Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 23.10.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 B 13.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 28 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG, § 28 Abs 1 S 5 AufenthG, § 30 Abs 1 S 1 Nr 2 AufenthG, § 30 Abs 1 S 3 Nr 2 AufenthG, § 13 Abs 1 S 3 Nr 3 IntV |
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. November 2008 geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Paris vom 10. Dezember 2007 verpflichtet, dem Kläger ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzuges zu erteilen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger, Staatsangehöriger Sri Lankas, begehrt die Erteilung eines Visums zum Nachzug zu seiner Ehegattin, der Beigeladenen zu 2.
Der Kläger reiste im September 1996 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte unter der Aliasidentität J... A..., geb. am 5. Mai 1968, einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 10. Oktober 1996 abgelehnt wurde. Die auf Anerkennung als Asylberechtigter gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 18. Oktober 2000 abgewiesen. Ein unter dem 25. September 2001 gestellter Asylfolgeantrag und die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben ebenfalls erfolglos. In der Folgezeit erhielt der Kläger in Frankreich eine Anerkennung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Er lebt in der Nähe von Paris und ist im Besitz einer durch Frankreich ausgestellten Aufenthaltserlaubnis, die bis zum 17. Mai 2015 gültig ist.
Der Kläger heiratete am 16. Februar 2007 in Stuttgart die Beigeladene zu 2. Diese stammt ebenfalls aus Sri Lanka und wurde im Jahr 1999 in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt. Sie hat am 17. Oktober 2012 durch Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Ihre srilankische Staatsangehörigkeit ist dadurch erloschen.
Der Kläger beantragte unter dem 18. Mai 2007 bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Paris ein Visum zum Nachzug zu seiner Ehegattin. Mit Schreiben vom 27. November 2007 wies der Kläger gegenüber der Botschaft darauf hin, dass er in Sri Lanka nur die Grundschule besucht und keine Fremdsprache, auch kein Englisch, erlernt habe. Er sei nicht in der Lage, im englischen Alphabet einen Satz zu schreiben. Er könne zwar Deutsch reden und verstehen, aber es sei für ihn sehr schwierig, eine schriftliche Prüfung in Deutsch zu bestehen. Als Anlage zu seinem Schreiben legte der Kläger ein Gutachten des Goethe-Instituts Paris vom 23. November 2007 vor, in dem bescheinigt wird, dass der Kläger vom 12. bis 23. November 2007 an einem Intensiv-Sprachkurs des Sprachniveaus A 1 teilgenommen hat. Im Laufe des Kurses habe sich herausgestellt, dass der Kläger Analphabet sei und ihm der Zugang zur deutschen Sprache über das geschriebene Wort nicht möglich sei. Auch durch weitere Sprachkurse am Goethe-Institut lasse sich diese Schwäche nicht kompensieren, weil die Sprachkurse in Paris nicht auf Analphabetismus eingehen könnten. Es werde dem Kläger nicht möglich sein, den schriftlichen Teil der Prüfung abzulegen. Eine gezielte Alphabetisierungsmaßnahme in Deutschland wäre sinnvoll und würde vom Kläger gerne angenommen.
Nachdem die Beigeladene zu 1. mit Schreiben vom 3. Dezember 2007 der Erteilung des Visums nicht zugestimmt hatte, lehnte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Paris mit Bescheid vom 10. Dezember 2007 die Erteilung des Visums ab mit der Begründung, die Identität des Klägers sei nicht geklärt.
Seit dem 19. Dezember 2007 ist der Kläger in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis bei einer Reinigungsfirma in Asnière-sur-Seine beschäftigt.
Im Dezember 2007 hat der Kläger Klage auf Erteilung des begehrten Visums erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. November 2008 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Nachzugsvoraussetzungen seien nicht erfüllt, weil es dem Kläger an der Sicherung des Lebensunterhalts mangele und er durch Falschangaben im Visumverfahren einen Ausweisungsgrund gesetzt habe.
Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 25. Juni 2010 zugelassen. Im Jahr 2012 hat die deutsche Botschaft in Colombo ein Verfahren zur Überprüfung der vom Kläger vorgelegten Personenstandsurkunden durchgeführt. Dabei ist die Botschaft zu dem Ergebnis gelangt, dass die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegte Geburtsurkunde Nr. 8134 vom 23. Dezember 2011 echt und der Name A... richtig ist.
Der Kläger hat im Berufungsverfahren eine weitere Bescheinigung des Goethe-Instituts Paris vom 17. September 2012 eingereicht, aus der sich ergibt, dass er am 3. November 2011 und am 26. Juni 2012 jeweils an der Prüfung Goethe-Zertifikat A 1 teilgenommen, diese jedoch nicht bestanden hat. In der Stellungnahme des Instituts heißt es, dass nicht absehbar sei, dass der Kläger die Prüfung bestehen könne, was darauf zurückzuführen sei, dass er zwar ganz geringe Lesekenntnisse habe, aber nicht auf Deutsch schreiben könne. Alphabetisierungskurse in deutscher Sprache würden nach Wissen des Goethe-Instituts in Frankreich von keiner Institution angeboten.
Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung zuletzt vor: Die Nachzugsvoraussetzungen seien erfüllt. Es sei ihm aufgrund seiner fehlenden Schulbildung und wegen psychischer Probleme (Traumatisierung wegen erlittener Folterungen in Sri Lanka) nicht möglich, mit Aussicht auf Erfolg eine Deutschprüfung auf dem Niveau A 1 abzulegen. Das Schreiben der deutschen Sprache sei ihm aufgrund seines Analphabetismus nicht möglich. Alphabetisierungskurse in Deutsch würden weder am Goethe-Institut noch von anderen Institutionen in Frankreich angeboten. Ihm sei auch nicht bekannt, dass in Frankreich gezielt Alphabetisierungskurse (auf Französisch) für Migranten angeboten würden. Auch dem Goethe-Institut seien keine Organisationen bekannt, die Alphabetisierungskurse für Migranten durchführen. Außerdem erscheine es als praktisch ausgeschlossen, dass er neben seiner Erwerbstätigkeit in der Lage gewesen wäre, innerhalb eines Jahres sowohl einen Alphabetisierungskurs auf Französisch als auch im Anschluss daran einen Kurs beim Goethe-Institut mit der Abschlussprüfung A 1 GER erfolgreich abzuschließen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. November 2008 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Paris vom 10. Dezember 2007 zu verpflichten, ihm ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzuges zu erteilen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Es erscheine als verfahrensangepasste Behauptung, wenn jetzt als Lernhindernis eine Traumatisierung des Klägers geltend gemacht werden. Der Kläger habe nicht belegt, dass zumutbare Bemühungen zum Erwerb einfacher Deutschkenntnisse ein Jahr lang erfolglos geblieben seien. Bislang habe er lediglich den Besuch eines Sprachkurses im Zeitraum vom 12. bis 23. November 2007 nachgewiesen. Weitere nennenswerte Bemühungen habe er nicht belegt. Die Vorlage von Zeugnissen über nicht bestandene Sprachprüfungen genüge nicht. Die vom Kläger nachgewiesenen Arbeitszeiten seien kein Beleg dafür, dass es ihm unzumutbar gewesen wäre, in der verbleibenden Zeit an Alphabetisierungs- und Spracherwerbsmaßnahmen teilzunehmen. Der französische Staat biete für anerkannte Flüchtlinge kostenlose Kurse an, die eine eintägige gesellschaftspolitische Einführung sowie im Anschluss daran bis zu 500 Stunden französischen Sprachunterricht umfassten. Der Kläger hätte daher die objektive Möglichkeit gehabt, sich in einem dieser Kurse alphabetisieren zu lassen und anschließend am Goethe-Institut Deutsch zu lernen. Dabei komme es nicht darauf an, wie viele Unterrichtseinheiten der Kläger voraussichtlich benötigt hätte, um auf das Niveau A 1 zu kommen, und ob dies länger als ein Jahr in Anspruch genommen hätte. Vielmehr stelle sich allein die Frage, ob es ihm zumutbar gewesen wäre, den Versuch zu unternehmen, sich die deutsche Sprache in Grundzügen anzueignen.
