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Verpflichtungsklage; Zuerkennung Flüchtlingseigenschaft; Subsidiärer Schutzstatus; Prognosemaßstab; beachtliche Wahrscheinlichkeit; Überzeugungsgewissheit; Erkenntnismittel; Rückkehrerbefragung; Inhaftierung; Folter; Verfolgungsgründe; notwendige Verknüpfung; Syrien; (illegale) Ausreise; Asylantrag; Aufenthalt im Bundesgebiet; Sunniten


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 22.11.2017
Aktenzeichen OVG 3 B 12.17 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2017:1122.3B12.17.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 16a Abs 1 GG, Art 4 Abs 3 Buchst c EURL 95/2011, Art 4 Abs 4 EURL 95/2011, § 113 Abs 5 S 1 VwGO, § 108 Abs 1 S 2 VwGO, § 3 Abs 1 Nr 1 AsylVfG, § 3 Abs 1 Nr 2 Buchst a AsylVfG, § 3a Abs 1 AsylVfG, § 3a Abs 2 Nr 1 AsylVfG, § 3a Abs 3 AsylVfG, § 3b Abs 2 AsylVfG, § 4 Abs 1 S 2 Nr 2 AsylVfG, § 28 Abs 1a AsylVfG, § 77 Abs 1 S 1 AsylVfG

Leitsatz

Schutzsuchenden, die unverfolgt aus Syrien ausgereist sind, droht bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG aufgeführten Gründe allein wegen der (illegalen) Ausreise aus dem Herkunftsland, der Asylantragstellung und des Aufenthalts im Bundesgebiet. Die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten ist dabei kein gefahrerhöhendes Merkmal.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. März 2017 geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Klägerin meldete sich am 12. Januar 2016 bei der Zentralen Aufnahmeeinrichtung des Landes Berlin als Asylsuchende. Dabei wies sie sich durch einen von der Arabischen Republik Syrien am 16. Februar 2013 in „H...“ ausgestellten Reisepass aus. Danach ist sie am 15. August 1963 in A... geboren. Den förmlichen Asylantrag stellte sie am 17. Februar 2016, wobei sie sich als syrische Staatsangehörige mit arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischer Religion bezeichnete, die zuletzt als Hausfrau tätig gewesen sei.

Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 21. Juli 2016 erläuterte sie ihren Reiseweg und gab an, sie habe lediglich die Grundschule ohne Abschluss besucht; ihr verstorbener Ehemann habe als Landwirt gearbeitet. Auf ausdrückliche Nachfrage wiederholte sie, dass sie Syrien allein wegen des Krieges verlassen habe und dass es ihr um die Zukunft ihrer Kinder in Deutschland gehe.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 11. August 2016 erkannte die Beklagte der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1 des Bescheides). Im Übrigen lehnte sie den Asylantrag ab (Ziffer 2). Sie stellte danach darauf ab, dass der Klägerin in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes drohe. Die Klägerin habe jedoch insbesondere vor ihrer Ausreise keine exponierte Funktion innegehabt, die die Befürchtung begründen könnte, dass ihr bei Rückkehr - trotz einer fehlenden Vorverfolgung - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohten.

Mit ihrer am 29. August 2016 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, ihr drohten bei Rückkehr nach Syrien flüchtlingsrelevante Verfolgungsmaßnahmen, da der syrische Staat Syrern aufgrund längeren Auslandsaufenthalts und Asylantragstellung im Ausland eine oppositionelle Gesinnung zuschreibe und die Rückkehrer unter Einsatz von Folter dazu sowie zur Exilszene befrage. Dies gelte umso mehr, als sie illegal ausgereist sei, wie sich aus ihrem Reisepass ergebe, der keinen Ausreisestempel enthalte.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 2. März 2017 stattgegeben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. August 2016 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, Asylbewerbern aus Syrien sei unabhängig von einer Vorverfolgung die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil ihnen im Falle ihrer (hypothetischen) Rückkehr in ihr Herkunftsland Verfolgungshandlungen wegen einer zugeschriebenen politischen Überzeugung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohten. Nach der aktuellen Erkenntnislage sei davon auszugehen, dass die Asylantragstellung in Deutschland für das syrische Regime ausreichend Anlass sei, um Rückkehrern eine oppositionelle Gesinnung, Kontakte zur Exilopposition bzw. zum ausländischen Geheimdienst oder zumindest Kenntnisse über diese zu unterstellen. Ihnen drohe deshalb bei einer Wiedereinreise nach Syrien eine Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter Anwendung von Folter.

