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Entscheidung 11 O 251/12


Metadaten

Gericht LG Frankfurt (Oder) 1. Zivilkammer Entscheidungsdatum 24.10.2012
Aktenzeichen 11 O 251/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 24.07.2012 zum Geschäftszeichen 11 O 251/12 wird unter Zurückweisung des Antrags der Antragstellerin/Verfügungsklägerin vom 20.07.2012 aufgehoben.

Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Streitwert 12.000 €

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer öffentlichen Ausschreibung. Die Verfügungsbeklagte hat unter dem Aktenzeichen 3… am 14.06.2012 die Bauleistung „DSK B 101 OU … , Abschnitt 110 bis 195“ öffentlich ausgeschrieben (Bl. 12 d. A.) und die Verfügungsklägerin am 14.06.2012 schriftlich zur Abgabe eines Angebotes für die Erbringung dieser Bauleistung aufgefordert. Als Vergabestelle wiesen die Ausschreibungsunterlagen den Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg … aus. Maßgebliches Kriterium für die Vergabe des Auftrags zur Ausführung der ausgeschriebenen Bauleistung war der Preis. In Position 00.03.0007. des Langtext-Verzeichnisses der Ausschreibung hieß es: Menge:1.150 t DSK aus DSK 5 herstellen Dünne Asphaltdeckschicht in Kaltbauweise (DSK) aus Asphaltmischgut DSK 5 herstellen.“ Die Verfügungsklägerin übersandte ein Angebot an die Verfügungsbeklagte am 29.06.2012. Das Angebot wies für die gegenständlich Bauleistung eine Gesamtsumme von 219.822,58 € zuzüglich Mehrwertsteuer i.H.v. 19,00 %, mithin 261.588,87 € aus. Mit einer Summe von 185.013,65 € (ohne MwSt.) stellten die Leistungen aus dem Teil „00.03. Vorarbeiten und Einbau DSK“ mit rund 84 % den Großteil der Kosten im Angebot der Verfügungsklägerin dar.

Mit Schreiben vom 11.07.2012 teilte die Verfügungsbeklagte allen Bietern mit, dass die öffentliche Ausschreibung gem. § 17 I Nr. 3 VOB/A aufgehoben werden musste. Ferner sei vorgesehen, die gegenständliche Bauleistung in einem beschränkten Vergabeverfahren zu vergeben. Ausweislich des Ausschreibungsergebnisses hat die Verfügungsklägerin in dem beendeten Vergabeverfahren vom 14.06.2012 das günstigste Angebot unter allen Bietenden eingereicht. Dieses Ausschreibungsergebnis wurde allen Bietern im Anhang an das Schreiben vom 11.07.2012 mitgeteilt. Noch am 11.07.2012 übersandte die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin eine erneute Aufforderung zur Angebotsabgabe für die Bauleistung „DSK B 101 OU …, Abschnitt 110 bis 195“. Die beschränkte Ausschreibung der Bauleistung führte die Verfügungsbeklagte dabei wie auch schon zuvor die öffentliche Ausschreibung unter dem Aktenzeichen 3… durch. Dieses unterscheidet sich von der ersten, öffentlichen Ausschreibung lediglich in Position 00.03.0007. des Langtext-Verzeichnisses. Dort hieß es abweichend nunmehr (Bl. 115 d. A.): Menge: 940 t DSK aus DSK 5 herstellen Dünne Asphaltdeckschicht in Kaltbauweise (DSK) aus Asphaltmischgut DSK 5 herstellen.“

Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.07.2012 wandte sich die Verfügungsklägerin an das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Brandenburg, das in den Unterlagen sowohl der öffentlichen als auch der beschränkten Ausschreibung der streitgegenständlichen Bauleistung als Nachprüfungsstelle i.S.v. § 21 VOB/A angegeben war. Die Verfügungsklägerin forderte die Nachprüfungsstelle in diesem Schreiben ausdrücklich auf, die Vergabestelle anzuweisen, die Aufhebung des vorbezeichneten öffentlichen Vergabeverfahrens zurückzunehmen und das Vergabeverfahren fortzusetzen. „…die Vergabestelle anzuweisen, die Aufhebung des vorbezeichneten öffentlichen Vergabeverfahrens zurückzunehmen und das Vergabeverfahren fortzusetzen.“ Im Rahmen der beschränkten Ausschreibung der streitgegenständlichen Bauleistung reichte die Verfügungsklägerin am 20.07.2012 erneut ein Angebot für die Erbringung der Bauleistung bei dem Verfügungsbeklagten ein. Die Ausschreibungsfrist der Bauleistung endete am 24.07.2012 um 13:00 Uhr.

