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Entscheidung OVG 6 B 85.15


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 23.05.2017
Aktenzeichen OVG 6 B 85.15 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 113 Abs 1 S 1 VwGO, § 11 BAföG, § 21 Abs 1 S 1 BAföG, § 24 Abs 2 BAföG, § 25 Abs 6 S 1 BAföG, § 11 Abs 1 S 1 EStG, § 47 GmbHG

Leitsatz

Eine Ausnahme von der Bindung der BAföG-Ämter an die Vorgaben eines bestandskräftigen Steuerbescheides für die Einkommensermittlung gilt, wenn im Einkommensteuerbescheid der Eltern ausgewiesenes Einkommen tatsächlich nicht erzielt wurde und ein Rechtsbehelf gegen den fraglichen Einkommensteuerbescheid keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Das Einkommen hat dann zur Vermeidung einer unbilligen Härte gemäß § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG auf besonderen Antrag anrechnungsfrei zu bleiben.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Leistungen der Ausbildungsförderung.

Sie bezog von Februar 2006 bis Januar 2007 vom Beklagten Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in Höhe von 348 Euro je Monat. Die Leistungsbewilligung erfolgte vorläufig unter Vorbehalt der Rückforderung, weil der für die Einkommensanrechnung maßgebende Steuerbescheid ihrer Eltern für das Jahr 2004 noch nicht vorlag.

Aus dem auf entsprechende Anforderung des Beklagten im Februar 2010 übersandten Einkommensteuerbescheid vom 17. Juli 2009 für das Steuerjahr 2004 geht u.a. hervor, dass der Vater der Klägerin in jenem Kalenderjahr Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit als Geschäftsführer der ihm und seiner Ehefrau gehörenden, im Januar 2004 gegründeten und im März desselben Jahres als Gewerbe angemeldeten G... GmbH in Höhe von 12.000 Euro an Geschäftsführergehalt erzielt habe, wobei auf die Monate März, April und Mai 2004 jeweils 4.000 Euro entfielen.

Der Beklagte nahm daraufhin eine Neuberechnung der BAföG-Leistungen unter Berücksichtigung des im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkommens der Eltern der Klägerin vor und kam zu dem Ergebnis, dass der Klägerin im Bewilligungszeitraum keine Ausbildungsförderung zugestanden habe. Er setzte deshalb den monatlichen Förderbetrag für den Bewilligungszeitraum mit Bescheid vom 30. März 2010 rückwirkend abschließend auf 0 Euro fest und forderte die gewährte Ausbildungsförderung in Höhe von insgesamt 4.176 Euro von der Klägerin zurück. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2011).

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die dort festgesetzte Rückforderung den Betrag von 492 Euro übersteigt, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nach den maßgeblichen Einkommensverhältnissen der Eltern der Klägerin sei auf deren Bedarf lediglich ein monatlicher Unterhaltsbetrag in Höhe von 40,93 Euro anzurechnen, so dass der Klägerin ein Anspruch auf Ausbildungsförderung in Höhe von - abgerundet - 307 Euro monatlich zustehe. Die im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 ausgewiesenen Einkünfte des Vaters der Klägerin aus nichtselbstständiger Tätigkeit hätten zur Vermeidung einer unbilligen Härte gemäß § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG anrechnungsfrei bleiben müssen. Maßgeblich hierfür sei, dass die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen positiven Einkünfte des Vaters der Klägerin aus selbstständiger Tätigkeit tatsächlich nicht geflossen seien und den Eltern der Klägerin deshalb nicht für die Deckung von deren Unterhalts- bzw. Ausbildungsbedarf zur Verfügung gestanden habe.

