Gericht | FG Berlin-Brandenburg 12. Senat | Entscheidungsdatum | 04.04.2012 | |
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Aktenzeichen | 12 V 12204/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Vollziehung des Haftungsbescheides gemäß § 50a Abs. 5 EStG vom ... Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ...Mai 2011 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung im Verfahren 12 K 12148/11 ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Die Antragstellerin ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand die Vermarktung innovativer Techniken und Internetdienste, Entwicklung von Softwareprodukten einschließlich internetfähiger Zahlungssysteme sowie die Erbringung von weiteren Dienstleistungen auf diesem Gebiet ist. Sie zahlte in den Jahren 2004 und 2005 Lizenzgebühren für das Nutzungsrecht an Software an die D-AG und für das Nutzungsrecht an erotischen Filmen an die E-AG, und zwar jeweils ohne Abzug von Steuern gemäß § 50a des Einkommensteuergesetzes (EStG). Beide Lizenzgeberinnen haben ihren Sitz in der Schweiz. Mit Datum vom ... Oktober und ... Dezember 2008 erteilte das Bundeszentralamt für Steuern den Lizenzgeberinnen Freistellungsbescheinigungen gemäß § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG. Die entsprechenden Anträge hatten die Lizenzgeberinnen am ... September bzw. ... Dezember 2008 gestellt.
Der Antragsgegner stellte anlässlich einer Außenprüfung bei der Antragstellerin für die Jahre 2003 bis 2005 fest, dass diese Lizenzgebühren ohne Einbehalt von Steuern gezahlt hatte. Er sah die Lizenzvereinbarungen als Nettovereinbarung an und erließ am ... Juli 2009 den hier streitigen Haftungsbescheid nach § 50a Abs. 5 EStG. Dabei ging er für 2004 von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von € 320 000 und für 2005 von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von € 230 000 aus. Als Steuerabzugsbetrag ergaben sich € 81 120 für 2004 und € 58 305 für 2005; als Solidaritätszuschlag € 4 448 für 2004 und € 3 197 für 2005.
Gegen den Haftungsbescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein, den der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom ... Mai 2011 zurückwies. Dagegen hat die Antragstellerin Klage erhoben, die bei dem Senat unter dem Aktenzeichen 12 K 12148/11 anhängig ist und über die noch nicht entschieden worden ist. Einen Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides hat der Antragsgegner mit Bescheid vom ... Juli 2011 abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt im Klageverfahren vor, dass sämtliche steuerlichen Pflichten in Bezug auf die Lizenzzahlungen von den jeweiligen Lizenzgeberinnen hätten getragen werden sollen. Sie, die Antragstellerin, habe von der Vornahme eines Steuerabzugs abgesehen, da gemäß Art. 12 Abs. 1 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz (DBA Schweiz) das Besteuerungsrecht bei der Schweiz gelegen habe und die Voraussetzungen für die Erteilung von Freistellungsbescheinigungen vorgelegen hätten. Dieses Verhalten sei nicht zu beanstanden. Daran ändere auch § 50d Abs. 2 Sätze 4 und 5 EStG nichts, der nicht die Vorlage einer Freistellungsbescheinigung zum Zeitpunkt der Zahlung voraussetze, sondern nur verlange, dass eine solche vorliege. Es sei auch nicht hinderlich, dass die Geltungsdauer einer Freistellungsbescheinigung frühestens an dem Tag beginne, an dem der Antrag beim Bundeszentralamt für Steuern eingehe. Dies beziehe sich nur auf die Geltungsdauer der Bescheinigung als solche. Soweit aber die Voraussetzungen für ihre Erteilung bereits vorher vorgelegen hätten, wirke die Freistellungsbescheinigung auf den Zahlungszeitraum zurück. Einen konkreten Zeitpunkt für die Vorlage der Freistellungsbescheinigung sehe das Gesetz