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Entscheidung L 18 AL 99/15


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat Entscheidungsdatum 09.03.2016
Aktenzeichen L 18 AL 99/15 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Erfüllung der Rahmenfrist des § 123 SGB III a.F. durch Zeiten des Bezuges von Tagegeld nach § 9 Entwicklungshelfergesetz.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab dem 21. November 2011.

Die 1979 geborene, geschiedene Klägerin arbeitete vom 1. Januar 2005 bis zum 14. April 2007 als Assistentin des Fraktionsgeschäftsführers der Fraktion „B“ im S Landtag und danach ab dem 15. April 2007 bis zum 31. Mai 2010 befristet für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (DGZ) als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Entwicklungsdienstes in Palästina als Entwicklungshelferin iSd § 1 Entwicklungshelfergesetz (EhfG). Ab dem 24. Mai 2010 war sie arbeitsunfähig erkrankt, die DGZ als Träger des Entwicklungsdienstes leistete für weitere sechs Wochen Unterhalt gemäß § 8 Abs. 1 EhfG. Ausweislich der Bescheinigung der Unfallkasse des Bundes vom 28. November 2011 als nach § 7 Abs. 1 EhfG iVm § 2 Abs. 5 Nr. 4 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) für die Klägerin zuständige Krankenversicherung bezog die Klägerin anschließend in der Zeit vom 5. Juli 2010 bis zum 20. November 2011 ein tägliches Tagegeld bei Arbeitsunfähigkeit gem § 9 EhfG iHv 66,09 €, Beiträge zur Sozialversicherung wurden von diesem Tagegeld nicht geleistet.

Die Klägerin meldete sich bei der Beklagten zum 21. November 2011 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 12. Januar 2012 mit der Begründung ab, die Klägerin sei in den letzten zwei Jahren vor dem 21. November 2011 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen und habe damit die Anwartschaftszeit gemäß §§ 123, 124 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) nicht erfüllt. Die Zeit des Bezuges von Tagegeld iSv § 9 EhfG könne nicht als versicherungspflichtige Zeit berücksichtigt werden. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, bei der ihr von der Unfallkasse gewährten Krankentagegeldzahlung handle es sich um eine gesetzliche Lohnersatzleistung, die nach § 26 Abs. 2 SGB III Versicherungspflicht ausgelöst habe, da unmittelbar vor Beginn dieser Leistung Versicherungspflicht der Klägerin bestanden habe. Die Zeit des Bezuges der Leistungen sei damit gem. § 123 SGB III im Rahmen der Berechnung der Anwartschaftszeit zu berücksichtigen. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 5. März 2012 als unbegründet zurück und führte aus, die Rahmenfrist umfasse den Zeitraum vom 21. November 2009 bis zum 20. November 2011, innerhalb dieser Frist habe die Klägerin nur versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten vom 21. November 2009 bis zum 31. Mai 2010 und damit nur sechs Monate und zehn Tage nachgewiesen. Der Bezug von Tagegeld nach dem EhfG könne nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit herangezogen werden, weil hierdurch keine Versicherungspflicht iSd §§ 24 ff SGB III entstanden sei. Das Tagegeld sei von der Unfallkasse des Bundes im Rahmen ihrer Aufgabe als Krankenversicherung der Entwicklungshelfer geleistet worden, wobei Entwicklungshelfer keine Krankenversicherungsbeiträge zahlten. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung seien von der Unfallkasse ebenfalls nicht abgeführt worden.

