Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 03.07.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 5 S 2.14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 2 S 1 Nr 1 VwGO, § 80 Abs 4 S 3 VwGO, § 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 127 Abs 3 BauGB, § 132 Nr 2 BauGB, § 133 Abs 2 S 1 BauGB, § 242 Abs 9 S 1 BauGB, § 242 Abs 9 S 2 BauGB, § 28 Abs 1 KAG BB, § 54 Abs 1 Nr 5 KAG BB |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 25. Februar 2013 wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 7. August 2012 wird angeordnet.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf 1.354,47 € festgesetzt.
I.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin der 1.038 qm und 1.102 qm großen Grundstücke V... in F.... Sie wendet sich gegen ihre Heranziehung zu den Kosten der Herstellung eines Gehwegs in der V.... Die V... ist ca. 600 m lang und verläuft in west-östlicher Richtung vom Ende der B... bis zur S.... Sie ist eine öffentliche Straße, die nicht innerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplanes liegt und trotz ihres unfertigen Zustandes bereits seit langer Zeit als Ortsstraße und zum Anbau genutzt wird. Auf ihrer nördlichen Seite erstreckt sich über die gesamte Straßenlänge der städtische Friedhof „K...“. Die südlich angrenzenden Grundstücke sind überwiegend mit Einfamilienhäusern bebaut. Die etwa auf halber Höhe nach Süden abzweigende B... teilt die V... in einen westlichen und einen östlichen Abschnitt. Die Grundstücke der Antragstellerin liegen im westlichen Straßenabschnitt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes F.... Sie sind als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen und mit je einer Doppelhaushälfte bebaut.
Am 27. Juni 2007 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der S... - SVV - den Ausbau der V... von S... bis B... als Anliegerstraße (Breite 4,75 m) einschließlich Straßenbeleuchtung. In der Begründung nahm die SVV auf den Antrag der Stadtbauverwaltung Bezug, wonach „auf Grund der hohen jährlichen Instandhaltungskosten (…) der Ausbau im ersten Abschnitt vorgeschlagen“ werde. Die V... wurde anschließend im östlichen Abschnitt mit einer 4,75 m breiten Asphaltfahrbahn mit Betonbordsteinen, beidseitigen Sickerungsmulden und Straßenbegleitgrün versehen. Bauabnahme war am 20. Dezember 2007. Mit Bescheiden vom 6. April 2009 zog der Antragsgegner die Anlieger im östlichen Abschnitt zu den um den Gemeindeanteil von 25% verringerten Kosten nach § 8 KAG und den Maßstäben der Satzung der S... über die Erhebung von Beiträgen für straßenbauliche Maßnahmen vom 30. Mai 2001 heran. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhoben drei Anlieger Klage gegen die Heranziehungsbescheide. Nachdem das Verwaltungsgericht sie darauf hingewiesen hatte, dass Straßenausbaubeiträge nicht erhoben werden könnten, solange für die jeweilige Maßnahme das Erschließungsbeitragsrecht Anwendung finde, und die S... nach eigenen Ermittlungen festgestellt hatte, dass die V... nicht bereits vor dem 3. Oktober 1990 hergestellt gewesen war, zog sie die Anlieger im östlichen Abschnitt im Wege der „Nachberechnung“ mit Bescheiden vom 15. November 2011 zu einem Erschließungsbeitrag heran, der die Höhe des zuvor beanspruchten Straßenausbaubeitrags schon wegen des geringeren Gemeindeanteils von 10% überstieg. Nach erfolglosem Widerspruch erhoben die drei Anlieger auch gegen die Nachberechnungsbescheide Klage, die das Verwaltungsgericht Potsdam ebenso wie die Klagen gegen die Bescheide vom 6. April 2009 mit Urteilen vom 30. Juli 2012 abwies. Diese Urteile sind Gegenstand der Berufungsverfahren OVG 5 B 2.14 u.a., in denen der Senat heute ebenfalls entschieden hat.