nicht vor, obwohl § 50d Abs. 2 Satz 2 EStG so verstanden werden könne. Vor dem Hintergrund des Sinns der Regelung sei ein solches Verständnis der Vorschrift jedoch nicht gerechtfertigt. §§ 50a und 50d EStG sollten der Steuerverkürzung durch wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Gründe, z.B. im Zuge der Errichtung ausländischer Scheinfirmen, entgegen wirken. Die Regelungen hätten nicht den Sinn, das inländische Steueraufkommen bei Leistungsbeziehungen mit ausländischen Geschäftspartnern grundsätzlich zu sichern, da das Besteuerungsrecht als solches der Schweiz zugewiesen sei. Aus diesem Grunde prüfe das Bundeszentralamt für Steuern die tatsächliche Existenz der im Ausland befindlichen Unternehmen sowie deren wirtschaftliche Tätigkeit unter Einschaltung der örtlichen ausländischen Steuerbehörden. Bei positivem Verlauf der Prüfung werde die Freistellungsbescheinigung erteilt. In ihrem, der Antragstellerin, Fall sei die Prüfung positiv verlaufen, wie sich an den im Jahre 2008 erteilten Freistellungsbescheinigungen zeige. In den Jahren 2004 und 2005 seien die tatsächlichen Verhältnisse in Bezug auf die Vergütungsgläubigerinnen D AG und E AG gleichartig gewesen; nur könne dies nicht durch Freistellungsbescheinigungen für diesen Zeitraum belegt werden. Wäre es anders, so hätte der Antragsgegner im Rahmen der Außenprüfung den Betriebsausgabenabzug für die Lizenzzahlungen versagen müssen. Selbst wenn er nur Zweifel an den entsprechenden tatsächlichen Verhältnissen gehabt habe, hätte er im Rahmen des § 90 der Abgabenordnung (AO) zumindest bei ihr, der Antragstellerin, weitere Auskünfte über die Vergütungsgläubigerinnen einholen müssen. Wenn der formalen Erteilung von Freistellungsbescheinigungen nach § 50d EStG kein Hindernis entgegengestanden habe, so sei nach dem Sinn des § 50d Abs. 2 EStG das Unterlassen des Steuerabzuges auch möglich, wenn die Freistellungsbescheinigungen nicht vorgelegen hätten. Anderenfalls würde das Festhalten an dem Haftungsbescheid zu groben Unbilligkeiten führen, die, angesichts der Größenordnung der festgesetzten Haftungsbeträge, ihre, der Antragstellerin, Existenz gefährdeten.
Hilfsweise macht die Antragstellerin geltend, dass der Haftungsbescheid gemäß § 50a Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 EStG aufzuheben sei, da die beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigerinnen gewusst hätten, dass sie, die Antragstellerin, als Vergütungsschuldnerin die einbehaltene Steuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt habe, und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitgeteilt hätten. Auch die nur beschränkt steuerpflichtigen Vertragsparteien, hier die Vergütungsgläubigerinnen, hätten sich grundsätzlich über die steuerlichen Verpflichtungen in dem Land, in das sie Leistungen erbrächten, hier also die Bundesrepublik Deutschland, zu informieren. Sofern sie dieser Verpflichtung nachgekommen wären, hätte sich für sie ergeben, dass sie, die Antragstellerin, als Vergütungsschuldnerin von der vereinbarten Vergütung Abzugssteuern hätte einbehalten müssen. Wenn man davon ausgehe, dass sie, die Antragstellerin, dieser Verpflichtung unterlegen habe, so müsse man gleichzeitig davon ausgehen, dass den Vergütungsgläubigerinnen die entsprechenden Regelungen bekannt gewesen seien. Da den geschlossenen Verträgen keine Regelungen dahingehend zu entnehmen seien, dass sie, die Antragstellerin, die Abzugssteuern übernehmen wolle, und es sich demzufolge nicht um Nettovergütungen handele, sei den Vergütungsgläubigerinnen im Anschluss an den Erhalt ihrer Vergütung bekannt gewesen, dass sie, die Antragstellerin, keine Abzugssteuern einbehalten habe. Davon hätten die Vergütungsgläubigerinnen dem Antragsgegner keine Mitteilung gemacht.
