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Entscheidung Verg W 18/11


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg Vergabesenat Entscheidungsdatum 10.01.2012
Aktenzeichen Verg W 18/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde vom 23.12.2011 gegen den Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 12. Dezember 2011 - VK 54/11 - bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern, wird zurückgewiesen.

Der Antragstellerin wird aufgegeben, sich binnen zwei Wochen zu erklären, ob die sofortige Beschwerde zurückgenommen wird.

Gründe

I.

Der Auftraggeber schrieb am 16.6.2011 die Lieferung von sechs Thermocontainern auf Tandemfahrgestell europaweit aus. Die Antragstellerin beteiligte sich daran mit einem Angebot. Der Auftraggeber hob diese Ausschreibung jedoch auf, weil kein Angebot eingegangen war, das den Bewerbungsbedingungen entsprach.

Der Auftraggeber führte daraufhin wegen desselben Beschaffungsvorgangs ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durch, an dem drei Unternehmen beteiligt wurden, darunter die Antragstellerin. Die Antragstellerin gab fristgerecht ein Angebot ab. Sie erhob bis zur Angebotsabgabe keine Rügen.

Mit Schreiben vom 10.11.2011 teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass er nicht beabsichtige, auf ihr Angebot den Zuschlag zu erteilen. Ihr Angebot entspreche nicht seinen Anforderungen. Die Antragstellerin habe im von ihr auszufüllenden Leistungsverzeichnis drei Punkte mit "nein" beantwortet.

Die Antragstellerin rief mit Schreiben vom 10.11.2011 die Vergabekammer an. In diesem Schreiben machte sie geltend, sie habe schon bei der aufgehobenen Ausschreibung vermuten müssen, dass der Auftrag unbedingt an ein anderes Unternehmen habe erteilt werden sollen, weil technische Details im Leistungsverzeichnis eindeutig dessen Geräten zugeordnet werden konnten. Im Hinblick auf den Ausschluss ihres Angebotes beanstandete sie, dass Ausschlussgründe nicht vorgelegen hätten. Soweit sie Vibrationswerte in das Leistungsverzeichnis habe aufnehmen sollen, sei unklar, was diese technische Angabe bewirken solle. Die anderen mit "nein" angekreuzten Punkte beeinträchtigten die technische Funktionsweise der Geräte in keiner Weise. Ein Ausschluss aufgrund von Abweichungen im Millimeterbereich sei bei der ausgeschriebenen Straßentechnik nicht akzeptabel. Die Antragstellerin bat die Vergabekammer um Überprüfung der Angebotsvergabe.

Die Vergabekammer antwortete mit Schreiben vom 14.11.2011, dass sie keine Veranlassung sehe, aufgrund des Schreibens der Antragstellerin vom 10.11.2011 ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten, weil es nicht den Anforderungen an einen Nachprüfungsantrag gemäß § 108 Abs. 2 GWB entspreche. Insbesondere sei der Nachprüfungsantrag ohne die Erhebung einer Rüge gegenüber dem Auftraggeber unzulässig.

Die Antragstellerin erhob daraufhin mit Schreiben vom 15.11.2011 eine Rüge gegenüber dem Auftraggeber, in der sie die in ihrem Schreiben an die Vergabekammer vom 10.11.2011 genannten Beanstandungen aufführte. Gleichzeitig unterrichtete sie die Vergabekammer von dieser Rüge und erklärte, wegen der offensichtlich an den Geräten des Konkurrenzunternehmens ausgerichteten Leistungsbeschreibung sei die Vergabekammer schon von Amts wegen verpflichtet, Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen einen fairen Wettbewerb aufzunehmen.

