Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 24. Senat | Entscheidungsdatum | 22.11.2013 | |
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Aktenzeichen | L 24 KA 63/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 24 Ärzte-ZV |
Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 2. Mai 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2009 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Genehmigung einer gynäkologischen Zweigpraxis in Guben vom 18. Dezember 2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin, ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit Sitz in Forst, begehrt die Genehmigung einer gynäkologischen Zweigpraxis im ca. 30 (Straßen-) km entfernten Guben.
Der örtliche Planungsbereich Spree-Neiße ist für die Zulassung von Gynäkologen gesperrt.
Der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. R verzichtete zum 31. Dezember 2008 auf den von ihm in Guben gehaltenen Vertragsarztsitz, damit dieser von der Klägerin übernommen werden konnte. Diese wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2009 zur vertragsärztlichen Tätigkeit zugelassen. Ihr wurde die Anstellung des Dr. R als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Wirkung vom selben Tag genehmigt.
Sie beantragte am 19. Dezember 2008 bei der Beklagten die Genehmigung einer Zweigpraxis in Gab 2. Januar 2009. Dort solle zunächst der bei ihr angestellte Dr. R tätig werden, später die Ärzte J K sowie E T.
Die Beklagte wandte sich an zwei Mitglieder ihres Beirates mit der Bitte um Stellungnahme zu der Frage, ob durch eine Zweigpraxisgenehmigung die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt werde. Das Beiratsmitglied Dr. K aus G befragte seinerseits die in G ansässigen Gynäkologen. Diese äußerten mit Schreiben vom 28. Januar 2009, durch sie (drei Ärzte) sei die ambulante Versorgung aller Frauen in G gesichert. Die Zahl der Einwohner der Stadt und ihrer Umgebung habe sich stetig deutlich verringert, somit auch die Anzahl der Patientinnen. Die zusätzliche Errichtung einer MVZ-Praxis sei nicht erforderlich und werde von ihnen entschieden abgelehnt. Eine MVZ-Praxis für Gynäkologie/Geburtshilfe verschaffe sich durch andere Rahmenbedingungen und eine bessere finanzielle Ausstattung Vorteile gegenüber den niedergelassenen Gynäkologen. Auch die Dipl.-Med. E aus F holte eine Stellungnahme der in Forst ansässigen Gynäkologen ein. Die zwei Fachärztinnen äußerten, dass eine gynäkologische Sprechstunde in G sicherlich sinnvoll sei, nicht jedoch im MVZ in F, da drei Gynäkologen vor Ort arbeiteten und somit die Versorgung der Patienten abgesichert sei. Die Einwohnerzahl der Stadt F sei stetig rückläufig, insbesondere wanderten Mädchen und junge Frauen ab (Stellungnahme vom 7. Januar 2009).
Mit Bescheid vom 20. März 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzung nach § 24 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) in der Fassung des Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz – VÄndG) vom 22. Dezember 2006 seien nicht erfüllt. Voraussetzung für das Vorliegen einer Versorgungsverbesserung am Ort der Zweigpraxis sei, dass im Rahmen einer kleinräumigen Lokalbetrachtung festgestellt werde, dass nicht ausreichend Ärzte an der Versorgung teilnähmen und in zumutbarer Entfernung für die Versicherten zur Verfügung stünden.
Nach dem Zulassungsverzicht von Dr. R stünden in G für die Bewohner der Stadt (11.650 Einwohner) bzw. des Altkreises G (ca. 27.850 Einwohner) immer noch drei niedergelassene Fachärzte für Gynäkologie zur Verfügung. Nach Auskunft der dortigen Fachärzte werde damit die gynäkologische Versorgung ausreichend abgesichert. Es bestünden noch freie Kapazitäten. Dies belegten auch die abgerechneten Behandlungsfälle, die nicht den Durchschnitt der Fachgruppe in B erreichten. Außerdem könne eine Zweigpraxisgenehmigung nicht erteilt werden, wenn die gynäkologische Versorgung auch an der Betriebsstätte des MVZ angeboten werde, dies sei im konkreten Fall der Fall.
