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Schülerin; J.-Schule; Sportunterricht; Monoedukation; Koedukation; Diskriminierung wegen des Geschlechts; Gleichheitsgrundsatz; Wahlrecht zum Übertritt in die Jungengruppe; Beurteilungsspielraum; wissenschaftlich kontroverse Diskussion; Nachteil; Rahmenlehrplan Sport; Sekundarstufe I; Anordnungsgrund


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 18.09.2013
Aktenzeichen OVG 3 S 52.13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 4 Abs 9 SchulG BE, Art 3 Abs 2 S 1 GG, Art 3 Abs 3 S 1 GG

Leitsatz

1. Monoedukativer Sportunterricht in der Sekundarstufe I ist grundsätzlich mit der Ermächtigung des Gesetzgebers in § 4 Abs. 9 Satz 2 SchulG vereinbar, nach Geschlechtern getrennten Unterricht zu erteilen, sofern dies pädagogisch sinnvoll ist und einer zielgerichteten Förderung dient.

2. Ein derartiger monoedukativer Sportunterricht verstößt nicht gegen den in Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG normierten besonderen Gleichheitsgrundsatz.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde tragen die Antragsteller.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für beide Rechtsstufen auf jeweils auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

1. Die Beschwerde zeigt nicht hinreichend auf, warum das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes hätte bejahen müssen. In Bezug auf den Sportunterricht ist für die 2005 geborene Tochter R. schon deshalb keine besondere Dringlichkeit einer die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren glaubhaft gemacht, weil R. im Schuljahr 2013/2014 die 3. Klasse besucht und der Schulsport an der J.-Schule in Übereinstimmung mit dem Rahmenlehrplan Grundschule - Sport - (dort Ziffer 4) bis zur 4. Klasse koedukativ und an der erst ab der 5. Klasse (phasenweise) nach Geschlechtern getrennt unterrichtet wird. Dass für R. - wie die Beschwerde behauptet - eine Entscheidung im Klageverfahren zu spät käme, ist derzeit nicht ersichtlich.

Darüber hinaus ist auch nicht glaubhaft gemacht, warum es R. unzumutbar wäre, zunächst am monoedukativ unterrichteten Sportunterricht teilzunehmen und eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Gleiches gilt für die 2001 geborene Tochter K., die derzeit die 7. Klasse besucht und bis zum Abschluss der 10. Klasse weiterhin am nach Geschlechtern getrennten Sportunterricht teilnehmen wird. Die Antragsteller berufen sich insoweit in erster Linie auf Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG, dessen Verletzung zwar grundsätzlich geeignet sein kann, eine Vorwegnahme der Hauptsache zu rechtfertigen. Hier ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass ein nach Geschlechtern getrennter Unterricht tatsächlich derart gewichtige Nachteile für die Töchter der Antragsteller zur Folge hat, dass die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) eine sofortige Abwendung des behaupteten nachteiligen Eingriffs gebietet. Die Antragsteller beschränken sich bei der Aufzählung von Nachteilen im Wesentlichen auf pauschale, kaum hinreichend substantiierte und durch nichts glaubhaft gemachte Behauptungen. So ist z.B. weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich, dass sich die von den Antragstellern angeführten „geschlechtsspezifischen Hänseleien“ gerade als Folge monoedukativen Unterrichts darstellen.

Soweit die Antragsteller außerdem beanspruchen, dass ihren Töchtern bei sonstiger, nach Geschlechtern getrennter Unterrichtung ein Wahlrecht eingeräumt wird, welcher Gruppe sie sich anschließen, fehlt es darüber hinaus ebenfalls an hinreichender Substantiierung und Glaubhaftmachung, dass, wann und in welchem Umfang ein solcher Unterricht in der Vergangenheit stattgefunden hat und inwieweit die Antragsteller vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes versucht haben, eine behördliche Regelung zu ihren Gunsten zu erwirken.

2. Unabhängig davon haben die Antragsteller keinen Anordnungsanspruch mit der hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, die eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigt. Nach § 4 Abs. 9 Satz 1 SchulG werden Schülerinnen und Schüler in den Schulen des Landes Berlin gemeinsam unterrichtet und erzogen. Satz 2 der Regelung lässt einen nach Geschlechtern getrennten Unterricht zu, sofern dies pädagogisch sinnvoll ist und einer zielgerichteten Förderung dient. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Der Schule ist bei der Beantwortung der Frage, was pädagogisch sinnvoll ist und was einer zielgerichteten Förderung dient, im Hinblick auf die insoweit erforderliche pädagogisch-wissenschaftliche bzw. fachliche Bewertung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt (vgl. dazu schon BVerwG, Beschluss vom 13. März 1973 - VII B 107.71 -, juris Rn. 10).

Gemessen daran ist der Beschluss der Fachkonferenz der J.-Schule vom 28. Juni 2012, bestätigt durch Beschluss des Erziehungsdirektoriums vom 13. November 2012, wonach sich im Sportunterricht der 5. und 6. Klassen sowohl koedukative als auch nicht-koedukative Unterrichtsphasen abwechseln, sowie die Entscheidung, Sport in der Sekundarstufe I (Klassen 7 bis 10) entsprechend dem Rahmenlehrplan nach Geschlechtern getrennt zu unterrichten, nicht zu beanstanden. Der der Schule in § 4 Abs. 9 SchulG eingeräumte Beurteilungsspielraum wird durch dieses Vorgehen angesichts der in der Fachwissenschaft kontrovers geführten Debatte über Vor- und Nachteile koedukativen Unterrichts nicht überschritten (vgl. dazu z.B. Stürzer, Monika, Zur Debatte um Koedukation, Monoedukation und reflexive Koedukation, in: Stürzer, Monika/ Roisch, Henrike et al., Geschlechterverhältnisse in der Schule, 2003, S. 171, insbes. S. 176 ff.; Waburg, Wiebke, Zwischen Legitimationszwang und Normalitätserleben, Weiblichkeitskonstruktionen von Schülerinnen monoedukativer Schulen, in: Herwartz-Emden, Leonie et al., Mädchen in der Schule, 2010, S. 85 ff., insbes. S. 114 ff.; ebenso BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 6 C 6.12 -, juris Rn. 32 m.w.N.).