Die Vergabekammer hat daraufhin die Schreiben der Antragstellerin vom 10.11.2011 und 15.11.2011 dem Auftraggeber zugestellt, jedoch mit Beschluss vom 12.12.2011 den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Antragstellerin sei mit ihrem Rügevorbringen betreffend die Anforderungen in den Vergabeunterlagen ausgeschlossen, denn sie habe alle diesbezüglich geltend gemachten Vergaberechtsfehler bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe rügen müssen. Eine solche Rüge sei nicht erfolgt und sei auch nicht entbehrlich gewesen. Soweit es den Ausschluss ihres Angebotes angehe, habe die Antragstellerin durch ihr auf Hinweis der Vergabekammer erfolgtes Rügeschreiben vom 15.11.2011 ihrer Rügeobliegenheit genügt. Insoweit sei der Nachprüfungsantrag jedoch offensichtlich unbegründet. Die Antragstellerin habe ihrem Angebot nicht das geforderte Messprotokoll mit Vibrationswerten beigefügt. Sie habe außerdem von der Leistungsbeschreibung abweichende Maßangaben für den Tandemanhänger gemacht und nicht - wie gefordert - ein Fahrzeug mit einer Gesamtlänge von ca. 4900 mm (= 4,9 m) angeboten, sondern ein um einen Meter längeres Fahrzeug von 5900 mm, d. h. 5,9 m. Auch wenn hier Circa-Angaben gefordert worden seien und ein gewisser Spielraum vorhanden sei, könnten Abweichungen um mehr als 5-10 % wie sie hier vorlägen, nicht mehr als zulässige Abweichung von den Anforderungen des Auftraggebers angesehen werden.

Gegen diesen Beschluss der Vergabekammer, ihr zugestellt am 13.12.2011, hat die Antragstellerin mit am 23.12.2011 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde erhoben und beantragt, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern.

Die Antragstellerin beanstandet den Beschluss der Vergabekammer als unrichtig. Weiter trägt sie vor, ihr Mitarbeiter F… habe am 30.11.2011 im Hause des für die Vergabe zuständigen Landesbetriebes mit dem Mitarbeiter O… gesprochen. Dieser habe eingeräumt, dass der Landesbetrieb die Ausschreibungsunterlagen gemeinsam mit dem Unternehmen, das den Zuschlag erhalten solle, erarbeitet habe. Dabei habe man die Ausschreibungsunterlagen exakt an den technischen Werten der dort angebotenen Geräte millimetergenau orientiert. Der Vergaberechtsverstoß, der sich aus der gemeinsamen Erarbeitung der Vergabeunterlagen mit einem Bieter ergebe, habe gegenüber dem Auftraggeber nicht angezeigt werden können, da dieser erst nachträglich bekannt geworden sei.

Der Auftraggeber tritt der sofortigen Beschwerde und dem Antrag auf Verlängerung ihrer aufschiebenden Wirkung entgegen. Er trägt vor, es habe zwar am 30.11.2011 ein Gespräch mit dem Mitarbeiter der Antragstellerin gegeben, es habe jedoch nicht den von Antragstellerin behaupteten Inhalt gehabt.

II.

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel zu verlängern, war zurückzuweisen. Die Beschwerde hat keine Erfolgsaussichten, § 118 Abs. 2 GWB.

Die Antragstellerin hat hinsichtlich aller von ihr geltend gemachten Vergaberechtsverstöße ihrer Obliegenheit, sie gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 3 GWB unverzüglich zu rügen, nicht genügt. Dies führt dazu, dass ihr Nachprüfungsantrag in vollem Umfang unzulässig ist.

I. Dies gilt zunächst für den Nachprüfungsantrag, wie er vor der Vergabekammer gestellt worden ist. Dabei fehlt es nicht nur hinsichtlich der Vergaberechtsverstöße, die sich nach dem Vorbringen der Antragstellerin aus der Gestaltung des Leistungsverzeichnisses ergeben, an einer rechtzeitigen Rüge. Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin sich gegen den Ausschluss ihres Angebotes wendet.

Das Vergaberecht ist vom Grundsatz der größtmöglichen Beschleunigung geprägt. Die diesem Grundsatz dienende Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB ist eine Präklusionsvorschrift, deren wesentlicher Sinn es ist, dass der Auftraggeber durch eine Rüge die Möglichkeit erhält, etwaige Vergaberechtsfehler im frühestmöglichen Stadium zu korrigieren. Es soll verhindert werden, dass am Vergabeverfahren beteiligte Bieter erkennbare Verstöße gegen das Vergaberecht sammeln und so lange mit einer Beanstandung warten, bis klar ist, dass ihre Spekulation, den Zuschlag zu erhalten, nicht aufgegangen ist (Wiese, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 107 Rn 53).

Als die Antragstellerin ihr Schreiben vom 10.11.2011 an die Vergabekammer richtete, hatte sie gegenüber dem Auftraggeber nicht eine einzige Rüge erhoben. Die ersten Beanstandungen gegenüber der Vergabestelle hat sie erst am 15.11.2011 geltend gemacht. Dies war verspätet, denn die Antragstellerin war am 10.11.2011 in der Lage, einen mit ihrem späteren Rügeschreiben inhaltsgleichen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer zu stellen.

