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Entscheidung 3 UF 8/12


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 5. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 22.03.2012
Aktenzeichen 3 UF 8/12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 16. Januar 2012 teilweise abgeändert.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind C… R…, geboren am …. Mai 2001, wird auf den Antragsteller übertragen.

Die Gerichtskosten erster und zweiter Instanz werden den Eltern je zur Hälfte auferlegt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Verfahrenswert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der am … Juni 1974 geborene Antragsteller und die am …1973 geborene Antragsgegnerin haben von 1998 bis 2003 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt. Aus der Verbindung ist die am …. Mai 2001 geborene Tochter ... hervorgegangen. Die elterliche Sorge für das Kind haben die Eltern bislang aufgrund entsprechender, gegenüber der Beteiligten zu 3) abgegebener Erklärung gemeinsam ausgeübt. Die Eltern des Kindes leben zwischenzeitlich in neuen festen Partnerschaften, in die die Lebensgefährtin des Antragstellers einen heute 13jährigen Sohn eingebracht hat. Die Antragsgegnerin ist seit dem 23. Juli 2006 Mutter einer zweiten, aus einer zwischenzeitlich ebenfalls „in die Brüche“ gegangenen Partnerschaft stammenden Tochter.

Seit der Trennung ihrer Eltern lebte ... zunächst im Haushalt der Antragsgegnerin, die bereits während ihrer Beziehung zum Antragsteller in einer Phase psychischer Überforderung Medikamentenmissbrauch insbesondere mit codeinhaltigen Präparaten zur Beruhigung betrieben hatte, wegen dessen sie sich im Jahre 2003 einer Entziehungskur unterzogen hatte und danach bis Ende 2004 abstinent geblieben war. Während eines anschließenden Rückfalls beging die damals als ungelernte Helferin in einer Arztpraxis tätige Antragsgegnerin Medikamentendiebstähle und fälschte in einem Fall ärztliche Rezepte, um auf diese Weise in den Besitz verschreibungspflichtiger Präparate zu gelangen. Wegen eines im Dezember 2004 erfolgten Diebstahls wurde sie am 2. Mai 2005 vom Amtsgericht Fürstenwalde mit einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen belegt und vom Amtsgericht Frankfurt (Oder) am 11. September 2006 wegen eines im November 2005 stattgefundenen Diebstahls und einer Urkundenfälschung mit einer Gesamtgeldstrafe von 35 Tagessätzen.

Als die Antragsgegnerin am 23. November 2010 in einer weiteren Situation psychischer Anspannung, nämlich einer von ihr begonnenen Berufsausbildung, erneut versuchte, illegal in den Besitz von Medikamenten zu gelangen, wofür sie vom Amtsgericht Frankfurt (Oder) am 25. Februar 2011 in Form einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen wegen Urkunden-(nämlich Rezept)fälschung belangt wurde, kam es zwischen den Eltern zu Auseinandersetzungen um das Sorgerecht für .... Auf Antrag des Vaters übertrug das Amtsgericht Fürstenwalde diesem mit Beschluss vom 26.11.2010 -10 F 1147/10 - in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind, bei dem es seither unter Wahrnehmung regelmäßigen Umgangs mit der Antragsgegnerin lebt. Nach Anhörung …s bestätigte das Instanzgericht diese Entscheidung mit weiterem Beschluss vom 15. Dezember 2010. Zur Begründung führte es jeweils mit näheren Darlegungen aus, infolge fortgesetzten Arzneimittelmissbrauches der Mutter sei zu befürchten, dass diese ihren Erziehungspflichten nicht mehr nachkomme, weshalb das Kindeswohl gefährdet sei.

In vorliegender Sache, dem sich anschließenden Hauptsacheverfahren, haben beide Elternteile zunächst widerstreitende Anträge zur Übertragung des Rechts der elterlichen Sorge gestellt, dessen Ausübung ihnen jeweils allein zustehen sollte, schließlich jedoch lediglich eine Entscheidung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind begehrt. Zur Begründung seines Begehrens hat der Antragsteller im wesentlichen krankheitsbedingte Kompetenzeinschränkungen der Mutter, ... angemessen zu fördern und zu erziehen, geltend gemacht und auf Kontinuitätsgesichtspunkte abgestellt. Die Antragsgegnerin hat sich in erster Linie auf erfolgreiche Bemühungen zur Bekämpfung ihres stattgefundenen Medikamentenmissbrauches (stationäre Rehabilitation von März bis Juni 2011, seitdem andauernde ambulante Suchtberatung) und stabilisierte Lebensverhältnisse berufen, die die Gründe für eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater entfallen ließen, und auf dessen ihrer Auffassung nach unzureichende Bindungstoleranz hingewiesen.