Aufgrund eines weiteren Beschlusses der SVV vom 1. Juli 2009 zum Bau eines „Gehweges, Radfahrer erlaubt, Breite 1,50 m, Lage südlich, vor den bebauten Grundstücken, Zufahrten bleiben erhalten“ erhielt die V... über ihre gesamte Länge einen Gehweg auf der Südseite. Die Bauabnahme war im April 2010.
Mit Bescheiden vom 7. August 2012 zog der Antragsgegner alle Anlieger zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung des einseitigen Gehwegs an der V... zwischen der S... und dem Ende der B... heran. Dafür bildete er ein Abrechnungsgebiet aus allen an der V... anliegenden baulich oder vergleichbar nutzbaren Grundstücken. Die Antragstellerin erhielt Heranziehungsbescheide über 2.627,92 € (V...) und 2.789,95 € (V...). Am 3. September 2012 hat die Antragstellerin gegen die Bescheide Widerspruch erhoben und zugleich beantragt, die sofortige Vollziehung der Bescheide auszusetzen. Den Aussetzungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Formularschreiben vom 12. September 2012 ab. Über den Widerspruch ist noch nicht entschieden.
Während Anträge der Anlieger im östlichen Abschnitt der V..., die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Bescheide vom 7. August 2012 anzuordnen, bei dem Verwaltungsgericht Potsdam Erfolg hatten (vgl. Beschluss vom 19. Februar 2013 - VG 12 L 810/12 - das Grundstück des Klägers im Verfahren OVG 5 B 4.14 betreffend), blieb der Antrag der Antragstellerin vom 15. Januar 2013 erfolglos.
Zur Begründung seines ablehnenden Beschlusses vom 25. Februar 2013 hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die beiden Abschnitte der V... bildeten nach natürlicher Betrachtungsweise unter Berücksichtigung des insoweit maßgeblichen Ausbauzustandes im Jahre 2007 zwei selbständige Erschließungsanlagen. Wegen der erheblich unterschiedlichen Ausbauweisen, insbesondere durch das Verspringen der befestigten Fahrbahn an dieser Stelle, entstehe für den Betrachter der Eindruck, dass an dieser Einmündung der B... ein eigenständiger Teil des Straßennetzes beginne. Davon sei auch die Stadt ausgegangen, denn sie habe für den Ausbau von Fahrbahn und Entwässerung der Teilstrecke S... bis B... Erschließungsbeiträge ohne Bildung von Abrechnungsabschnitten erhoben. Während die östliche Teilstrecke im Jahre 2007 bereits endgültig ohne Gehwege hergestellt worden sei, die spätere Hinzufügung eines einseitigen Gehweges dort allenfalls als eine Verbesserung oder Erweiterung im Wege des Straßenausbaubeitragsrechts beitragspflichtig sein könne, lägen die Dinge bei der Veranlagung der Anlieger an der westlichen Teilstrecke der V... anders. Wäre die V... oder zumindest der Gehweg dort nicht bereits vor dem 3. Oktober 1990 hergestellt gewesen, könne nach Erschließungsbeitragsrecht abgerechnet werden. Würde stattdessen Straßenausbaubeitragsrecht gelten, wäre die Maßnahme ebenfalls beitragspflichtig, jedenfalls in der sich nach der Straßenausbaubeitragssatzung ergebenden Höhe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, zu deren Begründung sie ausführt: Die Beitragsbescheide seien offensichtlich rechtswidrig. Die Herstellung des Gehwegs sei keine Erschließungsmaßnahme, weder für den östlichen noch für den westlichen Abschnitt. Die V... sei eine Anliegerstraße, die in ihrer ganzen Länge ohne Geh- oder Radweg ausgebaut (worden) sei. Dementsprechend sei der östliche Abschnitt ohne Gehweg abgerechnet worden. Beim westlichen Abschnitt handele es sich um eine Bestandsstraße, die nicht mehr hergestellt zu werden braucht. Dieser Abschnitt habe seit mehreren Jahren eine Asphaltdecke mit Unterbau, die für den Verkehr mit schweren LKW gebaut worden sei. Der „Versprung“ in der Straße auf Höhe der B... sei lediglich dem Ausbau im östlichen Abschnitt geschuldet, nicht jedoch dem Umstand, dass der Antragsgegner die beiden Abschnitte als selbständige Anlagen angesehen hätte. Der Gehweg könne nur insgesamt als eine einheitliche Ausbaumaßnahme betrachtet werden. Er sei aufgrund eines einheitlichen Bauprogramms hergestellt worden und zeige keinen „Versprung“.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 25. Februar 2013 zu ändern und die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die beiden Bescheide des Antragsgegners vom 7. August 2012 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Ihr Vorbringen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt bei verständiger Würdigung die Änderung des angefochtenen Beschlusses.
