Gericht | SG Cottbus 18. Kammer | Entscheidungsdatum | 09.10.2013 | |
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Aktenzeichen | S 18 KR 102/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 16 SGB 6, § 14 SGB 9, § 33 SGB 9 |
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 08.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2009 verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für eine Rollstuhlrampe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Im Übrigen haben die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Die Beteiligten streiten um Kostenübernahme für eine stationäre (Rollstuhl-) Rampe.
Der 1959 geborene, bei der Beklagten versicherte Kläger, bei dem ein GdB von 100 nebst Merkzeichen G, aG H vorliegt, ist auf die Benutzung eines Rollstuhls sowie einer weiteren geeigneten Vorrichtung angewiesen, um sein Haus verlassen und seine Arbeitsstelle bei der Fa. M & L GmbH, Forst aufsuchen sowie zurückkehren zu können.
Aufgrund Bescheids vom 20.10.1997 übernahm die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als berufsfördernde Leistungen Kosten für einen Plattformlift am außen liegenden Treppenaufgang.
Dieser ist nach Angaben des Klägers inzwischen nicht mehr zuverlässig, weshalb er am 07.10.2008 bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (im Folgenden: Beigeladene) die Kostenübernahme für eine defektunanfällige stationäre Rampe beantragte.
Die Beigeladene leitete den Antrag unter dem 14.10.2008 an die Beklagte weiter, die ihn mit Bescheid vom 08.01.2009 ablehnte. Den dagegen am 02.02.2009 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2009 als unbegründet zurück. Die Beklagte vertrat die Auffassung, bei der stationären Rampe handele es sich um kein Hilfsmittel, weshalb sie unzuständig sei bzw. die Rampe werde nicht ausschließlich zur Berufsausübung genutzt.
Mit seiner am 02.06.2009 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel weiter. Er beruft sich auf die Zuständigkeit der Beklagten als zweitangegangenem Rehabilitationsträger und sieht die Voraussetzungen des § 16 SGB VI i.V.m. § 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX erfüllt.
Die Beklagte stellt zwar ihre Zuständigkeit im Außenverhältnis nicht (mehr) infrage, wohl aber die Erfüllung der Voraussetzungen des § 16 SGB VI i.V.m. § 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX.
Mit Beschluss vom 03.08.2009 ist die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See beigeladen worden.
Die Beigeladene sieht sich dem Grunde nach zuständig für Reparatur oder Ersatz des Plattformliftes (Verlassen des Hauses zur Arbeitsstelle) bei Nachweis von Möglichkeit und Notwendigkeit der Reparatur.
Nach der schriftlichen Stellungnahme des Herstellers des Plattformliftes TK Aufzüge Deutschland GmbH vom 26.05.2010 empfehle sich aufgrund starker Verschleißerscheinungen und sehr kostenintensiver Reparatur ein Austausch der Plattform.
Die Beigeladene sieht sich zu einem Anerkenntnis außerstande, da Reparatur/Austausch des Plattformliftes nicht Klagegegenstand seien.
Unter dem 03.08.2010 hat der Kläger die Erstellung einer Rollstuhlrampe zu 11.022,36 EUR gerundet 11.000,00 EUR beauftragt; Abschlagsrechnung vom 10.09.2010, Schlussrechnung vom 22.12.2010.
Er beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2009 zu verurteilen, die Kosten für die Rampeninstallation in Höhe von 10.890,00 € zu übernehmen,
hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2009 zu verurteilen, über seinen Antrag auf Kostenübernahme für die Rampeninstallation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand und dem Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichts- und beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
I.
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid vom 08.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2009 ist insoweit rechtswidrig, als sich die Beklagte nicht auf ihre Unzuständigkeit (unten 1.) bzw. ein fehlendes berufliches Erfordernis der streitgegenständlichen Kostenübernahme für eine stationäre Rampe berufen durfte (unten 2.), sondern als zuständiger Leistungsträger über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Ermessen auszuüben gehabt hätte. Die Kammer kann diese Entscheidung nicht abschließend treffen, da sie das der Beklagten eingeräumte Ermessen nicht an ihrer Stelle ausüben darf. Hält die Kammer nach Kassation der Entscheidung der Beklagten die Unterlassung eines Verwaltungsaktes für rechtswidrig, so ist im Urteil lediglich die Verpflichtung auszusprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, § 131 Abs. 3 SGG. Der darüber hinausgehende Klageantrag war daher abzuweisen (unten 3.).
