Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 17.12.2012 | |
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Aktenzeichen | L 3 U 109/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 7 SGB 7, § 9 SGB 7, § 56 SGB 7 |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 25. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
I.
Streitig sind die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) Nr. 1317 der Anlage I zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – Polyneuropathie (PNP) oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische – sowie die Gewährung von Verletztenrente.
Die 1961 geborene Klägerin absolvierte in der DDR ab dem 01. September 1977 bis zum 30. September 1979 eine Ausbildung zur Galvanisiererin im Armaturenwerk H, die sie nicht erfolgreich abschließen konnte. In der Folge war sie im Lehrbetrieb bis zum 10. Oktober 1979 als angelernte Galvanisiererin beschäftigt, danach bis zum 30. April 1984 als Entgrater und Sichtkontrolleur in der Abteilung Plastnachbehandlung, ab dem 01. Mai 1984 bis zum 04. August 1985 als Montiererin in der Abteilung Spezialarmaturen, anschließend bis zum 20. April 1986 als Heimarbeiterin in der Abteilung Plastnachbehandlung, sodann vom 21. April 1986 bis zum 06. Juni 1990 als Montiererin erneut in der Abteilung Spezialarmaturen und schließlich seit dem 07. Juni 1990 bis zur Schließung des Werks zum 31. Dezember 2005 als Montiererin in der Abteilung Montage beschäftigt. Das Werk wurde nach der Wende von der G AG übernommen. Ab dem 09. März 2004 war die Klägerin nur mit kurzer Unterbrechung bis zum 19. Oktober 2005 arbeitsunfähig.
Anfang März 2004 trat plötzlich ein Taubheitsgefühl im linken Fuß mit Fußheberparese auf, im April dann auch rechtsseitig, außerdem kam es im weiteren Verlauf noch zu Sensibilitätsstörungen im Bereich der oberen Extremitäten. In der Landesklinik L wurde auf der Grundlage eines stationären Aufenthaltes vom 20. bis zum 30. April 2004 eine Peronäusläsion beidseits mit Fußheberparese und Sensibilitätsstörungen diagnostiziert (Entlassungsbericht <EB> vom 03. Mai 2004). Vom 30. Juni bis zum 28. Juli 2004 befand sie sich außerdem in einer stationären medizinischen Rehabilitation in der Rehaklinik H der Landesversicherungsanstalt Brandenburg (EB vom 04. August 2004).
Nachdem die Krankenkasse der Klägerin – die AOK – im August 2005 bei der Beklagten unter Hinweis auf die Angabe der Klägerin, sie habe berufsbedingt Kontakt mit Kupfer, Nickel, Chrom, Salzsäure, Schwefelsäure, Salpetersäure, Phosphorsäure und Kristallöl 60 gehabt, ihren Verdacht, dass die PNP eine BK sei, angezeigt hatte, nahm die Beklagte ihre Ermittlungen auf und veranlasste eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes. Basierend auf Angaben der G AG sowie der Klägerin führte Dipl.-Ing. P unter dem 02. Januar 2006 aus, im Bereich Galvanik habe keine Gefährdung i. S. d. BK 1317 vorgelegen, da dort keine organischen Lösungsmittel eingesetzt würden. Für den Montagebereich liege das letzte aktuelle Verzeichnis der Gefahrstoffe der G W T AG & Co. KG, Werk H, vor. Darin sei Kristallöl 60 nicht enthalten. Dieses sei nach Angaben der Klägerin in einem Zeitraum von ein bis eineinhalb Jahren in den 90er Jahren eingesetzt worden. Unter der Bezeichnung Kristallöl 60 werde ein aliphatisch/aromatisches Kohlenwasserstoffgemisch der Firma Sgehandelt. Es habe in dem genannten Zeitraum arbeitstäglich direkter Hautkontakt über mehrere Stunden in den Handflächen bestanden. Nach den Angaben im Sicherheitsdatenblatt könne Kristallöl 60 das Zentralnervensystem schädigen. Eine Aufnahme von Dämpfen sei wenig wahrscheinlich, da Kristallöl 60 wenig flüchtig sei. Neben dem Zeitraum von ein bis eineinhalb Jahren, in dem ein Umgang mit Kristallöl 60 beschreibbar sei, sei kein weiterer Umgang mit derartigen Stoffen ermittelt worden. Exakte Angaben zu dem Zeitraum des Kristallöleinsatzes hätten nicht ermittelt werden können. Die Firma G teilte unter dem 14. März 2006 ergänzend mit, wohl ab ca. 1995/1996 sei Kristallöl 60 nicht mehr als Putz- / Entfettungsmittel eingesetzt worden.
