Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 24.01.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 B 19.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 8 MRK, Art 6 GG, § 5 Abs 1 AufenthG, § 5 Abs 3 S 2 AufenthG, § 10 Abs 3 AufenthG, § 25 Abs 5 S 2 AufenthG, § 104a Abs 1 S 1 AufenthG |
Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.
Er reiste im Oktober 1979 im Besitz eines libanesischen Reisepasses in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Im Jahre 1987 heiratete er im Libanon ausweislich einer von ihm vorgelegten Heiratsurkunde des libanesischen Innenministeriums die 1963 geborene Frau A…. Im Oktober 1990 stellte er unter erneuter Vorlage eines libanesischen Reisepasses einen weiteren Asylantrag, den er später zurücknahm. Er gab an, er sei bis 1983 im Bundesgebiet geblieben und im September 1990 gemeinsam mit Frau T… und den 1988 bzw. 1990 geborenen Kindern K… und M… wieder eingereist. Im Januar 1992 stellte er einen dritten Asylantrag, den das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 23. Oktober 1992 als offensichtlich unbegründet ablehnte. Der Bescheid wurde im April 1996 unanfechtbar. Im Mai 1992 wurde in Berlin die Tochter F… geboren, im September 1993 der Sohn A…. Im Juni 1996 folgte die Geburt der Tochter Z…. Im gleichen Jahr tauchte der Kläger unter, um seiner Abschiebung zu entgehen. Im August 2004 wurde er in einer Gaststätte aufgegriffen. Seit September 2004 erhält er Duldungen, wobei ihm die Erwerbstätigkeit nicht gestattet ist.
Im März 2006 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Im Mai 2006 meldete er sich bei Frau T… und den Kindern polizeilich an. Mit Bescheid vom 9. März 2007 lehnte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zur Begründung führte es an, die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als offensichtlich unbegründet schließe die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor der Ausreise gemäß § 10 Abs. 3 AufenthG aus. Ein Anspruch gemäß §§ 29 f. AufenthG bestehe nicht, da zwar Frau T… eine bis 2008 befristete Aufenthaltserlaubnis innehabe, die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aber angesichts des Sozialhilfebezugs der Familie nicht erfüllt sei. Im April 2008 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gemäß § 10 BeschVerfV. Der Beklagte lehnte den Antrag ebenfalls ab, da der Kläger zu vertreten habe, dass sein Aufenthalt infolge Passlosigkeit nicht beendet werden könne. Der Beklagte forderte den Kläger zugleich auf, sich bei der libanesischen Botschaft um ein Heimreisedokument zu bemühen.
Durch Urteil vom 9. April 2008 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 9. März 2007 zur Neubescheidung des Antrags des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe § 10 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AufenthG nicht entgegen. Die Regelung sei gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nicht anwendbar, da es sich bei dem „Soll“-Anspruch nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, soweit nicht ein atypischer Fall vorliege, um einen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis handele. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG. Zwar habe er das Ausreisehindernis der Passlosigkeit zu vertreten, da er sich nicht genügend um ein Personaldokument bemüht habe. Ihm sei die Ausreise jedoch aus rechtlichen Gründen unmöglich. Er sei Vater von fünf mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kindern, deren jüngste drei im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen seien. Frau T… als Ehefrau des Klägers sowie die Kinder hielten sich erlaubt im Bundesgebiet auf. Die Familie könne nicht darauf verwiesen werden, die jedenfalls seit Mai 2006 in Berlin bestehende eheliche Lebensgemeinschaft im Libanon fortzusetzen. Von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sei abzusehen, da dem Kläger eine Erwerbstätigkeit nicht erlaubt worden sei. Demgegenüber genüge der Kläger nicht der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) und erfülle angesichts seines mehrjährigen illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet unter Umständen einen Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Ob der Beklagte von den zuletzt genannten Regelerteilungsvoraussetzungen nach seinem Ermessen absehen wolle, habe er nicht entschieden. Mit Rücksicht hierauf sei er zur Neubescheidung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu verpflichten.