Jedenfalls meint die Antragstellerin, dass der Antragsgegner bei der Ermittlung der Haftungssumme zu Unrecht vom Vorliegen einer Nettovereinbarung ausgegangen sei. Dies lasse sich den Verträgen mit der D AG und der E AG nicht entnehmen. Die Verträge enthielten keine Regelungen zu möglichen Abzugssteuern oder sonstigen Verpflichtungen. Es werde vielmehr ausdrücklich auf die „Höhe des Honorars“ bzw. die „Lizenzvergütung“ Bezug genommen, die jeweils zu zahlen gewesen sei. Daraus und aus dem weiteren Vertragsinhalt werde deutlich, dass die Vertragsparteien die Frage der ertragsteuerlichen Pflichten bewusst nicht geregelt hätten. Dies sei der inländischen Steuerbefreiung gemäß Art. 12 Abs. 1 DBA Schweiz und den vorliegenden Bedingungen für die Freistellung vom Steuerabzug sowie der damit verbundenen Annahme, dass vom Einbehalt der Abzugssteuern abgesehen werden könne, geschuldet gewesen. Wollte man dies anders sehen, ändere das nichts an der beabsichtigten Regelung durch die Vertragsparteien. Die sich ggf. nachträglich ergebenden inländischen Steuern würden dann von ihr, der Antragstellerin und Haftungsschuldnerin, an die Vergütungsgläubigerinnen weiterbelastet werden, da sie inhaltlich die an diese gezahlten Vergütungen beträfen. Wenn sie, die Antragstellerin und Vergütungsschuldnerin, die fällig werdenden Abzugssteuern entrichtete, ergäbe sich gleichzeitig ein Erstattungsanspruch des Vergütungsgläubigers, der die Vergütung nachträglich und nicht vertragsgerecht erhöhen würde. Ein solcher Erstattungsantrag sei noch möglich und im Anschluss an den Haftungsbescheid und die Entrichtung der Steuern auch angezeigt. Der betreffende Steuerabzug beträgt nach Auffassung der Antragstellerin allenfalls für den Veranlagungszeitraum 2004 20 % von € 320 000, also € 64 000 zuzüglich Solidaritätszuschlag und für den Veranlagungszeitraum 2005 20 % von € 230 000, also € 46 000 zuzüglich Solidaritätszuschlag.
Im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung macht die Antragstellerin vorrangig geltend, dass die Vollziehung der Steuerfestsetzungen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Aus ihrem, der Antragstellerin, Geschäftsmodell lasse sich bereits seit 2005 kein positives operatives Ergebnis mehr erzielen. Die vorhandenen liquiden Mittel hätten seither kontinuierlich abgenommen und zum 31. Dezember 2010 nur noch € 10 000 betragen. Das bilanzielle Jahresergebnis sei um wesentliche, darin nicht enthaltene nicht liquiditätswirksame Effekte zu korrigieren. Da der Antragsgegner zudem angekündigt habe, ihre, der Antragstellerin, gesetzlichen Vertreter gemäß § 69 AO in Haftung nehmen zu wollen, sei nicht nur ihre, der Antragstellerin, sondern auch die wirtschaftliche Existenz ihrer gesetzlichen Vertreter gefährdet.
Während des Antragsverfahrens hat die Antragstellerin einen Freistellungsbescheid vom ... September 2011 vorgelegt, aufgrund dessen die an die D AG geleistete Vergütung für die Nutzung oder das Recht auf Nutzung von Software und hiermit zusammenhängende Nebenleistungen im Jahre 2004 freigestellt wird und ihr, der Antragstellerin, € 5 000 erstattet werden.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Haftungsbescheides gemäß § 50a Abs. 5 EStG vom ... Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... Mai 2011 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung in dem Verfahren 12 K 12148/11 auszusetzen,
sowie
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen,
hilfsweise,
die Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung zu gewähren.
Er führt aus, dass die wirtschaftliche Lage der Antragstellerin den Steueranspruch als gefährdet erscheinen lasse.
