Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 29. Senat | Entscheidungsdatum | 24.11.2014 | |
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Aktenzeichen | L 29 AS 2838/14 B ER RG | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 178a SGG |
Die Anhörungsrüge des Antragstellers gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.
Mit Beschluss vom 20. Oktober 2014 hat der erkennende Senat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. In der Hauptsache begehrte der Antragsteller Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) trotz der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Diese Regelung sei europarechtswidrig und der Leistungsausschluss greife zudem bei dem Antragsteller wegen eines weiteren Aufenthaltsrechts, außer zur Arbeitssuche, nicht. Das Gericht hat den Antragsteller mit Schreiben vom 19. September 2014 darauf hingewiesen, dass es zur Glaubhaftmachung eines behaupteten langjährigen Aufenthalts in Deutschland und einer behaupteten ausgeübten Erwerbstätigkeit geboten wäre, hierzu vorhandene Belege (Meldebescheinigungen, Gewerbeanmeldungen, Steuerbescheide, Rechnungen, Quittungen etc.) dem Gericht vorzulegen. Daraufhin hat der Antragsteller nach erfolgter Akteneinsicht mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2014 erneut lediglich eine bereits vorliegende Erklärung eines Herrn G vom 2. April 2014 und des Antragstellers vom 7. April 2014 vorgelegt.
Der Beschluss vom 20. Oktober 2014 ist dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 27. Oktober 2014 zugestellt worden. Hiergegen hat der Antragsteller am 4. November 2014 Anhörungsrüge im Sinne von § 178a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unter Bezugnahme auf eine Schrift für eine Verfassungsbeschwerde bei dem Verfassungsgerichtshof für das Land Berlin vom 4. November 2014 eingelegt. Der Senat habe sein rechtliches Gehör verletzt. Der Senat habe die eidesstattliche Erklärung überhaupt nicht berücksichtigt und schon dadurch das rechtliche Gehör verletzt. Zudem sei ein Hinweis erforderlich gewesen, dass die Erklärungen nicht zur Glaubhaftmachung als ausreichend angesehen würden. Wäre ein solcher Hinweis erfolgt, „hätte versucht werden können, weitere Zeugen zu finden, die ebenfalls eidesstattliche Erklärungen abgegeben hätten“. Als Rechtsanwalt und damit Organ der Rechtspflege hätte der Prozessbevollmächtigte die eidesstattlichen Erklärungen nicht vorgelegt, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, dass der in ihnen geschilderte Sachverhalt zuträfe.
Nach § 178 a Abs. 1 Satz 1 SGG ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn
1. ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2. das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt (Abs. 1 Satz 2).
Nach Abs. 2 der Vorschrift in der seit dem 1. Juli 2008 geltenden Fassung ist die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (Satz 1). Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden (Satz 2). Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (Satz 3). Die Rüge ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird (Satz 4). Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen (Satz 5).
Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen (§ 178a Abs. 4 S. 1 SGG). Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortgeführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist (§ 178a Abs. 5 S. 1 SGG).
Vorliegend ist die erhobene Anhörungsrüge zwar zulässig; denn gegen den genannten Beschluss ist gemäß § 177 SGG kein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegeben und die Rüge ist innerhalb der Zweiwochenfrist erhoben worden. Die Rüge ist jedoch nicht begründet, denn sie ist nicht den Anforderungen des § 178a Abs. 2 Satz 5 SGG entsprechend eingelegt.
Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist.
Das Bundessozialgericht (BSG - Beschluss vom 09. Februar 2005, Az.: B 10 KG 9/04 B – zitiert nach juris) hat im Zusammenhang mit einem gerügten Gehörverstoß im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160 a Abs. 2 S. 3 SGG) ausgeführt, es müsse vorgetragen werden, welchen erheblichen Vortrag das Gericht nicht zur Kenntnis genommen hat oder welches Vorbringen von ihm verhindert worden ist und inwiefern das Urteil darauf beruhen kann (vgl. BSG - Beschluss vom 18. Februar 1980 - 10 BV 109/79 = SozR 1500 § 160a Nr. 36 und Urteil vom 16. Oktober 1991 - 11 RAr 23/91 = BSGE 69, 280 = SozR 3-4100 § 128a Nr. 5). Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge sei darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BSG – Beschluss vom 5. Oktober 1998 - B 13 RJ 285/97 B; vgl. zur Darlegungslast a. Hintz/Lowe, SGG, § 178a Rz. 20f m.w.N.).
Diese Anforderungen sind nach Ansicht des Senates auch an die Darlegung der vermeintlichen Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 178a Abs. 2 Satz 5 SGG zu stellen.
