Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Festsetzung eines GdB von 50 ab dem Monat März 2003 unbefristet über den Monat März 2006 hinaus.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipierte Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in den Fassungen von 1996, 2004, 2005 und – zuletzt – 2008. Seit dem 1. Januar 2009 sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (Anlage VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten ist – abgelöst haben.
Die bei dem Kläger bestehenden Störungen im Bereich der Wirbelsäule sind hiernach seit Antragstellung im März 2003 mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten:
Maßgebend sind die Vorgaben in Teil A Nr. 26.18 AHP bzw. in Teil B Nr. 18.9 Anlage VersMedV. Diese sehen folgende Bewertungsrahmen vor:
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ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität
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0
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mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauern auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome
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10
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mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome)
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20
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mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome)
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30
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mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten
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30 – 40
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Nach der umfassenden Beweiserhebung im gerichtlichen Verfahren ist der Senat der Überzeugung, dass der Kläger an schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten leidet, die insgesamt mit einem fiktiven Einzel-GdB von 40 zu bewerten sind. Betroffen sind im Falle des Klägers zwei Wirbelsäulenabschnitte, nämlich die Halswirbelsäule und die Lendenwirbelsäule. In beiden Abschnitten sind jeweils schwere funktionelle Auswirkungen nachgewiesen:
Im Bereich der Halswirbelsäule ist ein umfassender Beschwerdekomplex gegeben, der auf Verschleißerscheinungen an mehreren zervikalen Bandscheiben und rechts betont knöchernen Einengungen der Nervenaustrittsöffnungen beruht. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den dem Senat zur Verfügung stehenden medizinischen Unterlagen, insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B. Dieser konnte sich neben eigenen Untersuchungen insbesondere auf ein Magnetresonanztomogramm stützen, das die vorgenannten gesundheitlichen Einschränkungen mit bildgebenden Mitteln dokumentiert hat. Diese Einschränkungen haben über den gesamten hier streitbefangenen Zeitraum hinweg zu häufig rezidivierenden und anhaltenden Bewegungseinschränkungen schweren Grades und zu häufig rezidivierenden und Wochen andauernden Wirbelsäulensyndromen geführt. Die hieraus resultierenden Einschränkungen der Beweglichkeit nicht nur der Halswirbelsäule, sondern auch des Oberkörpers mit Einstrahlungen in die Arme hat vorübergehend zu derart starken und lang andauernden Schmerzen geführt, dass der Kläger zeitweise kontinuierlich durch starke Opioide behandelt werden musste, die sogar zu einer Medikamentenabhängigkeit des Klägers geführt haben.
Hierbei lässt der Senat ausdrücklich offen, ob die Funktionseinschränkungen insbesondere in den Jahren 2005 und 2006, wie es der Sachverständige ausgeführt hat, zu einer besonderen weiteren Zuspitzung geführt haben, denn auch ohne diese liegt im Bereich der Halswirbelsäule eine schwere funktionelle Einschränkung im oben beschriebenen Sinne vor.
Zugleich war auch der Bereich der Lendenwirbelsäule im gesamten hier streitbefangenen Zeitraum von schweren funktionellen Einschränkungen betroffen. So leidet der Kläger insbesondere an starken Schmerzen im unteren Wirbelsäulenbereich, die häufig rezidivieren und dann jeweils zu lang anhaltenden starken und sehr schmerzhaften Funktionseinschränkungen führen. Sie beruhen, wie sich insbesondere aus dem vorgenannten medizinischen Gutachten des Sachverständigen Dr. B ergibt, auf in bildgebenden Verfahren mehrfach nachgewiesenen degenerativen Veränderungen der unteren Lendenwirbelsäule. Sie wirken sich auf den gesamten unteren Bewegungsapparat nachhaltig aus und führen zu erheblichen Bewegungseinschränkungen auch im Bereich der Beine und Füße. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass die aufeinander einwirkenden und einander verstärkenden Einschränkungen der beiden betroffenen Wirbelsäulenabschnitte nicht nur jeweils für sich genommen schwere Funktionseinschränkungen darstellen, sondern insgesamt am oberen Rande der vorgenannten Bewertungsskala anzusetzen und mit einem (fiktiven) Einzel-GdB von 40 zu bewerten sind.
Daneben leidet und litt der Kläger im gesamten streitbefangenen Zeitraum an einer somatoformen Schmerzstörung und psychischen Störung mit Stimmungsschwankungen und Einschränkung der Erlebnisfähigkeit und Teilhabe, die der Sachverständige nachvollziehbar festgestellt hat. Solche Störungen werden nach Teil A Nr. 26.3 AHP und nach Teil B Nr. 3.7 Anlage VersMedV in leichteren Fällen mit einem GdB von 0-20 und in schwereren Fällen mit einem GdB von 30 – 40 bewertet. Der Sachverständige hat hier für den Zeitraum der besonders starken, durch Opioide behandelten Schmerzen des Klägers einen GdB von 30 und ansonsten von 20 angenommen. Für den Senat steht jedenfalls zweifelsfrei fest, dass der insoweit festzustellende (fiktive) Einzel-GdB im gesamten Zeitraum mindestens den Wert von 20 erreicht hat, weil insbesondere die festzustellende somatoforme Schmerzstörung zu wesentlichen Einschränkungen der psychischen Funktionsfähigkeit des Klägers geführt hat. Es bedarf keiner Entscheidung, ob darüber hinaus sogar mindestens für einen bestimmten Zeitraum ein höherer Einzel-GdB anzusetzen ist, weil selbst bei einem Einzel-GdB von lediglich 20 aufgrund der psychischen Störungen des Klägers bereits insgesamt der von Kläger begehrte GdB von insgesamt 50 zu bilden ist:
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 19 Abs. 3 AHP bzw. Teil A Nr. 3c Anlage VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Dies führt vorliegend zur Bildung eines GdB von insgesamt 50 für den gesamten streitbefangenen Zeitraum, denn die vorgenannten beiden (fiktiven) Einzelwerte von 40 und von 20 beeinflussen sich insbesondere wegen der im Vordergrund stehenden starken Schmerzen derart stark, dass der höchste Einzelwert von 40 um 10 auf 50 zu erhöhen ist. Vor diesem Hintergrund bedurfte es auch keiner weiteren Klärung, ob etwa im Falle des Klägers weitere Funktionseinschränkungen durch eine Herzkrankheit oder auf anderen medizinischen Teilgebieten feststellbar sind.
Die Berufung des Beklagten war zurückzuweisen, weil aus den vorgenannten Gründen ohnehin kein niedrigerer GdB als bereits vom Sozialgericht angenommen auszusprechen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.