Mit seiner durch den Senat zugelassenen Berufung macht der Beklagte geltend, im Verhältnis zu volljährigen Kindern vermittelten Art. 8 EMRK, Art. 6 GG nur eingeschränkten Schutz. Der Ausreise der Frau T… sowie der minderjährigen Kinder stünden Abschiebungshindernisse nicht entgegen. Die im Bundesgebiet geborenen Kinder seien keine „faktischen Inländer“; so sei die Familie etwa wirtschaftlich nicht integriert und der Aufenthalt sei erst seit 2004 erlaubt, vorher lediglich geduldet gewesen. Der Kläger sei auch immerhin in der Lage gewesen, mehrere Jahre unterzutauchen und ohne seine Familie zurechtzukommen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. April 2008 zu ändern und die Klage auch im Übrigen abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, Frau T… stehe aufgrund ihrer Erziehungstätigkeit dem Arbeitsmarkt nur eingeschränkt zur Verfügung, sie habe seit 1. Juli 2008 eine Stelle als Reinigungskraft inne und erhalte 380,00 Euro monatlich.
Aus der Ausländerakte der Frau T… ergibt sich, dass sie sich - ebenso wie die fünf Kinder - seit 2004 erlaubt im Bundesgebiet aufhält. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie bekundet, seit Ende 2010 neben der Führung des Haushalts und der Ausübung ihrer Berufstätigkeit werktäglich von 9 bis 13 Uhr an einem Integrationskurs teilzunehmen. Die Kinder K… und M… verfügen ausweislich ihrer Ausländerakten seit 2007 über eine Niederlassungserlaubnis, für die Kinder F… und A… gilt dies seit 2010. Nach K… Angabe in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat M… im Jahre 2011 einen Einbürgerungsantrag gestellt, K… beabsichtigt dies zeitnah ebenfalls zu tun. Beide absolvieren eine Ausbildung zur Hauswirtschaftshilfe. F… wird im Sommer 2012 das Abitur ablegen. A… besucht die Hauptschule, Z… die 9. Klasse des Gymnasiums.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte sowie die den Kläger, Frau T… und die gemeinsamen Kinder betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Beklagte habe den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erneut zu bescheiden, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
I. Der Streitgegenstand der Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wird bestimmt und begrenzt durch den Aufenthaltszweck, aus dem der Ausländer seinen Anspruch herleitet. Denn die Aufenthaltserlaubnis wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG für einen bestimmten Aufenthaltszweck erteilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 43.06 -, BVerwGE 129, 226 = juris Rn. 12).
Der maßgebliche Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 2. März 2006 bezieht sich auf § 25 Abs. 5 AufenthG, mithin auf eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.
II. Ein Anspruch aus § 104a AufenthG kommt nicht in Betracht, da der Kläger die in § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorausgesetzten stichtagsbezogenen Aufenthaltszeiten nicht belegen kann.
III. Hingegen liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen regelt vor. Maßgeblich hierfür ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.
1. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wird nicht durch die am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gehindert. Nach dieser Vorschrift darf kein Aufenthaltstitel erteilt werden, sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt wurde. Es kann auf sich beruhen, was daraus folgt, dass der Asylantrag des Klägers zwar schon durch Bescheid des Bundesamtes vom 23. August 1992 abgelehnt wurde, die Ablehnung jedoch erst nach Inkrafttreten der - von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in Bezug genommenen - Vorschrift des § 30 Abs. 3 AsylVfG über die Voraussetzungen für die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet am 1. Juli 1993 unanfechtbar wurde. Denn § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erfasst nicht einmal diejenigen Fälle, in denen der Asylantrag ausdrücklich unter Bezugnahme auf § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt wurde, soweit die Ablehnung bereits vor dem 1. Januar 2005 bestandskräftig geworden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 2009 - 1 C 30.08 -, BVerwGE 134, 335 = juris Rn. 13).
Die weitere Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist auf Titel nach dem 5. Abschnitt, zu dem auch § 25 AufenthG gehört, nicht anwendbar.
2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG sind erfüllt.
Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Die Vorschrift des Satzes 2 stellt dabei keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, die einem Ausländer bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung - Aussetzung der Abschiebung für den genannten Zeitraum - einen „Soll“-Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vermitteln würde. Vielmehr ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang des § 25 Abs. 5 AufenthG, dass die Erteilung des entsprechenden Aufenthaltstitels stets auch an die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG gebunden ist (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192 = juris Rn. 22). Nach § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist.
a) Der Kläger ist, wie von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorausgesetzt, aufgrund der unanfechtbaren Ablehnung seines Asylantrags durch Bescheid vom 23. Oktober 1992 vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Seine Abschiebung ist seit mehr als 18 Monaten ausgesetzt, der Beklagte erteilt ihm seit September 2004 Duldungen.
b) Es kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, seiner Ausreise - worunter sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006, a.a.O., Rn. 15) - stehe der tatsächliche Umstand entgegen, dass er derzeit nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses, Passersatzpapiers oder Heimreisedokuments ist.
c) Der Kläger ist als libanesischer Staatsangehöriger imstande, das tatsächliche Ausreisehindernis der Passlosigkeit zu beseitigen und sich ein Personaldokument zu beschaffen.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 14. Juni 2007 (OVG 3 B 34.07, juris, Rn. 48 ff.) festgestellt hat, ist es einem ausreisepflichtigen libanesischen Staatsangehörigen grundsätzlich zumutbar, sich bei der libanesischen Botschaft ernsthaft und nachdrücklich um die Ausstellung eines Heimreisedokuments zu bemühen; derartige Bemühungen sind nicht von vornherein aussichtslos. Der Verwaltungsmitarbeiter S…, bei der Berliner Ausländerbehörde für die Passbeschaffung zuständig, hat bei seiner Anhörung im Berufungsverfahren OVG 3 B 34.05 angegeben, ein ausreisepflichtiger libanesischer Staatsangehöriger müsse einen vollständig ausgefüllten Passantrag sowie Identitätsnachweise einreichen, um das für die Heimreise erforderliche Laissez-Passer zu erhalten, ferner ein Flugticket. Entscheidend für die Möglichkeit, ein Heimreisedokument zu erhalten, sei die gegenüber den Botschaftsmitarbeitern zum Ausdruck gebrachte Ausreisebereitschaft. Herrn S… waren Fälle erinnerlich, in denen er im Rahmen der von ihm betriebenen Passbeschaffungsbemühungen keinerlei Unterlagen hatte vorlegen können, der Betreffende aber unbedingt wieder in den Libanon zurückkehren wollte und ein Heimreisedokument erhalten habe. Bei seiner Anhörung im Berufungsverfahren OVG 3 B 2.08 hat Herr S… im Mai 2010angegeben, libanesische Staatsangehörige erhielten für die Reise in den Libanon ein drei Monate gültiges Laissez-Passer. Voraussetzung hierfür sei die Vorlage eines Identitätsnachweises, während ein deutscher Aufenthaltstitel nicht vonnöten sei. Die Verwaltungsmitarbeiterin B… aus der Rückkehr- und Weiterwanderungsstelle des Landesamtes für Gesundheit und Soziales hat im Berufungsverfahren OVG 3 B 34.05 bekundet, die libanesische Botschaft stelle in der Regel nach etwa drei bis vier Monaten das erforderliche Laissez-Passer insbesondere dann aus, wenn der Betreffende beteuere, freiwillig ausreisen zu wollen, und ausreichende Identitätspapiere vorliegen. In dem Berufungsverfahren OVG 3 B 2.08 hat Frau B… angefügt, das Laissez-Passer werde deutlich schneller ausgestellt, wenn die Antragsteller sich zur libanesischen Botschaft begäben und dort auf die Ausstellung hinwirkten. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales beschaffe das erforderliche Flugticket und bezahle auch die Gebühren für die Ausstellung des Laissez-Passer. Der Senat folgt den in das hiesige Verfahren eingeführten Angaben der beiden genannten Verwaltungsmitarbeiter. Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Änderung der Handhabung der libanesischen Behörden sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Den hiernach erforderlichen Identitätsnachweis vermag der Kläger zu erbringen. Dafür spricht, dass er in der Vergangenheit mehrere libanesische Nationalpässe besessen hat. Eigene Bemühungen zur Beschaffung eines Laissez-Passer hat er bislang nicht entfaltet. Dabei hatte ihm der Beklagte im Rahmen der Bescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis mitgeteilt, er habe sich zur Beseitigung des Ausreisehindernisses in der libanesischen Botschaft um ein Heimreisedokument zu bemühen (vgl. zu etwa bestehenden Mitwirkungspflichten der Ausländerbehörde VGH Mannheim, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 13 S 2483.07 -, InfAuslR 2009, 109 = juris Rn. 32). Zu dessen Erhalt müsse er einen deutschen Aufenthaltstitel nicht vorlegen. Dem Kläger wiederum ist, wie die seine Passlosigkeit thematisierenden Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten an die Berliner Ausländerbehörde vom 2. März 2006 und 30. Juli 2010 zeigen, seit Jahren bewusst gewesen, dass es sich bei dem Nichtbesitz eines Personaldokuments um ein Abschiebungshindernis handelt.