1.) Soweit die Antragstellerin die Anforderungen des Auftraggebers an die zu beschaffenden technischen Geräte in den Vergabeunterlagen beanstandet, ist sie - wie die Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss zu Recht ausgeführt hat - in entsprechender Anwendung des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB ausgeschlossen. Sie hätte darin etwa liegende Verstöße gegen das Vergaberecht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber rügen müssen.

Der Auftraggeber hat die Anforderungen an die Maße des Tandemanhänger und des Thermocontainers in der vom Bieter auszufüllenden Leistungsbeschreibung klar formuliert. Die Antragstellerin hat vorgetragen, dass sie schon bei der ersten Ausschreibung vermutet hatte, dass die Leistungsbeschreibung auf ein bestimmtes Produkt zugeschnitten war. Sie hat auch bei Erstellung des Angebotes in der von ihr auszufüllenden Leistungsbeschreibung vermerkt, welche Maßabweichungen das von ihr angebotene Produkt aufweist. Weiterhin hat sie auch bis zur Angebotsabgabe festgestellt, dass sie das vom Auftraggeber geforderte Vibrationsmessprotokoll nicht hat vorlegen können. Schließlich hat sie in ihrem Angebot ausdrücklich erklärt, sie werde ein solches nachliefern.

Bei einer derartigen Sachlage muss der Bieter spätestens mit Ablauf der Angebotsfrist etwaige Mängel rügen. Es ist vergaberechtlich nicht zulässig, zunächst ein unvollständiges Angebot abzugeben und im Nachhinein nach Ausschluss des Angebotes wegen Unvollständigkeit geltend zu machen, es sei überhaupt nicht möglich gewesen, ein vollständiges Angebot einzureichen. Dasselbe gilt für Beanstandungen, die dahin gehen, es sei nicht produktneutral ausgeschrieben worden bzw. die Leistungsbeschreibung sei in Ausrichtung auf das Produkt eines bereits im Vorhinein für den Zuschlag vorgesehenen Lieferanten formuliert. Auch dies hat die Antragstellerin bei Erstellung des Angebots erkannt. Dieser Umstand hätte gegenüber dem Auftraggeber spätestens mit Abgabe des Angebots beanstandet werden müssen. Eine solche Rüge hätte dem Auftraggeber Gelegenheit gegeben, den Vorwurf zu prüfen und ggfs. etwaige Fehler zu korrigieren.

Unterbleibt die Rüge bis dahin, kann ein in einem möglicherweise nicht produktneutralen Leistungsverzeichnis liegender Vergaberechtsverstoß nicht mehr mit Erfolg vor den Nachprüfungsinstanzen geltend gemacht werden, wenn der Auftraggeber das Angebot wegen Abweichungen von den Verdingungsunterlagen ausschließt.

Zutreffend hat die Vergabekammer auch ausgeführt, dass nach der Neufassung des § 110 Abs. 1 GWB bei einem nicht bzw. verspätet gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften ein Einschreiten der Vergabekammer von Amts wegen nicht in Betracht kommt.

2.) In dem Ausschluss des Angebots der Antragstellerin wegen des fehlenden Messprotokolls für die Vibrationswerte und der Abweichungen ihres Angebotes von den geforderten Maßen setzen sich lediglich die angeblichen Vergaberechtsverstöße fort, die die Antragstellerin ungerügt gelassen hat. Deshalb ist sie mit ihrem Einwand ausgeschlossen, ihr Angebot habe wegen des unzulässigen Inhalts der Leistungsbeschreibung bzw. der widerrechtlichen Forderung nach Vorlage eines Messprotokolls nicht ausgeschlossen werden dürfen.