Gleiches gilt für die Beantwortung der Frage, ob bzw. ggf. ab welcher Klasse der Sportunterricht nach Geschlechtern getrennt oder gemeinsam erteilt werden sollte, um eine gleichberechtigte Entwicklungsförderung von Mädchen und Jungen zu erreichen und Geschlechtergrenzen zu überwinden. Hierzu finden sich ebenfalls unterschiedliche Auffassungen mit beachtlichen Argumenten sowohl für als auch gegen eine koedukative Ausrichtung des Sportunterrichts, ohne dass verlässlich festgestellt werden könnte, welche dieser Meinungen in wissenschaftlicher Hinsicht eindeutig vorzuziehen ist (vgl. dazu z.B. Grupe, Ommo/ Krüger, Michael, Einführung in die Sportpädagogik, 2. Aufl. 2007, S. 39 ff.; Prohl, Robert, Grundriss der Sportpädagogik, 2. Aufl., 2006, S. 289 ff.; Küpper, Doris/ Stibbe, Günter, Grundsätze und Realisierungsmöglichkeiten reflektierter Koedukation im Sportunterricht, in: Wuppertaler Arbeitsgruppe; Schulsport in den Klassen 5-10, 2004. S. 130 ff.; Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Mädchen und Jungen im Sportunterricht, 1. Aufl. 2001, S. 5 ff.). Der Gesetzgeber nimmt in § 4 Abs. 9 SchulG in Kauf, dass die Entscheidung der Schule für ein bestimmtes (monoedukatives oder koedukatives) Unterrichtskonzept, das - wie hier - aus didaktisch-fachwissenschaftlicher Sicht vertretbar ist, nicht von allen Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern gleichermaßen akzeptiert wird.

Die von den Antragstellern beanstandete Durchführung monoedukativen Unterrichts verstößt schließlich auch nicht gegen den in Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG normierten besonderen Gleichheitsgrundsatz, wonach Männer und Frauen gleichberechtigt sind und niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf. Selbst wenn man hier - trotz des auch bei monoedukativem Unterricht garantierten Zugangs zu einer gleichwertigen Schulbildung - eine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung unterstellt, ist nicht glaubhaft gemacht, dass diese eine Benachteiligung im Sinne von Art. 3 Abs. 2, Abs. 3 GG zur Folge hat. Das pädagogische Konzept der J.-Schule will in Übereinstimmung mit dem Berliner Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I - Sport - (dort Ziffer 2.1) Rücksicht auf die unterschiedliche Entwicklung von Schülerinnen und Schülern in der Adoleszenz nehmen und strebt insoweit eine zielgerichtete Förderung im Sinne von § 4 Abs. 9 SchulG mit der Durchführung monoedukativen Sportunterrichts an.

Die ohnehin durch nichts glaubhaft gemachte pauschale Behauptung der Antragsteller, dass hierdurch tradierte Rollenbilder verstärkt und Schülerinnen diskriminiert würden, lässt sich angesichts der dargelegten kontroversen Diskussion wissenschaftlich nicht belegen. Unabhängig davon verlangen - worauf der Antragsgegner zutreffend hinweist - die Befürworter eines reflexiven koedukativen Sportunterrichts ein ganz bestimmtes Konzept, nämlich eine sorgfältig geplante, geschlechtersensible Unterrichtsgestaltung, bei der einige wichtige pädagogische Grundsätze zu beachten seien. Unreflektierte Koedukation oder formale Gleichheit ohne reflexive Haltung reichen danach nicht aus (vgl. z.B. Küpper/Stibbe, a.a.O. S. 131 f., 133; Sobiech, Gabriele, Gender als Schlüsselqualifikation von (Sport-)Lehrkräften, in: Fessler, Norbert et al., Handbuch Schulsport, 2010, S. 560). Unter diesen Umständen dürfte es zudem an einer Glaubhaftmachung fehlen, dass das von den Antragstellern für ihre Töchter begehrte bloße Wahlrecht ein sachgerechtes pädagogisches Konzept zur Verwirklichung des von ihnen angestrebten Ziels darstellt. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass der Sportunterricht zeitweise bereits in der von den Antragstellern favorisierten Art durchgeführt worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Der Senat geht hier von dem doppelten Auffangwert aus, der im schulrechtlichen vorläufigen Rechtsschutzverfahren auch bei einer Vorwegnahme der Hauptsache regelmäßig zu halbieren ist (st. Rsp., vgl. zuletzt Beschluss des Senats vom 5. September 2013 - OVG 3 L 67.13 -). Die Annahme des zweifachen (halbierten) Auffangwertes ist im Hinblick auf den Streitgegenstand gerechtfertigt, weil die Antragsteller für ihre beiden Töchter, die sich zudem in unterschiedlichen Klassen befinden, bei monoedukativer Unterrichtung jeweils ein Wahlrecht zum Übertritt in die Gruppe der Jungen beanspruchen. Insoweit war die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung von Amts wegen zu ändern, § 63 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).