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(Qualifizierungsentgelt ist kein Bafög-relevantes Einkommen)


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 02.03.2010
Aktenzeichen OVG 6 B 14.08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 21 Abs 4 Nr 4 BAföG

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. November 2008 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Rückforderung der ihr für den Leistungszeitraum Januar 2005 bis Dezember 2005 bewilligten Ausbildungsförderung wegen nachträglicher Anrechnung eines Qualifizierungsentgelts und begehrt darüber hinaus die Bewilligung von höherer Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum Januar bis August 2006.

Sie absolvierte von Oktober 2003 bis März 2007 im Rahmen einer sog. Lernortkooperation (Bund-Länderprogramm „Ausbildungsplatzprogramm 2003“) eine außerbetriebliche Ausbildung zur Tischlerin am Oberstufenzentrum Holztechnik in Berlin, einer Berufsfachschule, deren Besuch einen berufsqualifizierenden Abschluss ermöglicht. Während der Ausbildung stand ihr ein monatliches Qualifizierungsentgelt zu, das sich aus einem in jedem Fall gewährten Basisentgelt in Höhe von 77,26 Euro und einem leistungs- und verhaltensabhängigen Entgelt in Höhe von weiteren 25 Euro zusammensetzte.

Aufgrund des Bescheides des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vom 18. März 2005 erhielt die Klägerin für den Bewilligungszeitraum Januar 2005 bis Dezember 2005 den vollen Bedarfssatz an monatlicher Ausbildungsförderung in Höhe von 192 Euro. Mit Bescheiden Nr. 1 und 2 vom 20. Dezember 2005 setzte der Beklagte die der Klägerin für den Bewilligungszeitraum von 01/2005 bis 12/2005 zustehende Förderung neu - nunmehr unter Anrechnung von 102,26 Euro eigenem Einkommen der Klägerin - auf 90 Euro monatlich fest, bewilligte der Klägerin für den Bewilligungszeitraum von 01/2006 bis 8/2006 ebenfalls unter Anrechnung von 102,26 Euro eigenem Einkommen monatliche Ausbildungsförderung in Höhe von nur 90 Euro und forderte einen Betrag in Höhe von 1224 Euro zurück. Den gegen beide Bescheide eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vom 12. Juli 2006 mit der Begründung zurück, das der Klägerin gewährte Qualifizierungsentgelt stelle anzurechnendes Einkommen dar. Der überzahlte Betrag sei gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 BAföG zurückzufordern und die Ausbildungsförderung um den als Qualifizierungsentgelt gewährten Betrag geringer festzusetzen. Vertrauensschutz werde durch die genannte Vorschrift nicht gewährt.

Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 20. November 2008 den (Rückzahlungs-) Bescheid Nr. 1 des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vom 20. Dezember 2005 aufgehoben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides Nr. 2 des Bezirksamtes vom 20. Dezember 2005 verpflichtet, der Klägerin für den Bewilligungszeitraum Januar bis August 2006 Ausbildungsförderung in Höhe des vollen Bedarfssatzes von 192 Euro nach Maßgabe des BAföG zu bewilligen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die teilweise Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung und Rückforderung nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 BAföG lägen nicht vor, weil das von der Klägerin bezogene Qualifizierungsentgelt kein Einkommen im Sinne des § 21 BAföG sei. Die Zweckbestimmung des Qualifizierungsentgelts stehe gemäß § 21 Abs. 4 Nr. 4 BAföG seiner Anrechnung als Einkommen entgegen. Die Ausbildungsstätten hätten die Erfahrung gemacht, dass es den Teilnehmern an Ausbildungen in Lernortkooperation schwer falle, die Bildungsmaßnahme ohne finanzielle Anreize durchzuhalten. Das Qualifizierungsentgelt diene der Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen und solle außerdem motivierend wirken, da es teilweise verhaltens- und leistungsorientiert ausgezahlt werde. Zudem sollten die Auszubildenden in der Lernortkooperation den Auszubildenden in einer betrieblichen Ausbildung, deren Ausbildungsvergütung höher sei als der Bedarfssatz der Ausbildungsförderung, finanziell gleichgestellt werden. Diese Ziele würden im Falle einer Anrechnung des Entgelts auf den Bedarf verfehlt, denn dann werde vorbildliches Verhalten in der Ausbildung nicht finanziell belohnt, sondern führe ausschließlich zur Kürzung der Ausbildungsförderung.

