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Regelaltersrente, Rentenbeginn, verspätete Antragstellung, Hinweispflicht, Pflichtverletzung, Kausalität, negative Feststellungslast, sozialrechtlicher Herstellungsanspruch


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 13.04.2011
Aktenzeichen L 3 R 748/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 35 SGB 6, § 99 Abs 1 SGB 6, § 115 Abs 6 S 1 SGB 6

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2010 geändert: Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 25. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2009 verurteilt, der Klägerin ab dem 01. Januar 2005 Regelaltersrente unter Anrechnung der bereits gezahlten Rentenleistungen zu zahlen. Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet der Klägerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist der Beginn der Regelaltersrente der Klägerin.

Die 1937 geborene kinderlose Klägerin bezieht seit 1976 von der Beklagten Witwenrente, seit 1982 als große Witwenrente in Höhe von zurzeit 543,20 Euro netto. Daneben bezieht sie vom Versorgungsamt B eine Witwengrundrente gem. §§ 38, 40 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Höhe von derzeit 387,00 Euro sowie seit dem 01. Dezember 1997 von der A Lebensversicherung AG eine Rentenleistung in Höhe von rund 140,00 Euro monatlich. Mit Beschluss des Amtsgerichts S vom 12. Februar 2009 wurde vorläufig und mit Beschluss vom 16. März 2009 endgültig die Betreuung für die Klägerin angeordnet und Herr Peter S zum Betreuer bestellt. Zuvor war die Klägerin

Anfang Januar 2009 in verwahrlostem Zustand zunächst im V A-V-Klinikum aufgenommen, im V Klinikum P B weiter behandelt, später in die M Klinik B zur Rehabilitation verlegt und dort wegen eines Zustands nach Schlaganfall behandelt worden. Von den Kliniken war sodann aufgrund der festgestellten eingeschränkten Urteilsfähigkeit der Klägerin die Anordnung der Betreuung empfohlen worden. Am 10. Februar 2009 erstellte die Psychotherapeutin Dr. W im Auftrag des Amtsgerichts Schöneberg ein Gutachten über die Klägerin, worin sie im Ergebnis einen beginnenden bis mittelgradigen senilen Demenzprozess nach stattgehabtem linkshirnigem älterem Schlaganfall sowie Hinweisen auf vaskuläre Veränderungen der Gefäße des Gehirns feststelle und von der Geschäftsunfähigkeit der Klägerin ausging. Nach den erhobenen Befunden waren die Konzentration, Auffassung und Merkfähigkeit der Klägerin erheblich beeinträchtigt und zeigte der gesamte Bereich des Gedächtnisses deutliche Defizite.

Vor dem Krankenhausaufenthalt hatte die Klägerin langjährig allein in ihrer Wohnung gelebt, sich selbst versorgt und alle anfallenden Geschäfte allein bewältigt. Schulden hatte sie nicht. Kontakt zu Angehörigen bestand nicht, ebenso nicht zu den Nachbarn. Ihre Behördenpost fand der Betreuer in ihrem Wohnzimmerschrank gesammelt, aber nicht weiter geordnet vor.

Mit Schreiben vom 04. März 2009 fragte der Betreuer der Klägerin bei der Beklagten an, ob die Klägerin bereits Altersrente beziehe, ggf. werde diese beantragt. Da noch keine Altersrente gewährt wurde, übersandte die Beklagte die entsprechenden Antragsformulare. Mit Bescheid vom 25. Mai 2009 gewährte die Beklagte der Klägerin Regelaltersrente beginnend zum 01. März 2009. Der Zugangsfaktor betrug aufgrund einer Erhöhung für 83 Kalendermonate 1,415. Ab dem 01. Juli 2009 ergab sich ein Zahlbetrag in Höhe von 511,85 Euro. Mit Widerspruch vom 05. Juni 2009 begehrte der Betreuer die Zahlung der Rente bereits ab dem 19. März 2002 und machte geltend, die Beklagte sei ihren Sorgfalts- und Fürsorgepflichten der Klägerin gegenüber nicht nachgekommen. Nachdem zur Vollendung des 65. Lebensjahres kein Altersrentenantrag der Klägerin eingegangen sei, hätte die Beklagte reagieren und prüfen müssen, warum der Rentenanspruch nicht geltend gemacht werde. Gegebenfalls hätte die Beklagte auch die Betreuungsbehörde benachrichtigen müssen, um einen eventuellen Betreuungsbedarf festzustellen.