1. Der Antrag ist zulässig und begründet.
a) Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH), der der beschließende Senat sich anschließt, vor, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bzw. des Rechtsmittels zu berücksichtigen. Irgendeine vage Erfolgsaussicht genügt nicht (BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1998 – I B 101/98, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 1999, 753; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Auflage 2010, § 69 Rn. 86, m.w.N.).
b) Hier bestehen derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides. Der Antragsgegner war zwar dem Grunde nach berechtigt, die Antragstellerin in Haftung zu nehmen. Der Haftungsbescheid leidet jedoch an einem Ermessensfehler.
aa) Bei beschränkt Steuerpflichtigen wird die Steuer bei Einkünften, die aus Vergütungen für die Nutzung beweglicher Sachen oder für die Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von Rechten, insbesondere von Urheberrechten und gewerblichen Schutzrechten, von gewerblichen, technischen, wissenschaftlichen und ähnlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten herrühren (§ 49 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 6 und 9 EStG), gemäß § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2002 (heute § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG) im Wege des Steuerabzuges erhoben. Die Steuer entsteht gemäß § 50a Abs. 5 Satz 1 EStG in dem Zeitpunkt, in dem die Vergütung dem Vergütungsgläubiger zufließt. Der Vergütungsschuldner kann den Steuerabzug gemäß § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG allerdings unterlassen oder nach einem niedrigeren Steuersatz vornehmen, wenn das Bundeszentralamt für Steuern (im hier streitigen Zeitraum: Bundesamt für Finanzen) dem Gläubiger auf Grund eines von ihm nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck gestellten Antrags bescheinigt, dass die Voraussetzungen dafür vorliegen. Die Geltungsdauer der Freistellungsbescheinigung beginnt gemäß § 50d Abs. 2 Satz 4 EStG frühestens an dem Tag, an dem der Antrag beim Bundeszentralamt für Steuern eingeht. Der Vergütungsschuldner darf nach § 50d Abs. 2 Satz 5 EStG vom Steuerabzug nur absehen, wenn ihm die Freistellungsbescheinigung vorliegt.
Die Zahlung von Lizenzgebühren durch die Antragstellerin an die Vergütungsgläubigerinnen D AG und E AG führte, wovon die Beteiligten auch übereinstimmend ausgehen, zu inländischen Einkünften der Vergütungsgläubigerinnen gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Die Antragstellerin hatte demzufolge zu dem Zeitpunkt, zu dem die Vergütungen den Vergütungsgläubigerinnen zuflossen, den Steuerabzug vorzunehmen. Sie durfte von der Vornahme des Steuerabzuges insbesondere nicht gemäß § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG absehen, denn zu dem maßgeblichen Zeitpunkt lagen ihr keine Freistellungsbescheinigungen vor. Ohne Erfolg macht die Antragstellerin demgegenüber geltend, dass die im Jahre 2008 ausgestellten Freistellungsbescheinigungen auf den Zeitpunkt der Zahlung der Vergütungen in den Jahren 2004 und 2005 zurückwirkten. Das Gesetz fordert ausweislich des Wortlauts eindeutig, dass zum Zeitpunkt der Zahlung der Vergütung eine Freistellungsbescheinigung vorliegt. Es reicht demzufolge nicht aus, dass lediglich die Voraussetzungen für die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung vorliegen.
Der Verpflichtung der Antragstellerin zur Vornahme des Steuerabzuges steht auch nicht der Umstand entgegen, dass das Besteuerungsrecht für die entsprechenden Vergütungen der Schweiz zusteht. Auf Einkünfte, die dem Steuerabzug auf Grund des § 50a EStG – im Streitfall des § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG – unterliegen, sind nach § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer durch den Schuldner der Vergütungen i.S. des § 50a EStG auch dann anzuwenden, wenn sie nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – im Streitfall dem DBA Schweiz – nicht besteuert werden können.
bb) Der Antragsgegner durfte die Antragstellerin in Haftung nehmen, da der Schuldner der Vergütungen, also die Antragstellerin, gemäß § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG 2002 für die Einbehaltung und Abführung der Steuer haftet.
Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, dass sie deshalb nicht in Haftung genommen werden könne, weil die Voraussetzungen des § 50a Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 EStG 2002 vorlägen. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin dies nur behauptet, nicht aber glaubhaft gemacht hat, schließt das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift die Möglichkeit der Finanzbehörde, den Vergütungsschuldner in Haftung zu nehmen, nicht aus. Die Finanzbehörde hat vielmehr grundsätzlich die Möglichkeit, sich entweder an den Steuerschuldner oder im Wege der Haftung an den Vergütungsschuldner zu halten (vgl. Finanzgericht [FG] Düsseldorf, Urteil vom 07. Februar 2012 – 6 K 2147/10 H, juris). Letzteres ist einschränkungslos möglich, während ersteres im streitigen Zeitraum nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 50a Abs. 5 Satz 6 EStG 2002 möglich war.
cc) Der Haftungsbescheid leidet jedoch an einem Ermessensfehler.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH steht im Abgabenrecht als Teil des öffentlichen Rechts die Entscheidung, welcher von mehreren grundsätzlich gleichrangigen Schuldnern in Anspruch genommen werden soll, nicht im freien Belieben, sondern im pflichtgemäßen Auswahlermessen der Behörde, für das die allgemeinen Grundsätze des § 5 AO gelten. Der einzelne Abgabenschuldner kann deshalb nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung in Anspruch genommen werden. Die Ermessensentscheidung ist nach § 102 FGO vom Gericht daraufhin zu überprüfen, ob der Verwaltungsakt deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet werden. Anderenfalls ist sie im Regelfall fehlerhaft (BFH-Urteil vom 12. Februar 2009 – VI R 40/07, BStBl II 2009, 478, unter II.1.b)aa) der Gründe).
Hier hatte der Antragsgegner die Wahl, entweder die Antragstellerin als Haftungsschuldnerin oder aber die Vergütungsschuldnerinnen als Steuerschuldnerinnen in Anspruch zu nehmen. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Antragstellerin ergibt sich aus § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG 2002 (dazu oben 1.b)bb)). Gleichzeitig konnte der Antragsgegner sich gemäß § 50a Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 EStG 2002 an die Steuerschuldnerinnen halten, weil die Antragstellerin als Vergütungsschuldnerin die Vergütungen nicht vorschriftsmäßig gekürzt hatte. Diese Möglichkeit hat der Antragsgegner offensichtlich deshalb nicht in Betracht gezogen, weil er davon ausging, dass eine Nettolohnvereinbarung vorlag. Das ist jedoch unzutreffend. In den Verträgen zwischen der Antragstellerin und den Vergütungsgläubigerinnen finden sich keine Regelungen über die Übernahme der steuerlichen Verpflichtungen und/oder der Steuerlast. Demzufolge haben die Vergütungsgläubigerinnen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung; als Steuerschuldnerinnen haben sie darauf allerdings Steuern zu zahlen. Anders wäre nur zu entscheiden, wenn die Vertragspartner sich darauf geeinigt hätten, dass die Vergütungsgläubigerinnen Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung zuzüglich der von diesen eigentlich zu zahlenden Steuern haben, dass also die Antragstellerin als Vergütungsschuldnerin nur die Nettobeträge an die Vergütungsgläubigerinnen auszahlt und zudem die daraus geschuldeten Steuern übernimmt. Eine solche Vereinbarung kann jedoch nicht bereits dann unterstellt werden, wenn sich später herausstellt, dass der Vergütungsschuldner den Steuerabzug nicht vorgenommen hat und deshalb als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird (gl.A. Gosch in Kirchhof, EStG, Kommentar, 11. Auflage 2012, § 50a Rn. 28; Grützner, Internationales Steuerrecht [IStR] 2003, 346, 347; a.A. Holthaus, IStR 2002, 664). Erforderlich ist vielmehr eine entsprechende Einigung der Vertragsparteien darüber, dass nur der Nettobetrag ausgezahlt werden soll und der Vergütungsschuldner zusätzlich die anfallenden Steuern zu entrichten hat. In Ermangelung einer solchen vertraglichen Regelung zwischen der Antragstellerin und den Vergütungsgläubigerinnen ist nicht von einer Nettovereinbarung auszugehen. Damit steht auch die Feststellung des Antragsgegners im Haftungsbescheid im Einklang, dass die Zahlungen gemäß Vertrag ohne Abzug erfolgt seien und die o.g. Lizenzgeberinnen – also die Vergütungsgläubigerinnen – alle Steuern auf Lizenzgebühren, die als Quellensteuer erhoben werden, tragen sollten. Inkonsequent ist dann aber die Folgerung, dass mit Übernahme der Steuer durch die Vergütungsschuldnerin bei den gezahlten Lizenzgebühren von einer Nettovereinbarung auszugehen sei. Eine entsprechende Übernahme der Steuer durch die Vergütungsschuldnerin hat gerade nicht stattgefunden.