1. Die Beklagte ist für die Leistungserbringung zuständig. Zwar mag die streitgegenständliche (Kostenübernahme für eine) stationäre Rampe auch bzw. letztlich durch die Beigeladene als einem für sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben zur Erhaltung einer angemessenen und geeigneten Beschäftigung behinderter Menschen (§ 33 Abs.1, Abs.3 Nrn. 1, 6 SGB IX) bzw. für Kosten der Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behinderungsgerechten Wohnung in angemessenem Umfang (§ 33 Abs.1, Abs.3 Nrn.1, 6, Abs.8 S.1 Nr.6 SGB IX) zuständigen Leistungsträger gem. §§ 6 Abs.1 Nr.4, 5 Nr.2 SGB IX, 16 SGB VI zu erbringen sein. Im Außenverhältnis zum Kläger ergibt sich die Zuständigkeit der im hiesigen Verfahren Beklagten aber aus § 14 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 S. 1 und S.5 SGB IX, weil sowohl die hiesige Beklagte als auch die zunächst angegangene Beigeladene Rehabilitationsträger gem. § 6 Abs. 1 SGB IX sind und nicht ersichtlich ist, dass die Beigeladene den Antrag rechtsmissbräuchlich an die Beklagte weitergeleitet hätte (vgl. SG Aachen, 25. Januar 2006, S 11 AL 9/04). Nach § 14 Abs. 2 S. 5 SGB IX i.d. ab 1. Mai 2004 g.F. darf der Rehabilitationsträger, an den der Antrag vom zuerst angegangenen Rehabilitationsträger weitergeleitet wurde und dessen Zuständigkeit nicht gegeben ist, den Antrag nicht nochmals weiterleiten, sondern er hat unverzüglich mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu klären, von wem und in welcher Weise über den Antrag innerhalb der Fristen nach den Sätzen 2 und 4 entschieden wird und den Antragsteller hierüber zu unterrichten. Da dies ersichtlich nicht geschehen ist, kann dies nach dem Sinn und Zweck des § 14 SGB IX nur zur Folge haben, dass die Beklagte den Rehabilitationsbedarf unverzüglich selbst festzustellen hat. § 14 Abs. 2 S. 5 SGB IX ist gerade nicht zu entnehmen, dass der zweitangegangene Rehabilitationsträger ohne unverzügliche Klärung mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger von wem und in welcher Weise über den Antrag innerhalb der Fristen nach den Sätzen 2 und 4 entschieden wird und ohne Unterrichtung des Antragstellers hierüber gegenüber dem Antragsteller bescheidmäßig seine Unzuständigkeit feststellen dürfte. Der zweitangegangene Rehabilitationsträger hat alleine die Möglichkeit der Klärung und Unterrichtung, will er seiner Zuständigkeit entgehen (vgl. BSG 21.08.2008, B 13 R 33/07 R; ebenso schon SG Cottbus 16.04.2008, S 19 AL 100/05). Davon hat die Beklagte ersichtlich keinen Gebrauch gemacht.
2. Anspruchsgrundlage ist § 16 SGB VI i.V.m. § 33 Abs.1, Abs.3 Nrn.1, 6 SGB IX, ggf. i.V.m. § 33 Abs.8 S.1 Nr.6 SGB IX. Nach § 33 Abs.1 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX umfassen die Leistungen insbesondere Hilfen zur Erhaltung oder zur Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Beratung und Vermittlung, Trainingsmaßnahmen und Mobilitätshilfen; nach Nr. 6 der genannten Vorschrift sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen oder zu erhalten. Nach § 33 Abs. 8 S.1 Nr. 6 SGB IX umfassen diese Leistungen auch die Kosten der Beschaffung, der Ausstattung und der Erhaltung einer behinderungsgerechten Wohnung in angemessenem Umfang.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger gehört unzweifelhaft zum Personenkreis der (schwer) behinderten Menschen gem. § 2 SGB IX. Die Kammer ist außerdem davon überzeugt, dass entweder eine Erneuerung des Plattformliftes oder eine Rampeninstallation eine erforderliche Leistung darstellt, um seine Erwerbsfähigkeit entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und seine Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern bzw. eine erforderliche Hilfe zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes darstellt bzw. eine erforderliche sonstige Hilfe zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben darstellt, um ihm eine angemessene und geeignete Beschäftigung zu ermöglichen oder zu erhalten bzw. eine erforderliche Ausstattung bzw. Erhaltung einer behinderungsgechten Wohnung in angemessenem Umfang darstellt. Dies folgert die Kammer im Rahmen der von ihr vorgenommenen freien Beweiswürdigung aus dem von Anfang an konsistenten Vortrag des Klägers (vgl. vgl. LSG Berlin-Brandenburg, 22.02.2007, L 16 R 610/06) sowie der schriftlichen Stellungnahme des Herstellers des Plattformliftes TK Aufzüge Deutschland GmbH vom 26.5.2010. Die zwischenzeitliche Installation der Rampe ist gem. § 15 Abs.1 SGB IX anspruchsunschädlich.
3. Dass weder die Beklagte noch entsprechend dem Hilfsantrag die Beigeladene verurteilt werden konnten, die Kosten für die Rampe in Höhe von 10.890,00 EUR zu übernehmen, folgt aus § 131 Abs.3 SGG einerseits und § 33 SGB IX bzw. dem Beklagter bzw. Beigeladener zustehenden Auswahlermessen andererseits. Im Übrigen war eine Verurteilung der Beigeladenen gem. § 75 Abs.5 SGG auch deshalb nicht möglich, weil in bezug auf Leistungen zur Teilhabe gem. § 6 Abs.1 Nrn. 1, 4 SGB IX zwischen Beklagter und Beigeladener keine Wechselwirkung bzw. kein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/KellerLeitherer § 75 SGG Rn. 18). Bei der erneuten Entscheidung über den Antrag des Klägers wird die Beklagte sein Wunsch- und Wahlrecht gem. §§ 9 SGB IX, 33 SGB I zu beachten haben.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Resultat der Rechtsverfolgung.
III.
Einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung bedurfte es nicht, da diese angesichts der streitgegenständlichen Kostenübernahme bereits kraft Gesetzes zulässig ist.