Gericht | VG Potsdam 8. Kammer | Entscheidungsdatum | 07.03.2013 | |
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Aktenzeichen | VG 8 K 1064/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 Abs 6 PAuswGebV, § 113 Abs 1 S 2 VwGO, Hinweise des MdJ Brandenburg zu § 1 Abs. 6 PAuswGebV vom 27. April 2011 und 11. November 2010 |
Bedürftig im Sinne von § 1 Abs 6 PAusGebV ist jedenfalls derjenige Inhaber eines neu ausgestellten Personalausweises, der Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII bezieht.
Der Bescheid des Beklagten vom 9. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrates des Landkreises Uckermark vom 16. April 2012 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger und der Beklagte jeweils zur Hälfte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem jeweiligen Kostenschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Kostenschuldner Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu Personalausweisgebühren und begehren zugleich die Erstattung der bereits entrichteten Gebühren.
Die Kläger beantragten am 9. Februar 2012 bei der Abteilung Bürgerangelegenheiten des Beklagten die Ausstellung von Personalausweisen. Hierfür wurde von ihnen eine Gebühr von jeweils 28,80 € erhoben, die sie auch sogleich entrichteten. Ihr Antrag, sie im Hinblick auf den Bezug von Leistungen der Grundsicherung von den Gebühren zu befreien, wurde abgelehnt.
Am 27. Februar 2012 legten die Kläger gegen den Gebührenbescheid vom 9. Februar 2012 mit der Begründung Widerspruch ein, trotz Vorlage ihres ALG II-Bescheides sei ihre Bedürftigkeit i.S.v. § 1 Abs. 6 der Personalausweisgebührenverordnung - PAuswGebV - nicht anerkannt worden.
Den Widerspruch wies der Landrat des Landkreises Uckermark mit Bescheid vom 16. April 2012 zurück. Die Gebührenerhebung beruhe auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 PAuswGebV. Die Möglichkeit einer Ermäßigung oder Befreiung von der Gebühr bestehe, wenn der Gebührenschuldner bedürftig sei. Die Prüfung der Bedürftigkeit liege im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung der zuständigen Personalausweisbehörde. Aus der Gesetzesbegründung zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des II. und XII. Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 gehe hervor, dass die Gebühren für die Ausstellung von Personalausweisen, bezogen auf 10 Jahre, mit 0,25 € pro Monat in den neuen Regelsätzen berücksichtigt worden seien. Eine Gebührenermäßigung oder -befreiung gemäß § 1 Abs. 6 PAuswGebV sei für Empfänger von Sozialleistungen nach dem SGB II daher grundsätzlich seit dem 1. Januar 2011 nicht mehr möglich. Andere Umstände, die eine Bedürftigkeit der Kläger i.S. des § 1 Abs. 6 PAuswGebV begründen könnten, seien nicht vorgetragen worden.
Mit der am 15. Mai 2012 erhobenen Klage machen die Kläger geltend, die aktuell geltenden Regelleistungen seien zu niedrig angesetzt und nach einer Entscheidung des Sozialgerichts Berlin verfassungswidrig. Abgesehen davon hätten sie, selbst wenn in den nunmehr geltenden Regelsätzen Personalausweisgebühren anteilig enthalten seien, noch keine Gelegenheit gehabt, die volle Gebühr „anzusparen“.
Die Kläger beantragen ausweislich der Klageschrift,
den Bescheid des Beklagten vom 9. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrates des Landkreises Uckermark vom 16. April 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihnen jeweils 28,80 € zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Kläger seien nicht bedürftig i.S.v. § 1 Abs. 6 PAuswGebV. Als bedürftig in diesem Sinne könne nur angesehen werden, wer nicht in der Lage sei, aus seinen finanziellen Mitteln die Gebühr für die Ausstellung eines Personalausweises zu zahlen. Dies sei für Empfänger von Leistungen nach dem SGB II zu verneinen, weil in den Regelsätzen - wie bereits schon vor deren Neufeststetzung - anteilig die Gebühren für die Ausstellung eines Personalausweises enthalten seien. Im Falle der Kläger habe damit die ermessenseröffnende Tatbestandsvoraussetzung der Bedürftigkeit i.S.v. § 1 Abs. 6 PAuswGebV nicht vorgelegen. Dies stehe mit den Hinweisen des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg vom 27. April 2011 zur Ermäßigung bzw. Befreiung von der Personalausweisgebühr gemäß § 1 Abs. 6 PAuswGebV im Einklang.