Mit Beschluss vom 25.2.2011 hat das Amtsgericht die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens angeordnet. Die Sachverständige ... hat ihr Gutachten unter dem 18.7.2011 erstellt, in dessen Ergebnis sie – unter der Prämisse fortdauernder Abstinenz der Mutter - beiderseits gleiche Erziehungsfähigkeit, eine enge Bindung des Kindes an Mutter und Vater bei ebenfalls enger Bindung an seine im Haushalt der Mutter lebende Halbschwester, Kommunikationsprobleme der Eltern im Umgang miteinander, eine problematische Bindungstoleranz vor allem des Vaters sowie eine als stabil und autonom gebildet eingeschätzte Willenshaltung des Kindes, im Zweifelsfall bei der Mutter leben zu wollen, festgestellt hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des nämlichen Gutachtens, Bl. 342 ff GA., Bezug genommen.

Nach Anhörung der Beteiligten und des Kindes hat das Amtsgericht durch den angefochtenen Beschluss das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ... unter Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts der Eltern auf die Antragsgegnerin übertragen. Wegen der Begründung der getroffenen Entscheidung wird auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich der Vater mit seiner Beschwerde. Er trägt vor:

Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter widerspreche dem Kindeswohl; die Antragsgegnerin lasse weitgehend Krankheitseinsicht, jedenfalls aber Einsicht in die mit dem stattgefundenen Arzneimittelmissbrauch verbundenen Gefahren für das Kindeswohl, vermissen, indem sie etwa nur sporadisch Drogenkontrolltests vornehmen lasse; die Mutter verfüge über keine ausreichende Bindungstoleranz, indem sie sich einer Ausweitung der Umgangsrechte des Kindes mit ihm, dem Vater, widersetzt habe; ... habe tatsächlich divergierende Angaben zur Frage ihres künftigen dauerhaften Aufenthaltes gemacht; das Gutachten der Sachverständigen ... stelle sich abgesehen davon, dass ihm insoweit in I. Instanz rechtliches Gehör abgeschnitten worden sei, weil er keine ausreichende Gelegenheit zu deren Befragung erhalten habe, als widersprüchlich dar und begründe massive Zweifel an der Neutralität sowie Professionalität der Gutachterin; die Sachverständige habe insbesondere verkannt, dass der festgestellte Kindeswunsch, bei der Mutter zu leben, auf einem unbewussten Schutzreflex …s gegenüber der als vermeintlich schwächerer Elternteil eingeschätzten Antragsgegnerin, einer parentifizierten Beziehungsstruktur, und einem unauflösbaren Loyalitätskonflikt gegenüber beiden Elternteilen beruht habe, mit denen sie am liebsten zusammenleben wolle, nicht jedoch auf einem autonom gebildeten Willen; die Empfehlung der Gutachterin, das Aufenthaltsbestimmungsrecht letztlich der Mutter zu übertragen, gründe sich zudem auf die bloße Hoffnung deren künftigen sozialadäquaten Verhaltens (fortdauernder Abstinenz), während sie den Nachweis aktuell bestehender Erziehungseignung der Antragsgegnerin schuldig geblieben sei; … werde von der Gutachterin nachgerade als Therapeutikum für ihre Mutter missverstanden in dem Sinne, deren Erziehungseignung werde sich bei fortdauernder Abstinenz im beiderseitigen täglichen Umgang letztlich einstellen.

Der Vater beantragt,

ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame Tochter zu übertragen.