Nach Einholung einer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 05. April 2006 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. April 2006 die Anerkennung einer BK 1317 ab. Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestünden nicht. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem maximal bis 1996 erfolgten Einsatz von Kristallöl 60 und der erst März 2004 aufgetretenen polyneuropathischen Beschwerdesymptomatik sei aufgrund des großen Zeitintervalls unwahrscheinlich.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und trug vor, die Beklagte habe versäumt, auf die Einwirkung anderer Schadstoffe wie etwa Chrom, Nickel, Salpetersäure, Phosphorsäure und Salzsäure einzugehen. Zudem habe sie als Auswirkung des Kristallöls schon damals Zahnprobleme gehabt. Die Beklagte zog daraufhin u. a. den EB der Rehaklinik H vom 04. August 2004, Arztbriefe des Neurologen und Psychiaters Dr. S vom 17. August 2004, 02. November 2004 und 20. Mai 2005, Kopien aus der Behandlungskarte der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. N betreffend die Zeit ab dem 09. März 2004 bis 06. Juni 2006, einen CT-Befund der Lendenwirbelsäule (LWS) vom 15. März 2004, einen Elektromyografie-Befund vom 18. März 2004, die EBs der Landesklinik L vom 03. Mai 2004 und 01. Dezember 2004 sowie ein für den MDK erstelltes sozialmedizinisches Gutachten des Dr. Z vom 04. April 2005 bei. Anschließend wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2006 zurück.
Mit ihrer hiergegen vor dem Sozialgericht Cottbus (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die bei ihr festgestellte PNP sei durch den 1995 oder 1996 während ihrer Tätigkeit in den Abteilungen Galvanik bzw. Montage erfolgten Kontakt mit Kristallöl 60 wesentlich verursacht. Zwar habe sie Handschuhe benutzt, diese hätten jedoch den Hautkontakt nicht verhindert.
Das SG hat u. a. die Unterlagen des arbeitsmedizinischen Dienstes der Agentur für Arbeit Cottbus (u. a. mit dem ablehnenden Erwerbsminderungsrentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung Brandenburg vom 09. Februar 2006 sowie dem für den Rentenversicherungsträger erstellten psychiatrischen Gutachten der Dr. K-Evom 12. Januar 2006 und dem für den MDK erstellten sozialmedizinischen Gutachten des MR V vom 26. Juli 2005) und ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK beigezogen. Darüber hinaus hat es einen Befundbericht des Nervenarztes Dr. B vom 15. Juli 2007 eingeholt und den Arzt für Innere Medizin, Allgemeinmedizin, Geriatrie, Umweltmedizin, Notfall- und Intensivmedizin, Dipl.-Chem. und Forensischen Toxikologen Dr. Dr. K mit der Untersuchung der Klägerin und der Erstellung eines Sachverständigengutachtens betraut. In seinem am 18. Dezember 2008 nach einer Untersuchung der Klägerin am 27. November 2008 erstellten Gutachten hat er folgende Diagnosen gestellt:
· Überwiegend sensible sensomotorische PNP unklarer Ätiologie
· Peronäusläsion beidseits, mutmaßlich durch Druckläsion des Fibulaköpfchens
· Blandes Sulcus-ulnaris-Syndrom
· Perianalfistel, Stuhlinkontinenz
· V. a. Polyarthrose
· Thorakale Hyperkyphose bei V. a. Morbus Bechterew
· Epicondylitis humeri radialis rechts
· Cervikales pseudoradikuläres Schmerzsyndrom nach Autounfall mit HWK 7-Fraktur
· Z. n. Appendektomie
· Z. n. Cholecystektomie
· V. a. überlagerte Somatisierungsstörung
· Typ IV-Sensibilisierung auf Nickel, Chrom, Kobalt, Latex, Quecksilber, Candida albicans, Palladium, Methacrylat und Soja (laut Allergieausweis).