Nach interner Prüfung stelle die Beklagte fest, dass laut eines Vermerks im Versicherungskonto der Klägerin am 24. Februar 2000 eine Rentenauskunft an diese gesandt worden war. Zudem hatte die Beklagte laut weiterem Vermerk im Versicherungskonto am 28. Februar 2002 ein Schreiben an die Klägerin abgesandt mit dem Hinweis, dass ihr mit Vollendung des 65. Lebensjahres voraussichtlich ein Regelaltersrentenanspruch zustehe, Leistungen nur auf Antrag gewährt würden und sie die Altersrente rechtzeitig erhalten könne, wenn sie die Rente bis zum 30. Juni 2002 beantrage. Bei späterer Antragstellung werde die Rente erst von dem Kalendermonat an geleistet, in dem sie beantragt werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2009 wies die Beklagte sodann den Widerspruch mit der Begründung zurück, sie sei ihren Hinweis- und Beratungspflichten in ausreichendem Umfang nachgekommen, insbesondere sei die Klägerin mit dem Schreiben vom 28. Februar 2002 auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Rente hingewiesen worden. Nach § 99 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) werde Altersrente von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen vorlägen, sofern der Rentenantrag bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Kalendermonats gestellt werde, in dem die letzte Anspruchsvoraussetzung erfüllt werde. Bei späterer Antragstellung beginne die Rente grundsätzlich mit dem Antragsmonat. Hier sei der Rentenantrag am 05. März 2009 gestellt worden, daher sei die Rente nach § 99 Abs. 1 S. 2 SGV VI erst ab dem 01. März 2009 zu gewähren.

Mit ihrer hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin die Zahlung der Regelaltersrente ab dem 01. April 2002 begehrt. Sie hat geltend gemacht, sie sei im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (SHA) so zu stellen, als habe sie bereits im April 2002 einen Rentenantrag gestellt. Die Beklagte habe nicht gem. § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI auf den nahen Eintritt der Rentenvoraussetzungen hingewiesen, sie - die Klägerin - habe das Hinweisschreiben vom 28. Februar 2002 nicht erhalten. Auch die Rentenauskunft vom 24. Februar 2000 sei nicht bekannt und liege nicht vor. Der Nichterhalt des Hinweises sei auch ursächlich für die seinerzeit unterlassene Antragstellung auf Gewährung der Regelaltersrente gewesen. Sie sei aufgrund ihres Bildungsstandes als Näherin auf den Hinweis angewiesen gewesen. Ein solcher sei nicht verzichtbar gewesen, etwa weil sie aus eigener Kenntnis in der Lage gewesen wäre, das Erfordernis des Antrags zu erkennen. Wäre der Hinweis erfolgt, hätte sie den Antrag gestellt. Im Übrigen ergebe sich die Kausalität bereits aus einem Beweis des ersten Anscheins aufgrund der Lebenserfahrung: Wer stelle, wenn er ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass er alsbald Rente erhalten könne, keinen Antrag auf Gewährung der Rente? Aus einem Umkehrschluss ergebe sich dann: Wenn kein Hinweis auf die Antragserforderlichkeit gegeben werde, gehe das Unterlassen des Antrags auf das Fehlen des Hinweises zurück. Sie hat u. a. den psychologischen Befund der Dipl.-Psych. L vom 26. Januar 2009, das Betreuungs-Gutachten der Psychotherapeutin Dr. W vom 27. Januar 2009, die Beschlüsse des Amtsgerichts S vom 12. Februar 2009 sowie vom 16. März 2009, das Informationsschreiben der A Lebensversicherung AG vom 05. Februar 2010, das Schreiben des Versorgungsamtes B vom 16. März 2009 und die Rentenanpassungsmitteilungen zum Juli 2000 und Juli 2010 vorgelegt.