Die Beigeladene zu 1. tritt der Berufung entgegen, ohne einen Antrag zu stellen. Sie ist der Auffassung, der Kläger hätte die erforderlichen Sprachkenntnisse zumutbar erwerben können. Er hätte in Frankreich an einem Alphabetisierungskurs für lateinische Schrift in französischer Sprache teilnehmen können. Außerdem wäre es für ihn zumutbar gewesen, in Deutschland einen Alphabetisierungskurs zu besuchen. Dies wäre ihm auch ohne Erteilung eines Visums möglich gewesen, da er sich auf der Grundlage von Art. 21 SDÜ bis zu drei Monate innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten in Deutschland frei bewegen könne.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und der Gerichtsakten verwiesen.
Die Entscheidung konnte durch die Berichterstatterin anstelle des Senats ergehen, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO). Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 1. in der mündlichen Verhandlung über die Berufung entscheiden, weil die Beigeladene zu 1. in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zu seiner deutschen Ehegattin. Der Ablehnungsbescheid der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Paris vom 10. Dezember 2007 ist daher rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für das vom Kläger erstrebte Visum zum Nachzug zu seiner Ehegattin, die seit ihrer Einbürgerung am 17. Oktober 2012 deutsche Staatsangehörige ist, sind §§ 6 Abs. 3, 27, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG.
Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen liegen vor.
1. Die Regelerteilungsvoraussetzungen sind erfüllt. Nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG soll die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt werden. Entsprechendes gilt für die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug. Ein atypischer Fall, in dem ausnahmsweise eine Lebensunterhaltssicherung gefordert werden kann, liegt nicht vor. Die Identität des Klägers (§ 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG) ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aufgrund des durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Colombo durchführten Überprüfungsverfahrens geklärt. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht auch kein Ausweisungsgrund (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) der Erteilung des Visums entgegen.
2. Auch die Voraussetzung, dass sich der nachzugswillige Ehegatte zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG) ist bei der im Falle des Nachzugs zu einem deutschen Staatsangehörigen gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift erfüllt.
Zwar hat der Kläger nicht bereits im Ausland einfache deutsche Sprachkenntnisse erworben. Nach § 2 Abs. 8 AufenthG entsprechen einfache deutsche Sprachkenntnisse dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER). Dieses beinhaltet als unterstes Sprachniveau folgende sprachliche Fähigkeiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 – 1 C 8.09 -, BVerwGE 136, 231 <234>): „Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen - z.B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben - und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen." Dabei sind auch Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2010, a.a.O.). Der Nachweis, dass einfache deutsche Sprachkenntnisse vorliegen, kann durch das Bestehen einer Sprachprüfung auf dem Niveau A 1 GER erbracht werden. Der Kläger erfüllt die genannten Voraussetzungen nicht. Er hat die Prüfungen auf dem Niveau A 1 des Goethe-Instituts Paris nicht bestanden und ist nicht in der Lage, auf Deutsch zu schreiben.
Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen, unter denen § 30 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG von dem Spracherfordernis ausnahmsweise abgesehen wird. Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG ist die Voraussetzung, dass der nachziehende Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann, unbeachtlich, wenn dieser wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, entsprechende Sprachkenntnisse nachzuweisen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen einer Krankheit daran gehindert ist, die deutsche Sprache zu erlernen. Seine Behauptung, er sei infolge einer Traumatisierung nicht in der Lage, Deutsch zu lernen, ist nicht belegt worden. Die vorgelegte Stellungnahme der Psychologin Ida Cohen vom 13. November 2012 trifft keine Aussage dazu, dass eine seelische Erkrankung ursächlich dafür ist, dass der Kläger Schwierigkeiten hat, die deutsche Sprache zu erlernen. Vielmehr werden darin die Probleme des Klägers beim Erlernen der deutschen Sprache als eines von mehreren traumatischen Ereignissen bezeichnet, die zu Depressionen und Angstzuständen beim Kläger geführt haben. Der Umstand, dass der Kläger in der lateinischen Schriftsprache nicht alphabetisiert worden ist und es für ihn mit erheblichen Mühen verbunden sein dürfte, einfache Kenntnisse insbesondere der deutschen Schriftsprache nachzuweisen, genügt nicht für die Annahme eines Ausnahmefalls nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG (vgl. zur Erstalphabetisierung im Erwachsenenalter: BVerwG, Urteil vom 30. März 2010, a.a.O., S. 236).
Im vorliegenden Einzelfall überschreitet aber das Spracherfordernis als Nachzugsvoraussetzung im Visumverfahren das zumutbare Ausmaß der Beeinträchtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange des Klägers und der Beigeladenen zu 2. Es ist deshalb im Rahmen der nach § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG bei einem Nachzug zu einem deutschen Ehegatten nur angeordneten entsprechenden Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG von dem Erfordernis des Spracherwerbs vor der Einreise des Klägers abzusehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 4. September 2012 – 10 C 12.12 -, juris Rn. 19 f.) ist das Erfordernis einfacher Sprachkenntnisse beim Ehegattennachzug zu Deutschen verfassungsgemäß und steht auch mit Art. 8 EMRK im Einklang, wenn sichergestellt wird, dass es zu keiner Nachzugsverzögerung kommt, die ein Jahr überschreitet. Wie beim Ehegattennachzug zu Ausländern stellt es auch beim Ehegattennachzug zu Deutschen ein legitimes gesetzgeberisches Ziel dar, durch frühzeitigen Nachweis von Sprachkenntnissen die Integration des nachziehenden Ausländers in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern und der Gefahr von Zwangsverheiratungen entgegenzuwirken. Weil ein Deutscher jedoch - anders als ein im Bundesgebiet lebender Ausländer - wegen Art. 11 GG grundsätzlich nicht darauf verwiesen werden darf, seine Ehe im Ausland zu führen oder auf ein eheliches Zusammenleben zu verzichten, gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Einschränkungen, denen durch eine verfassungskonforme Auslegung von § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG Rechnung zu tragen ist, der § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG lediglich für „entsprechend“ anwendbar erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht führt zur Verhältnismäßigkeit des Spracherwerbs im Einzelnen aus:
„Überschreitet … das Spracherfordernis als Nachzugsvoraussetzung im Visumverfahren im Einzelfall das zumutbare Ausmaß der Beeinträchtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG qualifiziert geschützten Belange des ausländischen und deutschen Ehegatten, ist es geboten, gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG von der Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vor der Einreise des ausländischen Ehegatten abzusehen. Die Unzumutbarkeit kann sich u.a. daraus ergeben, dass es dem ausländischen Ehegatten aus besonderen persönlichen Gründen oder wegen der besonderen Umstände in seinem Heimatland nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die deutsche Sprache innerhalb angemessener Zeit zu erlernen. In einem solchen Fall schlägt die grundsätzlich verhältnismäßige Nachzugsvoraussetzung in ein unverhältnismäßiges dauerhaftes Nachzugshindernis um. Die Grenze zwischen Regel- und Ausnahmefall ist nach der Überzeugung