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Einstweiliger Rechtsschutz gegen Ordnungsverfügung


Metadaten

Gericht VG Potsdam 3. Kammer Entscheidungsdatum 30.07.2010
Aktenzeichen VG 3 L 197/10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 80 Abs 3 VwGO, § 80 Abs 5 VwGO, § 2 AMG, § 1 AMG

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 22. April 2010 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 20. April 2010 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

2. Der Streitwert wird auf … Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin vertreibt die Produkte Acrivet Syn 2 %, Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic und Acrivet BioVisc 1,2 %. Bei allen Produkten handelt es sich um sterile Einmalspritzen, die Natriumhyaluronat-Lösungen enthalten und zur Anwendung am Tier bestimmt sind. Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic ist ausweislich der Gebrauchsinformation ein chirurgisches Hilfsmittel als visköser Ersatz für Gelenkflüssigkeit und zur Separation von Geweben und soll zur Viskosupplementation zur Unterstützung der Bewegungsfunktion von Gelenken zur Anwendung kommen. Laut Produktbeschreibung vom 25.09.2009 wird die Lösung intraartikulär injiziert. Bei Pferden wird es eingesetzt, um ein reduziertes Volumen des Synovialfluids eines Gelenks auszugleichen oder um nach Arthroskopie das verloren gegangene körpereigene Fluid zu ersetzen. Sofortiger Effekt sei eine verbesserte Stoßdämpfung im Gelenk, die darauf beruhe, dass die Reibung im Gelenk sinke, solange bis das der gesunden Synovialflüssigkeit nachempfundene Hyaluronat vollständig vom Organismus resorbiert werde. Acrivet Syn 2 % wird ins tierische Auge injiziert und dient ausweislich der Gebrauchsinformation zur Volumensubstitution des bei der Eröffnung der Vorderkammer ausfließenden Kammerwassers, zur Aufrechterhaltung einer tiefen Vorderkammer während des intraokularen Eingriffs, zum Schutz hoch empfindlicher intraokularer Gewebe, zur Verhinderung von Adhäsionen (Anhaftungen) und Synechienbildung (Verwachsungen der Iris mit der Hornhaut oder mit der Linse) bei chirurgischen Eingriffen im Auge wie z. B. Katarktchirurgie und IOL-Implantation, Glaukomchirurgie, Corneatransplantation und Vorderabschnittschirurgie. In einer Produktbroschüre und in Anzeigen in der Zeitschrift „Der Praktische Tierarzt“ wird das Produkt als „Die effektive und zuverlässige Viscosubstitution bei nicht infektiöser akuter Synovitis (Entzündung der inneren Schicht der Gelenke) und Ostearthritis (entzündliche Gelenkserkrankung)“ beschrieben. Für das Produkt Acrivet BioVisc 1,2 % liegt keine Gebrauchsinformation vor, es wird am Auge analog wie Acrivet Syn 2 % angewendet, wie die Beteiligten übereinstimmend bekunden.

Nachdem eine auf Pharmarecht spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei den Antragsgegner auf die Produktwerbung der Antragstellerin hingewiesen hatte, zeigte die Antragstellerin die o. g. Produkte - auf Veranlassung des Antragsgegners - gem. § 67 Arzneimittelgesetz (AMG) an. Am 17. März 2010 wurde durch den Antragsgegner von den Produkten Acrivet Syn 2 % und Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic je eine Probe entnommen und dem Landeslabor Berlin-Brandenburg zur Tierarzneimitteluntersuchung übersandt. Dieses stufte die Produkte jeweils mit gesondertem Prüfbericht vom 19. März 2010 als zulassungspflichtiges Tierarzneimittel gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG ein, da beide Produkte nach den Gebrauchs- und Produktinformationen zur Verhütung von Krankheiten bestimmt seien, wie der Verweis auf Synechien, Sinovitis und Osteoarthtritis belege. Diese stellten nach der ICD-10-GM Version 2010 Krankheiten dar, die durch den Einsatz der genannten Produkte vermieden werden sollen.

