Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Dublin-Verfahren

Dublin-Verfahren


Metadaten

Gericht VG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 12.10.2017
Aktenzeichen VG 5 L 66/17.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2017:1012.5L66.17.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Die EuGH-Vorlagen zur Übergangsvorschrift des Art. 52 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU und zur Relevanz von Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU führen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG zur Folgenabwägung.

Einem jungen und gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter kann angesonnen werden, die Klärung der Vorlagefragen und den Ausgang seines Hauptsacheverfahrens in Italien abzuwarten.

Tenor

Dem Antragsteller wird Prozesskostenbeihilfe unter Beiordnung der zur Vertretung bereiten Frau Rechtsanwältin …, …, bewilligt.

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Prozesskostenhilfe ist mit Blick auf die Vorlagebeschlüsse durch das BVerwG vom 23. März 2017 – 1 C 17/16 – und vom 27. Juni 2017 – 1 C 26.16 – zu bewilligen.

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage (5 K 191/17.A) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. Januar 2017 (Az.: 5623762-284) anzuordnen,

hat keinen Erfolg.

Voraussetzung für den Erfolg des Antrags ist, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes, § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG bestehen. Solche ernstlichen Zweifel lassen sich angesichts der Vorlagebeschlüsse durch das BVerwG vom 23. März 2017 – 1 C 17/16 – und vom 27. Juni 2017 – 1 C 26.16 – zwar nicht ohne Weiteres verneinen. Allerdings lassen sie sich auch nicht feststellen.

Dies gilt zunächst für das ausgesprochene Verdikt der Unzulässigkeit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 des Asylgesetzes (AsylG). Hiernach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat.

Vorliegend hat Italien dem Antragsteller den subsidiären Schutz zuerkannt.

Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) liegen - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht vor.

Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der EMRK kein Abschiebungsverbot zugunsten des Antragstellers. Ihm droht im Falle einer Abschiebung nach Italien insbesondere keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK.

Art. 3 EMRK bestimmt, dass niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Hieraus folgen neben Unterlassungs- auch staatliche Schutzpflichten. Eine Verletzung von Schutzpflichten kommt in Betracht, wenn sich die staatlich verantworteten Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigten in Italien allgemein als unmenschlich oder erniedrigend darstellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 - 13 A 1490/13.A -, juris, Rdn. 86, und Beschluss vom 29. Januar 2015 - 14 A 134/15.A -, juris, Rdn. 11)

Die hinsichtlich der allgemeinen Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigen bestehenden Gewährleistungspflichten hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Einzelnen konkretisiert. Demnach kann die Verantwortlichkeit eines Staates aus Art. 3 EMRK begründet sein, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel / Schweiz), NVwZ 2015, 127, 129, Rdn. 98 m.w.N.).

Dagegen verpflichtet Art. 3 EMRK die Vertragsstaaten nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Art. 3 EMRK begründet auch keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urteile vom 30. Juni 2015 - 39350/13 - (A.S. / Schweiz), juris, Rdn. 27, vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S. / Belgien u. Griechenland) -, EUGRZ 2011, 243, Rdn. 249, m. w. N., und Beschluss vom 2. April 2013 - 27725/10 (Mohammed Hussein u.a. / Niederlande u. Italien) -, ZAR 2013, 336 f., Rdn. 70; vgl. auch OVG NRW, Urteile vom 19. Mai 2016 - 13 A 1490/13.A -, juris, Rdn. 91, und vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rdn. 119; VG Cottbus, Urteil vom 06. August 2013 – 5 K 380/13.A –, juris). Erst recht lässt sich aus Art. 3 EMRK keine Bevorzugung gegenüber der einheimischen Bevölkerung herleiten (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Dezember 2016 - 41738/10, Paposhvili/Belgien -, hudoc Rn. 189).

Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn international Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 - 13 A 1490/13.A -, juris, Rdn. 89 ff. m.w.N. VG Düsseldorf, Urteil vom 14. November 2016 – 12 K 5984/16.A –, Rn. 25, juris).

