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Aussetzung des Verfahrens; Beschwerde; Anschluss- und Benutzungszwang; Befreiung; Verpflichtungsklage; Anschluss- und Benutzungsverfügung; Anfechtungsklage; Vorgreiflichkeit; Entscheidungsvorrang


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 24.09.2014
Aktenzeichen OVG 9 L 12.14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 94 VwGO, § 146 VwGO, § 12 KomVerf BB

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Aussetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 14. Mai 2014 aufgehoben.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich in dem Verfahren VG Frankfurt (Oder) 5 K 758/13 gegen eine Anschlussverfügung, mit der ihm aufgegeben worden ist, zwei Flurstücke an die öffentliche zentrale Abwasserentsorgungsanlage anzuschließen. Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger erstinstanzlich eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang für diese und weitere Flurstücke.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 14. Mai 2014 hat das Verwaltungsgericht das vorliegende Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens VG Frankfurt (Oder) 5 K 758/13 ausgesetzt. Der Beschluss ist dem Beklagten am 21. Mai 2014 zugegangen. Er hat am 3. Juni 2014 Beschwerde erhoben und diese am 13. Juni 2014 begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und hierzu ausgeführt: Zwar sei dem Beschwerdeführer zuzugeben, dass die - hier allein schon mit Blick auf die Zulässigkeit der Klage klärungsbedürftige - Frage, ob ein Anschluss- und Benutzungszwang bestehe (inzident) im Rahmen des vorliegenden Verfahrens geklärt werden könnte. Der Beschwerdeführer verkenne aber, dass es grundsätzlich im Ermessen des Gerichts stehe, eine solche Prüfung vorzunehmen. Vorliegend habe das Gericht sein Ermessen dahin ausgeübt, zunächst die Entscheidung der 5. Kammer im Verfahren 5 K 758/13 abzuwarten. An dieser Auffassung werde nicht zuletzt mit Blick auf die Möglichkeit unterschiedlicher Beurteilungen betreffend das Vorliegen eines Anschluss- und Benutzungszwangs festgehalten.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Beklagten ist begründet. Die Aussetzungsentscheidung des Verwaltungsgerichts ist rechtswidrig.

Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, nach § 94 VwGO anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

Die Auslegung des § 94 VwGO im Einzelnen sowie Voraussetzungen und Reichweite einer analogen Anwendung der Vorschrift sind umstritten (vgl. zum Streitstand etwa Schmid, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, Rdnr. 24 ff. zu § 94 VwGO). Unbeschadet dessen reicht es für eine Aussetzung des Verfahrens in unmittelbarer oder analoger Anwendung des § 94 VwGO nicht aus, dass in zwei Gerichtsverfahren allein deshalb widersprüchliche Entscheidungen drohen, weil in beiden Verfahren eine Parallelität von Vorfragen besteht (vgl. Garloff, in: Posser/Wolff; VwGO, Rdnr. 1 zu § 94; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage, Rdnr. 4a zu § 94 VwGO; Schmid, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, Rdnr. 25 zu § 94 VwGO). Die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen entbindet die Gerichte für sich genommen nicht von ihrer Prozessförderungspflicht. § 94 VwGO verlangt für eine Aussetzung eines Verfahrens vielmehr Vorgreiflichkeit in dem Sinne, dass dem anderen Verfahren ein Entscheidungsvorrang zu einer bestimmten Frage zukommt. Zweck des § 94 VwGO ist es, dem Gericht die Möglichkeit zu geben, durch Abwarten der Entscheidung des primär zuständigen Gerichts oder der Behörde widersprechende Entscheidungen zu vermeiden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage, Rdnr. 1 zu § 94 VwGO).

Mangels eines entsprechenden Entscheidungsvorrangs des anderen Verfahrens durfte das Verwaltungsgericht das vorliegende Verfahren hier nicht aussetzen. Im Anfechtungsprozess hinsichtlich einer Anschluss- und Benutzungsverfügung und im Verpflichtungsprozess hinsichtlich einer Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang ist jeweils Vorfrage, ob satzungsmäßig (§ 12 Abs. 2 BbgKVerf) ein Anschluss- und Benutzungszwang geregelt ist, der das in Rede stehende Grundstück erfasst. Ein Entscheidungsvorrang des Anfechtungsprozesses ist insoweit nicht gegeben. Auch weitere Gesichtspunkte sprechen nicht für einen Entscheidungsvorrang des Anfechtungsprozesses. Zwar wird im Anfechtungsprozess hinsichtlich einer Anschluss- und Benutzungsverfügung - unter Umständen - auch das Vorliegen eines Befreiungsanspruchs geprüft, denn eine Anschluss- und Benutzungsverfügung ist wegen Ermessensfehlers rechtswidrig, wenn erstens schon ein Befreiungsantrag gestellt worden ist und zweitens offensichtlich ein Befreiungsanspruch besteht. Die Prüfung insoweit ist aber gerade nur auf die Frage des offensichtlichen Bestehens eines Befreiungsanspruchs beschränkt. Eine Verneinung dessen schließt demzufolge von vornherein nicht aus, dass der Verpflichtungsprozess auf Erteilung einer Befreiung doch zu Gunsten des Bürgers ausgeht, was wiederum bedeutet, dass der Verpflichtungsprozess in dieser Fallkon-stellation zügig weiterzuführen ist. Ist indessen ein Befreiungsantrag gestellt und besteht offensichtlich ein Befreiungsanspruch, besteht erst Recht keine Rechtfertigung dafür, mit der Entscheidung des diesbezüglichen Verpflichtungsprozesses bis zur Entscheidung des Anfechtungsprozesses gegen die Anschluss- und Benutzungsverfügung abzuwarten.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, denn die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind von den Kosten des Rechtsstreits in der Hauptsache umfasst. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil bei Erfolg der Beschwerde Gerichtsgebühren nicht anfallen (vgl. KV Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).