Die Mutter beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Der Antragsteller lasse insbesondere durch sein Verhalten in vorliegendem Verfahren erkennen, dass es ihm an Bindungstoleranz und Kooperationsbereitschaft fehle, indem er ihre aufrichtigen und erfolgreichen Bemühungen um eine dauerhafte Bekämpfung der psychischen Ursachen ihres früheren, als solchen erkannten, Fehlverhaltens negiere; die für die stattgefundene Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts maßgeblichen Gründe lägen nicht mehr vor; kontinuierliche Drogenscreenings könne sie sich nicht leisten, da ihre Krankenkasse die entsprechenden Kosten nicht trage; … fühle sich in ihrem Haushalt rundherum wohl, sie und ihr Lebensgefährte kümmerten sich intensiv um die persönlichen und schulischen Belange des Kindes; demgegenüber versuche der Antragsteller, auf das Kind psychisch im eigenen Sinne einzuwirken.

Wegen des weiteren Vorbringens der beteiligten Eltern wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat, nachdem ... am 18. Januar 2012 der Kindesmutter übergeben worden war, auf entsprechenden Antrag des Vaters mit Beschluss vom 20. Januar 2012 die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung gemäß § 64 Abs. 3 FamFG ausgesetzt und der Antragsgegnerin aufgegeben, das Kind am 22. Januar 2012 an den Vater herauszugeben. Im Anhörungstermin vom 29. Februar 2012 hat er die Eltern, den vom Amtsgericht bestellten Verfahrensbeistand und das Kind angehört sowie die Sachverständige ... vernommen. Insoweit wird auf den entsprechenden Anhörungsvermerk verwiesen.

Zwischenzeitlich haben sich die Eltern auf eine Regelung zum erweiterten Umgang der Mutter mit ... verständigt.

II.

1.

Die Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Seinem Antrag entsprechend ist ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind ... zu übertragen.

Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann gemäß § 1671 Abs. 1 BGB jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil derselben allein überträgt. Dem Antrag ist, wenn nicht der andere Elternteil zustimmt, § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB, stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht, § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

Da zwischen den Eltern vorliegend lediglich noch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Streit ist, ist lediglich über diesen Teilbereich zu befinden. Dabei ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht schon deshalb einem Elternteil allein zu übertragen, weil die Eltern darüber keine Einigkeit erzielen können. Die Eltern beanspruchen das Aufenthaltsbestimmungsrecht jeweils für sich. Diese Anträge deuten auf fehlende Kooperationsbereitschaft beider Elternteile (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 5. Aufl., § 1671 BGB, Rz. 37) hin, sodass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge hinsichtlich des Teilbereichs des Aufenthaltsbestimmungsrechts unter Berücksichtigung des Kindeswohls erforderlich erscheint. Mangels weitergehender Antragstellung durch die Eltern bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der erstinstanzlich getroffenen Entscheidung, das gemeinsame Sorgerecht der Eltern bestehen zu lassen. Denn eine Aufhebung insoweit könnte im Hinblick auf § 1671 Abs. 3 BGB nur geschehen, wenn anderenfalls das Kindeswohl gefährdet wäre, § 1666 BGB. Anhaltspunkte dafür liegen aber nicht vor.

Bei der Frage, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge hinsichtlich des Teilbereichs des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Übertragung der Wahrnehmung dieses Bereichs auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht, sind folgende Gesichtspunkte zu beachten, wobei deren Reihenfolge im Hinblick auf ihren Stellenwert keine Bedeutung zukommt (vgl. Johannsen/Henrich/Jaerger, a.a.O., § 1671, Rz. 84):

- der Förderungsgrundsatz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung,

- der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Stetigkeit und die Wahrung der Entwicklung des Kindes abstellt,

- die Bindung des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister sowie

- der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist und das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage ist

(vgl. zum ganzen Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 5. Aufl., § 1671 BGB, Rz. 52 ff., 64 ff., 68 ff., 78 ff.).