Da die Bescheide des Antragsgegners vom 7. August 2012 nach summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig sind, ist die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin gegen diese Bescheide gem. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 3 VwGO anzuordnen. Die Heranziehung der Antragstellerin zu den Kosten der Herstellung des Gehwegs richtet sich nach dem Erschließungsbeitragsrecht der §§ 127 ff. BauGB, entbehrt aber ...mangels Anordnung der Kostenspaltung derzeit der rechtlichen Grundlage.
Bei der V... handelt es sich in ihrer gesamten Länge vom Ende der B... bis zur S... um eine öffentliche zum Anbau bestimmte Straße im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, deren Abrechnung im Wege des Erschließungsbeitragsrechts die Regelung in § 242 Abs. 9 Satz 1 und 2 BauGB nicht entgegensteht. Danach können für Erschließungsanlagen oder deren Teileinrichtungen, die bis zum 3. Oktober 1990 einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellt wurden, keine Erschließungsbeiträge nach §§ 127 ff BauGB, sondern nur Ausbaubeiträge nach dem Kommunalabgabengesetz erhoben werden. Fertigstellung bedeutet, dass die Anlage oder ihre Teileinrichtung auf der gesamten Länge der Erschließungsanlage hergestellt sein muss. Daran fehlte es hier sowohl für die Gehwege als auch (mindestens) für die Teileinrichtungen Fahrbahn und Entwässerung.
Ein technisches Ausbauprogramm für die V... gab es nicht, und für eine den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertig gestellte Erschließungsanlage wies die Anlage - abgesehen von einer möglicherweise schon vorhandenen, hier aber nicht in Rede stehenden Beleuchtungseinrichtung - nicht den erforderlichen Grundbestand an kunstmäßigem Ausbau auf („Sandpiste“, vgl. dazu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2010 - BVerwG 9 C 1.09 -, juris Rn. 15, m.w.N., und Urteil des erkennenden Senats vom 5. Juni 2014 - OVG 5 B 1.14 -, S. 10 f. UA). Beide Verfahrensbeteiligten haben im Termin zur mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die V... vor dem 3. Oktober 1990 bis auf eine Teilstrecke von ca. 134 m zwischen der B... und dem Grundstück V... 31, wo ein ca. 3 m breiter provisorischer Asphaltstreifen aus Kalkschotter mit angespritzter Bitumenemulsion hergestellt worden war, lediglich aus einer Sandpiste bestand. Im Zusammenhang mit der Verlegung von Abwasserleitungen in der V... im Jahre 2001 wurde im Teilbereich zwischen S... bis zur Höhe des Grundstücks V... eine Schotterdecke hergestellt und in gleichem Zusammenhang (auch) eine ca. 2,60 m breite Tragdeckschicht im westlichen Abschnitt. Eine Anlage zur Oberflächenentwässerung war an keiner Stelle und zu keiner Zeit vorhanden, ebenso wenig ein befestigter Gehweg. Jedenfalls bis zum teilweisen Ausbau im Jahre 2007 handelte es sich bei der V... bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise nach Verlauf, Breite und Ausstattung sowie Erschließungsfunktion offenkundig um eine einzige Erschließungsanlage (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Januar 2013 - BVerwG 9 B 33.12 -, juris Rn. 6 m.w.N.). Zu diesem Zeitpunkt war die V... eine allenfalls provisorisch befestigte, durchgehende Sandpiste, deren Verlauf, Breite und Erschließungsfunktion östlich und westlich der Einmündung B... völlig gleich waren. Dass allein die Einmündung dieser Querstraße für sich genommen noch nicht die Aufteilung in zwei selbständige Erschließungsanlagen rechtfertigt, sondern allenfalls eine Abschnittsbildung an dieser Stelle, ist offenkundig.