Vorliegend genügt die Anhörungsrüge diesen Anforderungen schon deshalb nicht, weil der Antragsteller lediglich behauptet, dass er bei einem entsprechenden Hinweis des Gerichts versucht hätte, weitere eidesstattliche Versicherungen vorzulegen. Tatsächlich vorgelegt hat er jedoch bis zum heutigen Tag keinerlei weitere Mittel für eine Glaubhaftmachung. Ob er weitere Erklärungen überhaupt beibringen kann und diese zudem entscheidungserheblich im Sinne von § 178 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG wären, ist danach nicht ansatzweise dargetan.
Die Behauptung des Antragstellers, das Gericht habe die vorgelegten Erklärungen überhaupt nicht berücksichtigt, entspricht in keiner Weise den Tatsachen und geht ins Leere. Das Gericht hat sich vielmehr auf mehreren Seiten in der angegriffenen Entscheidung (Seite 13 und Seite 15-17) mit den vorgelegten Erklärungen und ihrer Geeignetheit zur Glaubhaftmachung der behaupteten Tatsachen auseinandergesetzt.
Das Gericht hat auch nicht eventuelle Hinweispflichten verletzt.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG – u. a. Beschluss vom 12. Juli 2007, 1 BvR 1616/03, m.w.N., zitiert nach juris) sich eine allgemeine Hinweispflicht der Gerichte aus der Verfassung nicht ergibt und die Gerichte insbesondere weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf Ihre Rechtsauffassung verpflichtet sind. Dem im Grundgesetz verankerten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist Genüge getan, wenn der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991, 1 BvR 1383/90, m.w.N., zitiert nach juris). Lediglich wenn das Gericht Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht, bedarf es eines entsprechenden Hinweises (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991,1 BvR 1383/90).
Vorliegend hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers selbst mit Schriftsatz vom 13. August 2014 erklärt, ihm sei die Rechtsauffassung des erkennenden 29. Senats bekannt. Ihm musste mithin schon damals bekannt sein, dass der erkennende Senat die gesetzliche Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II als anwendbar erachtet und es daher grundsätzlich auf die Glaubhaftmachung eines weiteren Aufenthaltsrechts, als lediglich zur Arbeitsuche, ankommt, damit der Leistungsausschluss nicht greift. Auch welchen Maßstab der Senat an eine gelungene Glaubhaftmachung anlegt, musste dem Antragsteller nach der eigenen Erklärung des Prozessbevollmächtigten bekannt sein. Gleichwohl hat ihn das Gericht mit Schreiben vom 19. September 2014 sogar noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, welche Mittel der Glaubhaftmachung (Meldebescheinigungen, Gewerbeanmeldungen, Steuerbescheide, Rechnungen, Quittungen etc.) vorgelegt werden sollten. Dem ist der Antragsteller jedoch nicht nachgekommen. Obwohl er spätestens nach der erfolgten Akteneinsicht durch den Prozessbevollmächtigten erkennen konnte, dass die Erklärungen des Antragstellers und des Herrn G vom April 2014 dem Senat bereits vorlagen (in der beigezogenen Verwaltungsakte und der beigezogenen Gerichtsakte des vorherigen Beschwerdeverfahrens beim 5. Senat des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L5 AS 949/14 B ER), hat er vielmehr trotz des ausdrücklichen Hinweises und seiner Kenntnis von der Rechtsprechung des erkennenden Senats erneut lediglich diese Erklärungen eingereicht.
Soweit der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers meint, die Erklärungen seien schon deshalb für eine Glaubhaftmachung ausreichend, weil sie von ihm als Rechtsanwalt und damit einem Organ der Rechtspflege als ausreichend angesehen und deshalb nur diese vorgelegt worden seien, verkennt er die Entscheidungskompetenzen nach den gesetzlichen Regelungen. Nach dem Sozialgerichtsgesetz (vergleiche insbesondere § 123ff. SGG) entscheidet ausschließlich das Gericht über die erhobenen Ansprüche und zwar auf Grundlage seiner, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG). Dass ein Organ der Rechtspflege nur Erklärungen vorlegt, die seiner Ansicht nach wahrheitsgemäß und ergiebig sind, sollte selbstverständlich sein. Ebenso, dass er alles aus seiner Sicht Notwendige vorlegt. Daraus folgt jedoch nicht, dass das Gericht denselben Maßstab anwenden und eine Glaubhaftmachung als gelungen ansehen muss.
Soweit der Antragsteller schließlich eine fehlerhafte Rechtsanwendung behauptet und damit letztlich inhaltlich die Entscheidung des Senats rügt, folgt daraus ebenfalls keine andere Einschätzung. Für die Begründung einer Anhörungsrüge ist es nämlich keinesfalls ausreichend, wenn im Kern lediglich die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung beanstandet wird (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., 2014, § 178a Rn. 6b mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Zur Rechtsanwendung ist allerdings anzumerken, dass der Europäische Gerichtshof zwischenzeitlich mit Urteil vom 11. November 2014 in der Rechtssache C-333/13 - Dano (zitiert nach juris) die Rechtsansicht des erkennenden Senates und damit die Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II bestätigt hat.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 178a Absatz 4 Satz 3 SGG).