Der Senat ist bei der unter diesen Gesichtspunkten vorgenommenen Überprüfung nach Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des für die Wohnsitze der Eltern zuständigen Jugendamtes, nach Anhörung der Eltern, des Kindes und der Verfahrenspflegerin sowie nach Vernehmung der Sachverständigen ... zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Wohl des Kindes am besten entspricht, wenn der Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausübt.

a)

Unter dem Gesichtspunkt des Förderungsprinzips ist der Vater jedenfalls nicht weniger als die Mutter geeignet, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auszuüben. Beide Eltern sind grundsätzlich bereit und in der Lage, ihrer Verantwortung für die Erziehung des Kindes gerecht zu werden, und verfügen über eine die Belange des Partners berücksichtigende Bindungstoleranz, wie sich insbesondere anhand der nunmehr vorgenommenen einvernehmlichen Regelung weitergehender Umgangsrechte der Mutter mit ... zeigt. Dementsprechend hat die Sachverständige ... – wie auch der Verfahrensbeistand - im Zuge ihrer Vernehmung durch den Senat bestätigt, dass sich das Kind in einem Loyalitätskonflikt zu beiden Elternteilen befindet und dieser durch weitgehende Umgangsrechte mit dem nicht zur Aufenthaltsbestimmung berechtigten Elternteil kompensiert werden sollte, um dem Kindeswohl weitestgehend gerecht zu werden; ihrer frühere, die Kindesmutter präferierende, Einschätzung habe sie, so die Sachverständige weiter, vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der Gutachtenerstellung fehlenden Bereitschaft der Eltern getroffen, aufeinander zuzugehen und eine den Belangen des Kindes am ehesten entsprechende Lösung des Loyalitätsproblems herbeizuführen, nämlich ein sog. Wechselmodell zu praktizieren; in jedem Fall kämen den Bedürfnissen des Kindes aber bei vergleichbarer Erziehungsfähigkeit der Eltern möglichst unproblematisch gehandhabte Aufenthaltswechsel zustatten.

Auch die Wohnverhältnisse bei beiden Elternteilen sind nicht zu beanstanden. ... fände also bei beiden eine ihren Bedürfnissen gerecht werdende häusliche Umgebung vor; insofern kommt es nicht entscheidend darauf an, dass die Mutter anders als der Vater lediglich über eine Mietwohnung – ohne Garten – verfügt. Denn auch ohne die entsprechenden Möglichkeiten wäre das Kind bei der Mutter unter Nutzung der für sie vorgesehenen Räumlichkeiten in der Lage, sich einerseits entfalten und andererseits über genügend Freiräume und Rückzugsmöglichkeiten verfügen zu können..

Zudem leben beide Elternteile in neuen Beziehungen, ohne dass Umstände ersichtlich geworden wären, die im Hinblick auf das Kindeswohl Bedenken gegen einen der Partner der Elternteile rechtfertigten. Soweit es nach der Eingliederung ... in den väterlichen Haushalt zu Irritationen im Umgang mit der Lebensgefährtin des Antragstellers gekommen war, sind diese seit längerer Zeit behoben, wie der Vater im Anhörungstermin vor dem Senat glaubhaft versichert hat. Gegenteilige Erkenntnisse liegen dem Senat auch nicht vor.

Im Hinblick auf die Berufsausübung der Eltern ergibt sich kein Vorrang eines Elternteils, zumal einerseits der in Vollzeit (bis 16.30 Uhr) beruflich gebundene Vater entsprechend seinen nachvollziehbaren Angaben im Anhörungstermin vor dem Senat dazu in der Lage ist, die Abholung …s von der Schule kontinuierlich - durch ihren Großvater - zu organisieren, während die Erziehungsfähigkeit der Mutter andererseits nicht durch deren derzeitige Arbeitslosigkeit beeinträchtigt wird, sondern ihr umgekehrt ein intensives Eingehen auf die Belange des Kindes gerade auch ermöglicht. Dabei besteht allerdings kein allein aus dem Zeitfaktor resultierender Vorrang eines nicht oder nur teilweise berufstätigen vor dem voll berufstätigen Elternteil (vgl. Brbg. OLG FamRZ 2003, 1949, 1950; Johannsen/Henrich/Jaeger, aaO § 1671 BGB, Rz. 56).