Im Berufungsverfahren macht der Beklagte geltend, entgegen der Beurteilung des erstinstanzlichen Gerichts sei das Gehalt des unterhaltspflichtigen Vaters der Klägerin entweder steuerliches Einkommen, dann müsse es im Sinne des BAföG als solches behandelt werden, oder es sei tatsächlich kein Zufluss gewesen, dann sei auch der Steuerbescheid dazu falsch, der dann von der Klägerin hätte erfolgreich angefochten werden können. Wenn die Klägerin bzw. deren Eltern oder der Steuerberater dies versäumt hätten, dürfe dies nicht zu Lasten anderer Behörden gehen. Maßgeblich sei, dass es eine freie unternehmerische Entscheidung des Vaters der Klägerin gewesen sei, ob, wann und in welcher Form ihm sein Geschäftsführergehalt zufließe, als Einlage in die GmbH, die ihm und der Mutter der Klägerin gehöre, oder als Bareinkommen für 2004 oder als Bareinkommen in einem späteren Jahr. Hätte sich der Vater der Klägerin das Geld 2004 zufließen lassen können und werde er steuerrechtlich zu Recht so behandelt, müsse dasselbe nach dem BAföG gelten. Dabei könne es im Sinne der Fördergerechtigkeit keinen Unterschied machen, ob er das Geld 2004 einnehme oder in einem Folgejahr. Anderenfalls könnte jeder, der einem Leistungsberechtigten zum Unterhalt verpflichtet sei, nach Absprachen mit seinem Arbeitgeber (zumal wenn er faktisch sein eigener Arbeitgeber sei) seine Unterhaltsfähigkeit nach Belieben aussetzen und eine Leistungsberechtigung generieren. Allein dann, wenn - nachweislich - die GmbH im Jahr 2004 und in den Folgejahren faktisch zahlungsunfähig gewesen sei, gelte dies nicht. Eine solche Situation liege hier jedoch ungeachtet der steuerlichen Verluste der GmbH gerade nicht vor.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Juni 2015 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In der Sache macht sie geltend, ihr Vater habe sich das Gehalt im Jahr 2004 mangels ausreichender Liquidität der Firma nicht auszahlen können. Er sei als Geschäftsführer der GmbH verpflichtet gewesen, zunächst die gesetzlich gebotenen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Für die GmbH sei durch das Finanzamt ein Gewerbeverlust aus 2004 in Höhe von 18.633 Euro festgestellt worden.

Der Senat hat zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der G... GmbH im Jahre 2004 Beweis erhoben durch Vernehmung des Geschäftsführers der GmbH, also des Vaters Klägerin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 23. November 2016 verwiesen. Weiter hat der Senat Beweis erhoben, indem er der Klägerin aufgegeben hat, über das Betriebskonto der G... GmbH sämtliche Kontoauszüge für das Jahr 2004, ersatzweise andere geeignete Unterlagen über die Umsätze und Kontostände des Betriebskontos, vorzulegen. Insoweit wird auf die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Januar 2017 vorgelegten Anlagen K 21 bis K 27 verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im in der zweiten Instanz noch streitigen Umfang zu Recht stattgegeben.

Der angefochtene Bescheid vom 30. März 2010 in der Gestalt der Nr. 3 des Tenors des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2011 ist, soweit er vorliegend angegriffen ist, rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

I. Rechtsgrundlage des Bescheides vom 30. März 2010 ist hinsichtlich der endgültigen Festsetzung des Förderbetrages § 24 Abs. 2 Satz 3 BAföG. Nach dieser Vorschrift wird über in Ermangelung der Vorlage des maßgeblichen Einkommensteuerbescheides unter dem Vorbehalt der Rückforderung nach § 24 Abs. 2 BAföG gewährte Ausbildungsförderung abschließend entschieden, sobald der Steuerbescheid dem Amt für Ausbildungsförderung vorliegt.

Hier ist der Klägerin mit Bescheid vom 27. April 2006 für den Bewilligungszeitraum Februar 2006 bis Januar 2007 Ausbildungsförderung unter dem Vorbehalt der Rückforderung gemäß § 24 Abs. 2 BAföG gewährt worden, weil der für die Einkommensanrechnung maßgebende Steuerbescheid der Eltern noch nicht vorlag, so dass die abschließende Entscheidung nach § 24 Abs. 2 Satz 3 BAföG ergehen konnte.

