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GdS; Somatisierungsstörung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 14.10.2010
Aktenzeichen L 13 VU 35/07 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 21 StrRehaG

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2007 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 31. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2002 verurteilt, eine Somatisierungsstörung als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung weiterer Gesundheitsschäden und eines höheren Grades der Schädigungsfolgen (GdS) als Folge zu Unrecht erlittener Inhaftierung und Gewaltanwendung durch die Polizei der ehemaligen DDR in der Zeit vom 7. bis 10. Oktober 1989.

Auf Antrag des Klägers vom 21. Januar 2001 erkannte das Versorgungsamt Stralsund mit Bescheid vom 31. Mai 2002 eine chronifizierte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als Schädigungsfolge an und stellte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 fest. Die Anerkennung der weiter geltend gemachten Rückenleiden lehnte es hingegen ab und bezog sich insofern auf ein Gutachten des Dr. F, wonach die erlittenen Bandscheibenvorfälle nicht kausal auf die Haft und die dabei erlittene Misshandlung zurückzuführen seien. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2002 zurück.

Mit der am 17. September 2002 erhobenen Klage hat der Kläger vorgebracht, sein Rückenleiden müsse haftbedingt sein, denn er sei zuvor gesund gewesen, habe in der Schule im Sportunterricht stets die Note sehr gut erhalten und entgegen dem Gutachten des Dr. F in der Kindheit auch nicht an einer Wirbelsäulenerkrankung „Morbus Scheuermann“ gelitten. Die Beschwerden bestünden seit Oktober 1989 und seien daher klar auf die Haft zurückzuführen, in deren Verlauf er mehrfach auch Tritte in den Rücken erhalten habe.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. W und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B und den Beklagten mit Urteil vom 26. Juni 2007 unter Abänderung des Bescheides vom 31. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2002 verurteilt, bei dem Kläger eine „Posttraumatische Störung mit daraus resultierender Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung“ im Sinne der Entstehung ab Antragstellung anzuerkennen und Versorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz auf der Grundlage der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. ab dem 1. Januar 2001 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen die Ausführungen der gerichtlich beauftragten Gutachter zueigen gemacht. So sei insbesondere die Ursächlichkeit der Haft für das Wirbelsäulenleiden nicht als wahrscheinlich anzusehen, da das Fehlen von Verletzungen im knöchernen Bereich deutlich gegen eine durch Misshandlung zu erwartende traumatische Verletzung spreche. Es sei daher von einem degenerativen Leiden auszugehen.

Mit der am 21. August 2007 eingelegten Berufung gegen das dem Kläger am 9. August 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger geltend gemacht, es ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B, dass neben der PTBS auch eine Somatisierungsstörung vorliege, die ihn neben der PTBS in einer solchen Weise beeinträchtige, dass die Wirbelsäulenleiden stärker wahrgenommen würden und ihn daher verstärkt beeinträchtigten. Dies habe auch der Sachverständige Dr. W festgestellt. Er gehe davon aus, dass der anzusetzende Einzel-GdS hierfür 30 betrage. Nachdem er ursprünglich noch die Berechnung nach einem Gesamt-GdS von 70 begehrt hat, beantragt der Kläger nun noch,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2007 zu ändern und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 31. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2002 zu verurteilen, bei ihm eine „ausgeprägte Somatisierungsstörung“ als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen und ihm ab dem 1. Januar 2001 eine Beschädigtengrundrente nach einer MdE / einem GdS von 60 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Ruth E eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 27. November 2009 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, allerdings nur insoweit begründet, als der Kläger die Feststellung der Somatisierungsstörung als weitere Schädigungsfolge begehrt.

1. Insoweit besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Zwar hat das Versorgungsamt im Bescheid vom 31. Mai 2002 wörtlich ausgeführt:

„Die während der Haft erlittenen Misshandlungen führten zu einer Schmerzverstärkung und infolge der psychischen Störung auch zu einer Schmerzfehlverarbeitung. Traumatische Veränderungen oder ein akuter Bandscheibenvorfall mit Nervenkompression konnten im Anschluss an die Haft nicht festgestellt werden. Die verstärkte Schmerzsymptomatik ist im Rahmen ihrer psychischen Störung als Somatisierungsstörung aufzufassen.“

Dies ist nach Ansicht des Senates durchaus so zu verstehen, dass das Vorliegen einer schädigungsbedingten Somatisierungsstörung auch von Seiten des Beklagten nicht in Abrede gestellt werden soll, doch ist der Passus nur in dem ausdrücklich als Begründung bezeichneten Teil des Bescheides enthalten. Er findet keine Entsprechung in der Tenorierung, und der Vertreter des Beklagten hat sich in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gesehen, eine entsprechende Klarstellung zu Protokoll zu erklären.