Für eine Enzephalopathie bestehe klinisch kein Anhalt. Keine dieser Gesundheitsstörungen sei mit Wahrscheinlichkeit durch berufsbedingte Einwirkungen verursacht. Bei der Klägerin sei eine gefährdende Exposition beim Umgang mit Kristallöl 60 wenig wahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen. Kristallöl 60 könne potentiell neurotische Substanzen enthalten. Nach allen Erfahrungen aus dem Fachschrifttum reiche das Ausmaß der beruflichen Exposition mit Lösungsmitteln über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren nicht aus, um eine lösungsmittelbedingte PNP auszulösen. Während der Exposition sei es auch nicht zu neurologischen Ausfällen gekommen, wie man dies bei massiver Exposition nach mehreren Monaten erwarten würde. Überdies bestehe ein ungewöhnlich langer zeitlicher Abstand zwischen dem Ende der Exposition und dem Beginn der PNPbeschwerden im Jahr 2004. Eine PNP manifestiere sich bei massiver gefährdender Exposition bereits nach minimal drei Monaten. Überdies sei eine lösungsmittelbedingte PNP nach Lösungsmittelkarenz wenigstens teilreversibel. Es bestehe darüber hinaus kein Anhalt für einen Umgang mit anderen neurotoxischen Stoffen am Arbeitsplatz. Chlorgas sei nicht geeignet, eine PNP hervorzurufen. Ebenso sei eine Exposition der Klägerin mit Schwermetallen beim Galvanisierungsprozess nicht wahrscheinlich. Eine BK 1371 liege nicht vor.
Auf den Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG den Internisten, Nephrologen und Umweltmediziner Prof. Dr. H mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens betraut. In dem am 10. August 2010 nach einer Untersuchung der Klägerin am 19. Oktober 2009 erstellten Gutachten ist dieser davon ausgegangen, die Klägerin habe vier bis fünf Jahre lang Tätigkeiten mit Kontakt zu Kristallöl ausgeführt. Bei ihr bestehe eine sensible sensomotorische PNP, eine Peronäusläsion beidseits, eine thorakale Hyperkyphose bei V. a. M. Bechterew, eine Perianalfistel, ein Z. n. Appendektomie und ein Z. n. Cholezystektomie. Die sensible sensomotorische PNP betreffend beide Peronäusnerven rechts und links sei eine BK 1317. Hierfür sprächen die Expositionszeit von vier bis fünf Jahren, die Tatsache, dass Kristallöl 60 neurotoxisch sei, dass auch nach Expositionsende eine endogene Lösungsmittelexposition aufgrund der körperinternen Speicherung der Giftstoffe stattfinde, dass beide Peronäusnerven betroffen seien, dass konkurrierende Ursachen nicht erkennbar bzw. nicht wahrscheinlich seien sowie dass der Zeitraum des Kristallöleinsatzes nach dem Jahr 2000 gelegen habe und somit die Latenzzeit nur vier Jahre betragen habe. Eine toxische Enzephalopathie liege nicht vor.
Die Beklagte hat insbesondere bemängelt, dass Prof. Dr. Hvon einem falschen Expositionszeitraum ausgegangen sei und die Auskunft der G AG vom 14. März 2006 ignoriert habe. Außerdem sei nicht erkennbar, wie Prof. Dr. H zu der Annahme einer vier- bis fünfjährigen Expositionszeit gelangt sei. Es sei hier weiterhin von einer eineinhalbjährigen Exposition und einer rund 10jährigen Latenz der Beschwerden auszugehen, so dass ein ursächlicher Zusammenhang nicht wahrscheinlich sei.
Das SG hat die auf Gewährung von Verletztenrente, hilfsweise auf Feststellung einer PNP als BK 1317 gerichtete Klage durch Urteil vom 25. Februar 2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf das Gutachten des Dr. Dr. Kgestützt.