Die Beklagte hat geltend gemacht, die Versendung der Hinweisschreiben nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI hinsichtlich des Antragserfordernisses für die Regelaltersrente erfolge ohne Einschaltung der Sachbearbeitung nach automatischer Prüfung der Wartezeiterfüllung und des Lebensalters. Mit dem Absenden der entsprechenden Datei an das Rechenzentrum in L, von wo die Schreiben versandt würden, erscheine ein Vermerk im Versicherungskonto, so auch bei der Klägerin. Wäre das Schreiben nicht zustellbar gewesen, wäre ein weiterer Vermerk im Konto enthalten. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Erfüllung der Hinweispflicht den Zugang des Schreibens erfordere und die Nichtaufklärbarkeit zu Lasten des Rentenversicherungsträgers gehe, seien die Voraussetzungen des SHA dennoch nicht erfüllt. Denn vorliegend sei auch die Rentenauskunft erteilt worden, die ebenfalls auf das Erfordernis der Antragstellung hingewiesen habe. Zudem trage die Klägerin die Feststellungslast dafür, dass sie bei erfolgtem Hinweis auch tatsächlich den Antrag gestellt hätte. Die Beklagte hat einen Ausdruck der Rentenauskunft vom 24. Februar 2000 zur Akte gereicht.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 22. Juni 2010 abgewiesen. Zwar seien hier die Voraussetzungen zur Gewährung der Regelaltersrente bereits seit dem 19. März 2002 erfüllt, der Beginn der Rente richte sich jedoch nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, so dass hier ein Anspruch auf Auszahlung der Regelaltersrente erst ab dem 01. März 2009, dem Kalendermonat, in dem die Rente beantragt worden sei, bestehe. Die Beklagte habe die Rente der Klägerin auch nicht nach den Grundsätzen des SHA bereits ab April 2002 zu zahlen. Vorliegend sei zwar die im Rahmen des zu prüfenden SHA erforderliche Pflichtverletzung der Beklagten zu bejahen, jedoch könne die Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Nachteil in Form der entgangenen frühzeitigen Rentenzahlung nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts festgestellt werden. Die Beklagte habe mit der im Versicherungskonto dokumentierten, zur Überzeugung des Gerichts auch tatsächlich erfolgten Absendung des Schreibens vom 28. Februar 2002 versucht, ihrer aus § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI folgenden Hinweispflicht nachzukommen. Da die Klägerin jedoch angebe, das Hinweisschreiben nicht erhalten zu haben und die Beklagte den Zugang nicht belegen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass die Klägerin den Hinweis nicht erhalten habe. Allein durch die bloße Absendung eines entsprechenden Hinweisschreibens genüge die Beklagte ihrer Hinweispflicht aus § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) jedoch nicht. Sei das Hinweisschreiben nicht zugegangen, habe der Rentenversicherungsträger seine Hinweispflicht nicht erfüllt. Eine Nichtaufklärbarkeit gehe zu Lasten des Rentenversicherungsträgers. Die Kammer habe demgemäß vorliegend davon auszugehen, dass die Beklagte ihrer Hinweispflicht aus § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI nicht genügt habe. Auch bei Berücksichtigung der am 24. Februar 2000 abgesandten Rentenauskunft könne nicht vor einer Erfüllung der Hinweispflicht ausgegangen werden. Zum einen fehle in der Rentenauskunft das konkrete Datum, bis zu dem der Antrag für den frühest möglichen Rentenbeginn zu stellen sei. Zum anderen sei der Zugang der Rentenauskunft ebenfalls nicht nachgewiesen.

