Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 28.02.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 N 51.09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 21 Abs 1 BAföG, § 25 Abs 6 BAföG, § 36 BAföG, § 37 BAföG |
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. August 2009 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von BAföG unter Berücksichtigung des fiktiven Steuerabzugs der positiven Einkünfte ihrer Eltern. Das Verwaltungsgericht hat die hierauf gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, die Behörde habe das Einkommen der Eltern der Klägerin rechnerisch zutreffend ermittelt. Als Einkommen zu berücksichtigen seien nur die positiven Einkünfte. Nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 1 Satz 2 BAföG sei ein Ausgleich der positiven Einkünfte mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten nicht zulässig. Eine Berücksichtigung „ersparter“ Steuern sei auch über die Härteregelung des § 25 Abs. 6 BAföG nicht möglich. Es widerspräche dem Sinn der Regelung, das Verfahren zu vereinfachen, wenn die Ämter gezwungen wären, eine eigene Steuerberechnung anzustellen. Den wirtschaftlichen Belastungen der Eltern werde ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass es durch die steuerliche Berücksichtigung der negativen Einkünfte von vornherein zu einer nicht unerheblich geminderten Steuerschuld gekommen sei. Eine darüber hinausgehende Berücksichtigung fiktiver Einkünfte sei nicht geboten.
Ihren hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung stützt die Klägerin auf die Zulassungsgründe ernstlicher Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sowie grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
1. Der Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Ernstliche Richtigkeitszweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, S. 1163, 1164) und nicht nur die Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung Zweifeln unterliegt. Zu ihrer Darlegung muss sich die Zulassungsbegründung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO konkret fallbezogen und hinreichend substanziiert mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen und dartun, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat. Ob an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ernstliche Zweifel bestehen, wird allein anhand der Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung sowie der vom Rechtsmittelführer zur Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes vorgetragenen Gesichtspunkte beurteilt. Vom Rechtsmittelführer nicht genannte Umstände können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie offensichtlich sind. Das Vorbringen der Klägerin zeigt keine ernstlichen Richtigkeitszweifel auf, sie sind auch nicht offensichtlich.
Die Klägerin macht geltend, § 21 BAföG müsse verfassungskonform ausgelegt werden. Für eine verfassungskonforme Auslegung ist vorliegend jedoch kein Raum. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die Regelung des § 21 Abs. 1 BAföG mit dem Grundgesetz vereinbar ist (Nichtannahmebeschluss vom 15. September 1986 - 1 BvR 363/86 -, FamRZ 1987, S. 901 f.). Für eine erneute Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit sieht der Senat vor diesem Hintergrund keinen Anlass.
Soweit die Klägerin für sich das Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG wegen der Nichtberücksichtigung der fiktiven Steuerabzüge bei der Einkommensermittlung reklamiert, gilt im Ergebnis nichts anderes. Es fehlt bereits an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass Zweck der Regelungen in § 21 Abs. 1 BAföG sei, die Ausbildungsförderungsämter von der Notwendigkeit einer eigenen Steuerprüfung zu entlasten. Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich hierbei nicht um ein „Scheinargument“. Ob eine Steuerprüfung durch die Ausbildungsförderungsämter im Einzelfall „schwierig“ ist oder, wie die Klägerin meint, zumindest vorliegend durch „einen Blick auf die Lohnsteuertabelle“ bewerkstelligt werden kann, ist dabei nicht entscheidend. Die Auffassung der Klägerin würde dazu führen, dass die Regelung in § 21 Abs. 1 BAföG letztlich leer liefe, weil die dort zugrundeliegende pauschalierende Betrachtung über eine Anwendung der Härteklausel des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG „aufgeweicht“ würde, denn sie wäre in allen Fällen anzuwenden, in denen negative Einkünfte nach § 21 Abs. 1 BAföG unberücksichtigt bleiben. Die Anwendung des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG setzt demgegenüber grundsätzlich die Unvermeidlichkeit der geltend gemachten finanziellen Belastungen voraus. Das zeigt die Regelung in § 25 Abs. 6 Satz 2 BAföG. Danach unterfallen der Härteklausel nach Satz 1 insbesondere außergewöhnliche Belastungen nach den §§ 33 bis 33b des Einkommensteuergesetzes sowie Aufwendungen für behinderte Personen, denen der Einkommensbezieher nach dem bürgerlichen Recht unterhaltspflichtig ist. Die Aufzählung ist zwar nicht abschließend („insbesondere“), macht aber deutlich, von welcher Art und von welchem Gewicht die Aufwendungen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sein müssen, um im Rahmen der Härteregelung berücksichtigt werden zu können. Kennzeichnend für die Aufwendungen ist, dass der Einkommensbezieher sich ihnen aus sittlichen oder rechtlichen Gründen nicht entziehen kann. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Die geltend gemachten Einkommensverluste der Eltern der Klägerin beruhen nicht auf unvermeidlichen Aufwendungen, sondern auf fehlgeschlagenen Immobiliengeschäften. Ihnen liegen mit einem Verlustrisiko behaftete Vermögensdispositionen zugrunde, die die Eltern der Klägerin als Unterhaltsverpflichtete in Kenntnis der auf sie zukommenden Unterhaltslasten eingegangen sind. Es wäre mit dem Zweck des § 25 Abs. 6 BAföG nicht vereinbar, das sich realisierende Verlustrisiko dieser Einkommensdispositionen durch Anerkennung eines Härtefreibetrages auf die Ausbildungsförderungsämter abzuwälzen, deren Leistungen weitgehend aus Steuermitteln finanziert werden. In Fällen der vorliegenden Art erscheint es vielmehr angemessen, etwaigen faktischen finanziellen Engpässen der Eltern des Betroffenen über die Regelung in § 36 BAföG über Vorausleistungen Rechnung zu tragen, mit der Folge eines Übergangs des Unterhaltsanspruchs des Leistungsempfängers auf das Ausbildungsförderungsamt (§ 37 BAföG), wie es hier im Übrigen jedenfalls für einen Teil des zwischen den Beteiligten streitigen Zeitraums auch geschehen ist.
Auf die Frage, ob das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, die Klägerin habe den nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG erforderlichen „besonderen Antrag“ nicht rechtzeitig gestellt, kommt es vor diesem Hintergrund nicht (mehr) an.
2. Auch der Zulassungsgrund besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht gegeben. Besondere Schwierigkeiten weist eine Rechtssache auf, wenn der konkret zu entscheidende Rechtsstreit entscheidungserhebliche Fragen aufwirft, deren Lösung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht überdurchschnittliche Schwierigkeiten bereitet. Das ist anzunehmen, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtliche Würdigung, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben, die sich nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern, wenn also das Berufungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung über den Zulassungsantrag keine positive oder negative Aussage zur Erfolgsaussicht der angestrebten Berufung treffen kann, diese Erfolgsaussichten vielmehr offen sind. Stützt der Rechtsmittelführer seinen Antrag auf den Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache, muss er darlegen, welche begründeten Zweifel gegen die erstinstanzliche Entscheidung bestehen, die den Ausgang des Rechtsstreits als offen erscheinen lassen (OVG Münster, Beschluss vom 31. Juli 1998 - 10 A 1329/98 -).
Das Vorbringen der Klägerin genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen. Es beschränkt sich darauf, das Vorliegen dieses Zulassungsgrundes zu behaupten, zeigt aber nicht auf, worin die besonderen Schwierigkeiten zu erblicken sein sollen. Zudem zeigen die Darlegungen unter 1., dass sich die anstehenden Rechts- und Tatsachenfragen auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens ohne weiteres klären lassen.
3. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für das erstrebte Rechtsmittelverfahren erhebliche Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit oder Fortbildung des Rechts obergerichtlicher Klärung bedarf (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2005 - OVG 5 N 45.05 -, Rn. 16 bei juris). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eine solche bestimmte ungeklärte und entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren. Weiter ist die Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Frage im Berufungsverfahren aufzuzeigen sowie anzugeben, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Es ist darzulegen, in welchem Sinne und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist.
Die Klägerin versäumt es bereits, eine klärungsbedürftige grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage zu formulieren. Sie lässt sich ihrem Vorbringen auch nicht mittelbar entnehmen. Im Übrigen zeigen die Darlegungen unter 1. auch insoweit, dass der Fall nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 188 Satz 2 VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).