Die Klägerin erhob Widerspruch und führte zur Begründung unter anderem aus, nach Aufnahme der Facharzttätigkeit am Standort F solle die bisherige Praxis in G als Zweigstelle fortgeführt werden. Beabsichtigt seien Sprechstunden am Montag von 12-14 Uhr und vom 15-20 Uhr, am Dienstag von 8-11 Uhr und von 14-16 Uhr und donnerstags von 8-12 Uhr sowie 14-16 Uhr, also insgesamt 18 Stunden pro Woche. Die Sprechzeiten in F betrügen 21 Stunden. Es dürfe unstreitig sein, dass mit einem Sprechstundenangebot von 21 Stunden pro Woche in Forst die ordnungsgemäße Versorgung der dortigen Versicherten nicht beeinträchtigt werde. Zur erforderlichen Versorgungsverbesserung weise sie darauf hin, dass eine bestehende Praxis übernommen worden sei. Per Gesetz bestehe der Versorgungsbedarf im Umfang der bestehenden Praxis. Konkurrenzschutzrechtliche Gründe für die anderen niedergelassenen Vertragsärzte dürften bei der Zweigstellengenehmigung nicht gesondert berücksichtigt werden (Bezugnahme auf SG Marburg, Urteil vom 16. Juli 2008 – 12 KA 45/09).
Dr. R beendete seine (Angestellten-) Tätigkeit für die Klägerin am 19. April 2009.
Die Beklagte holte erneut Stellungnahmen ihrer Beiratsmitglieder ein. Diese verblieben bei ihrer ablehnenden Haltung.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2009, zugestellt am 11. November 2009, zurück. Zwar könne im Falle der Zweigstellengenehmigung eine Beeinträchtigung der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten in F nicht festgestellt werden, jedoch sei die kumulative Voraussetzung der Versorgungsverbesserung in G als dem Ort der Zweigpraxis nicht erfüllt. Eine solche läge (nur) vor, wenn bei einer kleinräumigen lokalen Bewertung ärztliche Leistungen, die für die Versorgung der Versicherten erforderlich seien, bisher nicht oder nicht in ausreichendem Maße angeboten worden seien. Ein Indiz hierfür seien lange Wartezeiten. Der Vertragsarzt müsse diese ärztlichen Leistungen in seinem Genehmigungsantrag benennen. Denn nur bei Darlegung entsprechender Einzelheiten könne die Beklagte beurteilen, ob die Genehmigungsvoraussetzungen gegeben seien. Hier sei keine der Alternativen nach § 4 ihrer Richtlinie zur vertragsärztlichen Tätigkeit an weiteren Orten außerhalb des Vertragsarztsitzes in der Fassung vom 16. November 2007 (Zweigpraxenrichtlinie) anzunehmen. Die gynäkologische Versorgung der Versicherten in G und Umgebung werde nach Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit von Dr. R durch drei niedergelassene Fachärzte sichergestellt. Deren Behandlungszahlen lägen in den Quartalen 2008/III und 2008/IV im Durchschnitt bei 915 je Arzt, bei einem Brandenburger Durchschnitt der Fachgruppe von 1.178. Es seien also noch ausreichende Kapazitäten vor Ort vorhanden. Die Behandlungsfälle von Dr. R hätten in dieser Zeit 842 betragen. Nach Auskunft der niedergelassenen Fachärzte werde bereits jetzt eine Vielzahl der Versicherten der ehemaligen Praxis Dr. R mitversorgt, wobei insbesondere Krebspatientinnen bevorzugt behandelt würden, so dass keine unzumutbaren Wartezeiten bestünden. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Einwohnerzahl des Altkreises G stark rückläufig sei (von 36.754 1998 auf 27.233 2008). Besondere vertragsärztliche Leistungen sollten in der Zweigpraxis nicht angeboten werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin müssten die Interessen der bereits niedergelassenen Fachärzte berücksichtigt werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 7. Dezember 2009 Klage vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben.