Durch Urteil vom 4. März 2015 hat das Sozialgericht Berlin (SG) die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 21. November 2011 verurteilt und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe durch den Bezug des Tagegeldes die Anwartschaftszeit nach § 124 SGB III erfüllt, denn sie habe innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist mehr als zwölf Monate in einem Dienstverhältnis gestanden, das durch § 13 EhfG einem Versicherungspflichtverhältnis gleichgestellt sei. Diese Vorschrift treffe eine § 117 SGB III aF ergänzende Sonderregelung für Entwicklungshelfer und ermögliche die Einbeziehung arbeitsloser Entwicklungshelfer in das Arbeitslosengeldsystem. Der Gleichstellungstatbestand des § 13 EhfG beziehe sich nicht im engen Sinne nur auf Zeiten des Entwicklungsdienstes einschließlich des Vorbereitungsdienstes, sondern auch auf den Bezug der Unterhaltsgeldfortzahlung durch den Träger des Entwicklungsdienstes und den Bezug des Tagegeldes aufgrund einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit. Diese Zeit sei im weiteren Sinne eine Zeit des Entwicklungsdienstes oder des Vorbereitungsdienstes. Das von Entwicklungshelfern bezogene Tagegeld stehe demnach auch dem Krankengeld iSd § 48 SGB V gleich. Nach § 26 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB III seien Personen versicherungspflichtig in der Zeit, für die sie von einem Leistungsträger Krankengeld bezögen, dies gelte ebenso für den Bezug von Tagegeld nach dem EfhG.

Hiergegen hat die die Beklagte beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie ist der Ansicht, die gesetzliche Regelung in § 13 Abs. 1 EhfG sei eindeutig und nicht auf Zeiten des Bezuges von Tagegeld anwendbar. Deshalb könne das von der Unfallkasse des Bundes nach Beendigung des Entwicklungsdienstes geleistete Tagegeld nicht als Zeit eines Versicherungspflichtverhältnisses nach § 13 Abs. 1 EhfG berücksichtigt werden. Es handle sich insoweit auch nicht um eine in § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III aufgeführte Leistungsart, welche abschließend in dieser Vorschrift genannt würden und keiner Analogie zugänglich seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung geworden sind.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit zuvor einverstanden erklärt haben (vgl §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das angefochtene Urteil des SG war deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Bewilligung von Alg ab dem 21. November 2011. Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Leistung ist § 117 Abs. 1 SGB III iVm § 118 Abs. 1 SGB III jeweils in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (aF). Danach haben Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sie arbeitslos sind (§ 118 Abs. Nr. 1 SGB III aF), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3).

Mit dem Ausscheiden aus dem Entwicklungsdienst durch Beendigung ihres befristeten Vertrages am 31. Mai 2010 war die Klägerin ab dem 1. Juni 2010 arbeitslos iSd § 119 SGB III aF. Sie hatte sich persönlich am 14. November 2011 zum 21. November 2011 bei der Beklagten arbeitslos gemäß § 122 Abs. 1 SGB III aF gemeldet.

Die Klägerin erfüllte jedoch nicht die Anwartschaftszeit gem. § 123 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. Nach dieser Vorschrift erfüllt die Anwartschaftszeit, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfist beträgt gem. § 124 Abs. 1 SGB III aF zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg, vorliegend ist der Zeitraum 20. November 2011 bis zum 21. November 2009 maßgebend. In diesem Zeitraum hat die Klägerin nicht zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gemäß den §§ 24 ff. SGB III aF gestanden. Nach § 24 Abs. 1 SGB III aF stehen in einem Versicherungspflichtverhältnis Personen, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind. Gemäß § 25 Abs. 1 SGB III aF sind Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Die Tätigkeit der Klägerin als Entwicklungshelferin ist jedoch keine entgeltliche Beschäftigung in diesem Sinne. Denn der Entwicklungsdienst nach § 4 EhfG ist nicht im Sinne eines Arbeitsvertrages auf den Austausch von Leistungen - Entgelt und Arbeitskraft - gerichtet. Es handelt sich vielmehr um eine Art Garantievertrag, der im Wesentlichen den Lebensbedarf des Entwicklungshelfers durch Unterhaltsleistungen des Trägers sichert (vgl Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25. Juni 1991 - 1/3 RK 1/90 = SozR 3-2200 § 200 Nr 2). Allerdings fingiert § 13 EhfG für die in die Rahmenfrist fallende Zeit des Entwicklungsdienstes der Klägerin vom 21. November 2009 bis zum 31. Mai 2010, dass diese Zeit des Entwicklungsdienstes den Zeiten eines Versicherungspflichtverhältnisses gleichsteht.