Ein SHA setze neben der Pflichtverletzung sowie einem Schaden aber auch die Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden voraus, d. h. dass die Klägerin bei Erhalt des Hinweises rechtzeitig den Rentenantrag gestellt hätte. Insoweit trage die Klägerin die negative Feststellungslast. Es sei zu prüfen, ob die Verletzung der Hinweispflicht die wesentliche, d. h. zumindest gleichwertige Bedingung dafür gewesen sei, dass die Klägerin ihr Gestaltungsrecht nicht schon früher geltend gemacht habe. Hieran gemessen habe die Kammer unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens i. S. d. § 128 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht zur Überzeugung gelangen können, dass gerade der unterbliebene Hinweis der Beklagten die wesentliche Bedingung dafür gewesen sei, dass die Klägerin selbst nicht früher einen Antrag auf Regelaltersrente gestellt habe. Vielmehr halte die Kammer die für eine solche Überzeugungsbildung maßgeblichen Tatsachen, insbesondere die Motivation der Klägerin, nicht mehr für ausreichend aufklärbar. Die Kammer sei der Auffassung, dass es aus der Lebenserfahrung heraus keinen zwingenden Schluss gebe, dass ein Versicherter, wenn er ausdrücklich auf die Möglichkeit eines baldigen Rentenbezuges hingewiesen werde, den entsprechenden Antrag dann auch stelle. Bei der Rentenantragstellung handele es sich letztlich nicht um einen so typischen Geschehensablauf, der nach der Lebenserfahrung immer in einer bestimmten Art und Weise vor sich gehe, sondern es handele sich um einen Bereich, in dem ganz individuelle, einzelfallbezogene Handlungsweisen und Motive im Spiel sein könnten. Abgesehen hiervon sei im vorliegenden Fall aufgrund der vorhandenen Tatsachengrundlagen nicht auszuschließen, dass die Klägerin den Antrag auf Altersrente in voller Kenntnis der erfüllten Voraussetzungen bewusst nicht gestellt habe. Die Klägerin selber könne aufgrund ihres gesundheitlichen Zustands zu ihrer eigenen Motivation nicht mehr befragt werden. Die bekannten Lebensumstände ließen keine ausreichende Überzeugungsbildung der Kammer in die eine oder andere Richtung zu. Weitere Überlegungen dazu, ob und weshalb die Klägerin eventuell bewusst auf die Antragstellung verzichtet habe oder ob sie einfach nicht gewusst habe, dass ihr ein solcher Anspruch zustehe, fielen in das Reich der Spekulation. Da die Klägerin in dieser Hinsicht die Feststellungslast treffe, gingen die verbleibenden Zweifel zu ihren Lasten. Eine weitere Pflichtverletzung der Beklagten sei nicht ersichtlich. Insbesondere sei die Beklagte nicht gehalten gewesen zu prüfen, weshalb die Klägerin einen Rentenantrag nicht früher gestellt habe.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und verfolgt ihr erstinstanzliches Begehren fort. Entgegen der Annahme des SG könne davon ausgegangen werden, dass sie - die Klägerin - bereits bei Vorliegen der Voraussetzungen im Frühjahr 2002 einen Antrag auf Gewährung von Altersrente gestellt hätte, wenn sie den Hinweis der Beklagten erhalten hätte. Dies ergebe sich aus dem Sinn der Hinweispflicht des § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI in Verbindung mit der Lebenserfahrung: Wer auf die alsbaldige Möglichkeit der Entstehung eines Anspruchs auf Antrag hingewiesen werde, stelle diesen Antrag auch und verzichte nicht auf seinen Anspruch, indem er den Antrag nicht einreiche. Dies sei die Regel und nicht die Ausnahme. Auch bei ihr sei von dieser Regel auszugehen. Dies werde von ihrer vom Betreuer bestätigten und diesem gegenüber getätigten Äußerung im Jahre 2009 „Aber, ich kriege doch Rente!“ bestätigt, als dieser ihr erklärt habe, einen Rentenantrag stellen zu wollen. Daraus gehe hervor, dass sie sich ganz offensichtlich in einem Irrtum über die Rentenvoraussetzungen befunden habe und schon früher einen Rentenantrag gestellt hätte, wenn sie sich damals der Tatsache bewusst gewesen wäre, dass sie einen Antrag stellen müsse, um Regelaltersrente zu erhalten. Demgegenüber seien die Überlegung des SG über die Frage der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung der Beklagten geradezu lebensfremd.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2009 zu verurteilen, ihr bereits ab dem 01. April 2002 Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Es möge nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden können, dass die Klägerin Gründe gehabt habe, die Rente nicht zu beantragen. Ebenso wenig könne jedoch davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die Rente nach Erhalt eines Hinweises auch beantragt hätte, auch dies liege letztlich im Bereich der Spekulation. Aufgrund des derzeitigen Gesundheitszustandes der Klägerin sei inzwischen schlicht nicht mehr feststellbar, weshalb sie keinen Antrag gestellt habe. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast sei das Nichtfeststellen einer rechtserheblichen Tatsache von dem Beteiligten zu tragen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten wolle, dies sei hier die Klägerin.

Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die die Klägerin betreffende Rentenakte der Beklagten (Az. ) verwiesen, die dem Senat vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid vom 25. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2009 ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung ihrer Regelaltersrente bereits ab dem 01. Januar 2005. Soweit die Klägerin eine Zahlung der Rente bereits ab dem 01. April 2002 begehrt, ist die Berufung unbegründet.

Die Klägerin erfüllt seit dem 19. März 2002 die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Regelaltersrente gemäß § 35 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung. Geleistet wird die Regelaltersrente jedoch nur auf Antrag (§ 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Nach dem Zeitpunkt der Antragstellung richtet sich der Rentenbeginn (§ 99 SGB VI), d. h. der Anspruch auf monatliche Auszahlung der Rente. Renten aus eigener Versicherung werden nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI vom ersten Tag des Kalendermonats an geleistet, zu dessen Beginn sämtliche Anspruchsvoraussetzungen der Rente erfüllt sind, sofern die Antragstellung innerhalb von drei Kalendermonaten nach Ablauf dieses Monats erfolgt. Allein dies zugrunde gelegt, beginnt die Rente der Klägerin ausgehend von dem am 05. März 2009 bei der Beklagten eingegangenen Rentenantrag erst am 01. April 2009.

