Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 16.02.2012 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 2 N 110.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 60 BauO BB, § 6 BauO BB |
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das ihm am 28. Oktober 2011, dem Beklagten am 2. November 2011 und den Beigeladenen am 27. Oktober 2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 1.000 EUR festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Zulassung der Berufung kommt nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils in Betracht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger zeigt keine gewichtigen Gesichtspunkte auf, die für den Erfolg einer Berufung sprechen. Die von ihm genannten Gründe, die hier allein zu prüfen sind, rechtfertigen nicht den Schluss, die von ihm angefochtene Beseitigungsverfügung des Beklagten vom 5. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2009, mit der ihm aufgegeben wurde, den Sichtschutz an seiner Terrasse an der Grenze zum Grundstück der Beigeladenen auf eine Höhe von 2 m von der Geländeoberfläche zurückzubauen, sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten.
a) Ohne Erfolg rügt der Kläger, der Tatbestand des Urteils sei verkürzt und unvollständig. Soweit sich diese Rüge auf den Zeitpunkt der Errichtung des Sichtschutzes sowie die Gründe hierfür und die gewählte Ausführungsart bezieht, versäumt der Kläger bereits darzulegen, inwieweit sich die fehlende Erwähnung dieser Umstände auf die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ausgewirkt haben soll. Ebenso wenig kann der Kläger aus dem an die Beigeladenen gerichteten Schreiben des Beklagten vom 26. Februar 2008 und den im Verwaltungsvorgang befindlichen Aktenvermerk vom 20. Januar 2009 etwas zu seinen Gunsten herleiten. Bei dem erwähnten Schreiben handelt es sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht um einen - ihn begünstigenden - Verwaltungsakt im Sinne von § 35 VwVfG i.V.m.§ 1 Abs. 1 VwVfGBbg. Bereits der Wortlaut („Ich beabsichtige den Antrag auf Einschreiten abzulehnen") lässt deutlich erkennen, dass es sich - noch - um eine unverbindliche, vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage aufgrund der bekannten Tatsachen und einer durchgeführten Ortsbesichtigung handelt. Nichts anderes ergibt sich aus dem Aktenvermerk vom 20. Januar 2009. Auch hier erklärt die Mitarbeiterin des Beklagten, zu keinem Zeitpunkt eine verbindliche Erklärung, dass der Sichtschutz nicht zurückgebaut werden müsse, abgegeben zu haben, sondern dem Kläger lediglich zu Beginn des Verfahrens nach der Ortsbesichtigung in einem Gespräch mitgeteilt zu haben, dass sie „zur Zeit entsprechend der (damaligen) Sachlage nicht beabsichtige einzuschreiten". Angesichts dessen ist die fehlende Erwähnung der beiden Schriftstücke in jedem Fall unschädlich.
b) Mit dem Einwand, der Sichtschutz stelle kein genehmigungspflichtiges Bauvorhaben dar, da von ihm keine Wirkungen wie von Gebäuden ausgingen, weil die in der erstinstanzlichen Entscheidung mit ca. 2,80 m angegebene Höhe sich auf die höchste Stelle direkt an der Hauswand beziehe und von dort bis zu einer Höhe von 1,80 m abfalle, zeigt der Kläger keine Richtigkeitszweifel i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf. Bei dem streitgegenständlichen in der Form eines Dreiecks gestalteten, auf die vorhandenen Sichtschutzelemente und an die Hauswand angebauten Sichtschutz handelt es sich um eine Einfriedung, d.h. eine Einrichtung, die u.a. dazu dient, ein Grundstück oder Teile hiervon von Nachbargrundstücken abzugrenzen bzw. abzuschirmen, um das Grundstück z.B. gegen unbefugtes Betreten oder Einsichtnahme zu schützen (vgl. Dirnberger, in: Jäde/Dirnberger/Förster/Bauer/Böhme/Michel/Radeisen, Bauordnungsrecht Bran-denburg, Stand: Oktober 2008, § 55 Rn. 147). Diese vorliegend mittelbar mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte bauliche Anlage (§ 2 Abs. 1 S. 1 BbgBO) ist baugenehmigungspflichtig, soweit sie die für eine Genehmigungsfreiheit in § 55 Abs. 6 Nr. 1 BbgBauO festgelegte Höhenbegrenzung von 2 m überschreitet. Insoweit ist sie als eine keinen Durchblick ermöglichende, d.h. geschlossene und grenzständige Einfriedung (vgl. Dirnberger, a.a.O., § 6 Rn. 147) auch nicht von der Einhaltung von Abstandsflächen befreit (§ 6 Abs. 9 S. 2 BbgBO), da nach der Vorstellung des Gesetzgebers von derartigen baulichen Anlagen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen und sie deshalb vom Nachbarn nicht hinzunehmen sind (vgl. Reimus/Semtner/Langer, Die neue brandenburgische Bauordnung, 3. Aufl. 2009, § 6 Rn. 43).