Da der Antragsgegner folglich nicht erkannt hat, dass ihm mehrere Schuldnerinnen zur Verfügung stehen, hat er das bestehende Auswahlermessen nicht ausgeübt. Darin liegt ein Fall der Ermessensunterschreitung.
Jedenfalls aber hat der Antragsgegner, wenn er das Auswahlermessen erkannt haben sollte, die Ausübung nicht hinreichend begründet. Zwar bedurfte es nach der zutreffenden Rechtsprechung des BFH aufgrund der beschränkten Steuerpflicht der Vergütungsgläubigerinnen und mangels ersichtlicher Zugriffsmöglichkeit im Inland keiner besonderen Darlegungen zur Ausübung des Auswahlermessens (vgl. BFH-Urteil vom 17. Oktober 2007 – I R 81, 82/06, BFH/NV 2008, 356, unter II.2. der Gründe m.w.N.). Zumindest der Hinweis auf diese Umstände ist aber zu fordern (so auch BFH-Urteile vom 05. November 1992 – I R 41/92, BStBl II 1993, 407, unter II.B.7.a) der Gründe; vom 20. Juli 1988 – I R 61/85, BStBl II 1989, 99, unter II.3.b) der Gründe; BFH-Beschluss vom 08. November 2000 – I B 59/00, juris; wohl auch BFH-Beschluss vom 03. Dezember 1996 – I B 44/96, BStBl II 1997, 306, unter II.2.a) der Gründe). Daran fehlt es hier. Nach dem oben Gesagten kann dies nach Ergehen der Einspruchsentscheidung auch nicht mehr nachgeholt werden.
e) Die Aussetzung der Vollziehung war ohne Sicherheitsleistung der Antragstellerin zu gewähren.
Nach § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Eine Ermessensausübung in diesem Sinne kommt in Betracht, wenn die spätere Vollstreckung der Steuerforderung infolge der Aussetzung gefährdet oder erschwert erscheint, weil beispielsweise die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen die Steuerforderung als gefährdet erscheinen lässt. Das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen entfällt jedoch, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist (vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 26. Juni 2009 – IX B 194/08, juris; vom 10. Februar 2010 – V S 24/09, BFH/NV 2010, 930).
Hier ist mit einiger Sicherheit davon auszugehen, dass der angefochtene Haftungsbescheid keinen Bestand haben wird. Der Senat wird an seiner Rechtsansicht, dass der Haftungsbescheid wegen Ermessensunterschreitung rechtswidrig ist, voraussichtlich auch im Hauptsacheverfahren festhalten.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO
3. Der Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das außergerichtliche Aussetzungsverfahren für notwendig zu erklären, war abzulehnen. Das beim Finanzamt geführte Aussetzungsverfahren stellt im Verhältnis zu dem beim Finanzgericht geführten Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 FGO kein Vorverfahren im Sinne des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO, sondern ein eigenständiges Verwaltungsverfahren dar (vgl. FG Hamburg, Beschlüsse vom 27. April 2007 – 4 V 196/06, EFG 2007, 1796; vom 12. Oktober 2011 – 3 V 117/11, juris). Andere Rechtsgrundlagen für ein derartiges Begehren sind nicht gegeben.