Die Höhe des der Klägerin dem Grunde nach unstreitig zustehenden Anspruchs auf Ausbildungsförderung richtet sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BAföG (seinerzeit 348 Euro monatlich). Auf diesen Bedarf ist gemäß § 11 Abs. 2 BAföG das Einkommen der Eltern anzurechnen.

II. Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 BAföG gilt als Einkommen die Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes. Nach Satz 2 ist ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten der zusammenveranlagten Ehegatten nicht zulässig. Gemäß § 24 Abs. 1 BAföG sind für die Anrechnung des Einkommens der Eltern des Auszubildenden die Einkommensverhältnisse im vorletzten Jahr vor Beginn des Bewilligungszeitraums maßgebend. Das sind vorliegend die Einkommensverhältnisse im Jahr 2004. Maßgeblich sind insoweit die Einkommensverhältnisse, wie sie sich aus dem Steuerbescheid ergeben. Das folgt aus der Regelung in § 24 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 BAföG wonach eine vorläufige Entscheidung ergeht, wenn dem Amt für Ausbildungsförderung der maßgebliche Einkommensteuerbescheid noch nicht vorliegt und eine endgültige Entscheidung, sobald dieser vorliegt.

1. Nach dem hier maßgeblichen Steuerbescheid für das Jahr 2004 hat der Vater der Klägerin Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 12.000 Euro erzielt, die unter gemeinsamer Berücksichtigung mit dem hier nicht streitigen Einkommen der Mutter der Klägerin zu einem für die Klägerin gemäß § 11 BAföG anzurechnenden Einkommen in Höhe von 403,37 Euro führen würden (vgl. die zwischen den Beteiligten nicht streitige Berechnung des Beklagten hierzu vom 22. Februar 2010).

2. Der Inhalt des bestandskräftigen Steuerbescheides ist für die Einkommensermittlung grundsätzlich rechtlich bindend (BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1993 - 11 C 9/92 -, BVerwGE 92, 272 ff., Rn. 22 bei juris m.w.N.). Selbst Zweifel an der Richtigkeit seiner Vorgaben begründen keine eigenständige Prüfpflicht der BAföG-Ämter (BVerwG, Beschluss vom 9. November 1988 - 5 B 143/87 -, Buchholz 436.36 § 24 BAföG Nr. 12, Rn. 2 bei juris). Eine Rechtsschutzlücke besteht insofern nicht, weil es sowohl dem Steuerpflichtigen als auch dem Auszubildenden freisteht, gegen den Steuerbescheid vorzugehen, wenn dort fälschlicherweise positive Einkünfte ausgewiesen sind. Das gilt selbst bei sog. Null-Steuerbescheiden, bei denen letztlich keine Einkommensteuer festgesetzt wird (BFH, Urteil vom 29. Mai 1996 - III R 49/93 -, BFHE 180, 238, juris).

Gleichwohl kann eine Ausnahme von dieser Bindungswirkung geboten sein, wenn die im Steuerbescheid der Eltern angesetzten positiven Einkünfte auf nachweislich unzutreffenden Schätzungen oder Hochrechnungen beruhen, während von den Eltern des Auszubildenden tatsächlich keine positiven Einkünfte erzielt wurden (VG München, Urteil vom 20. Januar 2006 - M 15 K 04.2086 -, Rn. 41 bei juris; VG Dresden, Urteil vom 9. Juni 2009 - 5 K 2568/07 -, Rn. 32 bei juris; VG Hamburg, Urteil vom 17. November 2006 - 8 K 1752/05 -, Rn. 25 f. bei juris). Es kann dann notwendig sein, den unzutreffend geschätzten Teil des Einkommens gemäß § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG als unbillige Härte auf einen entsprechenden Antrag des Auszubildenden anrechnungsfrei zu stellen (OVG Münster, Beschluss vom 30. November 2015 - 12 A 2055/14 -, Rn. 15 bei juris; Stopp, in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 6. Auflage 2016, § 24 Rn. 9, § 25 Rn. 49).