Die Beklagte macht unter Bezugnahme auf obergerichtliche Rechtsprechung zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung geltend, es sei nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der syrische Staat jedem für längere Zeit ausgereisten Flüchtling, der im Ausland ein Asylverfahren betrieben habe und wieder zurückkehre, pauschal unterstelle, ein Regimegegner zu sein bzw. in engerer Verbindung mit oppositionellen Kreisen im Exil zu stehen. Es gebe keine hinreichenden Erkenntnisse, die den Schluss des Verwaltungsgerichts tragen könnten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. März 2017 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie könne zwar keine individuellen Verfolgungsgründe geltend machen, es müsse jedoch über die Überlegungen des Verwaltungsgerichts hinaus berücksichtigt werden, dass sie sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Mit ihren Erklärungen auf dem G-7-Gipfel habe sich die Bundesregierung klar gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gestellt und sich mit den führenden westlichen Nationen darauf verständigt, dass bei dessen Verbleib eine politische Lösung des Syrienkonflikts nicht möglich sei. Daher werde allen Syrern, die sichweiter im westlichen Ausland, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, durch das syrische Regime eine regimefeindliche Gesinnung auch deshalb unterstellt werden, weil sie sich in einem Land befänden, das faktisch die Ablösung des syrischen Präsidenten fordere. Die Situation zwischen Syrien und Deutschland dürfte sich weiter verschärft haben, nachdem das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), das seit 2012 Fälle von Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen in Syrien untersuche, im März 2017 gemeinsam mit Betroffenen gegen sechs namentlich bekannte und weitere hochrangige Verdächtige des syrischen Geheimdienstapparates Strafanzeige beim Generalbundesanwalt eingereicht habe und der Generalbundesanwalt mit Zeugenvernehmungen begonnen habe. Am 21. September 2017 habe die „Caesars-Files Support Group" gemeinsam mit dem ECCHR eine weitere Strafanzeige gegen hochrangige Funktionäre der syrischen Geheimdienste und der Militärpolizei wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen beim Generalbundesanwalt eingereicht. Dabei sei ein Datensatz von 26.948 Dateien nebst Metadaten aus dem Zeitraum Mai 2011 bis August 2013 in das Verfahren eingebracht worden, bei denen auf mehr als der Hälfte der Bilder Leichen von Gefangenen dokumentiert seien, die in Haftanstalten der syrischen Regierung umgekommen seien. Insoweit müsse bei der Gefahrenprognose auch berücksichtigt werden, dass die Gesamtzahl der im Zusammenhang mit dem Konflikt in Syrien Inhaftierten auf über 215.000 geschätzt werde, von denen der größte Teil von den syrischen Sicherheitskräften wegen vermuteter oppositioneller Aktivitäten verhaftet worden sei. Die Ein- und Ausreisen von syrischen Staatsangehörigen, die in den Anrainerstaaten Schutz gesucht hätten, seien für die Bewertung unergiebig, weil diese überwiegend keine Schutzgesuche gestellt hätten und sich dort ohne Aufenthaltstitel aufhielten. Soweit die Beklagte die vermehrte Passausstellung seit Frühjahr 2015 zu Lasten der Asylbewerber in die Gesamtbewertung einbeziehe, berücksichtige sie nicht das fiskalische Interesse des syrischen Staates, der mit der Passausstellung rund 470 Millionen Euro an Devisen eingenommen habe.

Die Klägerin weise als Mitglied der Religionsgemeinschaft der Sunniten ein gefahrerhöhendes Merkmal auf. Es sei erkennbar, dass der Iran „nach Syrien gegangen (sei), um dort zu bleiben und das Land zu einem zuverlässigen Transitstaat der schiitischen Achse von Teheran über Bagdad, Damaskus und Beirut bis ans Mittelmeer aufzubauen“. Mit seiner militärischen und politischen Präsenz, seinem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Engagement sei der Iran zur Hegemonialmacht in der Levante aufgestiegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Asylakten der Klägerin, ihres Sohnes und ihrer Tochter sowie der Ausländerakte der Klägerin verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage durch Urteil vom 2. März 2017 nicht stattgeben dürfen. Die Entscheidung des Bundesamts in dessen Bescheid vom 11. August 2016, den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abzulehnen, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780).

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a AsylG ist ein Ausländer insbesondere dann Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Die im Asylverfahren anzuwendenden Prognosemaßstäbe und Beweislastgrundsätze ergeben sich z.T. bereits aus der Richtlinie 2011/95/EU und sind jedenfalls in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. etwa Urteile vom 1. Juni 2011 - 10 C 25.10 - juris Rn. 22 und vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32). Danach gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bzw. des "real risk". Vorverfolgten kommt die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Kann nicht festgestellt werden, dass einem Asylbewerber Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kommt eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht (BVerwG, Beschluss vom 15. August 2017 – 1 B 120/17 – juris Rn. 8). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 – Juris Rn. 32)

Die Klägerin macht selbst nicht geltend, dass sie vor ihrer Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war. Sie kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht allein deshalb, weil die Klägerin aus Syrien illegal ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen die Klägerin bei einer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle als Oppositionelle betrachten und sie deshalb wegen einer ihr unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.