Gegen das am 02. Mai 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04. Mai 2011 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) eingelegt. Zum Nachweis der von ihr geltend gemachten Zahnbeschwerden hat sie einen Befundbericht der Diplom-Stomatologin S vom 10. November 2011 betreffend wiederkehrende Entzündungen des Zahnfleisches in den Jahren 2003 und 2005 sowie eine Unverträglichkeit auf bestimmte Zahnersatzmaterialien vorgelegt. Die Tatsache, dass sie erst 2004 polyneuropathische Beschwerden verspürt habe, schließe nicht aus, dass sie bereits vorher vorhanden gewesen seien. Seit 1996 sei sie immer wieder für erhebliche Zeiträume in der Galvanik eingesetzt worden. In dieser Zeit sei ihrer Ansicht nach ebenso mit organischen Lösungsmitteln zur Säuberung der Metalle gearbeitet worden. In dieser Zeit seien dort Alkohole, insbesondere Ethanol und Methanol zum Putzen eingesetzt worden. Auch seien fortlaufend chromsäure-, schwefelsäure- salpetersäure- und teilweise salzsäurehaltige Lösungsmittel verwendet worden. Auch in Klebstoffen seien neurotoxische Lösungsmittel enthalten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 25. Februar 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen ihrer Polyneuropathie zu gewähren,
hilfsweise,
die Polyneuropathie als BK Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat Auskünfte der G AG vom 21. Juni 2012 und 26. Juni 2012 eingeholt. Demgemäß sei Kristallöl 60 im G Werk H zum Putzen/zur Reinigung verchromter Armaturen nach der End- bzw. Zwischenmontage (Produktionsabteilung Montage) verwendet worden. Da das G Werk H in den meisten Fällen Vorgehensweisen aus den Hauptwerken H und L übernommen habe, werde davon ausgegangen, dass Kristallöl 60 auch im Werk H bis etwa Ende 1997 im Einsatz gewesen sei, da die Gefährlichkeit zu diesem Zeitpunkt im Werk L erkannt worden sei und dann auf das Reinigungsmittel UNIPOL umgestellt worden sei. Eine genauere Recherche im Detail sei aufgrund der Abwicklung des Werks zum 31. Dezember 2005 nicht mehr möglich. Den Auskünften war Schriftverkehr aus dem Jahr 1997 zum Einsatz von Kristallöl 60 sowie das EG-Sicherheitsdatenblatt zur Poliercreme UNIPOL 2102 Metal-Polish beigefügt.
Die Beklagte hat arbeitstechnische Stellungnahmen des Dipl.-Ing. P vom 09. Juli 2012 und 12. September 2012 vorgelegt und drauf hingewiesen, dass ein Ersatz des Kristallöl 60 durch die Polierpaste UNIPOL im Werk H letztlich nicht gesichert sei. Auch sei nicht gesichert, dass Kristallöl 60 abweichend von der ersten Auskunft der Firma G im Werk H erst Ende 1997 ausgetauscht worden sei. In jedem Falle handele es sich bei UNIPOL 2012 um eine Polierpaste, die nicht als Gefahrstoff eingestuft sei. Das Produkt sei vergleichbar mit allgemein aus dem Haushaltsbereich bekannten Metallputzmitteln wie „Elsterglanz“. Das Produkt sei leicht alkalisch, der pH-Wert entspreche handelsüblicher Stückseife. Das Lösungsvermögen für fettige Verschmutzungen werde durch die Bestandteile Wasser und Tenside sowie die aliphatischen Kohlenwasserstoffe erreicht. Aufgrund seiner Beschaffenheit werde es sparsam eingesetzt, sonst würde der Reinigungsprozess unnötig verlängert. Die Überschreitung von Arbeitplatzgrenzwerten sei nicht vorstellbar. Das Lösemittel aus der Polierpaste sei wenig flüchtig und nur in geringer Menge vorhanden. Auch die Aufnahme von Kohlenwasserstoffverbindungen durch die Haut sei nicht zu erwarten. Gearbeitet werde mit einem mit Wasser angefeuchteten Lappen, mit dem etwas von der Polierpaste auf der Armatur verrieben werde. Dann werde die Armatur mit einem trockenen Tuch nachpoliert. Die in der Galvanik eingesetzten Chemikalien Salzsäure und Salpetersäure seien keine Stoffe, die geeignet seien, eine BK 1317 zu verursachten. In der Galvanik habe kein Kontakt zu neurotoxischen Lösemitteln bestanden.