Dasselbe hat konsequenterweise auch dann zu gelten, wenn im Einkommensteuerbescheid der Eltern ausgewiesenes Einkommen tatsächlich nicht erzielt wurde. In beiden Konstellationen bildet der Einkommensteuerbescheid die realen Einkommensverhältnisse nachweislich nicht ab, sondern legt ein Einkommen zu Grunde, das für die Deckung des Unterhalts- bzw. Ausbildungsbedarfs des Auszubildenden tatsächlich nicht zur Verfügung stand. Das gilt jedenfalls dann, wenn ein Rechtsbehelf gegen den fraglichen Einkommensteuerbescheid keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Denn dann haben die Betroffenen keine zumutbare Möglichkeit, eine Anpassung des Steuerbescheides an die tatsächlichen Verhältnisse zu erreichen.

Die Anwendung der Härteklausel erscheint auch deshalb gerechtfertigt, weil eine derartige Konstellation mit denjenigen vergleichbar ist, die dem Anwendungsbereich des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG herkömmlicherweise unterfallen. Eine unbillige Härte im Sinne dieser Vorschrift ist etwa in Fällen anerkannt, in denen die Eltern zwar ein die Freibeträge nach § 25 Abs. 1 bis 3 BAföG übersteigendes Einkommen erzielen, der Einkommensbezieher aber in der Verfügung über das Einkommen oder einen Teil des Einkommens aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen derart beschränkt ist, dass er nicht in der Lage ist, für den Lebensunterhalt der in § 25 Abs. 1 bis 3 BAföG genannten Personen und des Auszubildenden sowie für dessen Ausbildung einzusetzen (BVerwG, Urteil vom 15. November 1990 - 5 C 78/88 -, BVerwGE 87, 193 ff., Rn. 16 bei juris m.w.N.). Es macht wertungsmäßig keinen Unterschied, ob die Eltern des Auszubildenden Einkommen erzielen, das aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen zur Deckung des Unterhalts- bzw. Ausbildungsbedarf nicht zur Verfügung steht oder ob der Einkommensteuerbescheid nicht (auf zumutbare Weise) korrigierbare Elterneinkünfte ausweist, die tatsächlich nicht erzielt wurden.

3. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Einkommen des Vaters der Klägerin aus seiner selbstständigen Tätigkeit zur Vermeidung einer unbilligen Härte gemäß § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG anrechnungsfrei zu bleiben. Dessen im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 ausgewiesenes Gehalt aus selbstständiger Tätigkeit hat dieser tatsächlich nicht erzielt (dazu unter a); ein Vorgehen gegen den insoweit „unrichtigen“ Steuerbescheid war ihm nicht möglich bzw. zumutbar (dazu unter b).

a) Für die Frage, ob das Einkommen erzielt wurde, genügt es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts allerdings nicht festzustellen, ob es dem Vater der Klägerin zugeflossen ist. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gehaltszahlungen aufgrund freier unternehmerischer Entscheidung unterblieben sind. Eine unbillige Härte kann vor dem dargelegten Hintergrund insoweit vielmehr nur dann angenommen werden, wenn er aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen gehindert war, auf das formal ausgewiesene Einkommen zuzugreifen. Das ist hier der Fall.

Das im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 ausgewiesene Gehalt des Vaters der Klägerin in Höhe von insgesamt 12.000 Euro ist in jenem Jahr weder an diesen ausgezahlt worden noch beruhte die Nichtauszahlung auf dessen freier unternehmerischer Entscheidung. Vielmehr verfügte seine GmbH in jenem Jahr zu keinem Zeitpunkt über ausreichende Liquidität, um ihm das Gehalt zukommen zu lassen. Das ergibt sich aus den von der Klägerin vorgelegten Auszügen über das Geschäftskonto der G... GmbH.