Mit Beschluss vom 15. Januar 2013 hat die Kammer den Klägern für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten bewilligt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Verwaltungsvorgang des Beklagten (1 Heft, Blatt 1 bis 9) hat vorgelegen und ist zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht worden.
I. Über die Klage kann der Berichterstatter anstelle der Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (vgl. § 87 a Abs. 2 und Abs. 3 VwGO, § 101 Abs. 2 VwGO).
II. Die Klage hat nur zum Teil Erfolg.
Soweit die Kläger die Aufhebung des Gebührenbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides begehren, ist die Klage zulässig und begründet (1.). Die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage auf Rückerstattung der Gebühren ist hingegen unzulässig (2.).
1. Die Klage gegen den Gebührenbescheid vom 9. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2012 ist zulässig. Insbesondere kann den Klägern nicht entgegengehalten werden, sie hätten eine Verpflichtungsklage auf Ermäßigung der Gebühren für die Ausstellung der Personalausweise oder auf gänzliche Befreiung von den Gebühren erheben müssen. Denn nach dem Widerspruchsbescheid vom 16. April 2012 ist nicht zweifelhaft, dass der Beklagte die Entscheidung über die Gebührenerhebung in einem Akt mit der Entscheidung über eine etwaige Ermäßigung oder Befreiung verbunden hat.
Die Anfechtungsklage ist auch begründet. Der mündlich ergangene Gebührenbescheid vom 9. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil er an einem Ermessensausfall leidet.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über Gebühren für Personalausweise und den elektronischen Identitätsnachweis - Personalausweisgebührenverordnung - (PAusw-GebV) in der hier noch anzuwendenden Fassung vom 1. November 2010 (BGBl. I S. 1477) sind für die Ausstellung eines Personalausweises Gebühren von 28,80 € zu erheben, wenn der Inhaber - wie hier - im Zeitpunkt der Antragstellung über 24 Jahre alt ist. Nach § 1 Abs. 6 PAuswGebV kann die Gebühr ermäßigt oder von ihrer Erhebung abgesehen werden, wenn die Person, die die Gebühr schuldet, bedürftig ist.
Nach dem eindeutigen Aufbau und klaren Wortlaut von § 1 Abs. 6 PAuswGebV setzt die darin vorgesehene Rechtsfolge (behördliche Ermessensentscheidung über eine Gebührenermäßigung oder -befreiung) die Erfüllung des Tatbestandes (Bedürftigkeit des Gebührenschuldners) voraus. Das Ermessen ist mithin nur und erst dann eröffnet, wenn der genannte Tatbestand gegeben ist. Der Tatbestand der Vorschrift ist dabei mit dem unbestimmten Rechtsbegriff „bedürftig“ umschrieben, den die Personalausweisgebührenverordnung selbst nicht definiert. Nach allgemeinen Grundsätzen unterliegt er hinsichtlich seiner Auslegung und Anwendung durch die Verwaltung der vollen gerichtlichen Kontrolle ohne Bindung an etwaige Verwaltungsvorschriften, interne Auslegungsregelungen oder sonstige Weisungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2012 - 5 C 5/11 -, NvWZ 2012, 1250, Rz. 12; Beschluss vom 4. September 2012 - 5 B 8/12 -, juris, Rz. 8). Bei der Ausfüllung des genannten unbestimmten Rechtsbegriffs kann es nicht darauf ankommen, ob der Gebührenschuldner - quasi zufällig - im Moment der Gebührenerhebung in der Lage ist, die Gebühr zu entrichten. Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und zur Vermeidung von Zufallsergebnissen wird vielmehr auf eine allgemein gültige Definition zurückzugreifen sein. Insoweit bietet sich die Bestimmung des § 9 Abs. 1 SGB II an. Danach ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Unter Rückgriff auf diese Definition ist als bedürftig im Sinne von § 1 Abs. 6 PAuswGebV jedenfalls derjenige anzusehen, der Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII bezieht. Dieses Begriffsverständnis liegt auch der mit § 1 Abs. 6 PAuswGebV inhaltsgleichen Vorschrift des § 17 PassV zu Grunde. Im Sinne von § 17 PassV ist - unter anderem - als bedürftig anzusehen, wer Anspruch auf Sozialhilfe nach dem SGB XII oder auf Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II hat (Nr. 20.1.