Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 23.09.2011 | |
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Aktenzeichen | L 2 SF 254/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 8 JVEG, § 9 JVEG |
1. Das Erfordernis einer nachvollziehbaren Begründung von Funktionseinbußen in einem Gutachten zur Erwerbsminderung in einem Rentenrechtsstreit macht das Gutachten noch nicht zu einem Kausalitätsgutachten i. S. der Honorargruppe M3.
2. Der mit der Diskussion einer Reihe von Vorgutachten verbundene Aufwand ist in der Regel bei der "erforderlichen Zeit", also bei der Anzahl von berücksichtigungsfähigen Stunden, anzusetzen. Er rechtfertigt nicht die Annahme einer "besonderen Schwierigkeit" i. S. der Honorargruppe M3.
Die Vergütung des Antragstellers für das Gutachten vom 27. Februar 2011 im Verfahren L 33 R 2000/08 wird auf 1.708,50 € festgesetzt.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Vergütung sind §§ 8, 9 JVEG i. V. m. den aus der Anlage 1 ersichtlichen Honorargruppen. Danach ist zunächst die „erforderliche Zeit“ für das Gutachten zu ermitteln. Der Gesetzgeber geht mit dem Begriff „erforderlich“ von einem objektivierenden Maßstab aus. In ständiger Rechtsprechung hat der hier zuständige 2. Senat Grundsätze zur Anwendung des objektivierenden Maßstabes herausgearbeitet (Beschluss des Senats vom 31. Mai 2010, Az.: L 2 SF 12/10 B, zitiert nach juris). Danach gilt:
1. Aktenstudium: ca. 100 Seiten je Stunde für mit medizinischen Informationen durchsetzten Akteninhalt; hier enthielt die Verwaltungsakte 335 Seiten, der rein medizinische Aktenteil 136 Seiten, die Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens 211 Seiten, die Akte des vorangegangenen Sozialgerichtsverfahrens 170 Seiten. Diese sind zu berücksichtigen. Soweit der Gutachter 370 Seiten Gerichtsakten angegeben hat, ist dies stimmig. Die von ihm angegebene Seitenzahl der Verwaltungsakte ist nicht nachvollziehbar, ergibt sich allenfalls dann, wenn man dem 1. Band ca. 180 Seiten zuordnet und dem 2. Band 335, obwohl durchgehend nummeriert ist. Damit ergeben sich etwa 800 Seiten Aktenstudium zu 8 Stunden.
2. Da eine konkrete Untersuchungsdauer nicht angegeben wurde, diese nach dem Gutachteninhalt aber sorgfältig vorgenommen wurde, können 2 Stunden berücksichtigt werden.
3. Für den einfachen Teil des Gutachtens (Anamnese, Befunderhebung) werden 3 Seiten je Stunde berücksichtigt. Berücksichtigungsfähig sind die Seiten 2 bis 18, abzüglich des Deckblattes. Damit ergeben sich 5,6 Stunden.
4. Für den schwierigen Teil des Gutachtens (Beurteilung, Diskussion) werden 2 Seiten je Stunde berücksichtigt. Danach sind die Seiten 19 bis 30, also 12 Seiten vergütungsfähig, mithin 6 Stunden.
5. Für Diktat und Korrektur ergeben sich als entschädigungsfähig 5 Seiten je Stunde, für 30 Seiten 6 Stunden. Damit ergeben sich 27,6 Stunden, die nach § 8 Abs. 2 Satz 2 JVEG auf 28 Stunden aufzuwenden sind.
Einen Abschlag wegen Unterbeschriftung der Seiten, wie in der Vergütungsberechnung der Antragsgegnerin vorgenommen, hält der Senat nicht für angemessen. Zwar mögen die Anschläge für sich betrachtet eine Minderbeschriftung belegen. Dabei wird aber verkannt, dass die teilweise kurzen Ausführungen durch Bilder illustriert wurden, die das Textverständnis erleichtern. Außerdem wäre die Verbalisierung des auf den Bildern Ersichtlichen umfangreicher ausgefallen.
Zuzüglich waren Schreibauslagen nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 JVEG (0,75 € je angefangene Anschläge) von 28,50 € zu ersetzen. Umsatzsteuer und Porto wurden nicht geltend gemacht.
Damit ergeben sich 28 Stunden x 60 € =
1.680,00 €
Schreibauslagen =
28,50 €
=
1.708,50 €
Die Vergütung mit 60,00 € als Gutachten nach Honorargruppe M 2 begegnet dagegen keinen Bedenken, denn es handelt sich vorliegend ohne weiteres um ein Zustands- und nicht um ein Kausalitätsgutachten. Der Gesetzgeber hat entschieden, dass Kausalitätsgutachten in der Regel höher zu bewerten sind als Zustandsgutachten in der gesetzlichen Rentenversicherung, bei denen es gerade nicht um die Klärung einer Ursache einer bestimmten Erkrankung geht. Der Schluss von einer bestimmten Erkrankung auf eine bestimmte Leistungseinschränkung rechtfertigt noch nicht die Annahme eines Kausalitätsgutachtens, denn die Beschreibung von Funktionseinbußen ist Zustandsbeschreibung. Dem entspricht auf der Seite des materiellen Rechts, dass es für die Rentenberechtigung nicht auf das Vorliegen bestimmter Erkrankungen ankommt, sondern allein auf die bestehenden Funktionseinbußen. Dass diese Funktionseinbußen nachvollziehbar begründet werden müssen, ist für eine Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten selbstverständlich. Mit der Erörterung von Kausalitätsfragen i.S. der Honorargruppe M3 hat dies nichts zu tun.
Gutachten zur Minderung der Erwerbsfähigkeit sind nur ausnahmsweise nach Vergütungsgruppe M 3 zu honorieren, nämlich bei besonderen Schwierigkeiten. Diese liegen bei einem Rentenbewerber aus orthopädischen Gründen sicher nicht darin, dass dieser bereits an der Wirbelsäule operiert worden ist. Dies ist in einer Vielzahl der angesprochenen Rechtsstreitigkeiten der Fall. Soweit die Vorgutachten eine besonders intensive Diskussion über den Zustand des Versicherten – nicht über die Ursache seiner Erkrankungen im Rechtssinne, nämlich i. S. der im Sozialrecht herrschenden Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung – erforderlich machen, wird dieser Zeitaufwand durchaus berücksichtigt, nämlich unter „schwieriger Teil des Gutachtens“ mit 2 Seiten je Stunde. Die Diskussion eines medizinischen „Durchschnittsfalls“ wird nicht dadurch besonders schwierig, dass sich bereits eine Reihe von Fachkollegen zu demselben „durchschnittlichen“ Fall geäußert hat. Der Grundsatz, dass ein einfacher Sachverhalt nicht dadurch schwierig wird, dass sich bereits eine Vielzahl von Fachleuten mit ihm beschäftigt hat, gilt im Übrigen nicht nur in der Medizin. So kann beispielsweise ein Rechtsanwalt im Rahmen seines Gebührenrechts auch nicht geltend machen, der eigentlich überschaubare Fall sei schwierig, weil der Mandant zuvor schon etliche andere Rechtsanwälte befragt habe. Eine andere Frage ist es, wie viel Zeit aufgrund des Aktenumfangs aufzuwenden ist.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).