Ausweislich der Buchungsbelege der GmbH sind am 31. März, 1. April und 31. Mai 2004 jeweils 4.000 Euro an Geschäftsführergehaltszahlungen gebucht worden (Konto 4124). Dabei betrug das Nettogehalt in den drei Monaten jeweils 2.983,87 Euro (Konto 1740). Zahlungen oder Abbuchungen dieses Umfangs sind den vorgelegten, insoweit vollständigen Kontoauszügen jedoch nicht zu entnehmen.

Das Geschäftskonto wies, soweit ersichtlich, im Jahr 2004 auch keine Deckung auf, die eine Zahlung des Geschäftsführergehaltes ermöglicht hätte.

Folgende Kontostände sind belegt:

- 04. Februar 2004 (Auszug 2):

                

 1.381,96 Euro

- 25. Februar 2004 (Auszug 3):

                

 1.125,62 Euro

- 23. März 2004 (Auszug 4):

                

 75,06 Euro

- 01. April 04 (Auszug 5):

                

 71,24 Euro

- 20. April 2004 (Auszug 6):

                

 751,12 Euro

- 05. Mai 2004 (Auszug 7):

                

 1.604,94 Euro

- 13. Mai 2004 (Auszug 8):

                

11.243,57 Euro

- 17. Mai 2004 (Auszug 9):

                

 1.452,12 Euro

- 21. Mai 2004 (Auszug 10):

                

 2.096,05 Euro

- 28. Mai 2004 (Auszug 11):

                

 1.967,41 Euro

- 04. Juni 2004 (Auszug 12):

                

 1.249,58 Euro

- 18. Juni 2004 (Auszug 13):

                

 884,50 Euro

- 23. Juni 2004 (Auszug 14):

                

 1.025,82 Euro

- 30. Juni 2004 (Auszug 15):

                

 888,47 Euro

- 07. Juli 2004 (Auszug 16):

                

 1.619,78 Euro

- 14. Juli 2004 (Auszug 17):

                

 1.605,14 Euro

- 21. Juli 2004 (Auszug 18):

                

 1.821,18 Euro

- 27. Juli 2004 (Auszug 19):

                

 1.977,58 Euro

- 02. August 2004 (Auszug 20):

                

 2.022,91 Euro

- 04. November 2004 (Auszug 30):

                

 1.453,75 Euro

- 16. November 2004 (Auszug 31):

                

 1.665,55 Euro

- 06. Dezember 2004 (Auszug 32):

                

 879,51 Euro

- 16. Dezember 2004 (Auszug 32):

                

 3.787,60 Euro

- 30. Dezember 2004 (Auszug 34):

                

 1.898,26 Euro

- 31. Dezember 2004 (Auszug 35):

                

 1.881,45 Euro

Die Auszüge 21 bis 29 können nach Angaben der Klägerin nicht mehr vorgelegt werden. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass sich die finanzielle Situation der GmbH in dem von diesen umfassten Zeitraum wesentlich anders darstellt.

Die Kontostände waren mit Ausnahme des Auszugs 8 vom 13. Mai 2004 zu keinem Zeitpunkt so hoch, dass eine ausreichende Deckung für die Zahlung des Geschäftsführergehaltes vorhanden gewesen wäre.

Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass auf das Geschäftskonto mehrfach Beträge von einem Konto bei der D...bank mit der Nummer D... überwiesen wurden, auf dem sich nach den Angaben der Klägerin Privatvermögen ihrer Eltern befand. Nur durch diese Zuschüsse aus dem Privatvermögen konnte eine Überziehung des Geschäftskontos vermieden werden. Es handelt sich um Überweisungen in Höhe von 1.000 Euro am 18. Februar 2004 (Anlage K 21, Bl. 11), 6.000 Euro am 26. Februar 2004 (Anlage K 22, Bl. 1 f.), 1.000 Euro am 29. März 2004 (Anlage K 92, Bl. 14), weitere 1.000 Euro am 6. April 2004 (Anlage K 23, Bl. 2) und schließlich 8.053,90 Euro am 12. Mai 2004 (Anlage K 24, Bl. 6).