Die Frage, ob unverfolgt ausgereisten Syrern bei einer Rückkehr in ihr Heimat-land Folter bei Rückkehrerbefragungen allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt aufgrund einer durch das syrische Regime angenommenen oppositionellen Gesinnung droht und ihnen deshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, wird in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe in der jüngeren Zeit ganz überwiegend nicht mehr uneinheitlich beantwortet. Vielmehr wird die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ohne besondere zusätzliche Anhaltspunkte bzw. gefahrerhöhende Merkmale bei unverfolgt ausgereisten Syrern in der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ganz überwiegend abgelehnt (vgl. OVG Saarlouis, Urteil vom 22. August 2017 – 2 A 262/17 – juris Rn. 23; VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris Rn. 42; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris Rn. 43; OVG Münster, Urteile vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris Rn. 30 ff. und vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16.A – juris Rn. 29 ff. [dazu: BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 2017 – 1 B 98/17 – juris]; OVG Magdeburg, Beschluss vom 29. März 2017 – 3 L 249/16 – juris Rn. 11; VGH München, Urteil vom 21. März 2017 – 21 B 16.31013 – juris Rn. 19; OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 – juris Rn 42 ff. [dazu: BVerwG, Beschluss vom 24. April 2017 – 1 B 22/17 – juris]; OVG Schleswig, Urteil vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 – juris Rn. 37) und allein noch vom VGH Kassel als offen angesehen (Urteil vom 6. Juni 2017 – 3 A 3040/16.A – juris Rn. 48). Damit ist die ältere Rechtsprechung, die dies noch anders sah, überholt. So haben insbesondere der VGH Mannheim und das OVG Magdeburg, deren ältere Entscheidungen das Verwaltungsgericht u.a. als Beleg für seine Auffassung anführt (juris Rn. 30: „VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Juni 2013 - A 11 S 927/13 -, juris Rn. 11 ff.; [...] OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris Rn. 24“) ihre frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben (s.o.).

Hingegen ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung weiterhin umstritten, ob bei Wehrdienstentziehern gefahrerhöhende Merkmale angenommen werden können (dafür: VGH Kassel, Urteil vom 6. Juni 2017 – 3 A 3040/16.A – juris Rn. 51 ff., für einen Wehrdienstentzieher, der aus einer vermeintlich regierungsfeindlichen Zone stammt; VGH Mannheim, Urteil vom 14. Juni 2017 – A 11 S 511/17 – juris Rn. 34 und VGH München, Urteil vom 14. Februar 2017 – 21 B 16.31001 – juris Rn. 22 für einen wehrpflichtigen Reservisten; dagegen: OVG Saarlouis, Urteil vom 17. Oktober 2017 – 2 A 365/17 – juris Rn. 26 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris Rn. 72; OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris Rn. 37 ff.; vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 2. Juni 2017 – 1 B 108/17 – juris Rn. 10 f., vom 2. Mai 2017 – 1 B 74/17 – juris Rn. 15 ff. und vom 26. April 2017 – 1 B 70/17 – juris Rn. 2).

Nach der im Beschluss vom 2. Juni 2017 – 1 B 108/17 – (juris Rn. 10) zusammengefassten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen. Auch für andere Fallgestaltungen wurde danach eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung dann verneint, wenn die verhängte Sanktion an eine alle Staatsbürger gleichermaßen treffende Pflicht anknüpft. So hat das Bundesverwaltungsgericht die Ausbürgerung eines türkischen Staatsangehörigen, der der Aufforderung zur Ableistung des Wehrdienstes nicht nachgekommen war, als nicht asylerheblich gewertet (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1995 - 9 C 3.95 – juris Rn. 11 f.). Es hat sich dabei auf eine Vorschrift des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes gestützt, wonach der Ministerrat denjenigen die türkische Staatsangehörigkeit aberkennen kann, die sich im Ausland aufhalten und ohne triftigen Grund drei Monate lang der amtlichen Einberufung zur Ableistung des Militärdienstes nicht nachkommen. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung bestätigt und konkretisiert, in der es um eine Ausbürgerung aufgrund der fehlenden Registrierung in einer ehemaligen Sowjetrepublik ging. Auch hier wurde hervorgehoben, dass eine ordnungsrechtliche Sanktion für die Verletzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht nicht als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung angesehen werden kann (BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2009 - 10 C 50.07 - juris Rn. 24). Auch der EuGH geht davon aus, dass bei einer Verweigerung des Militärdienstes zu prüfen ist, ob die drohende Strafverfolgung über das hinausgeht, was erforderlich ist, damit der betreffende Staat sein legitimes Recht auf Unterhaltung einer Streitkraft ausüben kann (Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris Rn. 50).

Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 2. Juni 2017 – 1 B 108/17 – juris Rn. 11) sind auf dieser rechtlichen Grundlage zwei Obergerichte bei der den Tatsachengerichten vorbehaltenen Sachverhaltswürdigung zu ihren unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Für das vorliegende Berufungsverfahren kommt es allerdings nicht darauf an, welche Würdigung vorzugswürdig ist, da die Klägerin wegen ihres Geschlechts nicht wehrdienstpflichtig sein kann. Nach Kenntnis des Auswärtigen Amts (Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu 5 K 7480/16 A) gibt es in Syrien keinen Wehrdienst für Frauen. Entsprechend lässt sich den insoweit übereinstimmenden Feststellungen des VGH Kassel (Urteil vom 6. Juni 2017 – 3 A 3040/16.A – juris Rn. 53 ff.) und des OVG Lüneburg (Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris Rn. 73) entnehmen, dass in Syrien für Männer eine allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren besteht. Darunter fällt die Klägerin wegen ihres Geschlechts nicht.

Auch sonst bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin Merkmale aufweist, bei denen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, sie könnten zu einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung führen, wenn die Klägerin in ihr Herkunftsland zurückkehren würde. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass Berufungsgerichte gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verpflichtet sind, sich erkennbar mit abweichenden Tatsachen- und Lagebeurteilungen anderer Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe auseinanderzusetzen (BVerwG, Beschluss vom 15. August 2017 – 1 B 120/17 – juris Rn. 4; Urteil vom 8. September 2011 – 10 C 14/10 – juris Rn. 28). Tun sie dies nicht, beruht das Urteil auf einem Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (BVerwG, Beschluss vom 25. Juli 2017 – 1 B 70/17 – juris Rn. 1). Es müssten also gute Gründe vorliegen, um zu einer von der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung abweichenden Bewertung des Risikos zu gelangen, dem Schutzsuchende ausgesetzt wären, wenn sie nach Syrien zurückkehren, nachdem sie unverfolgt ausgereist sind und nichts anderes als die Ausreise, die Stellung eines Asylantrags und der Aufenthalt im Ausland als Anknüpfungspunkt für Verfolgungsmaßnahmen durch das in Syrien herrschende Regime bei der Wiedereinreise in Betracht kommen.

Grundsätzlich geht auch die Beklagte davon aus, dass syrische Schutzsuchende in ihrem Herkunftsland der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer von willkürlichen Inhaftierungen und von Misshandlung und Folter durch syrische Sicherheitskräfte zu werden. Diese Gefahr rechtfertigt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wie im Fall der Klägerin die Zuerkennung subsidiären Schutzes. Für die darüber hinausgehende Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft muss diese Gefahr gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung mit Verfolgungsgründen aufweisen. Die vom Verwaltungsgericht als sicher unterstellte Indizwirkung von Folter wegen der besonderen Intensität der zu befürchtenden Eingriffe (juris Rn. 37) findet sich in den von ihm zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht. Im Beschluss vom 12. Februar 2008 – 2 BvR 2141/06 – (juris Rn. 28) wird beanstandet, dass das Verwaltungsgericht nicht aufgeklärt habe, ob bei einer strafgerichtlichen Verurteilung ein so genannter Politmalus eingeflossen sei. Im Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 – (juris Rn. 18) wird diese Entscheidung als Beleg für die mögliche Indizwirkung von Folter für das Vorliegen eines Politmalus im Rahmen von Art. 16a Abs. 1 GG zitiert. Die Kernaussage lautet hingegen, dass eine nicht asylerhebliche Strafverfolgung in politische Verfolgung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG umschlagen kann, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet, sog. Politmalus (BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 – juris Rn. 18). Das Verwaltungsgericht unterstellt daher eine Motivation für die von ihm angenommene Gefahr der Folter, die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts erst nachgewiesen werden müsste. Auch die vom Verwaltungsgericht angeführte Literaturstimme (Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 5) ist in ihrer Annahme, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG habe wegen der Indizwirkung von Folter nur einen sehr geringen Anwendungsbereich, wenig überzeugend, weil sie davon ausgeht, ein Asylantragsteller werde darlegen können, dass die Folter an einen Verfolgungsgrund anknüpfe. Soweit das Verwaltungsgericht auf dieser Grundlage den VGH Mannheim (Beschluss vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 - juris Rn. 6) als Beleg für seine Annahme anführt, die Indizwirkung lasse sich gerade bezogen auf Syrien nicht widerlegen, bezieht es sich auf eine Rechtsprechung, die das in Bezug genommene Gericht aufgegeben hat (VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris Rn. 43 ff.).