Mit Schreiben vom 25. September 2012 und 29. Oktober 2012 ist den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung des Senats durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG gegeben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte unter pflichtgemäßer Ausübung des ihm insofern eingeräumten Ermessens angesichts der trotz der langen Verfahrensdauer überschaubaren Sach- und Rechtslage nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Zunächst ist die Klage unzulässig, soweit die Klägerin – wie in erster Instanz – die Gewährung von Verletztenrente geltend macht. Hierfür fehlt es bereits an einer im Klagewege anfechtbaren Verwaltungsentscheidung bzw. der Durchführung eines nach § 78 SGG erforderlichen Vorverfahrens. Denn die für die Ermittlung des Verfahrensgegenstandes maßgeblichen Verfügungssätze des angefochtenen Bescheides vom 20. April 2006 geben nichts für eine den Anforderungen des § 31 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) entsprechende regelnde Wirkung bezüglich der Frage der Gewährung von Verletztenrente her. Bei der Formulierung „Ansprüche auf Leistungen bestehen nicht“ handelt es sich um eine reine Leerformel. Über die Gewährung konkreter einzelner Versicherungsleistungen wie etwa Verletztenrente und deren konkrete Anspruchsvoraussetzungen ist damit nicht entschieden worden.
Im Übrigen ist die Klage bzw. Berufung unbegründet. Der Bescheid vom 20. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2006, mit welchem die Feststellung einer BK 1317 abgelehnt worden ist, ist rechtmäßig.
Nach § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Versicherungsfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung Arbeitsunfälle und BKen. Beim Versicherten konnten als Versicherungsfall nur BKen vorgelegen haben.
BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO bzw. § 9 Abs. 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.
Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. Bundessozialgericht <BSG> in SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und SozR 4-2700 § 8 Nr. 17) Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a. a. O.).
Von der BK Nr. 1317 werden PNPn oder Enzephalopathien durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische erfasst.
Nach dem Tatbestand der BK 1317 muss also der Versicherte aufgrund einer versicherten Tätigkeit gegenüber organischen Lösungsmitteln oder deren Gemischen exponiert gewesen sein. Durch die spezifischen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden besonderen Einwirkungen muss eine PNP oder Enzephalopathie entstanden sein und noch bestehen. Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen.
Einigkeit besteht darüber, dass bei der Klägerin eine sensomotorische PNP vorliegt. Grundsätzlich kommt diese PNP als ein der BK 1317 der Anlage 1 zur BKV entsprechendes Krankheitsbild in Betracht.
Es kann dahin stehen, ob die haftungsbegründende Kausalität zu bejahen ist, d.h. ob die Klägerin während ihrer Berufstätigkeit Lösungsmitteln in einem Maße exponiert war, das ausreichend war, um eine PNP hervorzurufen. Feststeht, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Montiererin im Werk H der G AG insbesondere Hautkontakt mit dem Reinigungsmittel Kristallöl 60 hatte, das ausweislich des Sicherheitsdatenblattes ein aliphatisch/aromatisches Kohlenwasserstoffgemisch darstellt und das zentrale Nervensystem schädigen kann. Dies ist bestätigt durch die Auskünfte der G AG. Es ist aber nicht feststellbar, zu welchen Anteilen neurotoxische Lösungsmittel i. S. d. Merkblattes für die ärztliche Untersuchung zur BK 1317 (Bek. des BMGS, BArbBl. 