Durch Ordnungsverfügung vom 20. April 2010 ordnete der Antragsgegner an, dass die durch die Antragstellerin hergestellten und zulassungspflichtigen Tierarzneimittel Acrivet Syn 2 %, Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic und Acrivet BioVisc 1,2 % ab sofort für jegliches Inverkehrbringen gesperrt sind (Ziffer 1), alle noch im Betrieb vorhandenen Produkte dieser Art sichergestellt werden (Ziffer 2) und unverzüglich eine Rücknahme bzw. ein Rückruf der bereits ausgelieferten Produkte in die Wege zu leiten sind (Ziffer 3). Zur Begründung führte er aus: Nach der Einschätzung des Landeslabors Berlin-Brandenburg gem. Gutachten vom 19. März 2010 handele es sich bei den genannten Produkten um Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Es seien Fertigarzneimittel nach § 4 Abs. 1 AMG, die der Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 1 AMG unterlägen. Gemäß der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimittel Anlage 1 sei die Hyaluronsäure zur intraartikulären Anwendung verschreibungspflichtig. Deshalb könne es sich nicht um Medizinprodukte handeln. Überdies sei eine Einstufung als Medizinprodukte nicht möglich, da die Regelung in § 3 des Medizinproduktegesetzes (MPG) nur für Produkte zur Anwendung beim Menschen vorgesehen sei. Zugleich ordnete der Antragsgegner unter Ziffer 4 des Bescheids die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 der Verfügung an, zu deren Begründung er vortrug: Das öffentliche Interesse an der sofortigen Unterbindung ergebe sich aus dem Vorrang der Zulassung durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vor den privaten Belangen der Inverkehrbringerin. Die Antragstellerin dürfe nicht besser gestellt werden, als diejenigen, die sich gesetzmäßig verhielten und ein Arzneimittel erst dann in Verkehr brächten, wenn es zugelassen sei. Das Zulassungsverfahren solle sicherstellen, dass nur Arzneimittel in den Verkehr gebracht würden, die alle erforderlichen Voraussetzungen zur Freigabe erfüllten, da nur so der Schutz der Verbraucher und der Tiergesundheit gewährleistet und überwacht werden könnten. Es könne im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden, dass die betroffenen Produkte, die nicht als Arzneimittel zugelassen seien, weiterhin in den Verkehr gebracht würden.

Gegen diese Verfügung legte die Antragstellerin am 22. April 2010 Widerspruch ein, der noch nicht beschieden wurde.

Mit am selben Tag erhobenem Antrag begehrt die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Die angegriffene Verfügung sei formell rechtswidrig, da der Antragsgegner örtlich unzuständig gewesen sei, da die Produkte in der Produktionsstätte der Antragstellerin in Ascheberg, Schleswig-Holstein, hergestellt würden. Überdies sei ihr vor Erlass der Verfügung nicht ordnungsgemäß Akteneinsicht gewährt worden und eine Anhörung unterblieben. Die Verfügung sei auch materiell rechtswidrig, da sie die in den Verkehr gebrachten Produkte nicht als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt habe. Es handele sich lediglich um chirurgische Hilfsmittel als visköser Ersatz für Gelenkflüssigkeit und zur Separation von Gewebe bzw. als mechanischer Schutz bei Operationen am Auge zur Vorbeugung mittelbarer Verletzungen, die ausschließlich physikalisch wirkten und keine unmittelbar krankheitsbezogene Zweckbestimmung hätten. Eine solche Zweckbestimmung interpretiere der Antragsgegner in die Gebrauchs-, Produkt- und Werbeunterlagen hinein. Ein identisches Produkt zur Anwendung am Menschen sei lediglich als Medizinprodukt zu qualifizieren und müsse kein Zulassungsverfahren durchlaufen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei weder hinreichend begründet noch gerechtfertigt. Eine von den Produkten ausgehende konkrete Gefahr einer Schädigung der Tiergesundheit werde vom Antragsgegner weder behauptet, noch sei diese sonst ersichtlich. Ein sofortiges Vollzugsinteresse folge auch nicht aus der Überlegung, dass derjenige, der sich nicht an die Zulassungsvorschriften für Arzneimittel halte, nicht besser gestellt werden könne als derjenige der das Zulassungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt habe. Dieser Gesichtspunkt sei nur berücksichtigungsfähig, wenn die Arzneimitteleigenschaft bereits feststehe.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 22. April 2010 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 20. April 2010 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er ist der Ansicht, der Antragstellerin sei ordnungsgemäß Akteneinsicht gewährt worden. Eine Anhörung sei entbehrlich gewesen, da die sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse notwendig gewesen sei. Ausweislich der Auslobung durch die Antragstellerin seien die betroffenen Produkte zur Verhütung oder Linderung von tierischen Krankheiten bestimmt. Im Übrigen wiederholt und vertieft er seine Ausführungen in der angefochtenen Verfügung.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Zwar ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 4 der angegriffenen Ordnungsverfügung formell nicht zu beanstanden. Sie genügt dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Sie stellt auf den Vorrang des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens vor den privaten Belangen des Inverkehrbringens ab sowie auf den Umstand, dass diejenigen, die sich gesetzmäßig verhalten, nicht schlechter gestellt werden dürfen, als diejenigen, die das arzneimittelrechliche Zulassungsverfahren umgehen. Die Begründung ist damit weder formelhaft noch erweckt sie Zweifel, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst war.