Letztere Überweisung führte gemeinsam mit einer als „Darlehen“ bezeichneten, am selben Tag erfolgten Gutschrift in Höhe von 2.000 Euro zu dem hohen Kontostand am 13. Mai 2004. Diese Überweisungen dienten offenbar einer größeren betrieblichen Anschaffung, denn am 13. Mai 2004 sind von dem Geschäftskonto per Sammelüberweisung 10.911,46 Euro abgeflossen (Auszug 9 vom 17. Mai 2004, Anlage K 24, Bl. 8). Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einer Überweisung an „Wolf-Garten“ in Höhe von 10.862,68 Euro sowie einer Überweisung an „S...“ in Höhe von 48,78 Euro (Anlage K 27, Bl. 37).

Die Überweisung von besagtem Konto bei der D...bank vom 15. Januar 2004 in Höhe von 25.044,37 Euro, von denen am 26. Januar 2004 20.000 Euro auf das Konto bei der D...bank rücküberwiesen wurden, rechtfertigen keine Zweifel an der Einschätzung der finanziellen Situation der GmbH. Nach Angaben der Klägerin sind die Kontobewegungen im Januar des Jahres 2004 darauf zurückzuführen, dass ihr Vater seinerzeit noch keine getrennten Konten führte, sondern Privates und Gewerbliches über dieses eine Konto abgewickelt habe. Der Geschäftsbetrieb ist im Übrigen erst Anfang März 2004 aufgenommen worden.

b) Die Klägerin muss sich auch nicht entgegenhalten lassen, dass sie bzw. ihre Eltern den fraglichen Einkommensteuerbescheid wegen der darin enthaltenen Einkommensangaben nicht angegriffen haben, obwohl das darin angegebene Einkommen tatsächlich nicht erzielt worden war. Steuerrechtlich war der Bescheid nicht „unrichtig“, weil das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit insoweit zu berücksichtigen war, denn es war dem Vater der Klägerin steuerrechtlich „zugeflossen“.

Zwar gelten gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG Einnahmen erst als zugeflossen, wenn der Empfänger über die ihm zustehenden Beträge wirtschaftlich verfügen kann, so dass im Regelfall davon auszugehen ist, dass in Steuerbescheiden ausgewiesenes Einkommen auch tatsächlich zugeflossen ist. Zu Recht weist die Klägerin indessen auf Besonderheiten im Gesellschaftsrecht hin, wonach dem beherrschenden Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft Beträge, die ihm die Gesellschaft schuldet, in der Regel bereits mit ihrer Fälligkeit als zugeflossen gelten, weil beherrschende Gesellschafter es in der Hand haben, sich die Beträge von der Gesellschaft auszahlen oder in deren Betrieb stehen zu lassen (BFH, Urteil vom 21. Oktober 1981 - I R 230/78 -, BFHE 134, 315 ff., Rn. 15 bei juris).

Der Vater der Klägerin ist „beherrschender Gesellschafter“ in diesem Sinne. Ein solcher ist in der Regel derjenige, der allein über die nach § 47 GmbHG erforderliche Mehrheit der in der Gesellschafterversammlung abgegebenen Stimmen verfügt. Dabei ist anerkannt, dass für die Frage der Beherrschung die eigenen Anteile oder Stimmrechte eines Gesellschafters mit den Anteilen oder Stimmrechten seines Ehegatten oder der von ihm abhängigen Kinder als Einheit angesehen werden (BFH, a.a.O., Rn. 16 bei juris). Daher ist es für die Frage der Stellung als beherrschender Gesellschafter unschädlich, dass ausweislich des Einkommensteuerbescheides beide Elternteile der Klägerin Gesellschafter der GmbH sind.