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Passgesetzes vom 17. Dezember 2009, GMBl 2009, S. 1686, 1716; ebenso Hornung in Hornung/Möller, Passgesetz, Personalausweisgesetz, 2011, Rz. 14 zu § 20 PassG). Ob dem in diesem Sinne bedürftigen Gebührenschuldner tatsächlich eine Gebührenermäßigung oder Gebührenbefreiung gewährt oder versagt wird - etwa im Hinblick auf die anteilig in den Regelsätzen enthaltene Gebühr (vgl. dazu VG Freiburg, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 4 K 2623/10 -, juris) oder weil, wie im Falle der Klägerin, der Gebührenschuldner noch zusätzlich Leistungen aus einer Erwerbsminderungsrente bezieht - steht hingegen im Ermessen der Behörde.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus den vom Beklagten erwähnten Hinweisen des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg zur Ermäßigung bzw. Befreiung von der Personalausweisgebühr gemäß § 1 Abs. 6 PAuswGebV vom 27. April 2011. Allerdings findet sich hierin die Festlegung, dass eine Gebührenermäßigung oder -befreiung gemäß § 1 Abs. 6 PAuswGebV für Leistungsempfänger nach dem SGB II und XII grundsätzlich nicht mehr erfolge, weil die Kosten nunmehr durch andere Sozialleistungen abgedeckt seien. Diese Hinweise befassen sich jedoch nur mit der Ausübung des Ermessens und dienen nicht der Auslegung des Begriffs der „Bedürftigkeit“ im Sinne von § 1 Abs. 6 PAuswGebV. Das ergibt sich daraus, dass die Hinweise vom 27. April 2011 lediglich die ebenfalls zu § 1 Abs. 6 PAusweisGebV erlassenen Hinweise des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg vom 11. November 2010 ergänzen. Letztere betrafen nach ihren einleitenden Formulierungen nur die Ermessensausübung. Abgesehen davon trennen die Hinweise vom 27. April 2011 nicht hinreichend zwischen der Tatbestandsseite und der Rechtsfolgenseite von § 1 Abs. 6 PAuswGebV. Dies wird aus der Regelung im letzten Unterpunkt deutlich, wonach die Bedürftigkeit „nach wie vor substantiiert darzulegen und von der Personalausweisbehörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung pflichtgemäß zu prüfen und zu entscheiden“ ist. Dies verkennt, dass die Prüfung der Bedürftigkeit, wie gezeigt, nicht im Rahmen der Ermessensausübung, sondern dieser vorgelagert zu erfolgen hat. Das gleiche Fehlverständnis liegt den vorangegangenen Hinweisen vom 11. November 2010 zu Grunde. In deren 2. Unterpunkt findet sich ebenfalls die Anordnung, dass die Bedürftigkeit vom Antragsteller substantiiert darzulegen und von der jeweiligen Personalausweisbehörde „im Rahmen ihrer Ermessensausübung pflichtgemäß zu prüfen“ ist. Dies wird der Normstruktur des § 1 Abs. 6 PAuswGebV nicht gerecht.
Da im Falle der Kläger von deren Bedürftigkeit im Sinne von § 1 Abs. 6 PAuswGebV auszugehen ist, der Beklagte jedoch sein Ermessen bezüglich einer etwaigen Gebührenermäßigung oder -befreiung nicht ausgeübt hat, leidet der angefochtene Gebührenbescheid ebenso wie der Widerspruchsbescheid an einem Ermessensausfall und ist deswegen rechtswidrig.
2. Soweit die Kläger neben der Aufhebung des Gebührenbescheides auch gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO den Folgenbeseitigungsanspruch auf Erstattung der von ihnen entrichteten Personalausweisgebühren verfolgen, ist ihre Klage unzulässig. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte im Falle der Aufhebung des Gebührenbescheides die Erstattung der dann zu Unrecht vereinnahmten Gebühren verweigern wird, sind weder ersichtlich noch von den Klägern auch nur ansatzweise aufgezeigt worden. Die Rückerstattung der Gebühren lässt sich durch eine entsprechende Banküberweisung problemlos durchführen. Damit steht den Klägern das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die Leistungsklage nicht zur Seite (vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, Rz. 201 zu § 113; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: April 1996, Rz. 59 zu § 113).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Ein Grund für die Zulassung der Berufung (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegt nicht vor.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 57,60 € festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG. Die auf Rückzahlung der entrichteten Personalausweisgebühren gerichtete Leistungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 27. September 2012 - 5 A 189/12 -, juris, Rz. 5; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. August 1999 - 11 O 3042/99 -, juris, Rz. 2; OVG Saarlouis, Beschluss vom 8. März 1991 - 2 R 193/88 -, NVwZ-RR 1991, 392; a. A. Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl. 2010, Rz. 5 zu § 52 GKG Anh. I B).