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Entscheidung 31 O 162/16


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 31. Zivilkammer Entscheidungsdatum 08.12.2016
Aktenzeichen 31 O 162/16 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2016:1208.31O162.16.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 7.320.51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.10.2012 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin 50% aller weiteren auf sie übergegangenen Aufwendungen zu ersetzen, die erforderlich sind, um die Verletzungen des Versicherten ... aus Anlass des Unfalls vom 13.3.2012 zu behandeln und zu entschädigen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils beizutreibenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin, eine Berufsgenossenschaft, nimmt aus übergegangenem Recht die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 13.03.2012 in Wittenberge zwischen dem Versicherungsnehmer der Klägerin als Radfahrer und dem Beklagten zu 1. als Halter und Führer eines bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Pkw ereignete.

Der Versicherungsnehmer der Klägerin befuhr mit seinem Fahrrad die Wilsnacker Straße stadtauswärts, und zwar auf einem auf der rechten Seite befindlichen kombinierten Geh- und Radweg. Der Beklagte kam mit seinem Kfz von rechts aus der untergeordneten Müllerstraße, um an der Einbindung nach links auf die Wilsnacker Straße abzubiegen. Der Versicherungsnehmer der Klägerin bremste stark, sodass das Vorderrad blockierte und er über den Lenker auf die Straße stürzte. Zu einer Berührung mit dem zwischenzeitlich zum Stillstand gekommenen Kfz kam es nicht.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1. habe sich der Einbindung schnell genähert, so dass ihr Versicherungsnehmer befürchtet habe, ihm werde die Vorfahrt genommen. Damit sei der Unfall, auch wenn es nicht zu einer Berührung gekommen sei, jedenfalls bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges zustande gekommen. Eine Mithaftung ihres Versicherungsnehmers komme nicht in Betracht. Insbesondere habe er in einer ohne sein Verschulden eingetretenen und für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung gehabt.

Die Klägerin beziffert die ihr entstandenen erstattungsfähigen Behandlungsaufwendungen mit 14.641,02 €. Es sei anzunehmen, dass auch in Zukunft Heilbehandlungskosten anfallen werden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen an sie 14.641,02 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 22.10.2012 zu zahlen;

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr zu 100 % alle weiteren auf sie übergegangenen Aufwendungen zu ersetzen, die erforderlich sind, um die Verletzungen des Versicherten A. aus Anlass des Unfall vom 13.03.2012 zu behandeln oder zu entschädigen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, der Beklagte zu 1. habe sich der Kreuzung in Schrittgeschwindigkeit genähert. Er habe den sich annähernden Versicherungsnehmer der Klägerin bemerkt und sei vor dem Gehwegbereich stehengeblieben. Dieser habe den Sturz ausschließlich selbst verursacht, indem er sein Fahrverhalten offenbar nicht den Verkehrsverhältnissen angepasst habe. Die Betriebsgefahr des Fahrzeuges habe sich nicht ausgewirkt.

Schließlich bestreiten die Beklagten mit Nichtwissen, dass der Versicherungsnehmer der Klägerin eine Ellenbogentrümmerfraktur erlitten haben und weiterhin belastungsabhängige Schmerzen bestehen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Im Termin vom 08.12.2016 hat das Gericht über den Unfallhergang Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen A. und B.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Unfallgeschehen durch das Kraftfahrzeug des Beklagten zu 1. mitgeprägt worden, sodass grundsätzlich eine Haftung nach § 7 StVG gegeben ist. Gleichzeitig liegt ein Mitverschulden des Versicherungsnehmers der Klägerin vor, da er die ihm auch als Vorfahrtsberechtigten obliegende Sorgfaltspflicht nicht hinreichend beachtet hat. Im Ergebnis der Abwägung der Mitverursachungs- bzw. Mitverschuldensbeiträge ist eine hälftige Schadensteilung angemessen.

Nach § 7 StVG haftet der Halter eines Kraftfahrzeuges auf Schadensersatz, wenn bei dem Betriebe eine andere Person zu Schaden kommt. Dieselbe Verpflichtung trifft die Versicherung nach § 115 WG. Wie sich aus dem bereits in der Klage zitierten Urteil ergibt, ist der Begriff „Betrieb eines Fahrzeuges" weit auszulegen. Bereits in dem Urteil vom 19.04.1988 (Az: VI ZR 96/98, zitiert nach Beck.online) hat der BGH ausgeführt, ein Schaden sei bereits dann „bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeuges entstanden, wenn sich die von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben und das Unfallgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug (mit-) geprägt worden ist. So liegt der Fall hier. Das Bremsmanöver ist durch das plötzliche Auftauchen des Pkw verursacht worden. Beide Zeugen und auch der Beklagte zu 1. haben angegeben, dass die Müllerstraße schlecht bzw. spät einsehbar ist. Es ist daher nachvollziehbar, dass für einen relativ weit rechts fahrenden Radfahrer ein aus dieser Müllerstraße herannahendes Fahrzeug plötzlich erscheint. Diese Plötzlichkeit hat dementsprechend nicht nur der als Zeuge vernommene Radfahrer, sondern auch der als Beklagter zu 1. angehörte Autofahrer angegeben. Der Beklagte zu 1. hat ausgeführt, er habe sich während einer langsamen und vorsichtigen Annäherung an den Kreuzungsbereich über die Verkehrsverhältnisse auf der Wilsnacker Straße vergewissert. Die Einsicht nach links sei zunächst eingeschränkt gewesen. Dann habe er nach rechts geschaut und (erst) als er erneut nach links geschaut habe, habe er den Radfahrer bemerkt. Dieser habe zu diesem Zeitpunkt bereits gebremst und habe sich im Sturz befunden.

