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Entscheidung 5 Sa 1784/12


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 5. Kammer Entscheidungsdatum 21.02.2013
Aktenzeichen 5 Sa 1784/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 6 Abs 5 ArbZG

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29.08.2012 – 31 Ca 8943/12 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche auf Ausgleichsleistungen für vom Kläger in den Jahren 2010 bis 2011 geleistete Nachtarbeit.

Die Beklagte ist ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der DBA. GmbH. Sie erbringt Serviceleistungen für Zugreisende in den von ihrer Muttergesellschaft betriebenen Nachtreisezügen („City Night Line“) und Autozügen. Sie ist im Jahre 2002 aus dem Teilbereich Nachtreiseverkehr des Geschäftsbereichs „Service im Zug“ (SiZ) der M. AG entstanden und beschäftigt rund 45 Mitarbeiter im stationären Dienst sowie – saisonabhängig – rund 500 Mitarbeiter im Fahrdienst.

Der Kläger ist seit mehreren Jahren bei der Beklagten bzw. Rechtsvorgängern als Zugbegleiter beschäftigt und leistet in erheblichem Umfang Nachtarbeit. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass tarifliche Regelungen aufgrund vertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden.

Der Kläger arbeitete im Jahre 2010 716 Stunden, von Januar bis März 2011 132 Stunden und von April bis Dezember 2011 421 Stunden während der Nachtzeit. Der tarifliche Stundenlohn des Klägers betrug im Jahre 2010 und von Januar bis März 2011 8,93 €, von April bis Dezember 2011 9,15 €.

Nach dem „Ergebnis der Verhandlungen zur Überleitung der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer/innen der M. AG SiZ Nachtverkehr zur DB ERS GmbH“ vom 28.06.2002 (Bl. 17/ 18 d. A.), abgeschlossen zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) im Zuge der Überleitung der Arbeitsverhältnisse von der M. AG zur Beklagten gelten bzw. galten bestimmte für den Geschäftsbereich SiZ der M. AG am 30. Juni 2002 geltende Tarifverträge fort, so der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen und Auszubildenden der M. AG vom 27. Juni 1997 (MTV), der Ergänzungstarifvertrag über spezifische Regelungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Geschäftsbereiches SiZ – Service im Zug /West vom 27.06.1997 (ErgTV SiZ/West) und bis zum 31.12.2009 der Ergänzungstarifvertrag über spezifische Regelungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Geschäftsbereichs SiZ – Service im Zug/Ost vom 27. Juni 1997 (ErgTV SiZ/Ost).

Der MTV enthält u. a. folgende Regelungen:

„§ 5 Zuschlagspflichtige Tätigkeiten

...

3. Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitzuschläge

...

Die Entlohnung der Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit richtet sich ausschließlich nach den Bestimmungen dieses Tarifvertrages. Soweit tariflich eine Öffnungsklausel vorhanden ist, kann einzelvertraglich vom Tarifvertrag nach dem Günstigkeitsprinzip abgewichen werden.

...

5. Nachtarbeit

Die Arbeit in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr gilt als Nachtarbeit.

Im regelmäßigen Schichtdienst beschäftigte Arbeitnehmer/innen erhalten für Nachtarbeit 15 % Zuschlag zum Tarifentgelt je Arbeitsstunde in dieser Zeit.

...

§ 16 Ausschluss von Ansprüchen

1.

Geltendmachung

Ansprüche aus den Tarifverträgen der M. AG sind innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen. Diese Regelung gilt beiderseits.

2.

Gerichtliche Geltendmachung

Bleibt die rechtzeitige Geltendmachung erfolglos oder wird die Erfüllung endgültig schriftlich abgelehnt, so ist der Anspruch innerhalb von drei Monaten nach der Geltendmachung oder nach der schriftlichen Ablehnung gerichtlich geltend zu machen.

Eine spätere Geltendmachung ist ausgeschlossen. Diese Regelung gilt beidseitig.“

Der ErgTV SiZ/Ost lautete auszugsweise:

„§ 2 Anwendung des Tarifvertrages

Nachfolgende Regelungen ersetzen, ergänzen oder verändern die entsprechenden Regelungsgegenstände in dem jeweils gültigen M.-Entgelttarifvertrag und M.-Manteltarifvertrag. Die nachfolgenden Vorschriften haben Tarifvorrang.

§ 3 Regelungsgegenstände

...

4. Zuschlagspflichtige Tätigkeiten

...

4.3 Nachtarbeit

Die Zeit zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr gilt als Nachtarbeit. Stationär beschäftigte Arbeitnehmer/innen erhalten für Nachtarbeit 15 % Zuschlag zum Tarifentgelt je Arbeitsstunde in dieser Zeit.“

Das Bundesarbeitsgericht stellte im Urteil vom 18.05.2011 – 10 AZR 369/10 – fest, dass weder der MTV noch der ErgTV SiZ/Ost einen Ausgleich für die im Fahrdienst geleistete Nachtarbeit vorsehen. Das LAG Berlin-Brandenburg hielt im Urteil vom 19.08.2011 – 10 Sa 1450/11 - einen Nachtzuschlag von 25 % für jede geleistete Nachtstunde, wahlweise einen bezahlten freien Tag für jeweils 90 geleistete Nachtstunden im Fahrdienst der Beklagten für angemessen.