Die Klägerin ist jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG aufgrund eines SHA so zu behandeln, als hätte sie den Rentenantrag bereits mit Vollendung ihres 65. Lebensjahres gestellt. Das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut des SHA ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des sozialrechtlichen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger (oder ein für diesen handelnder Dritter) die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl. z. B. Urteile des BSG vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 19/92 - in SozR 3-1200 § 14 Nr. 12, vom 01. September 1999 – B 13 RJ 73/98 R – in SozR 3-2600 § 115 Nr. 5). Demnach kommt es insbesondere auf das Vorliegen folgender Voraussetzungen an: Die verletzte Pflicht muss dem Träger gerade gegenüber dem Versicherten obliegen, die zugrunde liegende Norm letzterem also ein entsprechendes subjektives Recht eingeräumt haben. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muss zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben. Schließlich muss die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (sog. Schutzzweckzusammenhang).

Zutreffend ist das SG in seinem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass hier eine Pflichtverletzung der Beklagten vorliegt. Nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. In gemeinsamen Richtlinien der Träger der Rentenversicherung kann bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen solche Hinweise erfolgen sollen. Nach § 1 dieser Richtlinien (vgl. Zepke in DAngVers 11/98 S. 448ff) werden Versicherte, die ausweislich ihres Versicherungskontos die allgemeine Wartezeit erfüllen und eine Rente der Rentenversicherung weder beziehen noch beantragt haben, spätestens im Monat der Vollendung des 65. Lebensjahrs darauf hingewiesen, dass sie Regelaltersrente rechtzeitig erhalten können, wenn sie diese bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragen, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Sinn und Zweck des § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI ist es, die nicht ausreichend Informierten vor Nachteilen aus dem Antragsprinzip zu bewahren (vgl. Urteil des BSG vom 22. Oktober 1996 – 13 RJ 23/95 – in SozR 3-2600 § 115 Nr. 1).

Vorliegend hat die Beklagte zwar den Maßgaben des § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI folgend unter dem Datum vom 28. Februar 2002 an die Klägerin ein Hinweisschreiben des Inhalts, dass die Leistungen nur auf Antrag gewährt würden, ein rechtzeitiger Erhalt der Altersrente bei Antragstellung bis zum 30. Juni 2002 möglich sei und bei späterer Antragstellung erst ab dem Kalendermonat der Antragstellung geleistet werde, abgesandt. Damit allein hat sie ihrer Hinweispflicht aber nicht genügt. Denn ein solches Hinweisschreiben erfüllt seinen Zweck nicht, wenn es den Berechtigten nicht erreicht.

Den Berechtigten steht nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI ein subjektives Recht (Anspruch) auf Erteilung des Hinweises zu (vgl. hierzu das Urteil des BSG vom 26. Juli 2007 – B 13 R 4/06 R – a. a. O., m. w. N.). Dies entspricht Sinn und Zweck dieser Vorschrift, die nicht ausreichend Informierten vor Nachteilen aus dem Antragsprinzip zu bewahren. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf einen Hinweis kann aber nicht erfüllt werden, wenn dieser Hinweis nicht beim Berechtigten ankommt. Ist das Hinweisschreiben nicht zugegangen, hat der Rentenversicherungsträger seine Hinweispflicht nicht erfüllt. Dem entspricht die Rechtslage auch für andere Schreiben der Leistungsträger an Versicherte, z. B. ein Arbeitsangebot (Urteil des BSG vom 03. Juni 2004 - B 11 AL 71/03 R - in SGb 2004, 479) und für gerichtliche Hinweise in weiteren Zusammenhängen (z. B. zur Anhörung vor der Entscheidung über eine Berufung im vereinfachten Beschlussverfahren: Urteil des BSG vom 21. Juni 2000 – B 4 RA 71/99 R - in SozR 3-1500 § 153 Nr. 11 und Beschluss vom 09. April 2003 - B 5 RJ 210/02 B – in Juris).