Mit der vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung wendet sich der Beklagte gegen das Urteil vom 20. November 2008. Bei dem Qualifizierungsentgelt handele es sich um eine Ausbildungsbeihilfe bzw. eine gleichartige Leistung aus öffentlichen Mitteln, die nach § 23 Abs. 4 Nr. 2 BAföG voll auf den Bedarf anzurechnen sei. Das Qualifizierungsentgelt werde zum Zwecke der Durchführung der Ausbildung gewährt. Es stelle eine Art Vergütung für die Auszubildenden in Lernortkooperation dar, die im Gegensatz zu Auszubildenden in den Betrieben keine Ausbildungsvergütung erhielten. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stehe die Zweckbestimmung des Qualifizierungsentgelts seiner Anrechnung nicht entgegen. Es diene demselben Zweck wie die Ausbildungsförderung, nämlich der Deckung des Bedarfs des Auszubildenden und solle nicht, wie etwa das Blindengeld oder ein Auslandsstipendium einen Mehraufwand ausgleichen. Der mit dem Qualifizierungsentgelt angestrebte Zweck, einen Lern- und Leistungsanreiz zu geben, sei auch mit anderweitigen Zweckbestimmungen, etwa von Leistungen nach dem Vermögensbildungsgesetz oder den Aufstockungsleistungen nach den Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - BMFSFJ - zur Eingliederung verschiedener Personengruppen wie beispielsweise Aussiedler nicht vergleichbar. Eine Anrechnungsfreiheit von Qualifizierungsentgelt würde zu einer Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Auszubildenden in Betrieben führen, da betriebliche Ausbildungsvergütung voll auf den ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarf anzurechnen sei. Dass Auszubildende in Betrieben eine den Bedarfssatz nach dem BAföG übersteigende Ausbildungsvergütung erhielten, stehe dem nicht entgegen. Mit dem Qualifizierungsentgelt solle keine finanzielle Gleichstellung erreicht werden; es habe lediglich Taschengeldcharakter. Allein die Zielsetzung, eine Anrechnung vermeiden zu wollen, reiche als spezifische Zweckbestimmung grundsätzlich nicht aus; dies widerspreche der grundsätzlichen Subsidiarität der Ausbildungsförderung. Jedenfalls sei es nicht überzeugend, das Basisentgelt nicht auf die Ausbildungsförderung anzurechnen, da ausweislich der Leistungsvereinbarung lediglich der verhaltens- und leistungsabhängige Teil des Qualifizierungsentgelts einen konkreten „Wohlverhaltensanreiz“ setze.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. November 2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Begehren der Klägerin zu Recht entsprochen, die Bescheide Nr. 1 und Nr. 2 des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vom 20. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2006 aufgehoben bzw. geändert und den Beklagten verpflichtet, Ausbildungsförderung für den Zeitraum Januar 2006 bis August 2006 in Höhe von monatlich 192 Euro nach Maßgabe des BAföG zu bewilligen (vgl. § 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO).

Sowohl die Frage der Rechtmäßigkeit der auf § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BAföG gestützten Rückzahlungsforderung bezogen auf den Bewilligungszeitraum Januar bis Dezember 2005 als auch die Frage, in welcher Höhe der Klägerin im Bewilligungszeitraum Januar bis August 2006 Ausbildungsförderung zustand, hängt allein davon ab, ob das ihr während der Bewilligungszeiträume vom Bildungsträger gezahlte Qualifizierungsentgelt anrechenbares Einkommen im Sinne der §§ 21 ff. BAföG darstellt. Diese Frage hat das Verwaltungsgericht zutreffend zu Gunsten der Klägerin entschieden. Es ist davon ausgegangen, dass einer Anrechnung des Qualifizierungsentgelts als Einkommen § 21 Abs. 4 Nr. 4 BAföG entgegensteht. Nach dieser Vorschrift gelten Einnahmen nicht als Einkommen, deren Zweckbestimmung einer Anrechnung auf den Bedarf entgegensteht; dies gilt insbesondere für Einnahmen, die für einen anderen Zweck als für die Deckung des Bedarfs im Sinne des BAföG bestimmt sind.

Es kann dahingestellt bleiben, ob das Qualifizierungsentgelt, wie der Beklagte meint, eine Ausbildungsbeihilfe oder eine gleichartige Leistung im Sinne von § 21 Abs. 3 Nr. 2 BAföG darstellt. Selbst wenn man dies unterstellt, verkennt der Beklagte, dass ihre Anrechnung nach § 23 Abs. 4 Nr. 2 BAföG nach dem Wortlaut der Vorschrift und nach der Systematik des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zunächst voraussetzen würde, dass es sich dabei um Einkommen im Sinne des § 21 BAföG handelt. Das ist hier zu verneinen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass gemäß § 21 Abs. 4 Nr. 4, 2. Halbsatz BAföG „insbesondere“ Einnahmen, die für einen anderen Zweck als für die Deckung des Bedarfs im Sinne des Gesetzes bestimmt sind, nicht als Einkommen gelten; dies bedeutet jedoch, dass bei entsprechender Zweckbestimmung auch solche Einnahmen ausgenommen sein können, die der Deckung des Lebensunterhalts dienen und demnach an sich unter § 21 Abs. 1 oder 3 BAföG fallen (vgl. auch Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4.A., § 21 Rn. 36).