Auch soweit die Antragstellerin geltend macht, ihr Angebot enthalte keine wesentlichen Abweichungen von den Verdingungsunterlagen, ist sie ihrer Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB nicht nachgekommen. Die Vergabekammer hat insoweit zu Unrecht angekommen, der Nachprüfungsantrag sei jedenfalls teilweise zulässig. Soweit sie sich auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf (NZBau 2007, 668, zitiert nach Juris) beruft, ergibt sich aus dieser Entscheidung das Gegenteil. Denn darin heißt es, dass der Antragsteller, der - ohne zuvor der Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 S. 1 GWB nachgekommen zu sein - einen Nachprüfungsantrag stellt, um seiner Rügeobliegenheit noch zu genügen, die Rüge im Allgemeinen am selben Tag, spätestens aber innerhalb einer Frist von ein bis zwei Tagen danach gegenüber dem Auftraggeber aussprechen muss. Wie sich aus dem Umstand ergebe, dass die Vergabekammer angerufen wird, seien die Erkenntnis eines Rechtsverstoßes und die Absicht, dagegen vorzugehen, gereift. Der Vergaberechtsverstoß liege für den Antragsteller gewissermaßen "auf der Hand". Bei einer derartigen Sachlage müsse der Antragsteller sofort handeln und die Rüge aussprechen.

Ob der Auffassung des OLG Düsseldorf gefolgt werden kann, dass eine Rüge sogar noch bis zu zwei Tage nach Einreichung des Nachprüfungsantrages in zulässiger Weise erhoben werden kann, kann offen bleiben. Denn jedenfalls hat das OLG Düsseldorf die Rüge eines Vergaberechtsverstoßes erst am vierten Tag nach Anbringung des Nachprüfungsantrags als verspätet angesehen. Hier liegen zwischen Einreichung des Nachprüfungsantrages und Erhebung der Rüge nicht ein oder zwei Tage, sondern fünf Tage. Das ist gleichermaßen zu spät.

II. Soweit die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung erstmals vorträgt, der Auftraggeber habe mit dem für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmen gemeinsam die Leistungsbeschreibung erstellt und sie bewusst derart gestaltet, dass nur das von diesem Unternehmen angebotene Fahrzeug die Anforderungen in der Leistungsbeschreibung erfüllen könne, ist die Antragstellerin gleichfalls mit diesem Vortrag präkludiert.

a.) Soweit die Antragstellerin damit ihr Vorbringen konkretisiert, dass der Auftraggeber die Ausschreibung an den Geräten der für den Zuschlag vorgesehenen Bieterin orientiert hat, kann der neue Vortrag schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil die Antragstellerin diesbezüglich keine rechtzeitige Rüge erhoben hat.

b.) Soweit die Antragstellerin nunmehr behauptet, dass der für den Zuschlag vorgesehene Bieter den Auftraggeber bei der Ausschreibung beraten bzw. Vergabeunterlagen für ihn verfasst hat, liegt darin entweder der Vorwurf, eine nach § 16 VgV vom Vergabeverfahren ausgeschlossene Person sei beteiligt worden oder aber der betreffende Bieter sei Projektant gewesen, vgl. § 6 Abs. 7 VOL/A-EG, dessen Beteiligung sich zum Nachteil der Antragstellerin ausgewirkt habe. Darin liegt eine neue Beanstandung mit der Zielrichtung, einen Ausschluss des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens von dem Vergabeverfahren herbeizuführen. Auch mit diesem Vorbringen ist die Antragstellerin präkludiert.

Zwar sind die Anforderungen an eine Rüge wegen neuer Tatsachen, die erst im Nachprüfungsverfahren bekannt werden, deutlich geringer. Jedoch ist neues Vorbringen im Nachprüfungsverfahren nicht einschränkungslos zulässig. Vielmehr ist der Antragsteller des Nachprüfungsantrages gehalten, seine Beanstandungen zügig vorzutragen. Dies ist hier nicht geschehen.

aa.) Zwar steht der Geltendmachung eines erst im Nachprüfungsverfahren erkannten Vergaberechtsverstoßes nicht entgegen, dass - wie hier - das Nachprüfungsverfahren aufgrund eines nicht den Anforderungen des § 107 Abs. 2 und 3 GWB genügenden Antrages eingeleitet worden ist (Senat, Beschluss vom 6.10.2006, NZBau 2007, 329, zitiert nach Juris Rn 67; OLG Celle, Beschluss vom 8.3.2007, 13 Verg 2/07, zitiert nach Juris Rn 14; OLG Celle, Beschluss vom 23.2.2001, 13 Verg 3/01, VergabeR 252, zitiert nach Juris Rn 32; Weyand, Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, § 107 Rn 3432).