Das Verwaltungsgericht kann jedoch gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners anordnen, wenn das Interesse der Antragstellerin am vorläufigen Aufschub der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung überwiegt. Die danach vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung und dem privaten Interesse der Antragstellerin, von einer sofortigen Durchsetzung verschont zu bleiben, geht zu Gunsten der Antragstellerin aus. Denn nach der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens allein gebotenen summarischen Prüfung erweist sich die angegriffene Ordnungsverfügung als rechtswidrig.

Grundlage der angegriffenen Ordnungsverfügung ist - unter Berücksichtigung der Ausführungen des Antragsgegners in der Antragserwiderung vom 14.05.2010 - § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 6 AMG i. d. F. der Bekanntmachung vom 12.12.2005 (BGBl. I S. 3394; zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.07.2009, BGBl. I S. 1990, berichtigt durch Gesetz vom 09.10.2009, BGBl. I S. 3578). Danach können die zuständigen Behörden insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagen, deren Rückruf anordnen und diese sicherstellen, wenn die erforderliche Zulassung oder Registrierung für das Arzneimittel oder die erforderliche Erlaubnis für das Herstellen des Arzneimittels nicht vorliegt. Da eine Erlaubnis nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 AMG oder eine Zulassung nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG für die von der Antragstellerin vertriebenen Produkte nicht erteilt wurde, wären die Voraussetzungen der o. g. Eingriffsnormen nur gegeben, wenn es sich bei Acrivet Syn 2 %, Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic und Acrivet BioVisc 1,2 % um Arzneimittel im Sinne des hier allein in Betracht kommenden § 2 Abs. 1 AMG handeln würde. Daran fehlt es jedoch.

§ 2 Abs. 1 AMG definiert fußend auf Art. 1 Nr. 2 der Tierarzneimittel-Richtlinie 2001/82/EG i. d. F. der Tierarzneimittel-Richtlinie 2004/28/EG den Begriff des Arzneimittels alternativ als sog. Präsentationsarzneimittel (Arzneimittel nach der Bezeichnung) oder Funktionsarzneimittel (Arzneimittel nach der Funktion). Nach der erstgenannten Definition sind Arzneimittel alle Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG). Funktionsarzneimittel sind alle Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b AMG).