Für die hier gegenständliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft muss daher hinzukommen, dass diese auch als Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylG anzusehenden Maßnahmen (Anwendung physischer oder psychischer Gewalt) die gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung mit den in § 3 Absatz 1 Nr. 1 AsylG in Verbindung mit § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen aufweisen. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Die vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen lassen einen hinreichend verlässlichen und fundiert abgesicherten Schluss auf das Bestehen der notwendigen Verknüpfung nicht zu. Insbesondere tragen sie nicht die Feststellung, dass der syrische Staat einem für längere Zeit ausgereisten syrischen Staatsangehörigen, der im (westlichen) Ausland ein Asylverfahren betrieben hat und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, ein Regimegegner zu sein bzw. in engerer Verbindung mit oppositionellen Kreisen im Exil zu stehen, auch wenn keine besonderen zusätzlichen Anhaltspunkte bzw. gefahrerhöhende Merkmale vorliegen. Diese Erkenntnismittel lagen jedenfalls überwiegend auch den anderen Berufungsgerichten vor, die teilweise unter Aufgabe ihrer früheren Rechtsprechung die vorgenannte Feststellung nicht treffen konnten (vgl. OVG Saarlouis, Urteil vom 22. August 2017 – 2 A 262/17 – juris Rn. 23; VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris Rn. 42; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris Rn. 43; OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris Rn. 30 ff. und Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16.A – juris Rn. 28 ff.; OVG Magdeburg, Beschluss vom 29. März 2017 – 3 L 249/16 – juris Rn. 11; VGH München, Urteil vom 21. März 2017 – 21 B 16.31013 – juris Rn. 19; OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 – juris Rn 42 ff.; OVG Schleswig, Urteil vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 – juris Rn. 37).

Das Verwaltungsgericht bezieht sich hinsichtlich der Behandlung von Rückkehrern insbesondere auf den Immigration and Refugee Board of Canada (Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points vom 19. Januar 2016), der in neueren Erkenntnismitteln weiterhin als maßgebliche Quelle genannt wird (vgl. z.B. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Syrien vom 5. Januar 2017, S. 42), und den auch der VGH Kassel als wesentliches Erkenntnismittel zitiert (Urteil vom 6. Juni 2017 – 3 A 3040/16.A – juris Rn. 49). Dieser Bericht kann dem Senat jedoch nicht die Überzeugung vermitteln, dass Schutzsuchenden aus Syrien bei einer Rückkehr aus dem Bundesgebiet von syrischen Sicherheitskräften eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben würde und sie gerade deswegen der Gefahr von Misshandlungen und Folter ausgesetzt wären. Auch die Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin konnte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als Referenzfall lediglich einen konkreten Fall eines Syrers anführen, der unter Ziffer 3 dieses Erkenntnismittels angeführt wird. Danach hat der Betroffene in einem ABS-Interview angegeben, er sei bei seiner Rückkehr aus Australien im August 2015 am Flughafen von Damaskus wegen seiner Herkunft aus Al-Harra in der Provinz Daraa festgenommen und wegen des mitgeführten Geldes in den Verdacht eines Revolutionsgeldgebers gekommen, was dazu geführt habe, dass er über 20 Tage gefoltert worden sei. Dieser Vorfall weist danach schon die Besonderheit auf, dass der Herkunftsort und ein mitgeführter Geldbetrag die Vorgehensweise der syrischen Sicherheitsorgane motiviert haben sollen.

Der in dem Erkenntnismittel zitierte Bericht von Human Rights Watch über Festnahmen aus einer Gruppe von etwa 35 nach Ägypten geflohenen Palästinensern bei der Einreise ist in seiner Wiedergabe inhaltsarm und lässt nicht erkennen, was der konkrete Anlass für die Festnahmen gewesen sein soll. Ebensowenig lassen die genannten Bewertungen einer emeritierten Professorin, eines Funktionärs einer Menschenrechtsorganisation und eines Gastforschers erkennen, auf welcher tatsächlichen Grundlage sie beruhen. Der zitierte Geschäftsführer einer Menschenrechtsorganisation benennt ausdrücklich weitere Anknüpfungspunkte, die das Verfolgungsinteresse auslösen könnten, wie Erkenntnisse der Sicherheitsorgane über die Beteiligung an der Opposition, bei Nichtregierungsorganisationen und/oder journalistische Tätigkeiten.

Auch der vom Verwaltungsgericht angeführte Country Report on Human Rights Practices for 2015 des US Department of State ist unergiebig, da er auf ein Gesetz Bezug nimmt, das denjenigen mit Verfolgung bedroht, der in einem anderen Land Zuflucht sucht, um einer Strafe in Syrien zu entgehen. Daraus folgt jedoch nichts dazu, in welcher Weise diese Vorschrift angewandt wird, und ob zurückkehrenden Asylbewerbern tatsächlich unterstellt wird, sie hätten das Land zu dem im Gesetz genannten Zweck verlassen. Die zitierte Entscheidung des Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) vom 7. August 2012 stammt aus einer Zeit, in der auch die deutschen Verwaltungsgerichte nach den damaligen Erkenntnissen zu einer anderen Bewertung gelangt sind, und gibt daher nichts für die Bewertung der aktuellen Erkenntnisse her.