Durch Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg in dem vorangegangenen Rechtsstreit der Parteien 9 Sa 1891/11 wurde daraufhin am 29.09.2011 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen folgenden Vergleichs festgestellt:

„1.

Die Beklagte zahlt an den Kläger für seine geleistete Nachtarbeit in der Zeit vom 01. März 2008 bis zum 30. November 2009 wahlweise

1.724,24 EUR (eintausendsiebenhundertvierundzwanzig 24/100) brutto

nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 176,90 EUR, 83,66 EUR, 927,78 EUR, 21,90 EUR, 454,72 EUR und 59,78 EUR jeweils ab Rechtshängigkeit oder gewährt acht bezahlte freie Tage.

2.

Die Beklagte verpflichtet sich, ab dem 01. Dezember 2009 bis zum Zeitpunkt, in dem eine tarifliche Ausgleichsregelung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung findet, für die von dem Kläger geleistete Nachtarbeit wahlweise einen Nachtzuschlag gemäß § 6 Abs. 5 ArbGZG in Höhe von 25 % des Tariflohnes für jede Nachtarbeitsstunde i. S. d. § 2 ArbZG zu zahlen oder dem Kläger für Nachtarbeit i. S. d. § 2 ArbZG für jeweils 90 Nachtarbeitsstunden einen bezahlten freien Tag zu gewähren.

3.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.“

In § 4 der „Tarifvereinbarung zur Umsetzung der Ost-West-Anpassung für den Bereich der DB E. R. GmbH“ vom 03.02.2010 (Bl. 19/ 20 d. A.) wurde vereinbart, dass der ErgTV SiZ/Ost ab 01.01.2010 keine Anwendung mehr findet und ab diesem Zeitpunkt der ErgTV West M. vom 27. Juni 1997 gilt.

Im ErgTV SiZ/West vom 27.06.1997 (Bl. 21 bis 42 d. A.) finden sich u.a. folgende Regelungen:

„§ 2 Anwendung des Tarifvertrages

Nachfolgende Regelungen ersetzen, ergänzen oder verändern die entsprechenden Regelungsgegenstände in dem jeweils gültigen M.-Entgelttarifvertrag und M.-Manteltarifvertrag. Die nachfolgenden Vorschriften haben Tarifvorrang.

§ 3 Regelungsgegenstände

...

3.2 Pausenanrechnung für das gewerbliche Fahrpersonal

Der Abzug der Pausen richtet sich nach der Länge der Dienstschicht, und zwar

Bis zu fünf Stunden 59 Minuten Arbeitszeit

        

 kein Abzug

Bis zu 7 Stunden 59 Minuten Arbeitszeit

        

 12 Min.

Bis zu 9 Stunden Arbeitszeit

        

 30 Min.

Bis zu 10 Stunden Arbeitszeit

        

 60 Min. Pausenabzug.

Während der Pausen darf der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung herangezogen werden.

Bei der Ermittlung der Länge der Dienstschicht sind folgende Zeiten nicht mitzurechnen:

a) Unterbrechung der Tagschicht
b) Arbeitsbereitschaft
c) Arbeitszeiten zwischen 20.00 Uhr und 6.00 Uhr.

...

3.9 Nachtarbeit

3.9.1

Die Arbeit zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr gilt als Nachtarbeit. Stationär beschäftigte Arbeitnehmer erhalten für Nachtarbeit 15 % Zuschlag zum Tariflohn/Tarifgehalt je Arbeitsstunde in dieser Zeit.

3.9.2

Eine Unterbrechung der Nachtarbeit ist bei neuen Zugsystemen (z.B. TALGO) zulässig, wenn zwischen Beginn und Ende des Dienstes mehr als 12 Stunden liegen und der Arbeitnehmer in der Unterbrechungszeit sich von der dienstlichen Tätigkeit zurückziehen kann. Die Zeit der Unterbrechung gilt als Arbeitsbereitschaft und wird entsprechend vergütet.

...

15.3 Entgeltregelung für Mitarbeiter des Fahrdienstes

...

Zusätzlich zum Grundlohn erhalten Fahrdienstmitarbeiter im Tagservice 11,34 % vom erzielten Brutto-Umsatz aus dem Verkauf von Speisen und Getränken bei einem Mehrwertsteuersatz von 15 %.

Mitarbeiter im Nachtreiseverkehr erhalten den Stundenlohn der entsprechenden Tarifgruppe, in die sie eingruppiert sind und zusätzlich 11,34 % vom erzielten Brutto-Umsatz aus dem Verkauf von Speisen und Getränken bei einem Mehrwertsteuersatz von 15 % und 1,5 % vom Endpreis der benutzten Bett- und Liegekarten.“

Nach einer Tarifvereinbarung vom 12.03.2012 (TV Nachtzuschläge) wird dem Fahrpersonal ab dem 01.03.2012 für die Zeiten zwischen 23.00 Uhr und 06.00 Uhr ein Nachtzuschlag gewährt, der ab 01.03.2012 9 %, ab 01.01.2013 17 % und ab 01.01.2014 25 % beträgt. Ferner ist geregelt, dass die bisherige tarifliche Pausenregelung für die Zeit von 20.00 Uhr bis 06.00 unverändert bestehen bleibt.

