Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 27.02.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 B 10.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 113 Abs 5 VwGO, § 48 Abs 1 VwVfG, § 14a Abs 1 aF BeamtVG, § 14a Abs 1 nF BeamtVG, Art 17 Abs 1 DNeuG |
1. Durch die Neufassung des § 14a Abs. 1 BeamtVG mit dem Dienst-rechtsneuordnungsgesetz 2009 ist der strittigen Frage, was unter dem "nach den sonstigen Vorschriften berechneten Ruhegehaltssatz" zu verstehen ist, die Grundlage entzogen.
2. Infolge des - verfassungsrechtlich unbedenklichen (BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 -, BGBl. 2012, S.1363) - rückwirkenden Inkrafttretens der Neufassung des § 14a Abs. 1 BeamtVG kommt eine Verpflichtung der Behörde zu einem Wiederaufgreifen eines bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbe-scheides dann nicht mehr in Betracht, wenn der Antrag auf Wiederaufgreifen nach dem Zeitpunkt gestellt wurde, auf den das Inkrafttreten der Neuregelung zurückwirkt (24. Juni 2005).
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 17. Januar 2011 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der am 13. April 1943 geborene Kläger stand im Polizeidienst der Beklagten. Er trat mit Vollendung des 60. Lebensjahres mit Ablauf des 30. April 2003 in den Ruhestand. Die Beklagte setzte seine Versorgungsbezüge mit Bescheid vom 17. März 2003 fest. Dabei erhöhte sie den festgesetzten erdienten Ruhegehaltssatz von 23,59 vom Hundert gemäß § 14a BeamtVG a.F. vorübergehend um 29,08 vom Hundert. Im März 2006 beantragte der Kläger im Hinblick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 - 2 C 25.04 -, seinen Ruhegehaltssatz nach § 14a BeamtVG a.F. vorübergehend auf der Grundlage des Mindestruhegehaltssatzes von 35 vom Hundert zu erhöhen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. April 2006 ab. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (vgl. den Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2007).
Das Verwaltungsgericht Cottbus verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 17. Januar 2011, die vorübergehend erhöhten Versorgungsbezüge des Klägers für die Zeit ab Antragstellung (7. März 2006) auf der Grundlage der Mindestversorgung gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG (35 vom Hundert) neu festzusetzen; soweit sich die Klage auf eine vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes auf der Grundlage der Mindestversorgung für die Zeit vor der Antragstellung bei der Beklagten bezog, wies es die Klage zurück. Der Anspruch des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens für die Zeit ab der Antragstellung folge aus § 48 VwVfG. Das dem Dienstherrn insoweit zustehende Ermessen sei hinsichtlich der Frage des Wiederaufgreifens des Verfahrens für die Zukunft „auf Null“ reduziert.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Senat wegen eines Verfahrensfehlers (Beschluss vom 21. März 2011 - OVG 6 N 6.11 -, juris) zugelassenen Berufung.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 17. Januar 2011 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Der Kläger kann vor dem Hintergrund der mittlerweile eingetretenen Rechtslage nicht verlangen, dass über seinen Antrag auf vorübergehende Heraufsetzung seines Ruhegehalts nach § 14a BeamtVG a.F. vom 6. März 2006 nach § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - erneut durch die Behörde entschieden wird. Die Ablehnung seines hierauf gerichteten Begehrens ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 VwVfG vorliegen, der die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes, hier des Versorgungsfestsetzungsbescheides vom 17. März 2003, voraussetzt. Ebenso wenig muss entschieden werden, ob und in welchem Umfang der Beklagten bei Erlass des hier streitgegenständlichen Ausgangsbescheides am 6. April 2006 und des Widerspruchsbescheides am 27. Januar 2007 hinsichtlich einer hier allein streitgegenständlichen Rücknahme für die Zukunft Ermessen zustand und ob sie dieses rechtmäßig ausgeübt hat. Selbst wenn man eine ursprüngliche Rechtswidrigkeit des Versorgungsfestsetzungsbescheides vom 17. März 2003 und eine fehlerhafte Ermessensausübung bei Erlass des hier streitgegenständlichen Bescheides unterstellt, wäre die Klage abzuweisen. Denn im Falle einer Verpflichtung der Beklagten, die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehalts nach Maßgabe des klägerischen Begehrens festzusetzen, würde sie infolge der zwischenzeitlich eingetretenen rückwirkenden Gesetzesänderungen zu einem rechtswidrigen Verhalten verpflichtet werden. Das folgt aus der auf den 24. Juni 2005 zurückwirkenden Neufassung des § 14a BeamtVG durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz.
