Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 10.01.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 S 6.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 5 Abs 1 Nr 2 AufenthG, § 27 Abs 1 AufenthG, § 28 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG, § 55 Abs 2 Nr 2 AufenthG, § 39 Nr 5 AufenthV, § 80 Abs 5 VwGO, § 123 VwGO, § 146 Abs 4 S 3 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO |
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. November 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
I.
Der 1964 geborene türkische Antragsteller reiste nach Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen und Visumserteilung Anfang 2001 ins Bundesgebiet ein, wo er eine bis Anfang 2004 gültige Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte erhielt. Nachdem die Ehe bereits im Juni 2002 wieder geschieden worden war, lehnte der Antragsgegner deren Verlängerung unter Androhung der Abschiebung durch Bescheid vom 3. Dezember 2004 ab. Ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren hiergegen blieb erfolglos (Beschluss des OVG Berlin vom 11. Mai 2005 – 3 S 18.05). Der zur Fahndung ausgeschriebene Antragsteller wurde bei einer Ausreise im November 2009 mit einem gefälschten bulgarischen Reisepass aufgegriffen und durch Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. November 2009 zum Geschäftszeichen (380 Ds) 98 Js 172.09 (136/09) rechtskräftig wegen unerlaubten Aufenthalts und Urkundenfälschung zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 5 € verurteilt.
Am 17. Februar 2011 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner zwecks Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen K. die Erteilung einer Duldung. Nachdem dem Standesamt wegen Fehlens eines gültigen Reisepasses zunächst nicht die hierfür notwendigen Unterlagen vorlegt werden konnten, wurde ihm dort durch Bescheinigung vom 13. Oktober 2011 die Vollständigkeit der Unterlagen bis auf den Nachweis der Duldung attestiert. Auch nach Vorlage an den Antragsgegner kam es allerdings nicht zur Erteilung einer Duldung, vielmehr wurden kurzzeitige Grenzübertrittsbescheinigungen erteilt. Nach Eheschließung mit Frau K. am 4. November 2011 beantragte der Antragsteller noch am selben Tage die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte und am 10. November 2011 Aussetzung der Abschiebung (Duldung) bis zur rechtskräftigen Entscheidung hierüber.
Durch Bescheid vom 14. November 2011 lehnte der Antragsgegner beide Anträge im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis im Inland gemäß §§ 27 Abs. 1 und 28 Abs. 1 Satz Nr. 1 AufenthG und § 39 Nr. 5 AufenthV wäre nach der Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg selbst dann nicht in Betracht gekommen, wenn ihm für die Eheschließung eine Duldung erteilt worden wäre. Im Übrigen setze ein solcher Aufenthaltstitel nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG regelmäßig auch das Fehlen von Ausweisungsgründen voraus, er sei jedoch rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Für eine Ausnahme sei nichts ersichtlich. Ein Abschiebungshindernis sei nicht ersichtlich, so dass auch Duldung nicht in Betracht komme. Hiergegen hat der Antragsteller am 6. Dezember 2011 beim Verwaltungsgericht Berlin Klage erhoben (VG 10 K 305.11).
Bereits zuvor, am 10. November 2011, hatte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Berlin den Antrag gestellt, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag vom 4. November 2011 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte nicht abzuschieben. Durch den streitgegenständlichen Beschluss vom 29. November 2011 hat das Verwaltungsgericht diesen Antrag mangels Glaubhaftmachung eines Duldungsanspruchs als unbegründet abgelehnt.
II.
Die gegen diesen verwaltungsgerichtlichen Beschluss rechtzeitig erhobene und auch begründete Beschwerde des Antragstellers hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO maßgeblichen Beschwerdevorbringens keinen Erfolg.
Soweit der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 6. Dezember 2011 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14. November 2011 anzuordnen, ist die Beschwerde bereits unzulässig. Denn dieses Begehren war, wie schon das Datum dieser Klageerhebung belegt, nicht Streitgegenstand des mit Beschluss vom 29. November 2011 entschiedenen erstinstanzlichen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens und kann deshalb auch nicht zum Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens gemacht werden.
Der hilfsweise gestellte Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihm „mindestens bis zur Beendigung des Klageverfahrens eine Duldung zu erteilen“, hat ebenfalls keinen Erfolg.
Soweit er über das erstinstanzliche Begehren, das auf Untersagung der Abschiebung zeitlich nur bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis vom 4. November 2011 gerichtet war, hinausgeht, ist er aus dem o.g. Grund ebenfalls bereits unzulässig. Ansonsten ist er jedenfalls unbegründet.