Die nach Italien zurückkehrenden Flüchtlinge sind nicht gänzlich sich selbst überlassen. Kehren anerkannte Flüchtlinge aus dem Ausland zurück, können sie sich etwa am Flughafen in Rom von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beraten lassen. Dort erfahren sie auch, welche Questura für sie zuständig ist. Diese wird informiert und der Flüchtling erhält ein Bahnticket, um dorthin zu gelangen. Für anerkannte Flüchtlinge ist die Behörde der Gemeinde zuständig, in der sie ihren Asylantrag gestellt haben. Anerkannte Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltsbewilligung, die fünf Jahre gültig ist und bei Ablauf verlängerbar bzw. erneuerbar ist. In die Aufenthaltsbewilligung wird die Wohnadresse eingetragen. Bis zur Ausstellung der Aufenthaltsbewilligung können die Antragsteller Aufnahme in einer Aufnahmeeinrichtung finden. Für die weitere Unterkunft des Flüchtlings ist entscheidend, dass und wo er seinen Wohnsitz begründet. Das geschieht grundsätzlich in der Gemeinde, in der der Asylantrag gestellt wurde und in der sich dementsprechend auch die zuständige Behörde befindet. Die Versorgung von Flüchtlingen mit Wohnraum war und ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Ein Teil kann auch nach der Anerkennung als Flüchtling in einer Einrichtung der SPRAR (Sistema di protezione per richiedenti asilo e refugati) für begrenzte Zeit Aufnahme finden. Auch caritative Einrichtungen stellen Unterkünfte zur Verfügung. In großen Städten konnten Flüchtlinge zwar vor Jahren teilweise nur in besetzten Häusern, mit zum Teil hunderten von Bewohnern, ohne ausreichende Versorgung mit Trinkwasser und Elektrizität unterkommen. Inzwischen hat sich die Situation aber verbessert. Das Auswärtige Amt hat schon im August 2013 und gegenüber dem OVG NRW unter dem 23. Februar 2016 mitgeteilt, im Ergebnis könne davon ausgegangen werden, dass für die anerkannten Flüchtlinge in Italien landesweit ausreichend staatliche bzw. öffentliche oder caritative Unterkunftsmöglichkeiten (bei teilweiser lokaler Überbelegung) zur Verfügung stehen. In Italien gibt es kein allgemeines System der Sozialhilfe. Etwaige gemeindliche Unterstützungsleistungen sind an den offiziellen Wohnsitz in der Gemeinde geknüpft. Es gibt aber öffentliche Fürsorgeleistungen für gemeldete Flüchtlinge, wenn sie bereit sind, an Maßnahmen zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage, z. B. speziellen beruflichen Lehrgängen, teilzunehmen. Lokale Behörden, Stiftungen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen oder NGOs unterhalten Integrationsprogramme und arbeiten dabei teilweise zusammen. Soweit solche Leistungen nicht greifen oder ausreichen, können Flüchtlinge, wenn sie - wie viele Italiener auch - arbeitslos sind, auf Spenden caritativer Organisationen zurückgreifen. Für eine legale, sozialversicherungspflichtige Arbeit ist ein fester Wohnsitz Voraussetzung. Der Arbeitsmarkt ist zwar schwierig. Viele Flüchtlinge, insbesondere junge Männer, die mit gleichaltrigen italienischen Arbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren, kommen häufig nur als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft unter. Daraus kann allerdings nicht auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK geschlossen werden. Bei der Gesundheitsversorgung werden Flüchtlinge in Italien wie italienische Bürger behandelt. Der kostenlose Zugang zur Notfallversorgung steht ihnen immer zur Verfügung. Zusammenfassend ist danach davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien staatliche Hilfen in Anspruch nehmen können, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie die Hilfe caritativer Organisationen erhalten (vgl. zum Ganzen mit zahlreichen detaillierten Einzelnachweisen OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 – 13 A 1490/13.A – Juris Rn. 101 bis136).

Bei der Gesundheitsversorgung werden anerkannte Flüchtlinge in Italien wie italienische Bürger behandelt. Der kostenlose Zugang zur Notfallversorgung steht ihnen immer zur Verfügung (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. August 2016 – 13 A 63/16.A – Juris Rn. 94). Auch psychische Erkrankungen sind als weit verbreitete Erkrankungen in Italien behandelbar. Auch hätte der Antragsteller Zugang zur dortigen medizinischen Versorgung. Wie ausgeführt, ist in Italien anerkannten Flüchtlingen der Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem eröffnet. Insbesondere sind eine kostenfreie Notversorgung sowie die Versorgung sonstiger ernsthafter, auch chronischer Erkrankungen mit den erforderlichen Medikamenten und der notwendigen ärztlichen Behandlung gesichert. Dem steht der geforderte Selbstbehalt (sog. "Ticket") nicht entgegen. Um eine Befreiung zu erhalten, muss sich der Flüchtling lediglich offiziell arbeitslos melden. Abgesehen davon besteht über eine sog. STP-Karte, die bei einer öffentlichen lokalen Gesundheitsorganisation oder in einem großen Krankenhaus zu beantragen ist, ein Zugang zur kostenlosen medizinischen Behandlung, wenn diese wegen schwerer Erkrankungen dringend erforderlich ist. Ist die medizinische Versorgung gewährleistet, scheidet nicht nur die Annahme einer Verletzung des Art. 3 EMRK aus. Ferner kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen gegeben ist, die nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG das Vorliegen lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Erkrankungen voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. August 2016 – 13 A 63/16.A –, Rn. 94, juris).