Damit steht ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang zwischen dem Auftauchen des Pkw und dem Sturz des Radfahrers fest, so dass von einer Realisierung der Betriebsgefahr des Fahrzeuges auszugehen ist.

Die Betriebsgefahr führt allerdings nicht zur umfassenden Haftung. Zu berücksichtigen ist vielmehr ein Mitverschulden des Geschädigten. Der Sturz ist auch darauf zurückzuführen, dass der Versicherungsnehmer der Klägerin die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet hatte. Der Umstand, dass er sich auf der vorfahrtsberechtigten Straße befand, entband ihn nicht von jeglicher Aufmerksamkeit. Zunächst handelte es sich bei dem von ihm genutzten Straßenteil um einen kombinierten Fuß- und Radweg. Er hatte also generell etwaige Fußgänger zu berücksichtigen und durfte daher nicht mit derselben Geschwindigkeit wie auf der Fahrbahn oder auf einem reinen Radweg unterwegs sein. Zum zweiten musste er damit rechnen, dass jederzeit auf der unterbevorrechtigten Müllerstraße ein Fahrzeug auftauchen konnte. Er musste zwar nicht eine Vorfahrtsverletzung in Rechnung stellen. Er durfte sich aber auch von dem Auftauchen eines Fahrzeuges nicht so überrascht zeigen, dass er instinktiv eine Vollbremsung ausführte. Er musste vielmehr so aufmerksam sein und durfte nur so schnell fahren, dass er sein Fahrrad bei herannahen eines Fahrzeuges auf der Seitenstraße beherrschte und gegebenenfalls maßvoll abbremste. Vorliegend hat der Versicherungsnehmer als Zeuge bekundet, er habe sogleich nach Wahrnehmung des Pkw voll gebremst. Dies kann nur darauf zurückgeführt werden, dass er durch das Erscheinen des Fahrzeuges überrascht war. Dies wiederum ist darauf zurückzuführen, dass er entweder das Verkehrsgeschehen nicht mit der ausreichenden Aufmerksamkeit beachtet hat oder er mit seinem Fahrrad zu schnell unterwegs war.

Die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges und das Mitverschulden sind etwa gleich hoch zu bewerten. Die Betriebsgefahr ist nicht durch eine Vorfahrtsverletzung erhöht. Unstreitig hat der Beklagte zu 1. vor dem kombinierten Geh- und Radweg angehalten. Eine überhöhte Geschwindigkeit des Beklagten zu 1. ist nicht bewiesen. Weder der als Zeuge vernommene Radfahrer noch der unbeteiligte Zeuge B. konnten ergiebige Angaben zur Geschwindigkeit des Beklagten zu 1. machen. Beide schildern vielmehr den Sturz des Radfahrers und das Erscheinen des Pkw als etwa zeitgleich. Das Mitverschulden des Radfahrers darf nicht überbewertet werden, da er jedenfalls grundsätzlich Vorfahrt hatte und es aus diesem Grunde Aufgabe des Fahrzeugführers war, alles zur Vermeidung eines Unfalls zu unternehmen.

Die Klägerin hat die erstattungsfähigen Behandlungskosten in der Klage nachvollziehbar mit 14.641,02 € berechnet. Diesen Ausführungen sind die Beklagten nicht erheblich entgegengetreten. Auf Basis der hälftigen Haftung ergibt sich der ausgeurteilte Betrag von 7.320,51 €. Für diesen Betrag haften beide Beklagte gesamtschuldnerisch. Soweit in dem klägerischen Antrag lediglich von einer Beklagten die Rede ist, beruht dies offenbar auf einem Schreibversehen. Aus den Ausführungen in der Klagebegründung ergibt sich, dass eine gesamtschuldnerische Haftung bei der Beklagten gewollt ist.

Dieser Betrag ist unter dem Gesichtspunkt des Verzuges mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 22.10.2012 zu verzinsen. Die Beklagte zu 2. hat, gleichzeitig mit Wirkung für die Beklagte zu 1. mit Schreiben vom 19.10.2012 ihre Einstandspflicht abgelehnt.

Da unter den gegebenen Umständen weitere Behandlungskosten möglich sind, war dem Feststellungsantrag mit der Maßgabe zu entsprechen, dass künftige Aufwendungen zur Hälfte zu erstatten sind.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.