des Senats bei einer Nachzugsverzögerung von einem Jahr zu ziehen. Sind zumutbare Bemühungen zum Erwerb der Sprachkenntnisse ein Jahr lang erfolglos geblieben, darf dem Visumbegehren des Ehegatten eines Deutschen das Spracherfordernis nicht mehr entgegengehalten werden. Entsprechendes gilt, wenn dem ausländischen Ehepartner Bemühungen zum Spracherwerb von vornherein nicht zumutbar sind, etwa weil Sprachkurse in dem betreffenden Land nicht angeboten werden oder deren Besuch mit einem hohen Sicherheitsrisiko verbunden ist und auch sonstige erfolgversprechende Alternativen zum Spracherwerb nicht bestehen; in diesem Fall braucht die Jahresfrist nicht abgewartet zu werden. Bei der Zumutbarkeitsprüfung sind insbesondere die Verfügbarkeit von Lernangeboten, deren Kosten, ihre Erreichbarkeit sowie persönliche Umstände zu berücksichtigen, die der Wahrnehmung von Lernangeboten entgegenstehen können, etwa Krankheit oder Unabkömmlichkeit. Das erforderliche Bemühen zum Spracherwerb kann auch darin zum Ausdruck kommen, dass der Ausländer zwar die schriftlichen Anforderungen nicht erfüllt, wohl aber die mündlichen.“
Bei Berücksichtigung der individuellen Lernvoraussetzungen und der Lebensumstände des Klägers gab es für ihn weder in Frankreich noch in Deutschland Lernangebote, mit welchen er sich einfache Kenntnisse der deutschen Sprache einschließlich der deutschen Schriftsprache in angemessener Zeit hätte aneignen können. Aufgrund des Gutachtens des Goethe-Instituts vom 23. November 2007 und den eigenen – glaubhaften – Bekundungen des Klägers in seinem Schreiben gegenüber der Botschaft vom 27. November 2007 steht fest, dass der Kläger in seiner Muttersprache nur geringe Lese- und Schreibkenntnisse und im lateinischen Alphabet geringe Lese- und keinerlei Schreibkenntnisse hat. Grund hierfür ist, dass er lediglich die Grundschule in Sri Lanka besucht und dort keine Fremdsprache erlernt hat, die das lateinische Alphabet verwendet. Seine fehlenden Schreibkenntnisse im lateinischen Alphabet werden auch durch die von ihm vorgelegten Prüfungsergebnisse belegt. Er hat in den am 3. November 2011 und am 26. Juni 2012 abgelegten Prüfungen für das Goethe-Zertifikat A 1 im Bereich „Schreiben“ jeweils 0 Punkte erzielt. Ausgehend von der Einteilung, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinen Studien betreffend Alphabetisierungskurse vornimmt, gehört er damit zu der Personengruppe der „funktionalen Analphabeten nicht-lateinischer Schrift“ (vgl. Working Paper 42, Das Integrationspanel, Entwicklung der Deutschkenntnisse und Fortschritte der Integration bei Teilnehmenden an Alphabetisierungskursen, Erscheinungsjahr: 2012, S. 7).
Aufgrund dieser Form des Analphabetismus kann der Kläger einfache Deutschkenntnisse, die wie dargelegt auch Grundkenntnisse der Schriftsprache beinhalten, nur erwerben, wenn er das Lesen und Schreiben des lateinischen Alphabets erlernt. Dies ist in einem Deutsch-Sprachkurs möglich, der zugleich das Erlernen des lateinischen Alphabets beinhaltet. Derartige Sprachkurse werden in Deutschland auf Grundlage der Integrationskursverordnung als Integrationskurse für Personen, die nicht oder nicht ausreichend lesen oder schreiben können, unter der Bezeichnung „Alphabetisierungskurs“ durchgeführt (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 IntV). Dem Kläger war es allerdings nicht möglich, an einem Alphabetisierungskurs in Deutschland teilzunehmen. Er hätte wenigstens an dem Basis-Alpha-Kurs, der 300 Unterrichtseinheiten umfasst, teilnehmen müssen, um eine „Grundalphabetisierung“ zu erlangen (vgl. Hrsg.: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs, Stand: Oktober 2009, S. 48), die ihn dazu befähigt hätte, an einem „normalen“ Sprachkurs für Deutsch in Frankreich mit Aussicht auf Erfolg teilzunehmen. Da für Alphabetisierungskurse eine Wochenstundenzahl von 12 bis 16 Unterrichtseinheiten pro Woche vorgesehen ist (vgl. Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs, a.a.O., S. 140), hätte der Kläger wenigstens 18 Wochen benötigt, um einen Basis-Alpha-Kurs in Deutschland zu besuchen. Nach den Rechten, die dem Kläger nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ zustehen, darf er sich allerdings nur bis zu drei Monate innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Im Übrigen wäre dem Kläger die Teilnahme an einem Basis-Alpha-Kurs nur unter Aufgabe seiner Berufstätigkeit möglich gewesen. Dies war ihm nicht zumutbar.