Die Beklagte habe keine Prüfung der Verbesserung der Versorgung vorgenommen, sondern eine Bedarfsprüfung ähnlich der beim Antrag auf Ermächtigung oder Sonderbedarfszulassung durchgeführt. Das Bundessozialgerichts (BSG) habe im Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 –) ausdrücklich klar gestellt, dass der bereits tätige Vertragsarzt nicht Kraft seiner Zulassung ein Erstzugriffsrecht auf die dort wohnenden oder arbeitenden Versicherten habe (Rdnr. 26).
Auch die Beklagte hat sich zur Frage, wann eine Verbesserung der Versorgung der Versicherten vorliege, auf diese Entscheidung des BSG berufen. Danach stelle nicht jedes bloße Hinzutreten eines weiteren Behandlers eine Verbesserung der Versorgung dar. Erforderlich aber auch ausreichend sei es, dass das bestehende Leistungsangebot zum Vorteil für die Versicherten in qualitativer und unter bestimmten Umständen auch in quantitativer Hinsicht erweitert werde. Im Planungsbereich Spree-Neiße sei die Arztgruppe der Gynäkologen überversorgt (136,7 %; 12 Gynäkologen gegenüber einem Soll von 8,8 Gynäkologen). In quantitativer Hinsicht sei festzustellen, dass sich nicht nur die Einwohnerzahl des Altkreises G ständig verringere, sondern auch die Zahl der abgerechneten Behandlungsfälle von Gynäkologen von 5.792 im Jahr 2002 auf nur noch 3.621 im Jahr 2008 bzw. 3863 im Jahr 2009 an. Der Vertragsarztsitz des Dr. R sei auch nicht ersatzlos entfallen, sondern nur räumlich verlagert.
Das SG hat die auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides und Verpflichtung zur Neuentscheidung gerichtete Klage mit Urteil vom 2. Mai 2012 abgewiesen. Die Beklagte habe die Voraussetzung des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Ärzte-ZV einer Verbesserung zu Recht verneint. Das BSG habe im Urteil vom 28. Oktober 2009 (B 6 KA 42/08 R) betont, dass nicht jedes Hinzutreten eines weiteren Vertragsarztes eine Verbesserung der Versorgung darstelle. Hier sei eine quantitative Verbesserung auszuschließen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Auch das SG habe eine unzulässige Bedarfsprüfung vorgenommen. Sie könne sich auch auf § 4 Abs. 1d Zweigpraxen-Richtlinie berufen. Danach sei eine Verbesserung der Versorgungssituation der Versicherten am Ort der beantragten Zweigpraxis anzunehmen, wenn die kleinräumige Bewertung ergebe, dass die Fortführung einer Vertragsarztpraxis als eine Zweigpraxis erfolgen solle und dadurch eine Verschlechterung der Versorgung vermieden werde. Genau diese Voraussetzungen seien hier einschlägig. Das SG habe hingegen die Region G/F als Ganzes betrachtet und deshalb den rechtswidrigen Rückschluss gezogen, dass das gynäkologische Versorgungsangebot durch den Praxissitzwechsel Dr. R von G nach F keine Beeinträchtigung erlitten habe.
Sie beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Potsdam vom 2. Mai 2012 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2009 zu verurteilen, über den Antrag der Klägerin auf Genehmigung einer gynäkologischen Zweigpraxis in G vom 19. Dezember 2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Insbesondere wolle die Klägerin weder eine Versorgungsverbesserung durch qualitative Veränderung des Leistungsangebotes oder ein differenziertes Leistungsspektrum – insbesondere Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden anbieten noch organisatorisch verbessern etwa Abend- und Wochenendsprechstunden abhalten.
Ausweislich ihres Internetauftrittes hat die Klägerin mittlerweile eine Zweigpraxis in P. Für sie arbeitet als Gynäkologin (nur) Frau T.
Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist zulässig. Sie hat sich nicht dadurch erledigt, dass die Klägerin mittlerweile eine Zweigstelle in P unterhält. Dieser Umstand lässt den Antrag auf eine Zweigstelle neben dem Hauptsitz Fin Guben rechtlich unberührt. Geändert hat sich vielmehr (nur) die Tatsachenbasis, aufgrund derer die Voraussetzung nach § 24 Ärzte-ZV zu prüfen sind. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antrag vom 19. Dezember 2008 nunmehr zwingend abgelehnt werden müsste.
Die Klage auf Neubescheidung ist begründet.
Der Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Beklagte ist zwar zuständig:
§ 24 Abs. 3 Satz 5 Ärzte-ZV regelt (ausdrücklich), dass der Vertragsarzt bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Anspruch auf „Genehmigung“ „durch seine Kassenärztliche Vereinigung“ hat, wenn er bereits in deren Bezirk tätig ist. Nur wenn die „Ermächtigung“ für einen Ort außerhalb des Bezirkes begehrt wird, ist der Zulassungsausschuss der (dortigen) Kassenärztlichen Vereinigung zuständig.
Die Beklagte ist auch zuständige Widerspruchsbehörde:
Der Berufungsausschuss für Ärzte entscheidet nur über Widersprüche gegen Beschlüsse des Zulassungsausschusses (vgl. §§ 44 i. V. m. 41 Ärzte-ZV).
Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Ärzte-ZV hat die Beklagte jedoch nicht beurteilungsfehlerfrei verneint:
Dabei hat der Senat § 24 Ärzte-ZV in der Fassung ab dem 1. Januar 2012 anzuwenden (so bereits Urt. v. 31. Januar 2013 –L 24 KA 98/10). In Verpflichtungssachen ist grundsätzlich die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen, weil aktuell die Verurteilung zur begehrten Leistung erreicht werden soll, soweit sich aus dem materiellen Recht im Einzelnen nichts anderes ergibt.
Eine Änderung ist allerdings nur hinsichtlich der Voraussetzung des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nummer 2 Ärzte-ZV eingetreten.
Nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV sind vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten zulässig, wenn und soweit
1. dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und
2. die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird; geringfügige Beeinträchtigungen für die Versorgung am Ort des Vertragsarztsitzes sind unbeachtlich, wenn sie durch die Verbesserung der Versorgung an dem weiteren Ort aufgewogen werden.
Bei der Prüfung beider kumulativer Voraussetzungen steht den Zulassungsgremien ein Beurteilungsspielraum zu, so dass die Entscheidung insoweit nur einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts <BSG> vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 3/10 R -, für Nr. 1 und Urteil vom selben Tag - B 6 KA 7/10 R -, für Nr. 2). Insoweit folgt der Senat der Rechtsprechung des BSG, wonach die Beurteilung einer Versorgungsverbesserung nicht anders zu bewerten ist als die Feststellung der Voraussetzungen für eine Sonderbedarfszulassung oder die Eröffnung einer Zweigpraxis nach altem Recht. Die zur Entscheidung berufenen Zulassungsgremien bei den kassenärztlichen Vereinigungen haben hierbei eine Vielzahl von Versorgungs- und regionalstrukturellen Aspekten zu berücksichtigen und in ihrem Zusammenspiel zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Es handelt sich letztlich um eine wertende Entscheidung unter Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte darüber, welche Vor- und Nachteile der beabsichtigten Versorgung durch die Zweigpraxis ausschlaggebend sind. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob die erforderlichen Tatsachenermittlungen angestellt worden sind und die hieraus gezogenen Schlussfolgerungen vertretbar sind. Sind diese Anforderungen an die ordnungsgemäße und rechtsfehlerfreie Ausübung des Beurteilungsspielraums erfüllt, so ist dem Gericht eine weitere inhaltliche Prüfung versagt. Im Falle eines Beurteilungsspielraums sind die Gerichte nicht berechtigt, ihre Entscheidungen an die Stelle der angefochtenen Entscheidung der zuständigen Verwaltungsträger zu setzen (vgl. hierzu insgesamt Urteil des BSG vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 3/10 R –, Rdnr. 22).
Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Anforderungen an die Annahme eines gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums der Verwaltung (insbesondere Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - ) gibt keinen Anlass zu einer anderen Bewertung. Das BVerfG hat die Möglichkeit bestätigt, dass das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determinieren kann und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum belässt. Es hat jedoch – auch gestützt auf Art. 19 Abs. 4 GG – gefordert, dass sich dies ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben oder durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein muss (a. a. O. Rdnr. 74 bei Juris). Zwar fehlt es in § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zur Einräumung eines Beurteilungsspielraums. Diese ist jedoch durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln. Die Anordnung einer Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung bzw. des Zulassungsausschusses durch den Gesetzgeber in Ansehung der bereits bestehenden Rechtsprechung zum Bestehen eines Beurteilungsspielraums (bereits zur Zweigpraxis Urteil des BSG vom 20. Dezember 1995 – 6 RKa 55/94 - ) ohne anderweitige Regelung spricht für die Annahme eines Beurteilungsspielraums. Die Verbesserung der Versorgung ist aus den in der vorgenannten Rechtsprechung des BSG herausgearbeiteten Gründen eine fachlich zu bewertende Frage.
Die Ermittlungen müssen sich aber auf alle Voraussetzungen zur Feststellung einer Versorgungsverbesserung beziehen. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht auf bedarfsplanerische Gesichtspunkte abzustellen, sondern allein auf die tatsächliche Versorgung an dem weiteren Ort im Sinne des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV (Urteil des BSG vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R -, Rdnr. 52 bei Juris).
Eine Verbesserung der Versorgung an dem weiteren Ort kommt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R - und Urteile vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 49/09 R -, - B 6 KA 3/10 R – und - B 6 KA 7/10 R -) in drei Fällen in Betracht:
Im Fall einer bestehenden Unterversorgung am weiteren Ort liegt offenkundig und nach allen vertretenen Auffassungen eine Verbesserung durch die Eröffnung einer Zweigpraxis vor (vgl. BSG, Urteil des BSG vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R -, Rdnr. 47 bei Juris). Da der Bereich der Versorgungsverbesserung nicht an strikte Bedarfsplangesichtspunkte gebunden ist, kommt es insoweit nicht auf den rechnerisch ermittelten Versorgungsgrad, sondern auf das Bestehen einer tatsächlichen Unterversorgung an (vgl. Urteil des BSG vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 3/10 R -).
Eine tatsächliche Unterversorgung im Raum G trägt vorliegend auch die Klägerin nicht vor.
Eine Versorgungsverbesserung liegt weiter vor bei einer qualitativen Verbesserung der Versorgung der Versicherten vor Ort. Insoweit hat das BSG etwa in den Konstellationen weitergehender Abrechnungsgenehmigung des hinzutretenden Arztes oder des Angebots eines differenzierteren Leistungsspektrums eine Versorgungsverbesserung in Betracht gezogen. Ebenso wurde dies erwogen, wenn der hinzutretende Arzt eine besondere Untersuchungs- oder Behandlungsmethode anbietet, die etwa besonders schonend ist oder bessere Diagnoseergebnisse liefert (Urteil des BSG vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R -, Rdnr. 52 bei Juris).
Auch diese Fallkonstellation hat die Beklagte hier zutreffend ausgeschieden, weil die Klägerin selbst hierzu nichts vorgetragen hat.
Fehlerhaft hat die Beklagte allerdings auch eine relevante Verbesserung der quantitativen vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten an dem weiteren Ort G verneint (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R -, a. a. O., Rdnr. 51 bei Juris).