d) Es liegt indes ein rechtliches Abschiebungshindernis vor. Die Ausreise ist dem Kläger im Lichte der Art. 8 EMRK, Art. 6 GG unzumutbar.
(1) Allerdings ist der 1963 geborene Kläger, für sich betrachtet, in höchstens geringem Maße im Bundesgebiet verwurzelt. Er reiste 1979 als Minderjähriger in das Bundesgebiet ein, verließ es aber nach eigener Bekundung 1983 wieder und kehrte erst 1990 zurück. Damit hat er seine prägende erste Lebensphase ganz überwiegend außerhalb des Bundesgebiets verbracht. Seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland sicherte er anfänglich durch mehrere Asylanträge, deren letzter als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Zu dem Zeitpunkt, als das hiergegen gerichtete Klageverfahren 1996 endete und die Berliner Polizei nach ihm suchte, um seinen Aufenthalt zu beenden, entzog er sich dem Zugriff und tauchte unter. Seine Spur verlor sich bis 2004, als er anlässlich der behördlichen Kontrolle einer Berliner Gaststätte aufgegriffen wurde. Erst seit September 2004 wird er ausländerrechtlich geduldet. Eine Verwurzelung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt indes grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines Vertrauens auf dessen Fortbestand in Betracht (vgl. EGMR, Urteil vom 8. April 2008 - 21878/06 [Nnyanzi] -, Rn. 76; BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 3.08 -, NVwZ 2009, 1239 = juris Rn. 20; VGH München, Beschluss vom 11. August 2011 - 19 CE 11.1347 -, juris Rn. 4; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2008, § 25 AufenthG Rn. 130 f.; vgl. zum Streitstand im Übrigen VGH Mannheim, Urteil vom 13. Dezember 2010 - 11 S 2359.10 -, InfAuslR 2011, 250 = juris Rn. 32; Burr, in: GK-AufenthG, Stand Juni 2007, § 25 Rn. 150). Selbst wenn die mehr als siebenjährige Duldung des Klägers in gewissem Umfang zu seinen Gunsten berücksichtigt wird, ergibt sich hieraus noch keine schutzwürdige Verwurzelung im Bundesgebiet. Es bleibt vielmehr dabei, dass er den ganz überwiegenden Teil seines Lebens im Libanon oder zwar im Bundesgebiet, jedoch ohne Duldung und auf der Flucht vor den deutschen Behörden verbracht hat.
Der Kläger vermag auch seinen Lebensunterhalt nicht zu sichern. Dass der Beklagte ihm keine Beschäftigungserlaubnis erteilt, ändert hieran nichts, da unerheblich ist, ob der Ausländer seine mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu verschulden hat oder aus rechtlichen Gründen den Lebensunterhalt nicht selbst verdienen kann (vgl. Burr, a.a.O., § 25 Rn. 157). Der Kläger verfügt ferner nicht über Deutschkenntnisse.
Dass er außerstande wäre, sein Leben im Libanon fortzusetzen, nimmt der Senat nicht an. Im Libanon hat er nach eigener Bekundung Verwandte, zu denen er Kontakt aufnehmen kann.
(2) Indes erfordert der Schutz des Familienlebens des Klägers die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gewähren weder der Schutz der Familie nach Art. 6 GG noch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK einen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Behörden, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren familiäre Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen; der Grundrechtsträger hat einen Anspruch auf eine solche angemessene Berücksichtigung seiner familiären Bindungen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1 = juris Rn. 104). Hierzu bedarf es grundsätzlich einer einzelfallbezogenen Abwägung der betroffenen familiären Belange mit gegenläufigen öffentlichen Interessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots. Auch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK verpflichtet im Ergebnis zu einer solchen Abwägung nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen. Dabei sind die besonderen Umstände der Beteiligten zu berücksichtigen.