Soweit sich der Kläger erneut darauf beruft, eine Bebauung mit Garagen oder Nebengebäuden direkt an der Grenze sei bis zu einer Höhe von 3 m erlaubt, genügt sein Vorbringen bereits nicht den an eine Zulassungsbegründung zu stellenden Darlegungsanforderungen, da er sich nicht mit dem vom Verwaltungsgericht angeführten Gegenargument (vgl. Urteilsabdruck Seite 6 oben) auseinandersetzt. Auf die Rüge der fehlenden Benennung entgegenstehender planungsrechtlicher Vorschriften und die diesbezüglichen Ausführungen des Klägers kommt es nicht an, weil das Verwaltungsgericht hierauf nicht tragend abgestellt, sondern dies lediglich als ein mögliches Gegenargument in den Raum gestellt hat. Ebenso wenig ist das Zulassungsvorbringen zur Bauweise erheblich, da das Verwaltungsgericht bei der Frage, ob vorliegend die in § 6 Abs. 1 S. 2 BbgBO geregelte Privilegierung eingreift, nicht nur mit den Vorschriften zur Bauweise argumentiert, sondern seine ablehnende Auffassung selbstständig tragend damit begründet hat, dass nur unmittelbar grenzständige Außenwände privilegiert seien. Hierzu verhält sich der Zulassungsantrag nicht.
c) Ohne Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die im Ermessen der Behörde stehende Möglichkeit der Zulassung einer Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächen nach dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2009 geltenden § 60 BbgBO sei vorliegend nicht gegeben. Die zur Begründung hierfür angeführte Auffassung, eine Rechtsverletzung des Nachbarn sei bei einer Unterschreitung von Abstandsflächen stets zu bejahen, ohne dass es darauf ankäme, ob eine tatsächliche Beeinträchtigung vorliege, ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu beanstanden. Abweichungen im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 BbgBO sind grundsätzlich kein Instrument zur Legalisierung von Abstandsflächenverletzungen, da die Abstandsflächenvorschrift des § 6 BbgBO ein in sich geschlossenes System mit eigenen Abweichungsregelungen bildet, das mit Hilfe des § 60 BbgBO nur in atypischen Situationen ergänzt, nicht aber grundsätzlich relativiert werden darf (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 29. Dezember 2009 - OVG 10 L 21.09 -,juris Rn. 22; OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 22. April 2004 - 10 B 828/04 -, juris). Dass die Zulassung von Abweichungen durch die Neufassung der Vorschrift in der Novellierung von 2003 und durch das Bürokratieabbaugesetz erleichtert werden sollte, steht dem nicht entgegen, weil § 60 BbgBO nicht nur in Bezug auf Abstandsflächenregelungen Anwendung findet. Auf die Ausführungen des Klägers zum Ausmaß der Beeinträchtigung der Beigeladenen kommt es danach ebenso wenig an wie auf die Erwägungen des Beklagten im Rahmen einer nach § 60 BbgBO zu treffenden Entscheidung über die Erteilung einer Abweichung.
d) Der vom Kläger erhobene Einwand des Rechtsmissbrauchs ist gleichfalls nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung aufzuzeigen. Dass die Beigeladenen - wie der Kläger behauptet - direkt an der Grundstücksgrenze unter Außerachtlassung des Nachbarrechtsgesetzes eine hohe Hecke angepflanzt haben, hat keine Auswirkungen auf die nach der brandenburgischen Bauordnung zu beurteilenden Genehmigungsfähigkeit des hier streitgegenständlichen Sichtschutzes, da es sich bei der Hecke nicht um eine bauliche Anlage handelt.
Der weiter erhobene Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe den von dem Kläger zum Nachweis eines von den Beigeladenen wirksam erklärten Verzichts auf die Einhaltung der Abstandsflächen angeführten Inhalt des klägerischen Grundstückskaufvertrages fehlerhaft interpretiert, verfängt ebenfalls nicht. Der Sicht des Verwaltungsgerichts, es handele sich bei der vom Kläger zitierten Passage des Kaufvertrages erkennbar um eine Regelung im Rahmen der jeweiligen Wohnhausbebauung, die auf in den rückwärtigen Grundstücksbereichen vorhandene Einfriedungen keine Anwendung finde, kann der Kläger nicht mit Erfolg den abweichenden Wortlaut („im Gegenzug wird freigestellt, dass die Abstandsflächen seines Grundstückes auf die Nachbargrundstücke fallen dürfen“) entgegenhalten. Bereits der Eingangssatz von § 6 Abs. 4 des Kaufvertrages („Abstandsflächen von Häusern sind ideelle Flächen, die in keiner Weise eine Beeinträchtigung des Grundstückes darstellen.“) macht deutlich, dass die Vereinbarung ausschließlich von Häusern ausgelöste Abstandsflächen betrifft.
2. Eine Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) kommt gleichfalls nicht in Betracht.
Mit der Rüge, es liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, weil das Gericht die Beigeladenen, die am Ortstermin persönlich nicht hatten teilnehmen wollen, im Rahmen des Termins in ihrem Hause aufgesucht habe, wobei der Kläger daran wegen eines Grundstücksbetretungsverbotes nicht habe teilhaben können mit der Folge, dass ihm nicht bekannt sei und auch dem Protokoll nicht entnommen werden könne, was dort besprochen worden sei, trägt der Kläger keine Tatsachen vor, aus denen sich, ihre Richtigkeit unterstellt, ein Verfahrensmangel ergibt. Zwar ist ein Erörterungstermin gemäß § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO sowie eine Beweisaufnahme in einer vorbereitenden Verhandlung (hier Ortsbesichtigung) parteiöffentlich, einen Verstoß gegen die Parteiöffentlichkeit muss die betroffene anwaltlich vertretene Partei jedoch gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit § 295 Abs. 1 ZPO in der nächsten mündlichen Verhandlung rügen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 2000 – 2 C 5/99 -, NJW 2001, 134). Hieran fehlt es vorliegend. Ausweislich der Niederschrift über den Erörterungstermin mit Ortsbesichtigung am 14. September 2011 hat der sich als Rechtsanwalt selbst vertretende Kläger nach der Besichtigung des Grundstücks der Beigeladenen – wie die übrigen Beteiligten – sein Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt. Damit hat er sich seines Rügerechts begeben. Das steht einer nachträglichen Verfahrensrüge entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat der erstinstanzlichen Festsetzung folgt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).