Mit der am 08.06.2012 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage hat der Kläger Ansprüche auf Ausgleichsleistungen für die geleistete Nachtarbeit der Jahre 2010 und 2011 nach § 6 Abs. 5 ArbZG in Höhe von 25 % des jeweiligen Tariflohns, somit 2.856,20 € brutto, oder alternativ die Gewährung von 39,66 freien Tagen im Umfang von jeweils 8 Stunden (1.269 Stunden dividiert durch 32) begehrt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.856,20 € brutto zu zahlen oder dem Kläger 39,66 freie Tage im Umfang von jeweils 8 Stunden zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat gemeint, mit der Pausenregelung in § 3 Ziffer 3.2 des ErgTV SiZ/West bestehe seit dem 01.01.2010 eine tarifliche Ausgleichsregelung im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG. Allenfalls sei ein Zuschlag von 10 % angemessen.

Mit Urteil vom 29.08.2012, auf dessen Tatbestand (Bl. 54 bis 57 d. A.) wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe für den Zeitraum 2010 bis 2011 einen Anspruch auf Ausgleich für Nachtarbeit gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG in Höhe von 25 %. Jedenfalls bis zum 01.03.2012 habe keine tarifvertragliche Ausgleichsregelung im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG bestanden. Im MTV sei für den Fahrdienst ein Nachtzuschlag nicht geregelt. Die speziellen Entgeltregelungen in § 3 Ziffer 15.3 ErgTV SiZ/West ließen keine relevanten Differenzierungen nach Mitarbeitern im Nachtdienst und ohne Nachtdienst erkennen. Auch aus der Pausenregelung in § 3 Ziffer 3.2 ErgTV SiZ/West ergebe sich nicht, dass für den Fahrdienst ein tariflicher Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen vorgesehen sei. Aus dem Zusammenhang mit der Regelung in § 3 Ziffer 3.9 ErgTV SiZ/West folge im Gegenteil, dass nach dem Willen der Tarifparteien für Nachtarbeit im Fahrdienst weder eine zusätzliche Vergütung noch ein bezahlter Freizeitausgleich habe gewährt werden sollen. Dies folge auch daraus, dass die Nachtarbeit in § 3 Ziffer 3.9 ErgTV SiZ/West als die Zeit ab 22.00 Uhr definiert werde, während § 3 Ziffer 3.2 ErgTV SiZ/West bereits Arbeitszeiten ab 20.00 Uhr erfasse. Geschuldet sei ein Zuschlag von 25 %, wie vom LAG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 19.08.2011 – 10 Sa 1450/11 – ausführlich begründet. Soweit der Kläger das Wahlrecht der Beklagten in seinem Antrag berücksichtigt habe, gelte ein einheitlicher Maßstab. Es sei der gleiche prozentuale Aufschlag in Geld oder Zeit zu gewähren. Danach könne der Kläger für je 32 in der Nacht zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr geleistete Stunden einen bezahlten freien Tag beanspruchen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 58 bis 61 d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses, der Beklagten am 14.09.2012 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 19.09.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die sie nach Fristverlängerung bis zum 14.12.2012 mit am 29.11.2012 eingegangenem Schriftsatz begründet hat.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe keinen gesetzlichen Ausgleichsanspruch aus § 6 Abs. 5 ArbZG, da der ErgTV SiZ/West stillschweigende tarifliche Ausgleichsregelungen beinhaltet habe und die gesetzliche Regelung nur subsidiär gelte. Die Pausenanrechnung in § 3 Ziff. 3.2 lit. c) ErgTV SiZ/West stelle eine stillschweigende Ausgleichsregelung dar. Die Nichtanrechnung von Arbeitszeiten bei Mitarbeitern im Fahrdienst in der Zeit von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr habe zur Folge, dass in dieser Zeit gewährte Pausen zum einen vergütet und zum anderen als Arbeitszeit angerechnet würden. Dies wiederum bewirke, dass in der Nachtzeit tätige Fahrdienstmitarbeiter früher ihre tarifliche regelmäßige Sollarbeitszeit von durchschnittlich 173,3 Stunden erreichten als Mitarbeiter in der Tagschicht bzw. stationär beschäftigte Mitarbeiter. Sie hätten dadurch einen zweifachen Vorteil gegenüber diesen Mitarbeitern. Hinzu komme, dass die Pausenanrechnung rentenwirksam sei. Ferner würden die Fahrdienstmitarbeiter in der Nacht deutlich weniger beansprucht als bei einer Tätigkeit im Tagesdienst, da die Service-Tätigkeiten in der Nacht naturgemäß weniger umfangreich seien. Zudem könne in der Nacht unproblematisch Arbeitsbereitschaft geleistet werden. Die Differenzierung gegenüber dem stationären Personal, das mit dem Zuschlag von 15 % eine rein monetäre Leistung erhalte, sei auch aus arbeitsmedizinischer Sicht sinnvoll, da die Pausenanrechnung wie ein Freizeitausgleich wirke. Die Fahrpersonalmitarbeiter des Tagesdienstes profitierten von der Pausenanrechnung in weitaus geringerem Umfang. Für den Willen der Tarifvertragsparteien, dass die Pausenregelung die Nachtarbeit ausgleichen solle, lägen ausreichende Anhaltspunkte vor. In § 5 Ziffer 5 MTV M. sei der Ausgleich der Nachtarbeit bereits grundsätzlich angeordnet gewesen. Die in Abänderung und Spezifizierung dieser Bestimmung angewandte Regelungstechnik der Unterscheidung