Ist ein Nachprüfungsantrag bereits eingereicht, soll im Interesse einer zügigen Durchführung von Vergabe- und Nachprüfungsverfahren der Antragsteller nicht gezwungen sein, wegen neu erkannter möglicher Verstöße gegen das Vergaberecht zunächst gegenüber dem Auftraggeber eine Rüge zu erheben und ein weiteres Nachprüfungsverfahren einzuleiten, wenn die Beanstandung im bereits laufenden Verfahren ohne weiteres überprüft werden kann.

bb.) Es ist auch nicht erforderlich, den später bekannt gewordenen Vergaberechtsverstoß unmittelbar gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. Es reicht vielmehr aus, dass der Vergaberechtsverstoß gegenüber den Nachprüfungsinstanzen geltend gemacht wird (Reidt/Stickler/ Glahs, Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, § 107 Rn 68).

cc.) Erforderlich ist es jedoch, den erkannten Vergaberechtsverstoß unmittelbar und unverzüglich vor der Vergabekammer oder gegebenenfalls im Beschwerdeverfahren geltend zu machen (OLG Celle, Beschluss vom 8.3.2007, 13 Verg 2/07, zitiert nach Juris Rn 15; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.5.2004, 11 Verg 8/04, 9/04 und 10/04, NZBau 2004, 567, zitiert nach Juris; Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, § 117 Rn 16; Weyand, Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, § 107 Rn 3433).

Dies ist hier nicht geschehen. Denn es geht um einen Sachverhalt, den die Antragstellerin nach eigenem Vorbringen am 30.11.2011 erfahren hat. Diesen Sachverhalt hat sie bis zur Entscheidung der Vergabekammer am 12.12.2011 nicht in das Nachprüfungsverfahren eingeführt. Sie hat ihn vielmehr erstmals im Beschwerdeverfahren mit der Beschwerdebegründung vom 23.12.2011 unter Beweisantritt vorgetragen.

(1) Es kann demgegenüber nicht davon ausgegangen werden, dass eine unverzügliche Beanstandung von erst nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erkannten Vergaberechtsverstößen gänzlich entbehrlich wäre (so aber OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9.2.2009, Verg 66/08, zitiert nach Juris Rn 44 unter Berufung auf BGH, Beschluss vom 26.9.2006, X ZB 14/06, zitiert nach Juris Rn 37; dort aber nicht tragender Rechtssatz, weil eine unverzügliche Beanstandung im dortigen Fall vorlag).

Denn das Rügeerfordernis nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB besteht im - gesamten - Vergabeverfahren. Das Nachprüfungsverfahren bietet Primärrechtsschutz in der Weise, dass durch die Nachprüfungsinstanzen noch vor dem Zuschlag Rechtsmäßigkeitskorrekturen erfolgen können. Das Nachprüfungsverfahren ist damit Teil des weiterhin laufenden Vergabeverfahrens, so dass die Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB grundsätzlich weiter gilt, auch wenn ein Nachprüfungsantrag bereits gestellt ist. Soweit die Rechtsprechung es für nicht erforderlich hält, außerhalb des laufenden Nachprüfungsverfahrens eine Rüge direkt an den Auftraggeber zu richten, sofern später erkannte Vergaberechtsverstöße geltend gemacht werden, stellt dies nicht eine Ausnahme vom Rügeerfordernis dar, sondern eine aus dem Sinn der Rüge abgeleitete Abschwächung der strengen Anforderungen an die Rügeobliegenheit. Wird der beanstandete Verstoß in das Nachprüfungsverfahren eingeführt, an dem der Auftraggeber beteiligt ist, soll der Antragsteller nicht noch zusätzlich eine beim Auftraggeber anzubringende Beanstandung aussprechen müssen.

(2) Selbst wenn man bei erst im Nachprüfungsverfahren erkannten Vergaberechtsverstößen eine Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB für gänzlich entbehrlich halten wollte, könnte das Vorbringen der Antragstellerin zum Zusammenwirken zwischen Auftraggeber und dem zum Zuschlag vorgesehenen Unternehmen bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung im vorliegenden Fall jedenfalls deshalb nicht berücksichtigt werden, weil die Antragstellerin hier gegen ihre im Verfahren vor der Vergabekammer und vor dem Beschwerdegericht bestehende Pflicht verstoßen hat, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, wie es einem auf Förderung und raschen Abschluss des Verfahrens bedachten Vorgehen entspricht, §§ 113 Abs. 2 Satz 1, 120 Abs. 2 GWB.