Der Senat geht davon aus, dass der Kläger mit Frau T… verheiratet ist. Er hat eine vom libanesischen Innenministerium ausgestellte Heiratsurkunde vorgelegt. Die vom Beklagten geäußerten Zweifel am Bestehen der Ehe sind nicht weiter substanziiert worden. Dass Frau T…, als der Kläger untergetaucht war, angegeben hat, er sei nicht (mehr) ihr Ehemann, führt der Senat darauf zurück, dass sie ihn schützen wollte.
Der Kläger bildet mit seiner Ehefrau und den fünf Kindern eine familiäre Lebensgemeinschaft. Alle Familienmitglieder wohnen, wie sich aus der Befragung des Klägers, seiner Ehefrau und des Sohnes K… in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, in einer gemeinsamen Wohnung in B….
Die Ehefrau des Klägers ist in schutzwürdiger Weise im Bundesgebiet verwurzelt. Sie ist zwar erst im Alter von etwa 27 Jahren eingereist und hat ihre prägende erste Lebensphase im Libanon verbracht. Seit 2004 ist sie jedoch im Besitz eines Aufenthaltstitels. Mit bemerkenswertem Erfolg hat sie von Anfang an die Integration ihrer Kinder in die hiesigen Lebensverhältnisse betrieben. Sie haben sämtlich eine achtbare Schulausbildung erhalten. F… wird im Sommer 2012 sogar das Abitur ablegen, Z… ist in der 9. Klasse des Gymnasiums ebenfalls auf dem Weg zum Erwerb der Hochschulreife. K… und M… haben die Schule bereits abgeschlossen und werden zur Hauswirtschaftshilfe ausgebildet. A… hat immerhin den Hauptschulabschluss erworben, seine Bildungsmöglichkeiten sind durch eine Lernbehinderung eingeschränkt. In der Familie sprechen die Kinder untereinander deutsch. Diese ungewöhnlichen Bildungserfolge sind zur Überzeugung des Senats den Anstrengungen der Ehefrau des Klägers zu verdanken. Während sich der Kläger selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - wie offenbar auch im Familienleben - eher passiv verhalten hat, ist seine Ehefrau aus sich herausgegangen und hat anschaulich den Werdegang der Familienmitglieder geschildert. Sie nimmt die führende Position im Haushalt und im Familiengeschehen ein. Durch die über viele Jahre zielstrebig und erfolgreich betriebene Integration ihrer Kinder in die deutschen Lebensverhältnisse hat sie sich ihrerseits außerordentlich integriert. Zu erwähnen ist auch, dass für keines der Kinder eine Straftat aktenkundig ist. Während des Aufwachsens der Kinder beschäftigte die Ehefrau des Klägers sich mit deren Pflege, wobei K… und A… als Epileptiker besonderer Aufmerksamkeit bedurften und M… fünf Mal an den Ohren zu operieren war. Seit 2008 ist die Ehefrau in der Lage, zwei Stunden täglich als Reinigungskraft zu arbeiten und dadurch der Familie ein wenn auch bescheidenes und den Lebensunterhalt nicht sicherndes, so doch eigenes Einkommen zu verschaffen. Seit Januar 2010 besucht sie - was ihre Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft unterstreicht - zusätzlich montags bis freitags von 9 bis 13 Uhr einen Integrationskurs, den sie, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat überzeugend bekundet hat, als gewinnbringend erachtet. Ihre dort erworbenen Deutschkenntnisse hat sie zum Gespräch mit dem Senat nutzen können. Auch dies belegt ihre eigene, vertiefte Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse.