Der Antragsteller macht insoweit zunächst geltend, das Verwaltungsgericht gehe ebenso wie der Antragsgegner zu Unrecht davon aus, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Inland gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV käme nicht in Betracht, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Auf die bereits am 17. Februar 2011 zwecks Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen K. beantragte Duldung habe er jedoch bis zur Heirat am 4. November 2011 einen Rechtsanspruch bzw. zumindest einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gehabt. Insoweit verweise er auf den Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 5. März 2008 zum Geschäftszeichen 11 S 378.08. Offensichtlich habe der Antragsgegner diese Rechtsprechung in sittenwidriger Weise dadurch umgehen wollen, dass er eine Duldung zur Eheschließung vorliegend nicht erteilt habe. Demzufolge sei er unter Anwendung des sich aus § 162 BGB ergebenden allgemeinen Rechtsgedankens der Fiktion des Bedingungseintritts im Falle treuwidriger Verhinderung so zu stellen, als ob er eine Duldung erhalten hätte.
Dem ist schon deshalb nicht zu folgen, weil selbst die Erteilung einer Duldung zum Zweck der Eheschließung dem Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet ohne vorherige Durchführung eines Visumsverfahrens gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV hätte verschaffen können. Voraussetzung hierfür ist nämlich, dass zum einen eine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und zum anderen währenddessen im Bundesgebiet eine Ehe geschlossen wird, die einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubniserteilung verschafft. Bei der dabei vorausgesetzten Aussetzung der Abschiebung muss es sich somit um eine solche handeln, die unabhängig von der Eheschließung ein Abschiebungshindernis begründete (so zu Recht Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 22. August 2007 und vom 16. Januar 2008 - 2 S 61.07 und 2 S 4.08 -, juris). Anderenfalls würde die Eheschließung gewissermaßen doppelt berücksichtigt werden, nämlich im Rahmen der Feststellung der Abschiebungsaussetzung und zusätzlich zur Begründung des Anspruchs auf ein Aufenthaltsrecht. Damit aber würde die eigenständige rechtliche Bedeutung der vorangehenden Duldung entfallen. Privilegiert werden sollen jedoch nur die Ausländer, die sich hier mit Duldung aufhalten und sodann die Ehe schließen, nicht aber diejenigen, denen eine Duldung nur erteilt wird, um ihnen die zeitlich unmittelbar bevorstehende Eheschließung zu ermöglichen (std. Rechtsprechung auch des Senats: vgl. Beschlüsse vom 17. Januar 2011 - 11 S 51.10 -, juris Rz. 10, und vom 4. April 2011 - 11 S 9.11 -, juris Rz. 6). So aber liegt der Fall hier. Die gegenteilige Auffassung im Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 5. März 2008 zu 11 S 378.08 überzeugt nach alledem nicht.
Soweit der Antragsteller ferner geltend macht, seine strafgerichtliche Verurteilung dürfe nicht als Ausweisungsgrund berücksichtigt werden, da sie einen aufenthaltsrechtlichen Bezug habe, der nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis offensichtlich keine Wiederholungsgefahr begründen und seine Gefährlichkeit belegen könne, nimmt er lediglich auf die Hilfsbegründung des angefochtenen Bescheids Bezug.
Auch aus dem von Antragsteller angeführten Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich kein Abschiebungshindernis aufgrund höherrangigen Rechts. Hierdurch wird, ohne dass hieraus unmittelbar ein Aufenthaltsrecht abzuleiten ist, die Ausländerbehörde nur verpflichtet, diese wertentscheidende Grundsatznorm bei Entscheidungen über ein Aufenthaltsbegehren im Hinblick auf die ehelichen Bindungen des Ausländers entsprechend ihrem jeweiligen Gewicht in ihre Erwägungen einzubeziehen. Dem ist hier bereits durch die Ermöglichung der Eheschließung im Inland Rechnung getragen worden. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe nach Art. 6 GG ist es darüber hinaus grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Eine vor-übergehende Trennung zur Nachholung des Visumsverfahrens ist auch Eheleuten nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich zumutbar. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht vielfach bestätigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2007 - 2 BvR 2341/06 -, InfAuslR 2008, 239 f. und juris).
Soweit der Antragsteller abschließend geltend macht, sowohl er als auch seine Ehefrau hätten darauf vertraut, dass er bereits im Inland eine Aufenthaltserlaubnis erhalten könne, begründet das, zumal der Antragsgegner hierzu keinerlei Veranlassung gegeben hat, jedenfalls keine Ansprüche auf den begehrten Abschiebungsschutz.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).