Insoweit ist insbesondere die Reduktion von vorhandenen Wartezeiten zu berücksichtigen. Auch besondere organisatorische Vorkehrungen wie etwa das Angebot von Abend- und Wochenendsprechstunden können eine solche quantitative Verbesserung darstellen (BSG a. a. O. Rdnr. 52). Die Feststellung eines solchen Angebots im Rahmen der beabsichtigten Zweigpraxis führt aber noch nicht zwingend zur Bejahung einer verbesserten Versorgung. Vielmehr handelt es sich insoweit um abwägungsrelevante Elemente bei der Ausübung des Beurteilungsspielraums der zur Entscheidung berufenen Zulassungsgremien.
Das BSG hat gerade insoweit den Beurteilungsspielraum als eröffnet angesehen und als Grenzen genannt, dass einerseits kaum spürbare Veränderungen kaum ausreichten, die beabsichtigte Förderung der Zweigpraxistätigkeit aber durch zu hoch gespannte Anforderungen nicht verfehlt werden dürfte (a. a. O. Rdnr. 53).
Bei Anwendung dieser Maßgaben hat die Beklagte das Vorliegen einer Verbesserung der Versorgung am beantragten Ort der Zweigpraxis nicht beurteilungsfehlerfrei verneint.
Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist dabei maßgeblich die in der Begründung des angefochtenen Beschlusses wiedergegebene Abwägungsentscheidung (vgl. zur Bedeutung der Begründung bei Bestehen eines Beurteilungsspielraums Urteil des BSG vom 17. Dezember 2009 – B 3 P 3/08 R -, Rdnr. 69 bei Juris), wobei hier allerdings die Beklagte auch keine neuere, ergänzende Beurteilung vorgenommen hat.
Die Beklagte ist hier bereits von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen:
Die Beklagte und ihr folgend das SG sind der Auffassung, aufgrund der bestehenden Überkapazitäten vor Ort in G habe der Weggang des Dr. R zu keiner Verschlechterung der (kleinräumigen) Versorgung in G geführt.
Eine Verbesserung liege, sofern, wie im vorliegenden Fall, nur eine quantitative Verbesserung in Frage komme, nur dann vor, wenn „ärztliche Leistungen, die für die Versorgung der Versicherten erforderlich sind, bisher nicht in ausreichendem Maße angeboten werden.“ (Widerspruchsbescheid S. 3). Ein Indiz hierzu könnten lange Wartezeiten sein. Tragend hat sie darauf abgestellt, dass auch nach Wegzug des Dr. R angesichts der unterdurchschnittlichen Abrechnungen in den letzten beiden Quartalen 2008 die drei verbleibenden Gynäkologen die Versorgung absichern könnten. „Unzumutbare“ Wartezeiten seien nicht ersichtlich.
Die Beklagte hat damit den Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Voraussetzung „Verbesserung der Versorgung“ im Sinne von § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV der Sache nach in quantitativer Hinsicht auf eine Verbesserung der Versorgung im bedarfsplanerischen Sinne verkürzt und hierbei de facto die Versorgungslage zum Maßstab im Sinne einer notwendigen Voraussetzung der begehrten Ermächtigung gemacht.
Der Umstand der bedarfsplanerischen Überversorgung bedeutet aber nicht, dass aufgrund relevanter Wartezeitverkürzungen und/oder Verbesserungen bei den Sprechzeiten eine Verbesserung der Versorgung ausgeschlossen wäre. Die Beklagte hätte hierzu ermitteln müssen und hätte sich nicht einfach die Angaben der Konkurrenten zur problemlosen Übernahme der Patientinnen des Dr. R zum Entscheidungsmaßstab machen dürfen. Trotz steigender Behandlungszahlen 2009 gegenüber 2008 gab es für die Patientinnen vor Ort nur noch drei statt bislang vier Gynäkologen (vgl. genauer sogleich). Beispielsweise hätten vorhandene Daten des praxisinternen Qualitätsmanagements der vorhandenen Fachärzte in G herangezogen werden können.
