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Regelsätze seit dem 01.01.2011 - Prozesskostenhilfe - hinreichende Erfolgsaussicht - Revisionsverfahren - Beiordnung eines Rechtsanwalts - Ruhen des Verfahrens


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 14. Senat Entscheidungsdatum 29.02.2012
Aktenzeichen L 14 AS 206/12 B PKH ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 9. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe

Der Kläger begehrt mit seiner am 2. Mai 2011 vor dem Sozialgericht Cottbus erhobenen Klage höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis 31. März 2011. Das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe (nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch [Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG]), auf dessen Grundlage die Leistungen berechnet worden seien, genüge nicht den vom Bundesverfassungsgericht in dessen Urteil vom 9. Februar 2010 aufgestellten Anforderungen.

Die gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalts durch das Sozialgericht gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg.

Der Senat kann offenlassen, ob der 2006 geborene Kläger ausreichend – allein durch seine Mutter – vertreten und die von ihm erhobene Klage demzufolge jedenfalls derzeit überhaupt zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 54/08 R –) oder ob sie möglicherweise wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (S 14 AS 305/11) unzulässig ist. Dahin gestellt bleiben kann auch, ob die Beschwerde mangels ausreichender Schriftform (§ 173 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) wegen Verwendung einer Paraphe (vgl. BSG SozR 1500 § 151 Nr. 3; BGH NJW 85,1227; BFHE 179,233; BAG NJW 96,3164) oder mangels Erreichens des Gegenstandswertes in der Hauptsache von 750 Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) unzulässig ist. Auch wenn die Klage bzw. Beschwerde zulässig sein sollten, wäre dem Kläger Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und im Übrigen ein Rechtsanwalt nicht beizuordnen sein dürfte.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe einerseits erforderliche, andererseits aber auch ausreichende „hinreichende Aussicht auf Erfolg“ (§ 114 Satz 1 ZPO) nicht. Eine hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung besteht, wenn das Gericht den Standpunkt des Prozesskostenhilfe Beantragenden aufgrund dessen Sachdarstellung und der von ihm gegebenenfalls eingereichten Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit einer Beweisführung überzeugt ist, wobei an die Erfolgsaussicht der Klage keine überspannten Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Februar 2008 – 1 BvR 1807/07 – und vom 15. Dezember 2008 – 1 BvR 1404/04 – jeweils Juris).

Nach diesen Maßstäben ist der Klage die hier erforderliche „hinreichende“ Aussicht auf Erfolg allerdings abzusprechen. Soweit der Kläger geltend macht, dass die Regelsätze ab dem 1. Januar 2011 „nicht den im Urteil vom 09. 02. 2010 – 1 BvL 1/09 gestellten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügen“, begründet dies die hinreichenden Erfolgsaussichten nicht, wie das Sozialgericht schon in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat. Der Senat nimmt zur weiteren Begründung auf diese Ausführungen Bezug und verweist hierauf; § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG. Auch der Hinweis in dem Beschwerdeschriftsatz vom 23. Januar 2012, dass zu der hier streitgegenständlichen Rechtsfrage unter dem Aktenzeichen B 14 AS 131/11 R beim BSG eine Revision anhängig sei, ist nicht geeignet, die dargestellten Erfolgsaussichten anzunehmen. Die bisher mit der hier streitigen Rechtsfrage befassten Landessozialgerichte habenhierzuentschieden, dass die durch den Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar 2011 vorgenommene Neuregelung der existenzsichernden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht (vgl. zuletzt: Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 26. Oktober 2011 – L 2 AS 4330/11 B -, zitiert nach Juris). Eine entsprechende Vorlage beim Bundesverfassungsgericht ist jedenfalls nicht bekannt (vgl. auchBeschluss des hiesigen Gerichts vom 1. Februar 2012 – L 34 AS 190/12 B PKH –,zu dessen Verfahren der Klägerbevollmächtigte ebenfalls die Prozessvertretung innehatte). Schon das LSG Baden-Württemberg (a.a.O.) hat weiter zur Begründung zutreffend ausgeführt, worauf auch der 34. Senat des Hauses verweist, dass der Umstand, dass die Gerichte im Hinblick darauf, dass zur Frage der Verfassungswidrigkeit der Regelsätze noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung ergangen ist, gleichwohl aber eine Vielzahl von Verfahren mit dem Streitgegenstand anhängig sind, diesen Verfahren grundsätzliche Bedeutung beimessen und auf diese Weise den Weg zur Entscheidung durch das Bundessozialgericht eröffnet haben, nicht den Rückschluss erlaubt, dass für entsprechende Verfahren, die mit im Wesentlichen identischer Begründung geführt werden, hinreichende Erfolgsaussicht besteht. Es existiert jedenfalls kein „Automatismus“ dergestalt, dass aus der Zulassung einer Revision durch ein Landessozialgericht auf hinreichende Erfolgsaussichten eines rechtlich im Wesentlichen gleichgelagerten Verfahrens geschlossen werden kann. Diese Auffassungen teilt der erkennende Senat, zumal auch das Bay. LSG (Beschluss vom 5. Juli 2011 – L 7 AS 334/11B PKH - Juris) die hinreichenden Erfolgsaussichten für die Frage verneint hat, wenn lediglich die Verfassungswidrigkeit der Regelleistung ab 01. Januar 2011 geltend gemacht wird. Es ist nicht erkennbar, dass die neuberechnete Regelleistung den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 09. Februar 2010 nicht entspricht. Entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus dem stattgebenden PKH-Beschluss des LSG NRW (vom 14. Oktober 2011 – L 12 AS 1360/11 B – Juris) oder aus dem vom Kläger genannten Gutachten des Prof. Dr. M. Sie werden vom Kläger auch nicht konkret angegeben.

Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass, da das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für den Kläger gerichtskostenfrei ist (§ 198 Abs. 1 Satz 1 SGG), die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausschließlich Bedeutung für die Beiordnung eines Rechtsanwalts hat. Ein Rechtsanwalt ist jedoch nur beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 121 Abs. 2 des Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG). Bei der Beantwortung der Frage, ob dies der Fall ist, sind die sich aus Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 GG) ergebenden Anforderungen zu beachten. Dabei ist keine vollständige Gleichheit Unbemittelter und Bemittelter, sondern nur eine weitgehende Angleichung geboten. Vergleichsperson ist derjenige Bemittelte, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Artikel 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG steht damit auch einer Besserstellung desjenigen, der seine Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten muss und daher von vorneherein kein Kostenrisiko trägt, gegenüber dem Bemittelten, der sein Kostenrisiko wägen muss, entgegen.

Nach diesen Maßstäben wäre dem Kläger ein Rechtsanwalt nicht beizuordnen. Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein Verfahren nicht (weiter) betreiben, solange dieselbe Rechtsfrage bereits in anderen Verfahren in der Revisionsinstanz (sog. unechte Musterverfahren) anhängig ist. Er kann auf diesem Wege – im Falle einer in seinem Sinne positiven Entscheidung des Revisionsgerichts – vom Ausgang dieser Verfahren profitieren, ohne selbst einem (weiteren) Kostenrisiko zu unterliegen. Geht das Revisionsverfahren hingegen aus Sicht des Betroffenen negativ aus, ist er nicht gehindert, sein Rechtsschutzziel im eigenen Verfahren weiter zu verfolgen (BVerfG, Beschluss vom 18. November 2009 – 1 BvR 2455/08 –; vgl. auch Beschluss vom 30. Mai 2011 – 1 BvR 3151/10 – zur Gewährung von Beratungshilfe).

Aus verfassungsrechtlicher Sicht reicht es aus, wenn dem Betroffenen nach Ergehen der "Musterentscheidungen" noch alle prozessualen Möglichkeiten offenstehen, umfassenden gerichtlichen Schutz zu erlangen. Dies dürfte hier der Fall sein. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistungen nach den §§ 20 und 23 Nr. 1 SGB II sind drei Revisionen beim Bundessozialgericht anhängig (B 14 AS 131/11 R, B 14 AS 153/11 R und B 14 AS 189/11 R); in einem dieser Verfahren, auf das der Kläger mit der Beschwerde selbst hinweist (B 14 AS 131/11 R), hat das Bundessozialgericht am 25. Januar 2012 ohne mündliche Verhandlung entschieden. Unter diesen Umständen ist es dem Kläger, der individuelle Besonderheiten nicht geltend macht, zuzumuten, das Betreiben des eigenen Verfahrens zurückzustellen bzw. auch förmlich zu beantragen, im Hinblick auf die genannten Revisionen das Ruhen des Verfahrens anzuordnen (§ 251 Satz 1 ZPO i.V.m. § 202 SGG), was der Beklagte bereits getan hat, aber der Prozessbevollmächtigte noch keine Gelegenheit zur Erwiderung hatte. Eine anwaltliche Vertretung wäre in einem solchen Fall nicht erforderlich, würde das Verfahren gleichwohl weiterbetrieben werden. In Verfahren, in denen die Beteiligten übereinstimmend das Ruhen beantragen, wird dieses von den Gerichten auch regelmäßig als sachdienlich angesehen.

Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).