Das Qualifizierungsentgelt unterliegt einer solchen Zweckbestimmung, die sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht darin erschöpft, eine Anrechnung auf die Ausbildungsförderung zu vermeiden. Wie der vom Verwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Stellungnahme der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales vom 22. Januar 2008 zu entnehmen ist, müsse bei sog. Lernortkooperationen der Bildungsträger den gesamten vorgesehenen Praxisanteil des Berufsbildes simulieren, obwohl er kein Praxisbetrieb mit entsprechender Produktion sei. Dies habe Abstriche bei einer praxisorientierten Ausbildung zur Folge und sei deshalb nur ein bedarfsorientierter Ersatz für eine betriebliche Ausbildung, was dazu führe, dass es für einen Teil der Teilnehmer im Vergleich mit anderen Jugendlichen im Umfeld problematisch sei, eine mehrjährige Bildungsmaßnahme ohne weitere finanzielle Anreize durchzustehen. Deshalb sei in Lernortkooperationen zur Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen ein leistungsorientiertes Qualifizierungsentgelt auch als Instrument der Motivation vorgesehen. Die Konditionen für die Höhe und Verteilung des Qualifizierungsentgelts seien Bestandteil einer gemeinsam mit Klassenlehrer, Bildungsträger und den Jugendlichen für die jeweilige Maßnahme entwickelten pädagogischen Konzeption. Das Qualifizierungsentgelt habe Taschengeldcharakter und sei vom pädagogischen Ansatz her als Lern- und Leistungsanreiz mit finanziellem Belohnungsprinzip gedacht.

Das Verwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass diese mit der Zahlung des Entgelts verfolgten Motivationszwecke verfehlt würden, wenn es auf die Ausbildungsförderung angerechnet würde. Das gilt in besonderem Maße für die leistungsabhängig gezahlten Bestandteile des Qualifizierungsentgelts, weil, wie das Verwaltungsgericht richtig darlegt, vorbildliches Verhalten in der Ausbildung nicht zu der beabsichtigten finanziellen Belohnung, sondern lediglich zu einer Kürzung der Förderung führen würde. Aber auch der mit der Zahlung des Basisentgelts verfolgte Zweck, Ausbildungsabbrüche zu verhindern, indem den Auszubildenden ein geringer monatlicher Betrag als (zusätzliches) Taschengeld zur Verfügung gestellt wird, würde im Falle einer Anrechnung konterkariert.

Soweit der Beklagte in der Berufung darauf verweist, dass der Zweck des Qualifizierungsentgelts nicht mit dem anderer, unstreitig anrechnungsfreier Leistungen vergleichbar sei, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung, weil § 21 Abs. 4 Nr. 4 BAföG keinen Numerus Clausus berücksichtigungsfähiger Zwecke enthält. Unbeschadet dessen vermag der Senat nicht festzustellen, inwiefern der hier verfolgte Zweck der Motivation von Auszubildenden durch die Gewährung eines Qualifizierungsentgelts sich entscheidend etwa von den mit den Aufstockungsleistungen des BMFSFJ zur Eingliederung von Aussiedlern verfolgten Zwecken unterscheidet.

Auch eine unzulässige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Auszubildenden in Betrieben, deren Ausbildungsvergütung gemäß § 23 Abs. 3 BAföG voll auf den ausbildungsförderrechtlichen Bedarf anzurechnen ist, ist nicht ersichtlich. Eine solche könnte nur dann vorliegen, wenn ein im Wesentlichengleicher Sachverhalt zu Grunde läge. Auszubildende in Lernortkooperation erhalten aber, anders als Auszubildende in Betrieben, gerade keine Ausbildungsvergütung. Die Auszubildenden in Betrieben gezahlte Vergütung liegt auch regelmäßig über dem ausbildungsförderrechtlichen Bedarf.

Mit seinem Einwand, eine Nichtanrechnung des Qualifizierungsentgelts verstoße gegen die grundsätzliche Subsidiarität der Ausbildungsförderung, verkennt der Beklagte, dass § 21 Abs. 4 Nr. 4 BAföG bei Vorliegen einer entsprechenden Zweckbestimmung einer Anrechnung gerade entgegensteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Revisionsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ihre Bedeutung mag zwar über den Einzelfall hinausweisen, bedarf aber keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sich die aufgeworfene Frage, ob das hier streitige Qualifizierungsentgelt eine Einnahme im Sinne des § 21 Abs. 4 Nr. 4 BAföG ist, deren Zweckbestimmung einer Anrechnung auf den Bedarf entgegensteht, unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, ohne dass hierfür ein Revisionsverfahren durchzuführen wäre.