Der Kläger hatte auch keine Möglichkeit, in Frankreich an einem Sprachkurs für Deutsch, der zugleich eine Alphabetisierung vermittelt, teilzunehmen. In Frankreich werden weder vom Goethe-Institut noch von anderen Institutionen derartige Kurse angeboten. Für den Kläger hätte nach der erfolglosen Teilnahme an einem Intensivkurs und der Sprachprüfung „Start Deutsch 1“ beim Goethe-Institut eine Möglichkeit des Spracherwerbs auch nicht darin gelegen, über einen längeren Zeitraum an einer Sprachschule in Frankreich Deutsch zu lernen. Dies wäre – ohne eine zuvor oder jedenfalls gleichzeitig durchgeführte Alphabetisierung – nicht zielführend gewesen. Nach den Erkenntnissen, die auf der Grundlage von in Deutschland speziell für Migranten durchgeführten Sprachkursen gewonnen worden sind, ist bei „lernungewohnten“ funktionalen Analphabeten wie dem Kläger auch bei einer längeren Teilnahme an einem Deutschkurs nicht davon auszugehen, dass sie den wachsenden sprachlichen und schriftlichen Anforderungen eines solchen Kurses gerecht werden, weil sie mit den schriftsprachlichen Anforderungen des Deutschunterrichts und den verschiedenen Arbeitsweisen des heutigen Zweitsprachenunterrichts nicht zurechtkommen (vgl. Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs, a.a.O., S. 39).
Es ist ferner nicht anzunehmen, dass der Kläger ohne einen entsprechenden speziell auf die Alphabetisierung von Migranten zugeschnittenen Kurs die notwendigen Schreib- und Lesekenntnisse im lateinischen Alphabet hätte erwerben können. Ein Alphabetisierungskurs für Franzosen wäre für den Kläger nicht zielführend gewesen, weil er auch die französische Sprache nicht beherrscht. Eine Alphabetisierung im Selbststudium kommt für ihn ebenfalls nicht in Betracht, weil er die hierfür erforderlichen besonderen Lernfähigkeiten in Schule und Ausbildung nicht erworben hat.
Die Teilnahme an einem in Frankreich für Migranten angebotenen Alphabetisierungskurs in französischer Sprache war dem Kläger ebenfalls nicht möglich. Er hatte keine Kenntnis davon, dass es derartige Alphabetisierungskurse in Frankreich gibt. Das in Fragen des Erwerbs deutscher Sprachkenntnisse kompetente Goethe-Institut hatte ihm im Gutachten vom 23. November 2007 vielmehr geraten, in Deutschland an einer Alphabetisierungsmaßnahme teilzunehmen. Auch wenn in Frankreich von Seiten des Staates kostenlose Alphabetisierungskurse für anerkannte Flüchtlinge objektiv angeboten werden – wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 vorträgt -, so sind jedenfalls konkrete Informationen über diese Kurse nur schwer zugänglich. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ist es weder durch eine Internet-Recherche noch aufgrund einer Anfrage beim Goethe-Institut Paris gelungen, Informationen darüber zu erhalten, welche Institutionen in Frankreich Alphabetisierungskurse für Migranten anbieten. Der Leiter der Sprachabteilung des Goethe-Instituts Paris teilte in seiner Email vom 10. November 2012 mit, dass nach seinen Recherchen keine der von ihm in Betracht gezogenen Institutionen, die Sprachkurse in Französisch anbieten, Alphabetisierungskurse durchführten. Auch die Beklagte war in ihrem Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 nach einer Anfrage bei der Botschaft und den von dort veranlassten Befragungen französischer Behörden lediglich zu dem allgemeinen Vortrag in der Lage, dass es Bestimmungen zur Sprachförderung für anerkannte Flüchtlinge gebe, wonach die Departements ein Sprachkursangebot bereitzustellen hätten, welches eine eintägige gesellschaftspolitische Einführung sowie im Anschluss hieran bis zu 500 Stunden französischen Sprachunterricht umfasse. Abgesehen davon, dass diesen Ausführungen nicht zu entnehmen ist, ob der von den Departements bereitzustellende französische Sprachunterricht auch Alphabetisierungsmaßnahmen umfasst, fehlt es bei den Ausführungen der Beklagten an konkreten Angaben dazu, welche Institutionen derartige Kurse anbieten.