Auch der AIDA-Bericht vom März 2017 bestätigt lediglich die bereits oben wiedergegebenen Umstände, ohne dass dies eine andere rechtliche Bewertung nach sich zieht.

In diesem Zusammenhang wird auf die jüngste Entscheidung des EGMR zu Italien (vom 4. Oktober 2016 Nr. 30474/14) verwiesen. Der EGMR verneint einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK, und zwar auch für kranke Asylbewerber, solange es sich nicht um schwerwiegende Erkrankungen handelt, wovon beim Antragsteller, einem gesunden, jungen Mann im erwerbsfähigen Alter keine Rede sein kann. Selbst in solchen Fällen verlangt der EGMR keine individuelle Zusicherung.

Etwaige Bedenken, dass die Aufnahmekapazitäten in Italien unter der Zahl der Asylbewerber lägen, gingen schon deshalb fehl, weil es eine allgemeinkundige Tatsache ist, dass ein erheblicher Teil der Asylbewerber Italien wieder verlässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 04. März 2015 – 1 B 9.15 – zit. nach Juris Rn. 6). Der Antragsteller ist selbst ein augenfälliges Beispiel für diese Sekundärmigration, die gerade verhindert werden soll (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 – C-695/15 PPU – Juris Rn 52). Zudem ist es eine allgemeinkundige Tatsache, dass die Zahl von Migranten, die Italien erreichen, mittlerweile stark abgenommen (im August um 90%) hat, was die Aufnahme der im Land befindlichen Asylantragsteller erleichtert (vgl. Zeit Online, „Italien meldet Rückgang von Flüchtlingszahlen“ vom 28. August 2017).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die aufschiebende Wirkung nicht mit Blick auf Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2013/32/EU anzuordnen. Soweit das BVerwG es im Sinne eines acte claire als ausreichend geklärt angesehen hat, dass diese Übergangsnorm es ausschließt, ein „Aufstockungsbegehren“ eines subsidiär Schutzberechtigten – wie im Falle des in Italien bereits subsidiären Schutz genießenden Antragstellers – mit der Folge als unzulässig abzulehnen, dass im Bundesgebiet ein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zulässig wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2015 - 1 B 41.15 - NVwZ 2015, 1779 Rn. 11 f.), hat es diese Einschätzung aufgegeben (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 23. März 2017 – 1 C 17/16 – Juris Rn. 23). Das BVerwG betrachtet diese Frage nunmehr als klärungsbedürftig und legte sie dem EuGH vor (BVerwG a.a.O). Das erkennende Gericht teilt die nunmehr vom BVerwG eingenommene Sicht, dass es sich um eine klärungsbedürftige Frage handelt, und neigt dazu, sie mit der erstinstanzlichen Rechtsprechung im gegenteiligen Sinne zu beantworten. Es spricht nämlich Überwiegendes dafür, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Rechtsvorschriften, die die neue Richtlinie umsetzen, auch schon auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge für anwendbar zu erklären. Dies folgt aus dem Zusatz "oder früher" in Art. 52 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2013/32/EU. Zwar bestimmt Satz 2 der Regelung für vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge die Anwendbarkeit des in Umsetzung der Richtlinie 2005/85/EG ergangenen Rechts und steht damit in einem gewissen Widerspruch zu Satz 1. Dieser Widerspruch ist aber dadurch zu erklären, dass der Zusatz "oder früher" in Satz 1 der Vorschrift erst am Ende des Rechtssetzungsverfahrens in die Regelung aufgenommen wurde. Nach dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission vom 22. Oktober 2009 hat die Übergangsvorschrift eine feste Stichtagsregelung enthalten sollen. Erst durch den Standpunkt (EU) Nr. 7/2013 des Rates in erster Lesung vom 6. Juni 2013 (ABl. C 179 E S. 27) sind in Satz 1 die Wörter "oder früher" eingefügt worden. Dabei ist versäumt worden, die Regelung in Satz 2 entsprechend anzupassen. Satz 2 ist nach dieser Auslegung nur eine Auffangregelung für den Fall, dass die Mitgliedstaaten die neue Richtlinie nicht vor dem 20. Juli 2015 umgesetzt bzw. das neue Recht nicht auf vor diesem Zeitpunkt gestellte Anträge für anwendbar erklärt haben. Bei vor dem 20. Juli 2015 gestellten Anträgen ist eine nationale Regelung danach unionsrechtskonform, wenn sie entweder den Vorgaben der neuen oder den Vorgaben der alten Richtlinie entspricht (vgl. VG Aachen, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 8 K 2119/14.A - juris Rn. 70; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19. Februar 2016 - 2a K 2466/15.A - InfAuslR 2016, 209 = juris Rn. 26 ff.; VG Minden, Urteil vom 10. Mai 2016 - 10 K 2248/14.A - juris Rn. 214 ff., VG Darmstadt, Beschluss vom 6. März 2017 - 3 L 1068/17 DA.A - juris Rn. 6).