Die genannte Zuflussregel bei Kapitalgesellschaften gilt jedenfalls dann, wenn der Anspruch eindeutig, unbestritten und fällig ist und sich gegen eine zahlungsfähige Gesellschaft richtet (BFH, Urteil vom 8. Mai 2007 - VIII R 13/06 -, BFH/NV 2007, S. 2249 f., Rn. 13 bei juris). Als Zahlungsunfähigkeit ist dabei nur das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners anzusehen, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu berichtigen. Dies ist vor dem „Zusammenbruch“ des Schuldners im Regelfall zu verneinen, solange ein Antrag auf Eröffnung des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners noch nicht gestellt wurde (BFH, a.a.O., Rn. 14 bei juris).

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hätte eine Anfechtung des Steuerbescheides nur dann Erfolg haben können, wenn der Vater der Klägerin das Konkurs- bzw. Insolvenzverfahren für das Gesellschaftsvermögen beantragt hätte. Dies wäre ihm jedoch nicht sinnvollerweise zuzumuten gewesen, da er die Kontrolle über das Gesellschaftsvermögen eingebüßt hätte, obgleich er die Absicht hatte, den Betrieb weiterzuführen, wenn auch unter Verzicht auf das zunächst vorgesehene Geschäftsführergehalt und unter Inkaufnahme von Lohnsteuerzahlungen für den (überschaubaren) Zeitraum von drei Monaten.

c) Keiner vertieften Betrachtung bedarf der Einwand des Beklagten, das im Einkommensteuerbescheid für 2004 ausgewiesene Einkommen von 12.000 Euro sei als sog. stille Einlage zu werten, die ausbildungsförderungsrechtlich nicht anrechnungsfrei bleiben könne, weil sie in der Jahresbilanz als Ausgabe der GmbH geführt werde. Dieser Vortrag lässt außer Acht, dass der von der Klägerin zu den Akten gereichte Jahresabschluss der GmbH zum 31. Dezember 2004 einen das fragliche Jahreseinkommen deutlich übersteigenden Fehlbetrag von 18.709,07 Euro ausweist und auch der vortragsfähige Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2004 ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Bescheids 18.633 Euro beträgt.

d) Nicht zu folgen ist weiter der Auffassung des Beklagten, dass in den Blick zu nehmen sei, ob der tatsächliche Zufluss des Geldes in den Folgejahren erfolgt ist. Die vom Beklagten befürchtete Umgehung der ausbildungsförderungsrechtlichen Vorschriften zur Einkommensanrechnung dürfte insoweit nicht bestehen. Durch die Anwendung der strengen Voraussetzungen der Härteklausel ist den ausbildungsförderungsrechtlichen Vorschriften über das anrechenbare Einkommen bereits hinreichend Rechnung getragen. Eine spätere Auszahlung des Gehaltes wäre gegebenenfalls in dem Kalenderjahr, in dem sie erfolgt, ausbildungsförderungsrechtlich zu berücksichtigen. Hinzu kommt die rein praktische Schwierigkeit, dass unklar ist, wo die zeitliche Grenze dieser Betrachtung zu ziehen sein soll. Denkbar ist bspw., dass der Einkommenszufluss erst nach endgültiger Festsetzung des Ausbildungsförderungsbetrages erfolgt. Wäre der Auffassung des Beklagten zu folgen, wäre dieser Bescheid dann materiell rechtswidrig und unterläge der Aufhebung.

4. Den nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG vorgeschriebenen besonderen Antrag hat die Klägerin rechtzeitig gestellt. Zur Begründung verweist der Senat auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil, denen er sich anschließt und denen der Beklagte im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten ist.

5. Der von § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG grundsätzlich eröffnete Ermessensspielraum der Behörde ist vorliegend dahingehend reduziert, dass nur die Entscheidung, die besagten Einkünfte anrechnungsfrei zu lassen, rechtmäßig ist (Senatsurteil vom 14. Juni 2011 - OVG 6 B 16/10 -, Rn. 31 bei juris).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.