Der Zugang des Hinweisschreibens vom 28. Februar 2002 bei der Klägerin ist jedoch nicht nachgewiesen. Die Klägerin bestreitet den Zugang. Die Beklagte hat den Hinweis per einfachem Brief ohne Zugangsnachweis verschickt. Der Betreuer der Klägerin hat in einem Wohnzimmerschrank der Klägerin ungeordnete Behördenpost gefunden, jedoch nicht das Hinweisschreiben vom 28. Februar 2002. Ohne eine nähere Regelung besteht grundsätzlich weder eine Vermutung für den Zugang eines mit einfachem Brief übersandten Schreibens (vgl. Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Kammerbeschluss vom 15. Mai 1991 - 1 BvR 1441/90 - in NJW 1991, 2757) noch gelten insoweit die Grundsätze des Anscheinsbeweises (vg. Bundesfinanzhof <BFH> vom 14. März 1989 – VII R 75/87 - in BFHE 156, 66; Bundesgerichtshof <BGH> vom 24. April 1996 - VIII ZR 150/95 - in NJW 1996, 2033, 2035). Auch wenn nach der Lebenserfahrung die weitaus größte Anzahl der abgesandten Briefe beim Empfänger ankommt, ist damit nur eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit für den Zugang einer Briefsendung gegeben. Der Anscheinsbeweis ist aber nicht schon dann geführt, wenn zwei verschiedene Möglichkeiten eines Geschehensablaufs in Betracht zu ziehen sind, von denen die eine wahrscheinlicher ist als die andere. Denn die volle Überzeugung des Gerichts vom Zugang lässt sich auf eine - wenn auch große - Wahrscheinlichkeit nicht gründen (vgl. Urteil des BSG vom 26. Juli 2007 – B 13 R 4/06 R – a. a. O., m. w. N.). Diese Regeln gelten unabhängig davon, ob das übersandte Schriftstück einen Verwaltungsakt enthält und somit die Bestimmung des § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) unmittelbar anwendbar ist. Hiernach gilt die Fiktion, ein schriftlicher Verwaltungsakt sei am dritten Tage nach der Abgabe zur Post bekannt gegeben, nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und seinen Zeitpunkt nachzuweisen. In diesem Sinne aber bestehen schon dann „Zweifel", wenn der Adressat den Zugang - schlicht - bestreitet (vgl. Urteil des BSG vom 26. Juli 2007 – B 13 R 4/06 R – a. a. O., m. w. N.).

Eine Nichtaufklärbarkeit des Zugangs geht insoweit zu Lasten der Beklagten. Verlangte man mehr als ein schlichtes Bestreiten, das Schreiben nicht erhalten zu haben, würde dies eine Überspannung der an den Adressaten zu stellenden Anforderungen bedeuten, denn es ist dem Versicherten im Regelfall schon aus logischen Gründen nicht möglich, näher darzulegen, ihm sei ein per einfachem Brief übersandtes Schreiben nicht zugegangen (vgl. Urteil des BSG vom 26. Juli 2007 – B 13 R 4/06 R – a. a. O., m. w. N.).

Das SG hat darüber hinaus zutreffend festgestellt, dass die Beklagte ihrer Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI auch nicht durch Absendung der Rentenauskunft unter dem Datum vom 24. Februar 2000 nachgekommen ist, denn ein Hinweis des Versicherungsträgers gemäß § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI muss auch eine Mitteilung der Frist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI umfassen, da bei Unkenntnis und Nichtbeachtung dieser Frist der endgültige Verlust des Anspruchs auf Rente für den zurückliegenden Zeitraum droht (vgl. Urteil des BSG vom 22. Oktober 1996 – 13 RJ 23/05 – in SozR 3-2600 § 115 Nr. 1). Eine solche Mitteilung der Frist fehlt in der nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erteilten Rentenauskunft vom 24. Februar 2000.

Unbestritten ist bei der Klägerin durch die verspätete Antragstellung auch ein Schaden in Form der für die Zeit von April 2002 bis März 2009 entgangenen Rentenzahlungen eingetreten, wobei bei der konkreten Schadensberechnung der Vorteil, den die Klägerin aus dem erhöhten Zugangsfaktor bei Bezug der Rente erst ab dem 01. April 2009 (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 b) SGB VI) zieht, abzuziehen ist.

Im Gegensatz zum SG ist der Senat jedoch in dem nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG gebotenen Maße davon überzeugt, dass die Verletzung der Hinweispflicht des § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI durch die Beklagte auch kausal für den Eintritt des eben bestimmten Schadens bei der Klägerin gewesen ist. Eine Kausalität ist dann zu bejahen, wenn der Verletzung der Hinweispflicht wesentliche, das bedeutet zumindest gleichwertige Bedingung für die unterlassene Antragstellung war. Ein Herstellungsanspruch scheidet aus, wenn der Betroffene wissentlich oder fahrlässig gegen sich selbst gehandelt und damit selber die entscheidende Bedingung für seine sozialrechtlichen Nachteile gesetzt hat (vgl. etwa die Urteile des BSG vom 22 Oktober 1996 – 13 RJ 23/95 – a. a. O., vom 01. September 1999 – B 13 RJ 73/98 R – a. a. O. sowie vom 06. März 2003 – B 4 RA 38/02 R – a. a. O.). Konkret ist also im Rahmen der Kausalität erforderlich, dass die Klägerin dann, wenn sie den Hinweis erhalten hätte, rechtzeitig den Rentenantrag gestellt hätte. Insoweit trägt sie die negative Feststellungslast (vgl. das Urteil des BSG vom 26. Juli 2007 – B 13 R 4/06 R – a. a. O.). War jedoch die Klägerin z. B. auch ohne Hinweisschreiben über die Möglichkeit einer entsprechenden Rentenantragstellung informiert, könnte dies dagegen sprechen, dass sie auf ein Hinweisschreiben hin den Rentenantrag tatsächlich gestellt hätte. In die Gesamtbeurteilung kann u. a. der Bildungsstand der Klägerin, deren bisherige berufliche Tätigkeit, Art und Umfang des bisherigen Kontakts mit Behörden bzw. der Beklagten oder ihre finanziellen Verhältnisse einfließen.