zwischen stationären Mitarbeitern und gewerblichem Fahrpersonal zusammen mit der nächtlichen Pausenanrechnung in § 3 Ziffer 3 „Arbeitszeit“ zeige, dass die Tarifvertragsparteien für die Fahrdienstmitarbeiter einen Ausgleich der Nachtarbeit gewollt und stillschweigend getroffen hätten. Auch der Aspekt des hohen Anteils an Arbeitsbereitschaft der in der Nacht tätigen Fahrdienstmitarbeiter, auf den im Verhandlungsergebnis zur Überleitung der Arbeitsverhältnisse der Nachtarbeitnehmer/innen vom 28.06.2002 hingewiesen worden sei, spreche für den Willen der Tarifvertragsparteien, die von den Fahrdienstmitarbeitern geleistete Nachtarbeit ausgleichen zu wollen. Auch habe sich nach der Überleitungsvereinbarung aus der Tarifierung der Arbeitszeit- und Ruhezeitregelungen keine zusätzliche Kostenbelastung ergeben sollen. Bei Abschluss des ErgTV SiZ/West 1997 sei das Betreiben von Nachtzügen Unternehmensgegenstand der M. AG gewesen. Es wäre lebensfern, den damaligen Tarifvertragsparteien zu unterstellen, sie hätten in Kenntnis der im Nachtreiseverkehr zwangsläufig anfallenden Nachtarbeit keinen Ausgleich schaffen wollen. Da der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck von Nachtzuschlägen, im Interesse der Gesundheit der Arbeitnehmer die Nachtarbeit zu verteuern und dadurch einzuschränken, bei ihr aufgrund ihres Unternehmensgegenstandes Nachtarbeit nicht zum Tragen kommen könne, hätten die Tarifvertragsparteien den Ausgleich in dem Bereich niedriger bemessen, wo sich Nachtarbeit nicht vermeiden lasse, nämlich bei den in der Nachtzeit beschäftigten Fahrdienstmitarbeitern. Auch der Blick in die Tarifgeschichte zeige, dass der Ausgleich von Nachtarbeit von den Tarifvertragsparteien gewollt gewesen sei. Die Gewerkschaft NGG habe damals keine „Umwidmung“ bisheriger Vergütungsbestandteile durch die Aufhebung der Bettenprovisionen gewollt, da sich Nachtarbeitszuschläge nicht erhöhend auf die Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung auswirken. Dass die Pausenregelung als Ausgleich für die Nachtarbeit des Fahrpersonals gewollt gewesen sei, zeige auch die Neuregelung im TV Nachtzuschläge vom 12.03.2012. Des unter dem Gliederungspunkt „Nachtzuschläge“ aufgenommenen Klarstellungsvermerks, dass die bisherige Pausenanrechnung in der Zeit von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr unverändert bestehen bleibe, habe es nur bedurft, wenn die Pausenregelung als Ausgleich für Nachtarbeit verstanden werde. Dass die Tarifvertragsparteien den gesetzlichen Nachtarbeitszeitraum erweitert hätten, spreche nicht gegen eine stillschweigende tarifliche Ausgleichsregelung. Neben der Pausenanrechnung stellten die Bettenzulage und die Umsatzregelungen für Nachtdienstmitarbeiter stillschweigende Ausgleichsregelungen dar. Die Nachtarbeit dürfe jedenfalls höchstens mit einem Zuschlag von 10 % bewertet werden. Für die Fahrdienstmitarbeiter sei jedenfalls kein höherer Zuschlag gerechtfertigt als für die stationären Mitarbeiter.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. August 2012 – 31 Ca 8943/12 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt:

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Kläger meint, die Beklagte könne aufgrund des bestandskräftigen Vergleichs vom 29.09.2011 mit ihrer Auffassung, es sei ein niedrigerer Nachtzuschlag als 25 % zu gewähren, nicht durchdringen. Seit dem Vergleichsschluss sei für den streitigen Zeitraum keine tarifliche Ausgleichsregelung für die Nachtarbeit auf sein Arbeitsverhältnis anwendbar. Er beziehe sich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag und mache sich die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts zu eigen. Der ErgTV SiZ/West enthalte keine stillschweigende Ausgleichsregelung für Nachtarbeitnehmer. Die ausdrückliche Regelung eines Nachtarbeitszuschlags für stationär Beschäftigte und nicht auch für die im Fahrdienst beschäftigten Mitarbeiter spreche gegen die Rechtsauffassung der Beklagten. Für die bezahlten Pausen seien Sozialabgaben abzuführen, weshalb kein Vergleich zu sozialversicherungsfreien Nachtzuschlägen gezogen werden könne. Die Bettenzulage habe nicht dem Ausgleich der Nachtarbeit gedient, auch die Provision für benutzte Bett- und Liegekarten stelle keinen Ausgleich für die Erschwernisse der Nachtarbeit dar. Zur Höhe des Zuschlags beziehe er sich auf das Urteil des Arbeitsgerichts sowie auf das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 19.08.2011 – 10 Sa 1450/11-.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze der Beklagten und Berufungsklägerin vom 29.11.2012 (Bl. 133 bis 173 d. A.) und vom 21.01.2013 (Bl. 186/ 187 d. A.) sowie auf den Schriftsatz des Klägers und Berufungsbeklagten vom 12.12.2012 (Bl 178 bis 183 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b) ArbGG statthafte sowie gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2 und 5, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete und somit zulässige Berufung der Beklagten blieb in der Sache erfolglos.