Dass den von der Antragstellerin vertriebenen Produkten eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung zukommen würde oder diese geeignet wären, eine medizinische Diagnose zu erstellen, wird vom Antragsgegner nicht behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die in allen Produkten enthaltene Hyaluronsäure-Lösung lediglich physikalisch bzw. physio-chemisch wirkt. Dies bestätigt auch die einschlägige Rechtsprechung zu Hyaluronsäure-Natrium-Fertigspritzen zur Injektion in menschliche Gelenke. So stellte der BGH in seiner Entscheidung vom 09.07.2009 - I ZR 193/06 - (PharmR 2010, 297 ff.) fest, dass Hyaluronsäure-Natrium-Fertigspritzen zur intraartikulären Anwendung bei Gelenkerkrankungen Medizinprodukte i. S. d. § 3 Nr. 1 a MPG sind, weil sie mittels ihres Wirkstoffes zwar die durch Krankheit bedingten Schmerzen der Patienten lindern und das Fortschreiten der Krankheit verhindern sollen, diese bestimmungsgemäßen Wirkungen im Körper aber gemäß § 3 Nr. 1 MPG weder durch pharmakologisch noch immunologisch oder metabolisch wirkende Mittel, sondern auf physikalischem Wege erreichen. Dieser Stoff, der die nicht mehr (ausreichend) vorhandene körpereigene Gelenkflüssigkeit ersetzt, stellt ein Medizinprodukt dar. Medizinprodukte i. S. v. § 3 MPG sind aber keine Arzneimittel (vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG), es sei denn es handelt sich um den hier nicht vorliegenden Fall eines Funktionsarzneimittels, und sie unterliegen deshalb nicht der Zulassungspflicht. Zwar kann die Regelung in § 3 Nr. 1 MPG nicht unmittelbar auf veterinärmedizinische Produkte angewandt werden, da die Begriffsbestimmung der Medizinprodukte auf die Anwendung für Menschen beschränkt ist. Dennoch gilt die Feststellung, dass Hyaluronsäure-Lösungen weder pharmakologisch noch immunologisch oder metabolisch wirken und deshalb jedenfalls keine Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG sind, auch für die hier streitigen Produkte.

Entgegen der Ansicht des Antragsgegners kann allein aus dem Umstand, dass Hyaluronsäure zur intraartikulären Anwendung in der Anlage 1 zu § 1 Nr. 1 Arzneimittelverschreibungsverordnung vom 21.12.2005 (BGBl. I S. 3632) i. d. F. v. 18.12.2009 (BGBl. I S. 3947) aufgeführt ist, auf eine Arzneimitteleigenschaft der Produkte nicht geschlossen werden. Diese Regelung setzt vielmehr die Arzneimitteleigenschaft voraus.

Die streitbefangenen Produkte stellen entgegen der Annahme des Antragsgegners auch keine Tierarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, also Präsentationsarzneimittel, dar.

Die von der Antragstellerin vertriebenen Produkte können weder anhand der Gebrauchs- und Produktinformation der Antragstellerin noch wegen ihrer Bewerbung als Präsentationsarzneimittel eingeordnet werden.

Ein Produkt ist nur dann ein Präsentationsarzneimittel, wenn es entweder ausdrücklich als ein Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bezeichnet wird oder aber sonst bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass es in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 11.02.2010 - 9 S 3331/08 -, m. w. N., zitiert nach juris).

Die Antragstellerin hat die streitbefangenen Produkte weder in der Gebrauchs- noch in den Produktinformationen als Arzneimittel bezeichnet. Soweit in der Produktinformation zu Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic von einer verbesserten Stoßdämpfung und einer Schmerzverringerung aufgrund einer geminderten Reibung im Gelenk die Rede ist, wird dem Produkt keine Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten zugeschrieben, sondern lediglich die physikalischen Folgen der Produktanwendung beschrieben, die nur so lange anhalten, bis die Hyaluronat-Lösung vollständig vom Organismus resorbiert wird.

Ebenso wenig kann der Gebrauchsinformation zu Acrivet Syn 2 % eine Krankheiten heilende, lindernde oder verhütende Wirkung entnommen werden. Dass die Anwendung dieses Produkts während eines intraokularen Eingriffs u. a. auch Adhäsionen und Synechienbildungen verhindern soll, reicht für die Bejahung eines Präsentationsarzneimittels nicht aus. Ein solches kann nur dann vorliegen, wenn dem Produkt durch den Hersteller eine unmittelbare Eignung zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten in Aussicht gestellt wird. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr wird die Vermeidung der genannten Erkrankungen lediglich als mittelbare Folge des Einsatzes von Acrivet Syn 2 % während eines intraokularen Eingriffs beschrieben.