Der Kläger musste im Rahmen der ihm zumutbaren Bemühungen des Spracherwerbs auch keine Erkundigungen darüber einholen, ob und ggf. wo in der Nähe seines Wohnorts Alphabetisierungskurse für Migranten angeboten werden. Bei der Alphabetisierung in einer „falschen“ Sprache und dem anschließenden Erwerb von Deutschkenntnissen handelt es sich um keinen Weg, den der Kläger unter den gegebenen Umständen für naheliegend halten musste. Eine solche Vorgehensweise wäre bei einem lernungewohnten funktionalen Analphabeten wie dem Kläger, der einer Berufstätigkeit in ca. einstündiger Entfernung von seinem Wohnort im Umfang von durchschnittlich 19 Stunden wöchentlich nachgeht, nicht zum Erlernen einfacher deutscher Sprachkenntnisse in angemessener Zeit geeignet gewesen. Eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über die Entwicklung der Deutschkenntnisse bei Teilnehmern an Alphabetisierungskursen in Deutschland hat ergeben, dass selbst bei dem direkten Weg der Alphabetisierung von Migranten in deutscher Sprache am Ende eines 900 Unterrichtsstunden umfassenden Alphabetisierungskurses, der einen Zeitraum von über einem Jahr in Anspruch nimmt, nur ca. 50 % der Teilnehmenden schriftsprachliche Deutschkenntnisse (Lesen und Schreiben) der Stufe A 1 oder höher erworben hatten (vgl. Working Paper 42, a.a.O., S. 48 Abbildung 5-5). Im Anschluss an eine Alphabetisierung im Rahmen eines französischen Sprachkurses hätte der Kläger außerdem an einem Deutsch-Sprachkurs in Frankreich teilnehmen müssen. Als berufstätige, lernungewohnte Person wäre für ihn nur die Teilnahme an einem sogenannten Extensivkurs, wie er z.B. beim Goethe-Institut mit je 4 Unterrichtseinheiten pro Woche angeboten wird, als zielführend in Betracht gekommen. Zum Erreichen des Niveaus A 1 GER hätte der Kläger an zwei jeweils 14 Wochen dauernden Kursen (A1.1 und A1.2) teilnehmen müssen (vgl. die Angaben auf des Goethe-Instituts Paris unter ), was allein über ein halbes Jahr in Anspruch genommen hätte. Somit hätte der Kläger bei einer Alphabetisierung über das Erlernen der französischen (Schrift-)Sprache und dem anschließenden Besuch eines Deutsch-Sprachkurses für den Erwerb einfacher deutscher Sprachkenntnisse aller Voraussicht nach einen Zeitraum von deutlich über einem Jahr benötigt. Ein solcher Zeitraum ist jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr als angemessen für den Spracherwerb zu betrachten. Bei Nachzugsverzögerungen ab einem Jahr schlägt nämlich die grundsätzlich verhältnismäßige Nachzugsvoraussetzung in ein unverhältnismäßiges dauerhaftes Nachzugshindernis um (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2012, a.a.O., Rn. 28).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.