I.

Der Kläger kann von der Beklagten für die von ihm in den Jahren 2010 und 2011 geleistete Nachtarbeit gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG wahlweise einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % des Tariflohnes für jede Nachtarbeitsstunde i.S.d. § 2 ArbZG auf der Grundlage von Ziffer 2. des Vergleichs vom 29.09.2011 oder die Gewährung eines bezahlten freien Tages für jeweils 32 Nachtarbeitsstunden beanspruchen, dessen Berechnung unmittelbar aus der gesetzlichen Vorschrift abzuleiten ist. Für die unstreitig in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt geleisteten 1.269 Nachtstunden ergibt dies – rechnerisch ebenfalls unstreitig - 2.856,20 € brutto oder 39,66 freie Tage im Umfang von 8 Stunden. Dieser Anspruch ist nicht dadurch entfallen, dass seit 01.01.2010 und bis zum 29.02.2012 kraft vertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der ErgTV SiZ/West zur Anwendung kam. Dieser Tarifvertrag enthält keine tarifliche Ausgleichsregelung für die von den Mitarbeitern im Fahrdienst geleistete Nachtarbeit im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG (ebenso Urteile des LAG Berlin-Brandenburg vom 25.10.2012 – 25 Sa 950/12 und 25 Sa 1010/12 – und des LAG Hamburg vom 10.10.2012 – H 6 Sa 35/12 -).

1.

Der Kläger war im streitigen Zeitraum 2010 und 2011 Nachtarbeitnehmer im Sinne von § 2 Abs. 5 Nr. 2 ArbZG, da er in beiden Kalenderjahren an mindestens 48 Tagen Arbeit leistete, die mehr als zwei Stunden der Nachtzeit gemäß § 2 Abs. 3 ArbZG, d.h. der Zeit von 23 bis 6 Uhr, umfasste und die deshalb Nachtarbeit im Sinne von § 2 Abs. 4 ArbZG war. Davon war nach den unstreitigen Angaben des Klägers zur Anzahl der von ihm geleisteten Nachtarbeitsstunden, mit denen er seinen Anspruch begründet, auszugehen.

Nach § 6 Abs. 5 ArbZG hat der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu zahlen, soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen. Diese Bestimmung überlässt die Ausgestaltung des Ausgleichs für Nachtarbeit wegen ihrer größeren Sachnähe den Tarifvertragsparteien, der gesetzliche Anspruch besteht nur subsidiär. Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich frei in der Entscheidung, wie sie den Ausgleich regeln. Zur Ersetzung des gesetzlichen Anspruches nach § 6 Abs. 5 ArbZG muss die tarifvertragliche Regelung eine Kompensation für die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen vorsehen, was aus dem Wortsinn des Begriffes „Ausgleichsregelungen“ folgt und dem Sinn und Zweck der Bestimmung, die dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer dienen soll, entspricht. Der tarifliche Ausgleich kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend geregelt sein. Eine stillschweigende Ausgleichsregelung kann den allgemeinen tariflichen Arbeitsbedingungen aber nur entnommen werden, wenn etwa der Tarifvertrag selbst entsprechende Hinweise enthält oder sich dafür aus der Tarifgeschichte oder aus Besonderheiten des Geltungsbereichs Anhaltspunkte ergeben (vgl. Urteil des BAG vom 18.05.2011 – 10 AZR 369/10 -, EzA § 6 ArbZG Nr. 9).

2.

Eine ausdrückliche Regelung von Nachtzuschlägen oder der Gewährung von freien Tagen zum Ausgleich der Nachtarbeit des Fahrpersonals enthält der ErgTV SiZ/West nicht. Entgegen der Ansicht der Beklagten beinhalten die in diesem Tarifvertrag enthaltenen Regelungen über Pausenanrechnung, Umsatzbeteiligung an den Bett- und Liegekarten sowie Umsatzbeteiligung aus dem Verkauf von Speisen und Getränken für Nachtarbeiter auch keine stillschweigenden Ausgleichsregelungen.

2.1

Die Pausenanrechnung in § 3 Ziff. 3.2 Satz 3 c) ErgTV SiZ/West stellt keine stillschweigende Ausgleichsregelung für Nachtarbeit im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG dar.