Was die Integration der Kinder des Klägers betrifft, ist - abgesehen von ihrer bereits erwähnten erfolgreichen Schullaufbahn - darauf hinzuweisen, dass K… und M… bereits in geringem Alter mit dem Kläger und seiner Ehefrau ins Bundesgebiet eingereist sind, die weiteren drei Kinder sind im Bundesgebiet geboren und hier aufgewachsen. Bis auf das jüngste Kind Z…, das eine Aufenthaltserlaubnis bis 2013 besitzt, verfügen sie seit 2007 bzw. 2010 über eine Niederlassungserlaubnis, was ihre Einfügung in die hiesigen Lebensverhältnisse unterstreicht. M… hat darüber hinaus einen Einbürgerungsantrag gestellt, K… wird dies alsbald tun. Zwar sind die Kinder bis auf Z… volljährig und daher grundsätzlich in der Lage, ein eigenständiges Leben zu führen (vgl. Burr, a.a.O., Stand Juni 2007, § 25 Rn. 147 m.w.N.). Die Bindungen zwischen ihnen und dem Kläger sind nichtsdestoweniger in abgeschwächter Form im Rahmen des Schutzes des Privatlebens zu würdigen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die familiäre Lebensgemeinschaft, wie K… in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anschaulich berichtet hat, weiterhin lebendig gepflegt wird. So diskutieren die Familienmitglieder regelmäßig miteinander, die Kinder besprechen ihre Angelegenheiten und auftretende Probleme weiterhin mit ihren Eltern. Der Kläger und seine Ehefrau unterstützen K… und A… auch bei der Behandlung ihrer Epilepsie. Der Familienverbund zwischen dem Kläger und seiner noch minderjährigen Tochter Z… wiederum ist von vornherein in hohem Maße schutzwürdig. Der persönliche Kontakt zwischen dem Elternteil und einem minderjährigen Kind ist Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung. Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft wird getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes (BVerfG, Beschlüsse vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122 = juris Rn. 28 m.w.N. und vom 9. Januar 2009 - 2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387 = juris Rn. 16 m.w.N). Z… wohnt zeit ihres Lebens im Bundesgebiet. Auch wenn ihre Eltern untereinander arabisch sprechen und Z… daher in der Lage sein wird, sich in dieser Sprache zu verständigen, wäre ihr ein Leben im Libanon überaus fremd. Ihre Entwicklung stützt sich seit jeher auf die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet und insbesondere auf die Gegenwart der Ehefrau des Klägers sowie der in der Familie lebenden vier älteren Geschwister. Sie befindet sich in der 9. Klasse des Gymnasiums und hat damit den überwiegenden Teil der Schullaufbahn bis zur Ablegung des Abiturs bereits zurückgelegt. In welchem Umfang minderjährige Kinder nichtsdestoweniger das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern zu teilen hat, bedarf keiner grundsätzlichen Klärung, da sich, wie ausgeführt, die Ehefrau des Klägers ihrerseits in schutzwürdiger Weise in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert hat und die eigene gelungene Integration der minderjährigen Tochter Z… jedenfalls in gemindertem Maß in die Gesamtschau der inländischen Bindungen des Klägers mit einzubeziehen ist.
Die umfangreichen, schutzwürdigen Bindungen der mit dem Kläger in familiärer Gemeinschaft lebenden Ehefrau sowie der gemeinsamen Kinder an das Bundesgebiet führen dazu, dass die Ausreise des Klägers im Sinne von § 25 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.
3. Ein Grund für die ausnahmsweise Abweichung von der Regel des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll - also im Regelfall zu erteilen ist -, liegt nicht vor.
IV. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger die Passpflicht nicht erfüllt (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Es hat den Beklagten mit Rücksicht darauf - folgerichtig - verpflichtet, das Absehensermessen in § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu betätigen. Dies ist nicht geschehen. Insbesondere hat der Beklagte die bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingetretene weitere Entwicklung des Familienlebens nicht gewürdigt. Ob der Schutz des Familienlebens darüber hinausgehend dazu veranlasst, von einem atypischen Fall im Sinne von § 5 Abs. 1 AufenthG auszugehen, ist im Rahmen der Berufung des Beklagten nicht zu prüfen. Mangels Ergebnisrelevanz kann offen bleiben, ob der Kläger auch einen Ausweisungsgrund (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) erfüllt, wie das Verwaltungsgericht für möglich gehalten hat. Denn auch insoweit müsste der Beklagte jedenfalls sein Absehensermessen betätigen. In Bezug auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass (bereits) ein atypischer Fall vorliegt, da der Beklagte dem Kläger keine Beschäftigungserlaubnis erteilt. Dieser hat den Wunsch zu arbeiten und verfügt gemäß seiner Angabe in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat über eine Arbeitsplatzzusage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.