Ob für das Produkt Acrivet BioVisc 1,2 % die gleichen Feststellungen wie für das Produkt Acrivet Syn 2 % gelten, vermag die Kammer nicht zu überprüfen, da es der Antragsgegner verabsäumt hat, dieses Produkt untersuchen zu lassen oder zumindest eine Gebrauchsinformation des Herstellers einzuholen. Da der Antragsgegner die materielle Beweislast für das Vorliegen der Untersagungsgründe gem. § 69 Abs. 1 AMG trägt, geht die Unerweislichkeit der tatsächlichen Präsentation dieses Produkts zu seinen Lasten. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei Acrivet BioVisc 1,2 % nicht um ein Präsentationsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG handelt. Selbst wenn man den bloßen Verweis auf den Umstand, dass Acrivet BioVisc 1,2 % von der Anwendung her analog der Anwendung im Auge wie Acrivet Syn 2 % beschrieben wird – was die Antragstellerin nicht bestreitet – genügen lassen würde, wäre die von der Kammer zu Acrivet Syn 2 % oben vorgenommene Wertung auf das Produkt Acrivet BioVisc 1,2 % zu übertragen.

Auch die Bewerbung des Produkts Acrivet Syn 2 % in der Zeitschrift „Der P…“ (Heft 6/2009) ist ohne Arzneimittelbezug. Soweit eine Anzeige dieses Produkts mit dem Zusatz „Die effektive und zuverlässige Viscosubstitution bei nicht infektiöser Synovitis oder Osteoarthritis“ versehen wurde, wird damit keine krankheitsbezogene Heilungs- oder Linderungswirkung in Aussicht gestellt. Denn Viscosubstitution bedeutet lediglich eine äußere Zufuhr einer im Körper normalerweise durch eigene Organleistung zur Verfügung stehenden Substanz, die nicht oder nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Eine Heilung oder Linderung der benannten Krankheiten wird damit gerade nicht in Aussicht gestellt. Gleiches trifft auf die Produktinformation der Antragstellerin zum o. g. Produkt in der genannten Zeitschrift (Heft 12/2009) zu. Dort wird in einem Artikel ausgeführt, dass Acrivet Syn 2 % erfolgreich bei intraartikulärer Injektion zur Therapie von Lahmheitssymptomen bei Pferden als therapeutische Option bei nicht infektiöser akuter Synovitis und akuter Arthritis eingesetzt wird. Bereits der Begriff Lahmheitssymptome verdeutlicht, dass eben nicht die genannten Erkrankungen geheilt oder gelindert werden, sondern lediglich die Symptome dieser Erkrankungen, nämlich die Lahmheit, beseitigt werden soll.

Die streitbefangenen Produkte sind auch nicht wegen ihrer Gebrauchsinformation und Bewerbung geeignet, bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit den Eindruck entstehen zu lassen, dass sie in Anbetracht ihrer Aufmachung dazu bestimmt sind, zur Heilung, Linderung oder Verhütung von tierischen Krankheiten oder krankhafter Beschwerden zu dienen. Dabei ist zu beachten, dass die Produkte nur von zugelassenen Veterinärmedizinern angewandt werden dürfen und somit auf den Empfängerhorizont eines durchschnittlich informierten Veterinärmediziners abzustellen ist. Diesem dürfte aufgrund seiner Ausbildung hinreichend bekannt sein, dass eine Natriumhyaluronat-Lösung nicht zur Heilung, Linderung und Verhütung der o. g. tierischen Krankheiten, sondern lediglich zur Linderung krankheitsbedingter Symptome angewandt werden kann.

Nach alledem kann nach summarischer Prüfung nicht festgestellt werden, dass es sich bei Acrivet Syn 2 %, Acrivet Syn 2 % ORTHOpedic und Acrivet BioVisc 1,2 % um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG handelt. Angesichts dessen liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für die auf § 69 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 AMG gestützte Ordnungsverfügung nicht vor.

Bei dieser Rechtslage fällt die Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung muss gegenüber den Interessen der Antragstellerin, vom Vollzug verschont zu bleiben zurückstehen, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer sich an Ziff. 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (2004) orientiert. Wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist dieser Wert auf die Hälfte zu reduzieren.