2.1.1

Nach dieser Vorschrift werden bei der Ermittlung der Länge der Dienstschicht Arbeitszeiten zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr nicht mitgerechnet. Da sich der Abzug von Pausen von der Arbeitszeit nach der Länge der Dienstschicht richtet (§ 3 Ziff. 3.2 Satz 1 ErgTV SiZ/West), folgt aus der tariflichen Regelung, dass bei Einsätzen zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr tendenziell weniger Pausenzeiten abgezogen werden, obwohl Pausen nach § 4 ArbZG tatsächlich gewährt werden und in dieser Zeit vom Fahrpersonal keine Arbeitsleistungen erbracht werden. In welchem Umfang sich diese Regelung auswirkt, ist im übrigen von der Lage und Länge der Dienstschicht abhängig. Der Zeitraum von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr deckt sich jedoch nicht mit der nach § 6 Abs. 5 ArbZG allein ausgleichpflichtigen Nachtzeit nach § 2 Abs. 3 ArbZG, die nur von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr dauert. Auch überschreitet der Zeitraum von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr die tarifvertragliche Nachtarbeitszeit in § 3 Ziffer 3.9 ErgTV SiZ/West, die von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr dauert. Nutznießer der tariflichen Regelung sind daher auch Arbeitnehmer, die noch keine Nachtarbeit im Sinne des Gesetzes oder des Tarifvertrages leisten. Die teilweise Begünstigung auch dieser Arbeitnehmer durch die tarifliche Regelung stellt bereits ein Indiz dafür dar, dass damit nicht die besonderen Belastungen der Nachtarbeit im Sinne des Gesetzes ausgeglichen werden sollen (so auch Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 25.10.2012 – 25 Sa 950/12 - und 25 Sa 1010/12).

2.1.2

Die Bezahlung der gesetzlichen Pausen und ihre Anrechnung auf die tarifliche Sollarbeitszeit beinhaltet keine doppelte Begünstigung der davon betroffenen Arbeitnehmer. Auswirkungen hat die Regelung lediglich auf das frühere Erreichen der tariflichen Sollarbeitszeit, da keine zusätzliche Bezahlung der Pausenzeiten, sondern lediglich kein Abzug von der monatlichen Vergütung erfolgt. Auch davon profitieren zudem nicht nur Nachtarbeitnehmer im Sinne des ArbZG und des Tarifvertrages, sondern teilweise auch Angehörige des Fahrpersonals, die im Tagesdienst arbeiten. Soweit die Beklagte auf die zusätzliche Rentenwirksamkeit der Bezahlung der Pausen hinweist, steht diesem Argument jedenfalls für die Nachtarbeitnehmer der diesen entgangene aktuelle Vorteil der sozialversicherungsfreien Nachtzuschläge gegenüber, worauf auch der Kläger hingewiesen hat.

2.1.3

Dass die Fahrdienstmitarbeiter in der Nacht deutlich weniger beansprucht würden als im Tagesdienst, weil das Erbringen von Service-Tätigkeiten in der Nacht deutlich geringer ist, kann ebenso wie der mögliche Umfang von Zeiten der Arbeitsbereitschaft in den Nachtdienststunden für die Feststellung des Vorliegens eines tariflichen Ausgleichs für die Nachtarbeit nicht herangezogen werden. Solche Gesichtspunkte wären vielmehr erst bei der Bemessung der Höhe der erforderlichen Ausgleichsleistungen von Bedeutung (vgl. Urteil des BAG vom 18.05.2011 – 10 AZR 369/10 -, aaO).

2.1.4

Auch wenn die Mitarbeiter im Nachtreiseverkehr regelmäßig von der Pausenanrechnung in § 3 Ziff. 3.2 Satz 3 ErgTV SiZ/West profitieren dürften, fehlt es jedenfalls an den erforderlichen Anhaltspunkten im Tarifvertrag und in dessen Entstehungsgeschichte, um die Pausenanrechnung als Kompensationsleistung für die mit der Nachtarbeit verbundenen besonderen Belastungen anzusehen.

2.1.4.1

Der Regelungsgegenstand „Pausen“ weist nach der Systematik des Tarifvertrages keinen direkten Bezug zum Regelungsgegenstand „Nachtarbeit“ auf. Die Tarifvertragsparteien haben vielmehr offenbar diese Regelungsgegenstände als unterschiedliche Themenbereiche angesehen. So enthält § 3 Ziff. 3.9 ErgTV SiZ/West zwar Vorschriften über „Nachtarbeit“ und insbesondere in Ziffer 3.9.1 auch einen Zuschlag von 15 % für stationär beschäftigte Arbeitnehmer, jedoch keinen Hinweis auf die Pausenregelung für das Fahrpersonal (so auch Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 25.10.2012 – 25 Sa 950/12 und 25 Sa 1010/12 sowie Urteil des LAG Hamburg vom 10.10.2012 – H 6 Sa 35/12 -). Ein solcher Hinweis hätte nahegelegen, wenn die Tarifvertragsparteien diese als Ausgleich für das Fehlen einer entsprechenden Zuschlagsregelung für die Fahrdienstmitarbeiter angesehen hätten, zumal Ziffer 3.9.2 in unmittelbarem Anschluss an diese Bestimmung besondere Regelungen zur Unterbrechung der Nachtarbeit durch das Fahrpersonal beinhaltet.

