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Antrag auf Zulassung der Berufung; Begründungsfrist; Einlegungsort; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Rechtsmittelschrift; Adressierung an das richtige Gericht; Überprüfung der richtigen Adressierung vor Unterzeichnung; versehentliche Verwechslung von zwei unterzeichneten Schriftsätzen durch die Bürokraft; Weiterleitung von Schriftsätzen vom erstinstanzlichen Gericht an das Rechtsmittelgericht; ordentlicher Geschäftsgang


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 27.01.2015
Aktenzeichen OVG 10 N 54.14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 60 Abs 1 VwGO, § 60 Abs 2 S 2 VwGO, § 124 Abs 1 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 124a Abs 4 S 5 VwGO

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das ihm am 8. Oktober 2014 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus wird verworfen.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig. Der Kläger hat die Frist zur Begründung des Zulassungsantrages gemäß § 124a Abs. 4 Sätze 4 und 5 VwGO versäumt. Nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO ist die Begründung, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt wurde, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Da das mit Gründen versehene Urteil des Verwaltungsgerichts dem Bevollmächtigten des Klägers ausweislich seines Empfangsbekenntnisses am 8. Oktober 2014 - und nicht wie er vorträgt bereits am 4. Oktober 2014 - zugestellt wurde und diese Entscheidung mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen war, endete die zweimonatige Begründungsfrist mit Ablauf des 8. Dezember 2014. Nachdem der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 7. November 2014 - in Reaktion darauf, dass die Senatsvorsitzende ihn mit Verfügung vom 24. Oktober 2014 darauf hingewiesen hat, dass die zunächst eingelegte Berufung nach § 124 Abs. 1 VwGO unstatthaft ist - ohne Beifügung einer Begründung beim Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung beantragt hatte, ging am 8. Dezember 2014 beim Verwaltungsgericht der mit einer Unterschrift versehene Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers per Fax ein, mit dem der Zulassungsantrag begründet wurde. Dieser Schriftsatz wurde vom Verwaltungsgericht weitergeleitet und ging erst am 18. Dezember 2014 und damit erst nach Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein.

2. Der wegen dieser Fristversäumung vom Kläger gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war abzulehnen. Zwar dürfen die Anforderungen daran, was der Kläger veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, nicht überspannt werden (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 2 BvR 51/05 -, BVerfGK 12, 303, juris Os. 1). In der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ist aber unter Berücksichtigung dessen nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass der Kläger ohne Verschulden verhindert war, die bezeichnete gesetzliche Begründungsfrist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 VwGO). Der Kläger hat nämlich nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er nicht in Folge eines Rechtsirrtums oder einer Rechtsunkenntnis über den Einreichungsort nach § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO, sondern ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung, die beim Oberverwaltungsgericht einzureichen ist, einzuhalten. Der Kläger muss sich dabei ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Ein Verschulden des bevollmächtigten Anwalts, das eine Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO ausschließt, ist zu bejahen, wenn der Rechtsanwalt die nach der konkreten Sachlage zumutbare Sorgfalt eines ordentlichen Anwalts nicht gewahrt hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 60 Rn. 20 m.w.N.). Bei der Anfertigung von Rechtsmittelschriften wie der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung handelt es sich um eine eigenverantwortliche Tätigkeit des Rechtsanwalts. Der Rechtsanwalt trägt deshalb für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung einschließlich seiner Adressierung an das richtige Gericht, bei dem die Begründung einzureichen ist, die alleinige Verantwortung, die er selbst dann nicht auf sein Büropersonal verlagern kann, wenn dieses zuverlässig und gut geschult ist (BayVGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 - 10 ZB 13.559 -, juris Rn. 7; vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. November 1982 - 9 B 14473.82 -, juris Rn. 2). Dabei kann von einem Rechtsanwalt erwartet werden, dass er weiß oder jedenfalls ermitteln kann, bei welchem Gericht ein Rechtsmittelschriftsatz einzureichen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie im Falle der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung mit § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO eine Regelung vorhanden ist, aus der sich dieses Gericht ohne Weiteres ergibt und wenn - wie hier - die Entscheidung, gegen die sich das Rechtsmittel richtet, mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen ist. Ein Rechtsanwalt muss daher vor Unterzeichnung der Rechtsmittelbegründungsschrift persönlich prüfen, ob sie an das zuständige Gericht adressiert ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - 2 LA 1242/04 -, NJW 2006, 1083, juris Rn. 13).