Der vom Verwaltungsgericht weiterhin als relevant angesehene Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010 enthält keine Angaben, die sich ohne weiteres auf die Verhältnisse mehr als 7 Jahre später übertragen lassen, die insbesondere dadurch geprägt sind, dass inzwischen mehr als ein Viertel der Bevölkerung aus Syrien in das Ausland geflohen ist. Nach diesem Bericht sind im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen deutsch-syrischen Rücknahmeübereinkommens bis März 2010 40 Personen mit syrischer Staatsangehörigkeit nach Syrien zurückgeführt worden. Dem Auswärtigen Amt sind im Jahre 2009 in drei Fällen Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekannt geworden (S. 20). Allgemein ging das Auswärtige Amt danach davon aus, dass Rückkehrer nach der Befragung durch Sicherheitsdienste und Einreisebehörden in der Regel nach spätestens zwei Wochen freigelassen werden; in einem Fall im Rahmen des vorgenannten Abkommens sei danach eine Inhaftierung über die übliche Befragung durch syrische Behörden bei der Ankunft hinausgegangen (S. 5). Auf diese Zeit bezieht sich auch Amnesty International, Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebestopp, 14. März 2012, und berichtet über drei Fälle von syrischen Kurden, die 2009 und 2010 aus Zypern, Deutschland und Norwegen nach Syrien zurückgeführt und inhaftiert sowie teilweise misshandelt worden seien (S. 4 f.). Allerdings betreffen diese Quellen einen Zeitraum, in dem das syrische Regime das Land noch fest im Griff hatte und insbesondere hart gegen Kurden in Syrien vorging (Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 5 f.). In der Folgezeit haben sich die 2011 begonnenen Unruhen ab 2012 zu einem Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung entwickelt, der dazu geführt hat, dass das Regime und seine Verbündeten, insbesondere libanesische Hisbollah-Milizen und russische Luftstreitkräfte nur noch Teile des Staatsgebiets kontrollieren. Eine hinreichend verlässliche Grundlage für die Bewertung der Verfolgungsgefahr, der Rückkehrer im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgesetzt wären, können diese Erkenntnismittel nicht mehr bieten.

Vielmehr sind dem Auswärtigen Amt nach seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu 5 K 7221/16.A zwar Berichte über Befragungen des syrischen Regimes nach einer Rückkehr aus dem Ausland bekannt, zum Inhalt derartiger Befragungen könnten jedoch keine Aussagen gemacht werden. Insbesondere lägen danach zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen in die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit bei derartigen Befragungen keine Erkenntnisse vor. Es sei jedoch bekannt, dass die syrischen Sicherheitsdienste de facto im rechtsfreien Raum agierten und im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab anwendeten. Ähnlich äußert das Deutsche Orient-Institut in seiner Auskunft an den VGH Mannheim vom 22. Februar 2017, dass zu Verdächtigungen gegenüber Rückkehrern keine belastbare Datenlage vorliege (S. 1). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich geht davon aus, dass exilpolitische Tätigkeiten im Einzelfall zu einer Gefährdung von Rückkehrern führen könnten, zitiert jedoch auch eine Quelle, die meint, die Regierung „habe im Moment andere Probleme“ (Fact Finding Mission Report vom August 2017, S. 34).

Auch wenn die vermehrte Ausstellung von Reisepässen nach der Einschätzung der Klägerin fiskalische Gründe haben mag, bestätigt der entsprechende Stempelaufdruck im Reisepass der Klägerin, der dem Senat so auch aus Parallelverfahren bekannt ist, dass der syrische Staat gegen Reisen nach Europa grundsätzlich nichts einzuwenden hat, da er damit die Gültigkeit des Reisepasses auch auf Europa erstreckt.

Insgesamt bestätigten alle diese Umstände die Einschätzung, dass es keine hinreichenden Erkenntnisse dazu gibt, dass der syrische Staat einem rückkehrenden Asylbewerber wegen seines Asylantrags und Auslandsaufenthaltes oder auch wegen illegalen Verlassens des Landes eine gegnerische politische Überzeugung zuschreibt. Das Risiko liegt dann eher in der Gefahr, dass syrische Sicherheitskräfte Gewalt willkürlich anwenden.

Ein Gefährdung kann auch nicht aus der im Spiegel am 11. September 2017 unter der Schlagzeile „Assads Top-General droht Flüchtlingen“ wiedergegebenen Äußerung des (am 18. Oktober 2017 verstorbenen) Generalmajors der Republikanischen Garden Issam Zahreddine in einem Liveinterview mit dem syrischen Staatsfernsehen abgeleitet werden: "Kehrt nicht zurück! Selbst wenn der Staat euch vergibt, wir werden niemals vergessen und verzeihen". Die Äußerung ist schon aus sich heraus zweideutig. Denn der Generalmajor geht danach davon aus, dass der Staat den Flüchtlingen vergeben werde. Darüber hinaus hat er sich am Folgetag für seine Äußerung entschuldigt und klargestellt, dass sich seine Drohung nur gegen solche Kämpfer gerichtet habe, die Soldaten des Regimes getötet hätten (The Telegraph vom 18. Oktober 2017 und Al-Masdar Al-'Arabi vom 11. September 2017). Damit bewegte er sich wieder auf der Linie des syrischen Regimes, das offiziell eine nationale Versöhnung anstrebt (Spiegel vom 11. September 2017).