3/2005 H. 3 S. 49, veröffentlicht u. a. in Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zu BKV, unter M 1317: n-Hexan, n-Heptan, Butanon-2, 2-Hexanon, Ethanol, Ethanol, 2-Methoxyethanol, Benzol, Toluol, Styrol, Dichlormethan, 1,1,1-Trichloethan, Trichlorethen, Tetrachlorehten) im Kristallöl 60 enthalten waren. Auch ist unklar, über welchen Zeitraum die Klägerin neurotoxischen Lösungsmitteln durch den Kontakt mit Kristallöl 60 ausgesetzt war. Die Klägerin selber hat hierzu telefonisch am 12. Dezember 2005 gegenüber der Beklagten mitgeteilt, sie habe ca. ein Jahr lang intensiv Umgang mit Kristallöl 60 gehabt, danach sei ein Putzmittel auf wässriger Basis der Firma R K eingesetzt worden, von dem sie Hautausschläge bekommen habe. Die G AG hat unter dem 14. März 2006 mitgeteilt, der Putzmittelaustausch habe schätzungsweise 1995/1996 stattgefunden. Unter dem 21. Juni 2012 hat die G AG mitgeteilt, dass im Werk L zum Ende des Jahres 1997 auf die Polierpaste UNIPOL 2102 umgestellt worden sei und dass aufgrund der Tatsache, dass in H viele Vorgehensweisen aus den Werken L und H übernommen worden seien, davon ausgegangen werden könne, dass auch in H dementsprechend verfahren worden sei. Zeugen bezüglich Art und Dauer des Einsatzes von Kristallöl 60 im Werk Hsind von der Klägerin nicht benannt worden und dem Senat nach den Auskünften der G AG auch nicht ersichtlich. Angesichts der eigenen Angaben der Klägerin, sie habe ca. ein Jahr lang intensiv Umgang mit Kristallöl 60 gehabt und danach sei ein wässriges Reinigungsmittel der Firma R K eingesetzt worden, bestehen allerdings gravierende Zweifel daran, dass im Werk H wie im Werk L bis Ende 1997 Kristallöl 60 und anschließend die Polierpaste der Firma UNIPOL verwendet worden ist.
Auch unterstellt, es habe im Zeitraum vor dem 31. Dezember 1997 ein ca. eineinhalbjähriger Umgang mit Kristallöl 60 tatsächlich bestanden und anschließend mit der Polierpaste UNIPOL 2102, ergibt sich hieraus jedenfalls keine über den 31. Dezember 1997 hinausgehende Einwirkung organischer Lösungsmittel i. S. d. BK 1317. Zwar kann die Polierpaste laut Sicherheitsdatenblatt 15-30% aliphatische Kohlenwasserstoffe enthalten, jedoch ist weder bekannt, um welche es sich handelt und ob diese geeignet sind, eine PNP zu verursachen noch ist überhaupt eine relevante Einwirkung ersichtlich, denn es handelt sich um eine Paste bzw. Creme, aus der die Lösungsmittel wenig flüchtig sind (vgl. die Stellungnahme des Dipl.-Ing. P vom 12. September 2012).
Weitere Einwirkungen organischer Lösungsmittel sind nicht nachgewiesen. Soweit die Klägerin immer wieder vorbringt, sie habe Kontakt mit Salzsäure, Salpetersäure und chlor gehabt, begründet sich heraus keine Einwirkung i. S. d. 1317, denn es handelt sich nicht um organische Lösungsmittel. Soweit sie darüber hinaus vorträgt, sie habe Kontakt mit Ethanol und Methanol in der Galvanik gehabt, so gibt es keinerlei objektive Anhaltspunkte zur Bestätigung dieses Vortrags. Im Übrigen ist ein Einsatz in der Galvanik über die kurze Zeit nach der Ausbildung hinaus nicht nachgewiesen.
Offen bleibt ebenso die Frage, welche Quantität die stattgehabte Lösungsmittelbelastung überhaupt gehabt hat, denn ein biologisches Monitoring im Rahmen von arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen während der beruflichen Tätigkeit hat nicht stattgefunden. Aufgrund des somit bestehenden Informationsdefizits ist eine abschließende Bewertung der Quantität der Lösungsmittelexposition der Klägerin nicht möglich.
