt in seinem Schreiben vom 25.02.2011 seiner Wirksamkeit gegenüber dem Antragsteller berühmt.

Der Antrag ist begründet, da der Beschluss des Amtsgerichts vom 19.11.2010 zum AZ 24 F 472/10 bereits durch Beschluss vom 09.12.2010 in dem zum AZ 20 F 193/10 fortgeführten Verfahren aufgehoben wurde, wie das Amtsgericht der Sache nach zutreffend ausgeführt hat. Die Annahme, der Aufhebungsbeschluss des Senats vom 11.02.2011 – 13 UF 7/11 –, der mit den Beschwerdeführer schwerwiegend belastenden Verfahrensfehlern begründet war, lasse den bereits am 09.12.2010 aufgehobenen Ausgangsbeschluss vom 19.11.2010, der die Verfahrensrechte der Kinder und des Antragsstellers noch schwerer verletzt hatte, wieder aufleben, verbietet sich, wie der Senat der Vollständigkeit halber ergänzt, von selbst.

Der Feststellungsausspruch erfolgt deklaratorisch.

2. Der Lebensmittelpunkt beider Kinder liegt, wie von ihm zur Feststellung beantragt, beim Antragsteller, da es mangels Wirksamkeit des Beschlusses vom 19.11.2010 - 24 F 472/10 - und vom 09.12.2010 - 20 F 193/10 – beim bisherigen Rechtszustand bleibt. Danach hat der Antragsteller die alleinige Sorge für seine Tochter J…, und C… lebt und verbleibt nach dem Vergleich vom 23.04.2008 in dem Verfahren 24 F 21/08 (vgl. 45 GA) bei ihm.

3. a) Die Beschwerde hat weiterhin Erfolg, soweit sie sich gegen die vom Amtsgericht in dessen Tenor zu 3. von Amts wegen erneut ausgesprochenen Entziehungen und Pflegschaftsanordnung richtet. Diese Maßnahmen sind im hiesigen Verfahren wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig, denn sie sind Gegenstand des anderweitig rechtshängigen einstweiligen Anordnungsverfahren 20 F 193/10 und im dortigen Verfahren zu entscheiden. Eine Verbindung beider Verfahren hat das Amtsgericht unterlassen.

Mit einer Entscheidung über die Fragen, die bereits den Gegenstand der Anträge des Jugendamtes in dem Verfahren 20 F 193/10 bilden, brauchte der Antragsteller in diesem Verfahren nicht zu rechnen und konnte es auch nicht, da das Amtsgericht ausweislich seines Protokolls vom 10.03.2011 eine dahingehende Entscheidung nicht einmal in Aussicht gestellt hat und auch das Jugendamt seine Anträge aus dem von ihm eingeleiteten Verfahren zur Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und Bestellung einer Pflegschaft in das hiesige Feststellungsverfahren nicht eingeführt hatte.

b) Im Übrigen wären Entziehungen und Pflegschaftsanordnung - nach derzeitigem Sach- und Streitstand - auch in der Sache nicht begründet, worauf der Senat vorsorglich hinweist.

Das Familiengericht hat dem Verfahrenspfleger durch die Gestaltung des Verfahrens zu ermöglichen, seine Funktion sinnvoll wahrzunehmen und zu den die Interessen und den Willen des Kindes betreffenden Tatsachen und den diesbezüglichen Ermittlungen des Familiengerichts umfassend Stellung zu nehmen (BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 33). Dazu muss er sich in die Verfahrensakten einarbeiten – im Falle der teilweisen Entziehung der elterlichen Sorge also in diejenige des Verfahrens 20 F 193/10, für das ihn das Amtsgericht überhaupt nicht bestellt hat - und die Gelegenheit haben, sich mit den Kindern unter gesprächstauglichen Umständen näher zu unterhalten (vgl. BGH Beschluss vom 16.03.2011 - XII ZB 407/10, juris Tz. 70). Auch dies ist unterblieben, wie der Beschwerdeführer zu Recht beanstandet. Entgegen seiner Ansicht bestünden allerdings keine Bedenken gegen die Beiordnung eines Verfahrensbeistandes für beide Kinder, da zwischen ihnen kein Interessengegensatz existiert oder zu befürchten ist.