Die Beitragspflicht entsteht nach § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlagen. Dazu müssen alle im Ausbauprogramm der Gemeinde festgelegten flächenmäßigen Bestandteile der Erschließungsanlage einen Ausbauzustand erreicht haben, der den satzungsmäßig festgelegten Merkmalen der endgültigen Herstellung der Teileinrichtungen in ihrer gesamten Ausdehnung entspricht. Die V... ist aber unstreitig im hier maßgeblichen westlichen Abschnitt mindestens in den Teileinrichtungen Fahrbahn und Entwässerungseinrichtung nicht in diesem Sinne endgültig hergestellt. Denn die vorhandene ca. 2,60 m breite Fahrbahn mit einer Tragdeckschicht genügt weder nach ihrer Breite noch nach ihrem technischen Zustand den Anforderungen. Nördlich der Fahrbahn und von ihr nicht durch Bordstein o.ä. getrennt befindet sich ein mindestens ebenso breiter Sandstreifen, der von den Autofahrern zum Ausweichen vor auf der Asphaltfahrbahn entgegenkommenden oder parkenden Fahrzeugen genutzt wird. Das Regenwasser läuft von der Asphaltfahrbahn unreguliert auf die Sandpiste und bildet dort mangels Sickereinrichtung tiefe Pfützen bzw. Schlaglöcher, die den Fahrzeugverkehr erheblich behindern.
Ist aber die Beitragspflicht für die Erschließungsanlage insgesamt noch nicht entstanden, bedarf die hier in Rede stehende Abrechnung der Kosten der Herstellung der Teileinrichtung Gehweg einer Anordnung der Kostenspaltung gem. § 127 Abs. 3 BauGB. Danach kann der Erschließungsbeitrag für den Grunderwerb, die Freilegung und für Teile der Erschließungsanlagen auch selbständig erhoben werden (Kostenspaltung). Neben der Regelung in der Ortssatzung gem. § 132 Nr. 3 BauGB - hier in § 6 EBS 1995 - muss die Kostenspaltung im Einzelfall ausgesprochen werden. Dieser „Ausspruch“ muss eindeutig zumindest in irgendwelchen Vermerken, Niederschriften, Abrechnungsunterlagen usw. in den Akten zum Ausdruck kommen, sein Vorliegen muss nachweisbar sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1997 - BVerwG 8 B 129.97 -, juris Rn. 4). Der Ausspruch der Kostenspaltung muss zudem so gefasst sein, dass sich eindeutig bestimmen lässt, welche Teileinrichtungen abgerechnet werden sollen. Ob diesen Anforderungen genügt wird, bedarf einer vom Tatsachengericht vorzunehmenden Würdigung im Einzelfall. Da es sich bei der Anordnung der Kostenspaltung um eine in das Ermessen der Gemeinde gestellte Möglichkeit der Vorfinanzierung und damit wegen der Bedeutung der Entscheidung für den Haushalt der Gemeinde regelmäßig nicht um ein Geschäft der laufende Verwaltung handelt, dürfte zuständiges Organ innerhalb der Gemeinde die Gemeindevertretung sein (vgl. §§ 28 Abs. 1, 54 Abs. 1 Nr. 5 BbgKVerf).Hier ist aber von einer Kostenspaltung in den Verwaltungsvorgängen und den Beschlüssen, Vorlagen und Protokollen der Stadtverordnetenversammlung an keiner Stelle die Rede. Insbesondere sagt der Ausbaubeschluss vom 1. Juli 2009 nichts über den Zeitpunkt der Heranziehung der Anlieger aus. Solange aber keine Kostenspaltung beschlossen oder die V... insgesamt endgültig hergestellt ist, ist der Gehweg nicht abrechnungsfähig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).