Die erörterten Fragen im Zusammenhang mit der haftungsbegründenden Kausalität können deshalb letztlich offen bleiben, weil die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der Schadstoffexposition der Klägerin und der Entstehung ihrer PNP nicht im Sinne der Wahrscheinlichkeit bejaht werden kann. Dagegen sprechen entscheidend der Beginn und der Verlauf der PNP. Diese Erkrankung hat sich bei der Klägerin Anfang März 2004 zum ersten Mal subjektiv bemerkbar gemacht. Zu diesem Zeitpunkt sind entsprechende Beschwerden auch erstmals von der behandelnden Ärztin Dipl.-Med. N dokumentiert worden. Zugunsten der Klägerin unterstellt, die Exposition gegenüber Kristallöl 60 habe bis zum 31. Dezember 1997 angedauert, hat sich die Krankheit mithin erstmals zu einem Zeitpunkt sechs ¼ Jahre danach manifestiert. Eine so lange Latenzzeit lässt einen ursächlichen Zusammenhang sowohl nach Auffassung des Sachverständigen Dr. Dr. K als auch nach der unfallmedizinischen Literatur unwahrscheinlich erscheinen. Grundsätzlich besteht ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der krankmachenden Exposition und dem Krankheitsbeginn, d. h. die Krankheit entwickelt sich während oder kurz nach der Exposition. Ein längeres Intervall zwischen letzter Exposition und Krankheitsbeginn ist toxikologisch nicht plausibel, was auch auf die kurzen biologischen Halbwertszeiten der neurotoxischen Lösungsmittel zurückzuführen ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. A. 2010, Kap. 5.8.2. S. 241; BK-Report 2/2007, BK 1317, Nr. 3.4 S. 129; Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., M 1317 Randnr. 2). Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe bereits früher „typische“ Zahnbeschwerden gehabt, kann dies nicht nachvollzogen werden. Der von ihr eingereichte Befundbericht der behandelnden Diplom-Stomatologin S gibt überhaupt keinen Aufschluss über lösungsmittelbedingte Zahnbeschwerden. Auch ist unklar, woher die Klägerin ihre Auffassung nimmt, es gebe „typische“ Zahnbeschwerden.
Auch der Krankheitsverlauf der PNP spricht gegen einen solchen Kausalzusammenhang. Zwar kann eine toxische PNP nach Expositionsende zeitlich begrenzt über wenige Monate eine Verschlechterung der Symptomatik zeigen. Langfristig kommt es jedoch nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern grundsätzlich zu einer weitestgehenden Rückbildung der klinischen und neurologischen Symptomatik (vgl. das Merkblatt zur BK 1317, a. a. O., unter III. Krankheitsbild und Diagnose), wobei im Einzelfall Reststörungen insbesondere bei anfangs schwer Erkrankten auch dauerhaft persistieren können (vgl. BK-Report 2/2007, Nr. 3.4 S. 138; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 5.8.2 S. 241, Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., M 1317 Randnr. 2.1; Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13. Dezember 2007 – L 6 U 2016/03 -, in juris). Im Fall der Klägerin ist eine solche (Teil-) Reversion jedoch offenkundig nicht festzustellen. Vielmehr haben sich die neurologischen Erscheinungen ab März 2004 ausgebreitet über das linke Bein auf das rechte Bein, dann die Arme und auch teilweise auf den Kopfbereich. Mit dieser Einschätzung sieht sich der Senat im Einklang mit der klägerseits in Bezug genommenen Rechtsprechung des BSG, welches zur Beurteilung der Zusammenhangsfrage ebenfalls auf das vorzitierte Merkblatt BArbBl. 2005 H.3 S. 49 abstellt(vgl. das Urteil des BSG vom 27. Juni 2006 – B 2 U 45/05 R -, zitiert nach juris Randnr. 18).
Eine BK 1317 liegt bei der Klägerin mithin nicht vor.
Soweit Prof. Dr. H in seinem Gutachten vom 10. August 2010 eine andere Auffassung vertritt, beruht dies auf der Zugrundelegung eines falschen Sachverhalts und kann allein deswegen nicht überzeugen. Tatsächliche Anhaltspunkte für die von ihm angenommene Expositionsdauer von vier bis fünf Jahren bestehen nicht.
Der Senat sah sich nicht zu weiteren medizinischen Beweiserhebungen gedrängt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.