Die vom Amtsgericht herangezogene E-Mail ermöglicht keinen Schluss auf die Suizidalität des Antragstellers, da seine Urheberschaft in der Luft hängt und das Amtsgericht die E-Mail im Termin nicht einmal erörtert hatte. Damit wird zugleich die gegen den Antragsteller sprechende Indizwirkung der Verweigerung einer Schweigepflichtsentbindungserklärung für die Einlieferung und Behandlung am 01.09.2010, für die er selbst allerdings einen anderen Anlass behauptet, zunächst insoweit entwertet, dass sie die hinreichend sichere Annahme einer damaligen Suizidalität oder für einen Alkoholismus des Antragstellers ohne Hinzutreten weiterer belastbare konkreter Umstände noch nicht trägt.

Derartige Umstände wird unter anderem der im einstweiligen Sorgerechtsverfahren 20 F 193/10 für die Kinder alsbald zu bestellende Verfahrensbeistand in den Blick zu nehmen haben. Hierbei wird das Amtsgericht auch zu erwägen haben, inwieweit nach den Umständen des Falles ein Erfordernis besteht, dem Verfahrensbeistand die zusätzliche Aufgabe zu übertragen, Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen der Kinder zu führen (vgl. § 158 Abs. 4 FamFG), etwa zur Verifizierung entsprechender Kindesangaben und zur Erlangung größtmöglicher verlässlicher Erkenntnisse. Je nach weiteren Verlauf des dringend fortzuführenden Verfahren der einstweiligen Anordnung 20 F 193/10 werden sich auch dort belastbare Umstände für die im Raume stehenden Erziehungsdefizite des Antragstellers möglicherweise nicht ohne dessen sachverständige Einschätzung feststellen lassen.

Die derzeitigen Feststellungen des Amtsgerichts zu angeblichen Kindeswohlgefährdungen beruhen in erheblichem Umfang auf außerordentlich vagen Vermutungen und sind noch immer nicht tragfähig. Es fehlen, worauf der Senat ergänzend zu seinem Beschluss vom 11.02.2011 – 13 U 7/11 – hinweist, vielfach konkrete Angaben dazu, wer genau wann und wo welche Wahrnehmungen über den Antragsteller oder die Kinder bei welcher Gelegenheit gemacht hat und wer diese Wahrnehmungen wem gegenüber, wann und wo und bei welcher Gelegenheit wiedergegeben hat. Sodann wäre näher zu betrachten, wie belastbar derartige konkret überprüfbare Behauptungen überhaupt wären und wer gegebenenfalls hierfür die Verantwortung einer Glaubhaftmachung zu übernehmen hat.

4. Die weitergehende Beschwerde des Antragstellers war zurückzuweisen, denn das Verfahren 20 F 193/10 hat sich nicht erledigt, sondern dauert an. Der vom Antragsteller herangezogene Aufhebungsgrund der unterlassenen Einleitung des Hauptsacheverfahrens (§ 52 Abs. 2 S 3 FamFG) kommt nur bei Antragsverfahren in Betracht, nicht hingegen bei Verfahren, die vom Amts wegen eingeleitet werden können (vgl. Horndasch/Viefhues, FamFG, § 52, Rn. 2 m.w.N.). Das Verfahren über die Entziehung von Teilen der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB, um die es im Verfahren 20 F 193/10 geht, kann von Amts wegen (§ 24 FamFG) eingeleitet werden (vgl. Horndasch/Viefhues/Reinken, FamFG, § 24, Rn. 2).

5. Der Senat hat von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 68 Abs. 3 S 2 FamFG abgesehen, da diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, insbesondere nicht für das hier ohnehin allein zulässige Feststellungsverfahren.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.

Beschwerdewert: 1.500 € (§§ 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; 41 FamGKG).