Es kann offenbleiben, ob sich die Gruppe der schutzsuchenden Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, die in der Europäischen Union und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland Zuflucht gefunden haben, wegen des gestellten Antrags auf internationalen Schutz wesentlich von der Gruppe der Schutzsuchenden unterscheidet, die in den Nachbarländern Syriens aufgenommen wurden. Insoweit überzeugt die Überlegung der Klägerin, ein Asylantrag in Deutschland werde von den syrischen Machthabern als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gewertet, nicht. Zunächst kann angenommen werden, dass auch in Syrien bekannt ist, dass der entsprechende Antrag eine notwendige Voraussetzung darstellt, um im Bundesgebiet einen gesicherten Aufenthaltsstatus und auf dieser Grundlage den Zugang zu Sozialleistungen zu erhalten. Es leuchtet ferner nicht unmittelbar ein, dass die Haltung der Bundesregierung gegenüber dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad von syrischen Sicherheitskräften Asylsuchenden bei einer Rückkehr nach Syrien zugeschrieben werden könnte. Es überzeugt ferner nicht, dass die Strafanzeigen einer Berliner Menschenrechtsorganisation (ECCHR) und daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwaltes gegen syrische Geheimdienstangehörige für die hier vorzunehmende Risikobewertung für Schutzsuchende aus Syrien, die außer der illegalen Ausreise, der Stellung eines Asylantrags und dem Aufenthalt im Bundesgebiet keine risikoerhöhenden Merkmale aufweisen, von Relevanz sein soll. Selbst wenn dieser Vorgang von syrischen Sicherheitskräften überhaupt wahrgenommen worden sein sollte, würde es dessen Bedeutung deutlich überschätzen, wenn eine Verbindung zu der mutmaßlichen Einschätzung der Haltung von Schutzsuchenden hergestellt würde.

Darüber hinaus liegen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer aus den Anrainerstaaten von syrischen Sicherheitskräften gerade wegen einer angenommen Zugehörigkeit zu oppositionellen Gruppen misshandelt worden sein könnten. Der aktuelle Bericht von Humans Rights Watch vom Oktober 2017 „I Have No Idea Why They Sent Us Back - Jordanian Deportations and Expulsions of Syrian Refugees“ über die Rückführung von Flüchtlingen aus Jordanien nach Syrien enthält keine Hinweise auf eine den Rückkehrern unterstellte oppositionelle Gesinnung. Dort werden im Kapitel V. „Conditions Deportees Face upon Return” Aussagen von zurückgekehrten Flüchtlingen wiedergegeben, die Beeinträchtigungen durch eine provisorische Unterbringung und fehlende medizinische Versorgung anführen und Gefahren durch Luftangriffe schildern. Dies könnte jedoch darauf beruhen, dass sie nicht in den Machtbereich des syrischen Regimes gelangt sind, wofür insbesondere die geschilderte Gefahr von Luftangriffen sprechen könnte. Allerdings wird dort auch ein am 9. Juli 2017 in Kraft getretener Waffenstillstand im Südwesten Syriens einschließlich der Provinz Daraa angeführt, der von beiden Seiten gebrochen worden sei (S. 20 f.). Ferner wird dort über freiwillige Rückkehrer berichtet, denen UNHCR von einer Rückkehr abgeraten habe und die darüber informiert worden seien, dass sie nicht mehr nach Jordanien zurückkehren könnten (S. 22 f.). Entsprechende Informationen finden sich in dem Fact Finding Mission Report des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich vom August 2017 (S. 41 f.; mehrere tausend Rückkehrer, davon mehr als ein Drittel unfreiwillig). Auch der UNHCR geht davon aus, dass 2017 bereits über 31.000 syrische Flüchtlinge aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt seien, und seit 2015 insgesamt circa 260.000 syrische Flüchtlinge, meist aus der Türkei, in den Norden Syriens zurückgekehrt seien (http://www.unhcr.org/dach/de/15457-unhcr-meldet-anstieg-bei-rueckkehrern-nach-syrien.html).

Bezogen auf die Stadt Aleppo berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrer Schnellrecherche zu Syrien: Situation in Aleppo vom 5. Juli 2017 von 250.000 (wohl binnenvertriebenen) registrierten Rückkehrern, die vor den Kampfhandlungen geflohen seien und nun unter schwierigen Bedingungen in einer teilweise zerstörten Stadt leben müssten, unter der Überschrift „Verhaftungen von Oppositionellen“ von 419 bzw. 891 Verhaftungen von Zivilpersonen zwischen Januar und Juni 2017, wobei es sich meist um junge Männer handele, die sich dem Wehrdienst entzogen hätten (S. 3). Dieselbe Organisation entnimmt in ihrer Auskunft „Syrien: Rückkehr“ vom 21. März 2017 den ihr vorliegenden Informationen des Immigration and Refugee Board of Canada, Syria, Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points vom 19. Januar 2016, dass Informationen über Rückkehrerinnen und Rückkehrer seit dem Ausbruch des Krieges 2011 sehr limitiert seien und listet aus Erkenntnissen von Amnesty International und Human Rights Watch Einzelfälle von Rückkehrern auf, die wegen oppositioneller Tätigkeiten, Journalismus oder aufgrund der Mitarbeit bei einer Nichtregierungsorganisation bei der Einreise verhaftet worden und verschwunden seien (S. 6 f.). Für die hier vorzunehmende Riskobewertung liegen daher auch aus der Gruppe der Rückkehrer aus den Anrainerstaaten nach Syrien keine Erkenntnisse vor, die den Schluss tragen könnten, auch ohne besondere Anknüpfungspunkte drohe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen der Zuschreibung einer regimegenerischen Haltung.