2.1.4.2

Die von der Beklagten aufgezeigte Tarifgeschichte weist ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine stillschweigende Kompensation der mit der Nachtarbeit verbundenen Erschwernisse durch die Pausenanrechnung auf:

Die gegenüber dem in § 5 Ziffer 5 MTV M. bestimmten Nachtarbeitszuschlag von 15 % für alle im Schichtdienst beschäftigten Arbeitnehmer angewandte neue Regelungstechnik der Unterscheidung zwischen stationär beschäftigten Mitarbeitern und Fahrpersonal in § 3 Ziffer 9 ErgTV SiZ/West mit dem Ergebnis des Wegfalls des Zuschlags für das Fahrpersonal bei gleichzeitiger Einführung der Pausenanrechnung in § 3 Ziffer 3.2 ErgTV SiZ/West lässt einen Willen der Tarifvertragsparteien, diese als ersatzweise Ausgleichsregelung für die Nachtarbeit des Fahrpersonals vorzusehen, nicht erkennen. Eine solche Wertung scheitert bereits an der fehlenden Deckungsgleichheit der Pausenanrechnungszeit mit der gesetzlichen Nachtzeit und der tarifvertraglichen Nachtarbeitszeit.

Auch wenn bei Abschluss des ErgTV SiZ/West 1997 das Betreiben von Nachtzügen Unternehmensgegenstand der M. AG gewesen ist, ist es nicht völlig lebensfern, dass die damaligen Tarifvertragsparteien trotz ihrer Kenntnis der im Nachtreiseverkehr zwangsläufig anfallenden Nachtarbeit einen besonderen Ausgleich hierfür für das Fahrpersonal nicht schaffen wollten. Möglicherweise haben sie dies wegen des hohen Anteils von Arbeitsbereitschaft des Fahrpersonals in der Nacht sowie der Nichterreichbarkeit des gesetzlichen Zwecks einer Einschränkung der Nachtarbeit durch Nachtzuschläge im Nachtreiseverkehr nicht für erforderlich gehalten, dabei jedoch nicht beachtet, dass diese Gesichtspunkte erst bei der Bemessung des Nachtzuschlags bzw. eines dem entsprechenden Freizeitausgleichs hätten Berücksichtigung finden dürfen (vgl. Urteil des BAG vom 18.05.2011 - 10 AZR 369/10 -, aaO).

Der Hinweis auf den hohen Anteil der Arbeitsbereitschaft im Fahrdienst im „Ergebnis der Verhandlungen zur Überleitung der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer/innen der M. AG SiZ Nachtverkehr zur DB ERS GmbH“ vom 28.06.2002 sollte dort nur die Möglichkeit der Verlängerung der Arbeitszeit und der Verkürzung der Ruhezeiten begründen. Einen Hinweis auf die Pausenanrechnung zur Kompensation der Nachtarbeit im Fahrdienst enthält dieses Schriftstück nicht. Zudem wäre dieser Gesichtspunkt erst bei der Prüfung der Angemessenheit, nicht aber des tatsächlichen Bestehens einer tariflichen Ausgleichsregelung von Bedeutung. Soweit in dem Verhandlungsergebnis klargestellt wurde, dass die Tarifierung der Arbeitszeit- und Ruhezeitregelungen „zu keiner zusätzlichen Kostenbelastung“ führen dürfe, ist auch dieser Klarstellung nicht zu entnehmen, dass gerade die Pausenanrechnung den Wegfall des Nachtzuschlages für die Fahrdienstmitarbeiter „kostenneutral“ kompensieren sollte, wie die Beklagte gemeint hat. Zum einen fehlt es auch hierbei an einem ausdrücklichen Hinweis im Text des Verhandlungsergebnisses, zum anderen erklärt dies nicht die Tatsache, dass die Pausenanrechnung auch Zeiten umfasst, die weder gesetzlich noch tarifvertraglich als Nachtarbeit gelten.

Dass die Beklagte mit Schreiben vom 21.06.2004 (Bl. 155 bis 159 d. A.) im Rahmen der damaligen Tarifverhandlungen der Gewerkschaft NGG anbot, den Arbeitnehmern für Arbeiten zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr eine Nachtarbeitszulage in Höhe von xx EUR zu zahlen, was durch die Aufhebung der Bettenprovisionen finanziert werden sollte, spricht zudem dafür, dass auch die Beklagte bereits im Jahre 2004 davon ausging, dass ein Ausgleich für Arbeit des Fahrpersonals in der gesetzlichen Nachtzeit im Tarifvertrag bisher fehlte. Einer „Umwandlung“ von anderen Vergütungsbestandteilen in eine Nachtarbeitszulage hätte es nicht bedurft, wenn der Tarifvertrag bereits durch die Pausenanrechnung einen angemessenen Ausgleich enthalten hätte. Die Pausenanrechnung wird in diesem Schreiben jedoch nicht einmal erwähnt. Wenn die Gewerkschaft keine „Umwidmung“ bisheriger Vergütungsbestandteile für die Mitarbeiter im Nachtdienst wollte, da sich Nachtarbeitszuschläge nicht erhöhend auf die Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung auswirken, zeigt dies nur, dass auch damals keine Einigung über einen angemessenen Ausgleich für die Nachtarbeit im Fahrdienst zustande kam. Daraus kann jedoch nicht hergeleitet werden, dass die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen wären, die Pausenanrechnung enthalte bereits einen angemessenen Ausgleich für die Nachtarbeit des Fahrpersonals.