Weder der Vorlagebeschluss des BVerwG vom 23. März 2017 – 1 C 17/16 – noch jener vom 27. Juni 2017 – 1 C 26.16 – zur Relevanz von Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU haben zur Folge, dass die sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung bis zur Klärung der aufgeworfenen Fragen entfallen müsste.

Die zur Vorlagepflicht in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entwickelten Grundsätze gelten mutatis mutandis auch vorliegend. Es entspricht der bisher ganz herrschenden Auffassung, dass eine Nichtvorlage an den EuGH im Eilverfahren keinen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter begründen kann (vgl. BVerfGK 5, 196 <201>; BVerfGK 9, 330 <334 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. November 1991 - 2 BvR 1642/91 -, NVwZ 1992, S. 360; offen gelassen in BVerfGE 10, 48 <53>; aus der Literatur statt vieler Degenhart, in Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 101 Rn. 19). Dies folgt daraus, dass nach der Rechtsprechung des EuGH in Eilverfahren auch für das letztinstanzlich entscheidende Gericht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Mai 1977 - C-107/76 - Hoffmann La Roche, Juris Rn. 5; Urteil vom 27. Oktober 1982 - C-35/82 - Morson und Jhanjan, Juris Rn. 8 f.). Es ist ausreichend - allerdings auch erforderlich -, dass die Rechtsfrage im sich anschließenden Hauptsacheverfahren ohne Präjudiz durch die Eilentscheidung dem EuGH vorgelegt werden kann. Denn das Vorlageverfahren soll insbesondere verhindern, dass sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit den Normen des Unionsrechts nicht im Einklang steht (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2017 – 2 BvR 2013/16 – NVwZ 2017, 470-472). Stellt sich bei dieser Rechtsprüfung jedoch eine Frage, die im Hauptsacheverfahren voraussichtlich eine Vorlage des dann letztinstanzlich entscheidenden Gerichts an den EuGH erfordert, so lassen sich weder - ohne Weiteres - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit verneinen, noch kann die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bejaht werden (vgl. zu ähnlichen Situationen BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. April 2005 - 1 BvR 223/05 -, juris; BVerfGK 11, 153 <158 f.>; einfach-rechtlich auch VGH Baden Württemberg, Beschluss vom 9. Oktober 2012 - 11 S 1843/12 -, juris, Rn. 23). In diesen Fällen wird eine Antragsablehnung mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nur dann Bestand haben können, wenn dieser Umstand - über die notwendig nur vorläufige rechtliche Einschätzung des Gerichts hinausgehend - in die Abwägung des Bleibeinteresses des Antragstellers mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse einbezogen wird (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2017 – 2 BvR 2013/16 – NVwZ 2017, 470-472).

Vorliegend setzt sich das öffentliche Interesse am Vollzug gegen das Bleibeinteresse durch. Insbesondere ist es dem Antragsteller zuzumuten, den Ausgang des Vorlageverfahrens in Italien abzuwarten. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass ihm keine Verletzung des Art. 3 EMRK droht. Angesichts des dramatischen Rückgangs neu ankommender Asylbewerber und der damit einhergehenden Entspannung bei der Versorgung von Flüchtlingen drohen dem 27jährigen, gesunden Antragsteller im erwerbsfähigen Alter keine Rechtsgutsverletzungen oder Nachteile, deretwegen sein Verbleib im Bundesgebiet geboten wäre.

Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.