Bei der Klägerin bestehen keine risikoerhöhenden Faktoren, weil sie der Religionsgemeinschaft der Sunniten angehört. Die vom Verwaltungsgericht für seine andere Auffassung angeführten Belege (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung November 2015, S. 26; Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests (...) vom 19. Januar 2016, S. 4; Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Zur Situation religiöser Minderheiten in Irak und Syrien, 7. Oktober 2015, S. 16 m.w.N.) basieren nicht auf hinreichenden Tatsachen, die den Schluss auf eine generelle Gefährdung von Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft tragen könnten. So gibt der Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Zur Situation religiöser Minderheiten in Irak und Syrien, 7. Oktober 2015 (S. 16), Meinungsäußerungen wieder, die dem Assad-Regime eine polarisierende Haltung gegenüber der sunnitischen Mehrheit des Landes zuschreiben. Der Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests (...) vom 19. Januar 2016, (S. 4) leitet eine Gefährdung von Sunniten bei der Einreise allein aus einer Meinungsäußerung des bereits oben erwähnten Funktionärs einer Menschenrechtsorganisation ab. Der UNHCR listet in den Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung November 2015, S. 26, wie auch in der Fassung vom April 2017, S. 2 Fußnote 7, pauschale Risikoprofile auf, zu denen auch Mitglieder religiöser Gruppen, einschließlich Sunniten, Alawiten, Ismailis, Zwölfer-Schiiten, Drusen, Christen und Jesiden zählen, mit denen mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung Syriens abgedeckt wird. Ferner hält der UNHCR in der Fassung vom April 2017 zwar daran fest, dass aus seiner Sicht Asylsuchende aus Syrien nur in Ausnahmefällen die Kriterien der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention nicht erfüllen (S. 1), er betont jedoch, dass die Konfliktparteien in Syrien sehr breite Kriterien anwendeten, um Einzelpersonen, ganzen Gruppen oder Gemeinschaften eine politische Zugehörigkeit zuzuschreiben, weshalb es von besonderer Wichtigkeit sei, Anträge auf ganzheitliche Weise zu prüfen; daher müsse bei der Prüfung, ob ein Antragsteller die Kriterien der Flüchtlingsdefinition gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention erfülle, berücksichtigt werden, wie relevant die jeweiligen Aspekte des Profils des Antragstellers für sich und in Kombination mit anderen Aspekten seien (S. 2). Insoweit kann jedenfalls nicht außer Betracht bleiben, dass etwa drei Viertel der syrischen Bevölkerung sunnitischen Glaubens sind. Auch nach der Auskunft des Auswärtigen Amts an das Verwaltungsgericht Augsburg vom 2. Januar 2017 ist die Religion allein nicht entscheidend für eine Rückkehrgefährdung. Die Überlegung der Klägerin, aus der Unterstützung der syrischen Regierung durch den schiitischen Iran, der eine schiitische Achse errichten wolle, lasse sich auf eine Gefährdung von Sunniten schließen, ist ebenso wenig von konkreten Referenzfällen getragen wie deren Erwägungen, die an die Haltung der Bundesregierung gegenüber dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad oder im Bundesgebiet erstattete Strafanzeigen gegen syrische Geheimdienstangehörige anknüpfen.

Bei der nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU gebotenen Bewertung der individuelle Lage und der persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter um zu bewerten, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind, sind bei der Klägerin als verwitweter älterer Frau mit geringer Schulbildung, die nach ihren Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihren Kindern und Enkelkindern ins Ausland gefolgt ist, um dort ein besseres Leben zu führen, keine hinreichenden Anhaltspunkte vorhanden, um anzunehmen, sie könne bei einer Rückkehr nach Syrien von Verfolgungshandlungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedroht sein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO genannten Gründe vorliegt. Es handelt sich um die nicht revisibele Würdigung von Tatsachen, bei der wegen der Bindung des Revisionsgerichts an die tat-sächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) eine weitergehende Vereinheitlichung der Rechtsprechung durch das Bundesverwaltungsgericht ausscheidet. Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO / § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG eine Tatsachenfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aus (BVerwG, Beschluss vom 15. August 2017 – 1 B 120/17 – juris Rn. 4 f.).