§ 14a Abs. 1 BeamtVG in der bis zum Inkrafttreten des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes (Artikel 4 des Gesetzes vom 5. Februar 2009, BGBl. I, S. 160) geltenden Fassung sah vor, dass sich unter bestimmten, hier nicht im Streit befindlichen Voraussetzungen der „nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz“ vorübergehend (nämlich bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres bei Beamten, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, vgl. § 51 Abs. 2 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes) erhöht. Die beklagte Behörde vertrat stets die Auffassung, die Erhöhung des Ruhegehaltssatzes sei anhand des tatsächlich erdienten Ruhegehalts zu ermitteln und zwar auch dann, wenn es unterhalb des Mindestruhegehaltssatzes von 35 vom Hundert nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG liege, denn dieser Mindestruhegehaltssatz sei gleichsam gesetzlich festgelegt, aber nicht „berechnet“ im Sinne des § 14a BeamtVG a.F. Das Bundesverwaltungsgericht hat demgegenüber mit Urteil vom 23. Juni 2005 - 2 C 25/04 - (BVerwGE 124, 19 ff.) entschieden, dass die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nach § 14a Abs. 1 BeamtVG anhand des amtsbezogenen Mindestruhegehaltssatzes zu berechnen sei, wenn das tatsächlich erdiente Ruhegehalt darunter liege. An dieser Rechtsprechung hat es mit Urteil vom 12. November 2009 - 2 C 29/08 - (ZBR 2010, S. 258 ff.) auch festgehalten, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster mit Urteil vom 16. Januar 2008 - 21 A 2098/06 - (ZBR 2008, S. 275 ff.) ausdrücklich im Sinne der von der Beklagten vertretenen Position entschieden hatte.
Durch die Neufassung des § 14a Abs. 1 BeamtVG infolge des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes ist diesem Streit die Grundlage entzogen. Denn während nach § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. sich „der nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz“ vorübergehend erhöhte, heißt es dort nunmehr, „der nach § 14 Abs. 1, § 36 Abs. 3 Satz 1, § 66 Abs. 2 und § 85 Abs. 4 berechnete Ruhegehaltssatz erhöht sich vorübergehend“. Für die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Auslegung der Vorschrift ist vor diesem Hintergrund kein Raum mehr. Es steht vielmehr eindeutig fest, dass sich die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes stets an dem erdienten und nicht am Mindestruhegehalt nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG orientiert. Diese Vorschrift wurde rückwirkend zum 24. Juni 2005 in Kraft gesetzt. Infolge dieses rückwirkenden Inkrafttretens der Neufassung des § 14a Abs. 1 BeamtVG kommt eine Verpflichtung der Behörde zu einem Wiederaufgreifen des bestandskräftigen Versorgungsbescheides vom 17. März 2003 nicht mehr in Betracht, weil der Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen vom 7. März 2006 nach dem Zeitpunkt gestellt wurde, auf den das Inkrafttreten der Neuregelung zurückwirkt. Eine erneute Entscheidung über den Wiederaufgreifensantrag des Klägers vom März 2006 müsste daher zwingend zu dessen Lasten ausgehen.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vom Gesetzgeber angeordnete Rückwirkung der Neufassung des § 14a Abs. 1 BeamtVG bestehen nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich entschieden, dass der die Rückwirkung anordnende Artikel 17 Abs. 1 des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar ist (Beschluss vom 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 -, BGBl. I 2012, S. 1363).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
[ Hinweis der Dokumentationsstelle: Der Berichtigungsbeschluss vom 1.3.2013 wurde in den Entscheidungstext eingearbeitet und lautet:
Beschluss vom 1.3.2013
Das am 27. Februar 2013 verkündete Urteil wird hinsichtlich der im Tenor ausgesprochenen Abwendungsbefugnis gemäß § 118 VwGO wegen offenbarer Unrichtigkeit nach Anhörung der Beteiligten wie folgt geändert:
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). ]