Denn die Antragstellerin bringt in der Beschwerdebegründung neuen Vortrag, den sie im Verfahren vor der Vergabekammer ohne weiteres hätte einführen können. Das Verfahren vor der Vergabekammer soll möglichst schnell, d. h. innerhalb von fünf Wochen abgeschlossen werden, § 113 Abs. 1 Satz 1 GWB. Am 30.11.2011, d. h. nicht einmal drei Wochen nach ihrem ersten Schreiben an die Vergabekammer, hat die Antragstellerin nach eigenem Vortrag davon erfahren, dass das Unternehmen, das den Zuschlag erhalten soll, zusammen mit dem Auftraggeber die Leistungsbeschreibung erarbeitet haben soll. Obwohl die Vergabekammer erst am 12.12.2011 entschieden hat, hat die Antragstellerin innerhalb von 13 Tagen nach dem 30.11.2011 ihre neuen Erkenntnisse nicht bei der für die Korrektur von Vergaberechtsverstößen zuständigen Vergabekammer angebracht. Es widerspricht dem in § 113 Abs. 2 Satz 1 GWB für das Nachprüfungsverfahren normierten Beschleunigungsgebot, dass bei einer derartigen Sachlage das Beschwerdegericht Vorbringen überprüft, das schon vor der Vergabekammer hätte vorgebracht werden können, dort aber nicht ins Verfahren eingeführt worden ist (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.5.2004, 11 Verg 8/04, 9/04 und 10/04, NZBau 2004, 567, zitiert nach Juris Rn 38). Derjenige Bieter, der bei der Vergabekammer Vortrag nicht anbringt, der einen Vergaberechtsverstoß begründen kann, nimmt damit in Kauf, dass sein Vortrag nicht von der Vergabekammer, sondern erst im Beschwerdeverfahren vom Vergabesenat geprüft werden kann. Dies ist ein Verhalten, das nicht auf Förderung und raschen Abschluss des Verfahrens gerichtet ist. Es führt dazu, dass das neue Vorbringen nicht zu berücksichtigen ist (so auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.11.2003, Verg 22/03, VergabeR 2004, 248, zitiert nach Juris, für den Fall von rechtserheblichem neuem Sachvortrag am Tag vor der mündlichen Verhandlung vor dem Vergabesenat).

Zwar wird vom OLG Koblenz die Auffassung vertreten, es gebe für das Vergabenachprüfungsverfahren keine Präklusionsvorschrift, die denjenigen der Zivilprozessordnung für das Berufungsverfahren entspricht; deshalb könne im Beschwerdeverfahren auch Vorbringen berücksichtigt werden, das die Vergabekammer unberücksichtigt gelassen habe (Beschluss vom 10.8.2000, 1 Verg 2/00, NZBau 2000, 535, zitiert nach Juris). Diese Entscheidung widerspricht der vom erkennenden Senat vorstehend vertretenen Auffassung nicht, weil im dortigen Verfahren der betreffende Antragsteller neue Beanstandungen noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer, allerdings nach Ablauf gesetzter Fristen, in das Verfahren eingeführt hat. Hier liegt der Fall so, dass die Antragstellerin ihre neue Beanstandung der Vergabekammer überhaupt nicht unterbreitet hat.

III.) Da der Nachprüfungsantrag unzulässig ist, braucht nicht entschieden zu werden, ob die Antragstellerin überhaupt mit ihrem Nachprüfungsantrag Erfolg haben kann. Das ist deshalb zweifelhaft, weil sie vom Auftraggeber zu Recht mit ihrem Angebot gemäß § 19 Abs. 3 lit. d) VOL/A wegen erheblicher Abweichungen der Maße des angebotenen von dem ausgeschriebenen Tandemanhänger ausgeschlossen worden und deshalb im Vergabeverfahren chancenlos ist.

Es braucht auch weder aufgeklärt zu werden, ob das für den Zuschlag vorgesehene Unternehmen tatsächlich an der Erstellung der Vertragsunterlagen mitgewirkt hat oder nicht, noch muss entschieden werden, ob und wie das dritte vom Auftraggeber eingeholte Angebot zu werten wäre, das Asphalt-Thermo-Container und Tandemfahrwerk desselben Herstellers zum Gegenstand hat wie das Angebot des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens.

D. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Sie ergeht zusammen mit der Hauptsacheentscheidung.