2. Soweit der Kläger die Feststellung der Somatisierungsstörung als weitere Schädigungsfolge begehrt, ist die Berufung begründet und das mit ihr angegriffene Urteil des Sozialgerichts zu ändern.

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) erhält ein Betroffener, der infolge einer Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Es steht im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung fachärztlicher Gutachten zur Überzeugung des Senates fest, dass der Kläger an einer Somatisierungsstörung leidet, die jedenfalls im Sinne einer signifikanten Verschlimmerung Folge der in der DDR erlittenen Inhaftierung ist. Die Einschätzungen des Sachverständigen Dr. B und der Sachverständige Dr. E stimmen insofern überein. Wie bereits ausgeführt, ist auch der Beklagte in der Begründung des Bescheides vom 31. Mai 2002 vom Vorliegen einer derartigen Störung ausgegangen, so dass der Senat insofern von weiteren Ausführungen absieht.

Die Somatisierungsstörung ist auch neben der PTBS als eigenständige Schädigungsfolge festzustellen, denn es handelt sich nach dem Diagnoseklassifizierungssystem der Weltgesundheitsorganisation ICD 10 um eine eigenständige Diagnose (ICD 10 F 45.0).

3. Nicht begründet ist die Berufung hingegen, soweit der Kläger unter Bezugnahme auf die festzustellende Somatisierungsstörung die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach einer MdE / einem GdS von 60 begehrt. Rechtsgrundlage für die Rentengewährung ist § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG i.V.m. §§ 30, 31 BVG. Gem. § 31 Abs. 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Für die Zeit seit dem 1. Januar 2009 sind insoweit die auf der Grundlage von § 30 Abs. 17 BVG als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassenen sog. Versorgungsmedizinischen Grundsätze maßgeblich.

Liegen – wie hier – mehrere Schädigungsfolgen vor, ist der GdS gemäß Teil A Ziffer 3. lit. a) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander festzustellen. Hierbei ist nach Ziffer 3. lit. c) bei der Beurteilung des Gesamt-GdS von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdS bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass die beim Kläger als Schädigungsfolge festgestellte PTBS mit einem Einzel-GdS von 50 anzusetzen ist. Dies entspricht der in Teil B Ziffer 3.7 vorgesehenen Bewertung der Folgen psychischer Traumen als schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Der Senat folgt insofern den überzeugenden Ausführungen beider auf diesem Fachgebiet herangezogenen Sachverständigen. Die zusätzliche Somatisierungsstörung ist nach den ebenfalls im Wesentlichen übereinstimmenden und überzeugenden Darlegungen beider Gutachter eher leichterer Natur und daher als leichte psychische Störung mit einem Einzel-GdS von maximal 20 zu bewerten.

Aus diesen beiden Einzel-GdS ist ein Gesamt-GdS von 50 zu bilden. Nach Teil A Ziffer 3. lit. d) der Anlage zu § 2 VersMedV ist es bei zusätzlichen leichten Gesundheitsstörungen, die nur einen GdS von 20 bedingen, vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. So liegt es hier, denn die den Kläger in besonderer Weise belastenden Schmerzen sind in Gestalt einer verminderten Kompensationsfähigkeit bereits als ein Teilsymptom der PTBS in deren Bewertung eingeflossen, so dass eine Anhebung des für die PTBS anzusetzenden GdS unter erneuter Heranziehung der somatoformen Schmerzstörung nicht angezeigt ist. Nichts anders gilt für die Zeit vor Inkrafttreten der VersMedV, denn die von ihr abgelösten, als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) unterscheiden sich in ihrer Bewertung insoweit nicht von den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die dem Kläger zuzusprechende Kostenerstattung entspricht dem teilweisen Erfolg des Klagebegehrens und trägt dessen Einschränkung im Verlauf des Berufungsverfahrens Rechnung.