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist unter Berücksichtigung dieser Grundsätze seinen Sorgfaltspflichten nicht im ausreichenden Maß nachgekommen. Er hat zwar vorgetragen und durch eine eidesstattliche Versicherung seiner Büroangestellten vom 15. Januar 2015 versichert, dass letztere den Begründungsschriftsatz nach Diktat gefertigt habe und ihn zunächst an das Verwaltungsgericht Cottbus adressiert habe. „Bei Unterzeichnung“ der Berufungsbegründungsschrift am 8. Dezember 2014 habe er dann festgestellt, dass das Schreiben unrichtig adressiert sei. Er habe dann seine Büroangestellte angewiesen, den Schriftsatz an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu adressieren und ihn erneut zur Unterzeichnung vorzulegen. Er habe dann den an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gerichteten Schriftsatz - ausweislich der eidesstattlichen Versicherung - „erneut“ unterzeichnet und die Büroangestellte angewiesen, diesen Schriftsatz an das Oberverwaltungsgericht zu versenden und den an das Verwaltungsgericht gerichteten Schriftsatz zu vernichten. Versehentlich habe die Büroangestellte die Schriftsätze verwechselt und lediglich das Schreiben an das Verwaltungsgericht an dieses per Fax versandt und den Schriftsatz an das Oberverwaltungsgericht vernichtet. Der Bevollmächtigte des Klägers hat hierdurch aber nicht glaubhaft gemacht, dass er eigenverantwortlich die ihm nach der konkreten Sachlage zumutbare Sorgfalt bei der Adressierung und Einreichung der Rechtsmittelbegründungsfrist gewahrt hat. Zwar durfte er auf Grundlage seiner Weisungen die bloße Übersendung der von ihm adressierten Begründungsschrift an das Gericht seiner Bürokraft überlassen. Gleichwohl hat hier der Bevollmächtigte selbst nicht die gebotene Sorgfalt angewandt. Ausweislich der am 8. Dezember 2014 beim Verwaltungsgericht eingereichten und auch an dieses Gericht adressierten Begründung des Zulassungsantrags (Gerichtsakte S. 117 - 120) ist diese vom Bevollmächtigten des Klägers unterzeichnet worden, was darauf schließen lässt, dass der Bevollmächtigte die ihm zumutbare Sorgfalt nicht gewahrt hat. Hätte der Bevollmächtigte tatsächlich wie gefordert vor der Unterzeichnung persönlich die Adressierung an das richtige Gericht überprüft, hätte es schon gar nicht zu einer Unterzeichnung des ersten Schriftsatzes kommen dürfen. Jedenfalls hätte es der gebotenen Sorgfalt eines Anwalts entsprochen, direkt nach dem Erkennen der unrichtigen Adressierung im ersten Schriftsatz an das Verwaltungsgericht die erfolgte Unterzeichnung wieder zu streichen bzw. den nicht abzusendenden Schriftsatz kenntlich zu machen, um so später einer versehentlichen Verwechslung der beiden unterzeichneten Rechtsmittelschriftsätze bei der Einreichung vorzubeugen. Der Anwalt hat so eine Fehlerquelle nicht ausgeschlossen und deshalb die gebotene Sorgfalt eines ordentlichen Anwalts bei der Prüfung der Unterzeichnung der Rechtsmittelschriftsätze bezüglich der richtigen Adressierung an das Rechtsmittelgericht nicht gewahrt. Er hat damit schuldhaft eine (Mit-) Ursache für die spätere Verwechslung der Schriftsätze durch die Bürokraft geschaffen. Hinzu kommt, dass der Bevollmächtigte die von ihm behaupteten Einzelweisungen an die Bürokraft zur fristwahrenden Übersendung des hinsichtlich des Adressaten korrigierten Rechtsmittelschriftsatzes zwar vorgetragen, aber nicht selbst durch eine eidesstattliche Versicherung hinreichend glaubhaft gemacht hat (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Es bedarf daher keine Entscheidung, ob darüber hinaus auch der Umstand, dass der Bevollmächtigte des Klägers zunächst mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2014 anstelle des Antrags auf Zulassung der Berufung die nach § 124 Abs. 1 VwGO unstatthafte Berufung eingelegt hat, ein weiteres Indiz dafür ist, dass der Bevollmächtigte bei der späteren Adressierung des Zulassungsantrags an das richtige Gericht in Folge eines rechtlichen Irrtums über die Einzelheiten des verwaltungsgerichtlichen Rechtsmittelrechts nicht die gebotene Sorgfalt gewahrt hat.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht deshalb begründet, weil sein Prozessbevollmächtigter darauf habe vertrauen dürfen, dass der versehentlich beim Verwaltungsgericht eingegangene fristgebundene Begründungsschriftsatz (rechtzeitig) an das Oberverwaltungsgericht weitergeleitet werde. Zwar ist es anerkannt, dass ein Gericht, bei dem das Verfahren anhängig gewesen ist, verpflichtet ist, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Ist ein solcher Schriftsatz so zeitig eingereicht worden, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Schriftsatz nicht rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht gelangt (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995 - 1 BvR 166/93 -, BVerfGE 93, 99, juris Ls. 2; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 24. September 2010 - OVG 1 N 71.10 -, juris Rn 2.). Dies ist hier aber nicht der Fall, denn die Zulassungsbegründung ist erst am 8. Dezember 2014 und damit am letzten Tag der Frist um 15.40 Uhr beim Verwaltungsgericht eingegangen, so dass der Kläger bei einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht ohne Weiteres erwarten konnte, dass er noch am gleichen Nachmittag im erstinstanzlichen Gericht einem Richter vorgelegt wird, dieser die Weiterleitung an das Oberverwaltungsgericht verfügt und der Schriftsatz von der Geschäftsstelle noch an diesem Tag dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg übermittelt wird. Im Übrigen ist eine Übersendung per Fax nicht geboten, weil sie nicht zum ordnungsgemäßen Geschäftsgang gehört (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2003 - 4 B 83/02 -, NVwZ-RR 2003, 901, juris 9; Beschluss des Senats vom 8. Februar 2010 - OVG 10 S 64.09 -, juris Rn. 5).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat der erstinstanzlichen Wertfestsetzung folgt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).