Gleichzeitig ist die Beklagte von ihrer eigenen (Verwaltungs-)Richtlinie zur vertragsärztlichen Tätigkeit an weiteren Orten außerhalb des Vertragsarztsitzes (Zweigpraxenrichtlinie) vom 16. November 2007 abgewichen.
§ 4 Zweigpraxenrichtlinie lautet:
Verbesserung der Versorgung der Versicherten
(1) Eine Verbesserung der Versorgungssituation der Versicherten am Ort der beantragten Zweigpraxis ist anzunehmen, wenn die kleinräumige (lokale) Bewertung folgendes ergibt:
a) dass weder am Ort der geplanten Zweigpraxis noch in dessen näherem Einzugsbereich Vertragsärzte der Arztgruppe zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind noch Vertragsärzte anderer Fachgruppen die betreffenden Leistungen anbieten oder
b) wenn zwar am Ort der Zweigpraxis bzw. im näheren Einzugsbereich grundsätzlich die Versorgung durch die Vertragsärzte sichergestellt ist, jedoch der Antragsteller vertragsärztliche Tätigkeiten erbringen will, die dort nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen oder
c) die wohnortnahe Versorgung der Versicherten dadurch erheblich erleichtert wird, dass die bestehende unzumutbare Wartezeit sich verkürzt oder
d) die Fortführung einer Vertragsarztpraxis als eine Zweigpraxis erfolgen soll und dadurch eine Verschlechterung der Versorgung vermieden wird.
In den Fällen der Buchstaben a), b) und c) ist ferner Voraussetzung, dass die Versorgungsverbesserung dauerhaft erscheint.
(2) Das zuständige Servicestellenbeiratsmitglied im Bereich der beantragten Zweigpraxis und/oder niedergelassene Fachkollegen am Ort der Zweigpraxis sollen zur Einschätzung der Versorgungssituation befragt werden. Die Stellungnahme ist für die Entscheidung der KVBB heranzuziehen, aber begründet keine Verfahrensbeteiligung der befragten Vertragsärzte.
Die Beklagte geht davon aus, dass § 4 Abs. 1 lit. d) Zweigstellenrichtlinie nicht vorliege, weil eine Verschlechterung trotz Sitzverlegung nicht eintrete bzw. nicht eingetreten sei.
Nach den eigenen Angaben der Beklagten standen jedoch im Jahr 2008 für 3.621 Behandlungsfälle vier Fachärzte zur Verfügung, 2009 bei gestiegenen Fallzahlen von 3.863 nur noch drei. Dies stellt für die Versicherten eine Verschlechterung da, auch wenn die Versorgung immer noch vergleichsweise sehr gut sein sollte.
Den eingeholten Stellungnahmen der Gynäkologen vor Ort kann sogar entnommen werden, dass die Verteilung der bisherigen Patientinnen von Dr. R für diese mit Wartezeiten verbunden sind, die nur bei Krebspatientinnen vermieden worden seien.
Dass der Planungsbereich Oder-Spree und auch der Altkreis Guben bedarfsplanungsrechtlich überversorgt ist, ist für die Frage der Zweigpraxengenehmigung –wie ausgeführt- nicht zu berücksichtigen. Die dort tätigen Ärzte haben insoweit keinen Konkurrenzschutz.
Die gebotenen und naheliegenden Feststellungen hinsichtlich der tatsächlichen Wartezeiten sind nicht getroffen worden,
Die entsprechenden Feststellungen nachzuholen und zu bewerten ist bei Vorliegen eines Beurteilungsspielraums nicht Aufgabe des Gerichts.
Nicht gerichtlich eingeklagt und auch nicht ersichtlich ist, dass jede andere Entscheidung der Beklagten als einer Genehmigung der Zweigpraxisbeurteilung fehlerhaft wäre. Bereits aufgrund der neuen tatsächlichen Situation hat die Beklagte auch neu zu prüfen, ob bei einer Zweigstelle (auch) in G die Versorgung am Hauptsitz noch gewährleistet wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.