Die grundsätzliche Schwierigkeit besteht im vorliegenden Fall darin, dass die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes selber keine Auskunft mehr zu ihren früheren Verhältnissen und Motivationen geben kann. Diese Beweisschwierigkeiten führen nicht zu einer Beweiserleichterung. Es kann vielmehr im Rahmen der Beweiswürdigung allein auf die objektiven Umstände, die auf die Rahmenbedingungen und die Motivation hindeuten bzw. letztere evtl. manifestieren, abgestellt werden. Bekannt ist hierzu, dass die Klägerin in geordneten Verhältnissen gelebt hat. Sie hat langjährig allein und zurückgezogen in derselben Wohnung gewohnt, Mietschulden sind nicht aufgelaufen, andere Schulden sind ebenfalls nicht bekannt. Sie hat keine weitere Person zu versorgen gehabt, ist offensichtlich wiederum auch von niemand anderem selbst versorgt worden. Sie ist offenbar selbstständig einkaufen gegangen und hat sich regelmäßig ernährt, denn sie befand sich bei Aufnahme im Krankenhaus zwar in schlankem, jedoch nicht unterernährtem Zustand (vgl. das Betreuungs-Gutachten vom 10. Februar 2009). Ihre Wohnung konnte sie in ordentlichem Zustand halten (Angabe des Betreuers im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 22. Juni 2010). Es ist nicht erkennbar, dass sie bereits vor Januar 2009 geschäftsunfähig gewesen wäre. Zwar geht aus dem Betreuungs-Gutachten vom 10. Februar 2009 hervor, dass ein CT des Kopfes vom 07. Januar 2009 einen älteren linkshirnigen Insult nachgewiesen hatte. Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass die Klägerin bereits vor Januar 2009 oder gar im März 2002 geschäftsunfähig gewesen wäre. Denn sie hat zuvor alle Geschäfte unauffällig selbst besorgt. Dem Vermieter der Klägerin war auch erst im Januar 2009 eine deutliche Verschlechterung des Zustands aufgefallen. Sie hat über finanzielle Einkünfte in Höhe von rund 1.000,00 Euro aus Hinterbliebenenrenten und Lebensversicherung verfügt. Die Wohnungsmiete beträgt laut Angaben des Betreuers rund 500,00 Euro, so dass ihr - gemessen an dem ALG-II-Regelsatz – ausreichende, wenn auch nicht üppige Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung standen. Sie ist nach Angaben des Betreuers gelernte Näherin, verfügt demzufolge über keinen hohen Bildungsstand. Zuletzt gearbeitet hat sie laut Versicherungsverlauf vom 25. Mai 2009 offensichtlich im Jahr 1982, war also seit langem nicht mehr in das aktive Berufsleben integriert. Die Hinterbliebenenrenten vom Versorgungsamt Berlin sowie von der Beklagten wurden bereits langjährig bezogen, aktueller Antragsbedarf bestand dort nicht.