Schließlich spricht auch die ab 01.03.2012 geltende Neuregelung von Nachtzuschlägen im TV Nachtzuschläge nicht dafür, dass die Pausenanrechnung im ErgTV SiZ/West bereits einen stillschweigenden Ausgleich für die Nachtarbeit des Fahrpersonals darstellte. Wäre dies der Fall gewesen, wäre die bisherige tarifliche Pausenregelung für die Zeit von 20.00 Uhr bis 06.00 trotz nunmehr bestehender ausdrücklicher Zuschlagsregelung nicht unverändert aufrecht erhalten worden (vgl. Urteile des LAG Berlin-Brandenburg vom 25.10.2012 – 25 Sa 950/12 - und - 25 Sa 1010/12 – sowie des LAG Hamburg vom 10.10.2012 – H 6 Sa 35/12 -).

2.2

Die Regelungen zur Umsatzbeteiligung der Mitarbeiter im Nachtreiseverkehr aus dem Verkauf von Speisen und Getränken sowie am Endpreis der benutzten Bett- und Liegekarten (sog. Bettenzulage) nach § 3 Ziffer 15.3 ErgTV SiZ/West beinhalten ebenfalls keine stillschweigenden tariflichen Ausgleichsregelungen für die Belastungen der Nachtarbeit der Fahrdienstmitarbeiter i. S. v. § 6 Abs. 5 ArbZG.

Auch wenn die Mitarbeiter im Nachtreiseverkehr gegenüber den Mitarbeitern im Tagesdienst durch die tariflichen Regelungen insoweit begünstigt werden, als sie die Umsatzbeteiligungen stets zusätzlich erhalten, während die Tagesdienstmitarbeiter erst nach Erreichen der ihnen gewährten Garantieprovision daran verdienen und diesen zudem die Bettenzulage entgeht, ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Begünstigung dem Ausgleich der Erschwernisse der Nachtarbeit dienen soll. Die Regelungen knüpfen ausschließlich an den Verkaufserfolg der Mitarbeiter an. In der Nacht werden naturgemäß weniger Getränke und Speisen verkauft als tagsüber. Mit den die Nachtarbeiter begünstigenden Regelungen soll daher erkennbar nur diesen unterschiedlichen Rahmenbedingungen Rechnung getragen werden. Dass sie darüber hinaus auch den Ausgleich der mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen bezwecken, ist demgegenüber nicht ersichtlich.

3.

Da die Höhe der vom Kläger zu beanspruchenden monetären Ausgleichsleistungen, nämlich ein Nachtzuschlag von 25 %, in Ziffer 2. des durch Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg vom 29.09.2011 – 9 Sa 1891/11 – festgestellten gerichtlichen Vergleichs der Parteien bereits abschließend vereinbart wurde, bedurfte es insoweit keiner weiteren Feststellungen durch gerichtliche Entscheidung.

Die in Ziffer 2. des gerichtlichen Vergleichs vereinbarte wahlweise Gewährung eines bezahlten freien Tages für jeweils 90 Nachtarbeitsstunden entsprach jedoch nicht der gesetzlichen Vorschrift. Da die Angemessenheit im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG grundsätzlich nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen ist, weil das Wahlrecht des Arbeitgebers nur Sinn macht, wenn sich die jeweiligen Leistungen nach ihrem Wert entsprechen, da andernfalls der Arbeitgeber von vorneherein auf die für ihn günstigere Alternative verwiesen wäre (vgl. Urteile des BAG vom 01.02.2006 – 5 AZR 422/04 -, NZA 2006, S. 494 f. sowie des LAG Berlin-Brandenburg vom 19.08.2011 – 10 Sa 1450/11 -), konnte der Kläger auf Grundlage der gesetzlichen Vorschrift – weitergehend als in der vergleichsweise getroffenen Regelung – als wahlweise zu gewährenden Freizeitausgleich gleichwertige Leistungen verlangen, die allein bei einem prozentual gleichen Aufschlag vorliegen. Er konnte deshalb bei einem 8-Stunden-Tag für je 32 in der Nacht zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Stunden jeweils einen bezahlten freien Tag beanspruchen. Die Beklagte ist der Berechnung des wahlweisen Freizeitausgleichs durch den Kläger auch weder erstinstanzlich noch in der Berufungsinstanz entgegengetreten.

4.

Die Ansprüche des Klägers sind nicht nach § 16 MTV verfallen, da es sich dabei nicht um Ansprüche aus den Tarifverträgen der M. AG, sondern um gesetzliche Ansprüche nach § 6 Abs. 5 ArbZG handelt.

5.

Aus diesen Gründen war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

III.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wurde die Revision zugelassen.