Die Klägerin war im Übrigen innerhalb der Rahmenfrist nicht nach § 26 SGB III aF versicherungspflichtig. Einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage ist § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III aF. Danach sind Personen versicherungspflichtig in der Zeit, für die sie von einem Leistungsträger, Mutterschaftsgeld, Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Verletztengeld oder von einem Träger der medizinischen Rehabilitation Übergangsgeld beziehen. Zwar wurden der Klägerin von dem Träger des Entwicklungsdienstes gemäß § 8 Abs. 1 EhfG zunächst Unterhaltsleistungen für sechs Wochen geleistet, und zwar über den Zeitpunkt der Beendigung des Entwicklungsdienstes hinaus. Insoweit handelt es sich jedoch weder um ein Entgelt für eine Arbeitsleistung iSd § 24 Abs. 1 SGB III noch um eine in § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB III aF genannte Leistung. Die Versorgung der Klägerin durch die Unterhaltsleistung trägt vielmehr dem Prinzip der Deckung des Lebensbedarfs des Entwicklungshelfers im Zusammenhang mit seinem Entwicklungsdienst Rechnung.

Auch das daran anschließend vom 5. Juli 2010 bis zum 20. November 2011 von der Unfallkasse des Bundes nach § 7 Abs. 1 EhfG iVm § 2 Abs. 5 Nr. 4 SGB VII geleistete Tagegeld bei Arbeitsunfähigkeit gemäß § 9 Abs. 1 EfhG führte nicht zur Versicherungspflicht der Klägerin in diesem Zeitraum. Denn die in § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB II aF genannten Lohnersatzleistungen sind abschließend aufgezählt, erfasst werden nur die Zahlung von Krankengeld (vgl §§ 44, 45 SGB V), Versorgungskrankengeld (vgl § 16 BVG), Verletztengeld (vgl § 45 SGB VII) und Übergangsgeld (so auch Brand in Niesel-Brand, Kommentar zum SGB III, 5. Aufl., Rn. 20 zu § 26; Fuchs in Gagel/Fuchs, Kommentar zum SGB III, 59. EL 2015, Rn. 22 zu § 26). Der Bezug von anderen Leistungen führt nach dem eindeutigen Wortlaut jedoch nicht zur Versicherungspflicht (für die Sozialhilfe nach §§ 41 ff SGB XII BSG SozR 4-4100 § 143 Nr. 9) zumal es sich vorliegend im Gegensatz zu den in § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB III aF genannten Leistungen auch nicht um beitragspflichtige Leistungen handelte. Mangels Regelungslücke kommt daher auch eine analoge Anwendung von § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB III aF nicht in Betracht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Regelungen des EhfG. Für den Entwicklungsdienst wurden durch die Regelung in § 13 Abs. 1 EfhG ausdrücklich nur Zeiten des Entwicklungsdienstes nach dem EfhG einschließlich des Vorbereitungsdienstes (vgl § 1 EfhG) den in §§ 24 ff. SGB III genannten Zeiten gleichgestellt, nicht hingegen wie vorliegend Zeiten des Bezuges von Tagegeld bei Arbeitsunfähigkeit nach § 9 Abs. 1 EfhG. Der Senat vermag darin eine planwidrige Regelungslücke nicht zu erkennen, vielmehr ist entsprechend dem Wortlaut der Regelung des § 13 Abs. 1 EfhG davon auszugehen, dass eine weitergehende Gleichstellung mit Zeiten der Versicherungspflicht für die Erfüllung einer Alg-Anwartschaft als die in § 13 Abs. 1 EfhG eindeutig geregelte bei Entwicklungshelfern nicht beabsichtigt war. Die soziale Absicherung des Entwicklungshelfers beinhaltet gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 EfhG uA die Verpflichtung des Trägers der Entwicklungshilfe zur Leistung einer Wiedereingliederungsbeihilfe nach Beendigung des Entwicklungsdienstes, auch besteht die Möglichkeit der vertraglichen Vereinbarung von weiteren Leistungen der sozialen Absicherung des Entwicklungshelfers durch den Träger des Entwicklungsdienstes gemäß § 4 Abs. 2 EfhG. Eine weitergehende, insbesondere die Zeiten des Bezuges von Tagegeld einer die Versicherungspflicht begründenden Zeit gleichstellende Regelung hat der Gesetzgeber jedoch nicht getroffen. Für eine analoge Anwendung der insoweit eindeutigen Regelung in § 13 EfhG ist damit kein Raum.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.