Zutreffend hat das SG angemerkt, dass sich aus diesen Fakten eine Motivation für die „Nichtantragstellung“ nicht auf den ersten Blick ergibt. Im Prinzip lässt sich über zahllose Geschehensabläufe und Motivationen spekulieren, denkbar ist alles. Jedoch ist dann, wenn sich die Motivation nicht in objektiven Fakten manifestiert hat, im Rahmen der Feststellungen zur Kausalität grundsätzlich vom Denken und Handeln eines vernünftigen und verständigen Bürgers auszugehen (vgl. hierzu z. B. Dr. Reimund Schmidt-De Caluwe, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, Duncker & Humblot 1991, S. 146 f). Zwar steht es jedem Menschen zur Verwirklichung seiner persönlichen Freiheit frei, verschiedenste Handlungs- bzw. Entscheidungsalternativen abzuwägen und auch objektiv gesehen unvernünftige Maßnahmen zu ergreifen. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung wird jedoch der vernünftige und verständige Bürger als Teilnehmer im Rechtsverkehr regelmäßig die ihm aufgrund seines Bildungsstandes am vorteilhaftesten erscheinende Handlungsalternative ergreifen. Dies liegt zumindest dann auf der Hand, wenn es nur um die Abwägung einer eingeschränkten Anzahl von Handlungsalternativen und der Berücksichtigung weniger Entscheidungsfaktoren geht, d. h. keine komplexen Gestaltungsmöglichkeiten (wie etwa bei in Nachentrichtungsfällen) existieren. Im Falle der Klägerin galt es nicht, verschiedenste Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Der Klägerin hätte keine Wahl zwischen verschiedenen Rentenarten offen gestanden, steuerrechtliche Überlegungen hätten sich ebenfalls erübrigt, Beiträge waren nicht nach zu entrichten. Aus der Sicht eines vernünftigen und verständigen Teilnehmers im Rechtsverkehr, der nur über einen einfachen Bildungsstand verfügt, hätte sich im März 2002 nur die folgende Frage gestellt: Will ich eine zusätzliche mir zustehende Rente, für die ich nichts weiter tun muss als einen Antrag zu stellen, und damit mehr Einkommen oder nicht? Kein vernünftiger und verständiger Teilnehmer im Rechtsverkehr würde zu dem Schluss gelangen, er wolle keine höheren Einkünfte, zumal diese ihm einen größeren finanziellen Spielraum z. B. bei Mieterhöhungen oder für medizinische Zwecke (laut Betreuungs-Gutachten hatte die Klägerin z. B. keine zahnprothetische Versorgung) eröffnet hätte. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin grundsätzlich im Jahr 2002 nicht als vernünftige und verständige Teilnehmerin im Rechtsverkehr zu qualifizieren gewesen wäre, bestehen gerade nicht. Sie war geschäftsfähig, besorgte ihre Geschäfte ordentlich und selbständig. Sie verfügte auch nicht über Einkünfte in einer Höhe, die die Erzielung weiterer Einkünfte hätte von vornherein uninteressant erscheinen lassen. Aus dem Betreuungs-Gutachten vom 10. Februar 2009 geht darüber hinaus hervor, dass die Klägerin zumindest im Februar 2009 der Auffassung war, bereits seit dem 60. Lebensjahr (d. h. 1997) Rente in Höhe von 1.000,00 Euro zu beziehen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Klägerin offenbar keinen Überblick darüber hatte, welche verschiedenen Rentenleistungen sie bezog und dass diese insbesondere noch nicht die ihr darüber hinaus zustehende Regelaltersrente umfassten. Tatsächlich erhielt sie seit 1976 Leistungen von der A Lebensversicherung AG. Ein weiterer Hinweis in dieser Richtung ergibt sich aus den Angaben des Betreuers vom 22. Juni 2010, die Klägerin habe ihm auf seine Frage, ob sie eine eigene Rente beziehe, sinngemäß geantwortet: „Ich kriege doch Rente“. Dies weist ebenso wie die oben stehenden Überlegungen darauf hin, dass die Klägerin mangels Hinweises der Beklagten der Auffassung war, bereits die ihr zustehende Rente zu beziehen und keine weitere Rente mehr beanspruchen zu können.

Indessen kann trotz des hier gegebenen SHA die monatliche Auszahlung der Regelaltersrente nicht bereits ab dem 01. April 2002, sondern erst ab dem 01. Januar 2005 verlangt werden, obwohl die Klägerin bereits im März 2002 das 65. Lebensjahr vollendet hatte. Denn auch dann, wenn aufgrund eines SHA eine Leistung rückwirkend verlangt werden kann, gilt in entsprechender Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X eine Ausschlussfrist von vier Jahren zum Beginn des Kalenderjahres (vgl. Urteil des BSG vom 27. März 2007 - B 13 R 58/06 R - in SozR 4-1300 § 44 Nr. 9). Dies folgt daraus, dass der SHA, der die Verletzung einer Nebenpflicht eines Leistungsträgers – zum Beispiel auf Beratung – mit für den Leistungsträger nachteiligen Rechtsfolgen belegt, nicht weiter reichen kann als der Anspruch nach § 44 Abs. 1 SGB X als Rechtsfolge der Verletzung einer Hauptpflicht. Wäre § 44 SGB X auf den vorliegenden Fall unmittelbar anwendbar, so würden Leistungen nach § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X beginnend ab dem Monat der Antragstellung rückwirkend für vier Jahre bis zum Beginn des Kalenderjahres erbracht. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall der entsprechenden Anwendung des § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X, dass Leistungen – ausgehend von einer Antragstellung im Jahre 2009 – rückwirkend bis zum 01. Januar 2005 zu erbringen und für die Zeit davor ausgeschlossen sind.

Dementsprechend war das erstinstanzliche Urteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang abzuändern. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und berücksichtigt, dass die Klägerin nicht für weitere 83 Monate, sondern lediglich für weitere 50 Monate Rentenleistungen erhalten kann.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.