Ob die Bindungstoleranz, das ist die Bereitschaft, den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zuzulassen und das Kind erforderlichenfalls hierzu auch zu motivieren und die Fähigkeit, sich abwertender Äußerungen in Bezug auf den anderen Elternteil in Gegenwart des Kindes zu enthalten (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671 BGB, Rz. 61), in der Vergangenheit bei der Mutter stärker als beim Vater ausgeprägt war, wie die Sachverständige in ihrem schriftlichen Gutachten im Anschluss an die Darlegungen der Antragsgegnerin eingeschätzt hatte, kann hier dahinstehen. Denn der Antragsteller ist jedenfalls nunmehr erkennbar willens und in der Lage, … einen weitgehenden und ungezwungenen Umgang mit ihrer Mutter zu ermöglichen, wie er dies im Anhörungstermin vor dem Senat glaubhaft versichert und durch die mit der Mutter am 1. März 2012 getroffene großzügige Umgangsvereinbarung dokumentiert hat.

b)

Im Hinblick auf die Bindung des Kindes ergibt sich ebenfalls kein Vorrang eines Elternteils. Die Sachverständige hat insoweit im Anhörungstermin vor dem Senat nachvollziehbar ausgeführt, ... Beziehung zu beiden Elternteilen sei sicher und vertrauensvoll; das Kind leide unter einem Loyalitätskonflikt und fühle sich bei beiden wohl, würde am liebsten wieder mit Vater und Mutter zusammenleben. Dieser Eindruck bestätigte sich in der Anhörung des Kindes durch den Senat, indem dieses zwar angab, „häufiger bei Papa als bei Mama sein“ zu wollen, „aber mindestens zweimal in der Woche auch zu Mama gehen“ zu wollen; dabei fiel es dem Kind ersichtlich schwer, eine genaue zeitliche Abgrenzung vorzunehmen und seinen entsprechenden Wunsch zu begründen.

Den tatsächlich vorhandenen emotionalen Bindungen des Kindes an ihre kleine Halbschwester und ihre Großeltern mütterlicherseits kommt insofern kein ausschlaggebendes Gewicht zu, da sich … stets auch als durch die Anwesenheit der kleinen Halbschwester im Haushalt der Mutter zeitweilig „gestresst“ beschrieb, etwa weil diese ständig mit ihr spielen wolle und sie ablenke, und über gleichartig positive Bindungen zu ihren Großeltern väterlicherseits verfügt.

c)

Der Kontinuitätsgrundsatz spricht indes für den Vater. Seit Ende November 2010 und damit über einem Jahr lebt ... in seinem Haushalt. Der Umstand, dass sich das Kind zuvor im Haushalt der Mutter befunden hat, tritt demgegenüber zurück. Insbesondere kommt es insofern nicht darauf an, aus welchen Gründen eine Kontinuität geendet hat und eine andere eingetreten ist, im November 2010 also eine – im Übrigen allerdings auch nahe liegende - Kindeswohlgefährdung tatsächlich vorgelegen hatte. Ausschlaggebend ist, dass es ... in der gegenwärtigen Situation gut geht und keine Veranlassung besteht, an dieser Situation etwas zu ändern. Dem aktuellen Bericht der Verfahrenspflegerin vom 23. Februar 2012 ist zu entnehmen, dass das Kind durch den Vater kontinuierlich viel Beachtung, Zuwendung und Unterstützung findet, die sie bei ihrer Mutter, insbesondere in Gegenwart ihrer Halbschwester, teilweise vermisst, und ihr Verhältnis zum Antragsteller sehr gut ist. Bei dieser Sachlage besteht keine Veranlassung, ihr unter Durchbrechung des Kontinuitätsgedankens einen Wechsel des Ortes ihres dauerhaften Aufenthalts zuzumuten.

d)

Der Wille ... ist vorliegend ohne Bedeutung. Des ergibt sich schon daraus, dass sich das Kind im vorliegenden Verfahren immer wieder unterschiedlich in Bezug auf seine Wünsche, Vorstellungen und Präferenzen geäußert hat. Ohnehin stellt der Kindeswille regelmäßig erst ab der Vollendung des 12. Lebensjahres eine relativ zuverlässige Entscheidungsgrundlage dar (Brbg. OLG, FamRZ 2003, 1953, 1954; Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671 BGB, Rz. 81).

e)

Da sich unter dem Gesichtspunkt von Wille und Bindungen des Kindes kein Vorteil auf Seiten eine Elternteils feststellen lässt, für den Vater aber der Kontinuitätsgrundsatz spricht, ist ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG, die Entscheidung über die Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren auf § 45 Abs. 1 FamGKG.

3.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.