Der Verfügungsbeklagte teilte zunächst telefonisch am 23.7.2012 und schließlich mit Schreiben vom 31.07.2012 der Verfügungsklägerin mit, dass die Aufhebung der öffentlichen Ausschreibung am 11.07.2012 gem. § 17 III Nr. 1 VOB/A darauf beruhe, dass ein Mengenfehler bei der Ermittlung der Leistungen entstanden sei. Statt 1150 t würden nur 940 t Kaltasphalt benötigt.

Auf Antrag der Verfügungsklägerin hat das Landgericht Frankfurt (Oder) am 24.7.2012 eine einstweilige Verfügung (Bl. 123) erlassen, in der der Verfügungsbeklagten geboten wurde, es zu unterlassen, durch den Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg im beschränkten Vergabeverfahren (AZ: 30008860) für die Bauleistung "DSK 101 OU … Abschnitt 110-195“ den Zuschlag zu erteilen. Dagegen hat die Verfügungsbeklagte Widerspruch eingelegt.

Die Verfügungsklägerin behauptet, die Veröffentlichung der Angebotsergebnisse des öffentlichen Vergabeverfahrens gegenüber allen beteiligten Bietern führe dazu, dass diese ihre Angebote entsprechend anpassen würden und die Verfügungsklägerin im Rahmen des nunmehr laufenden beschränkten Vergabeverfahrens nicht mehr den Zuschlag für die Erbringung der Bauleistung aufgrund der Einreichung des günstigsten Angebots erhalten werde.

Die Verfügungsklägerin meint, schwerwiegende Gründe i.S.v. § 17 I Nr. 3 VOB/A für die Aufhebung der öffentlichen Ausschreibung der gegenständlichen Bauleistung am 11.07.2012 hätten nicht vorgelegen. Eine schlichte Mengenanpassung hinsichtlich nur einer Position des Leistungsverzeichnisses stelle keinen schwerwiegenden Grund dar. Daher habe die Verfügungsbeklagte bei der Aufhebung der öffentlichen Ausschreibung ohne sachlichen Grund gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 GG verstoßen. Somit stehe der Verfügungsklägerin ein Anspruch auf Unterlassung der Zuschlagserteilung im Rahmen des beschränkten Vergabeverfahrens gem. § 823 II BGB i.V.m. Art 3 GG,§§ 280 Abs. 1,241 Abs. 2 i.V.m. 311 Abs. 2 Nummer 1 BGB zu. Dies folge letztlich schon daraus, dass das Verfahren hinsichtlich der Aufhebung der öffentlichen Ausschreibung mangels Angabe von Gründen ihr gegenüber in jedem Falle intransparent gewesen sei. Ein wirkungsvoller Rechtschutz sei für sie darüber hinaus nur dadurch zu erlangen gewesen, neben der Rüge der Fehler des öffentlichen Ausschreibungsverfahrens auch gleichzeitig die Zuschlagserteilung in dem nachfolgenden beschränkten Vergabeverfahren zu verhindern.

Nachdem die Verfügungsklägerin den Anspruch auf Unterlassung der Zuschlagserteilung zunächst gegen das Land Brandenburg, vertreten durch den Verfügungsbeklagten als Vergabestelle, geltend gemacht hatte, hat sie im Termin zur mündlichen Verhandlung über den Widerspruch vom 19.10.2012 beantragt, das Rubrum dahingehend zu ändern, dass Verfügungsbeklagte die Bundesrepublik Deutschland ist.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

den Widerspruch zurückzuweisen. Der Verfügungsbeklagte beantragt, die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 24.07.2012 zum Geschäftszeichen 11 O 251/12 unter Zurückweisung des Antrags der Verfügungsklägerin vom 20.07.2012 auf zu heben;

Hilfsweise,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 24.07.2012 zum Geschäftszeichen 11 O 251/12 wird gemäß § 927 ZPO wegen veränderter Umstände aufzuheben.

Der Verfügungsbeklagte meint, die Verfügungsklägerin könne sich nicht auf die Intransparenz der Aufhebung der öffentlichen Ausschreibung berufen. Zumindest ihr gegenüber habe eine solche nämlich spätestens nach dem Telefonat mit dem Verfügungsbeklagten am Nachmittag des 23.07.2012 nicht mehr bestanden. Sie sei umfänglich über die der Aufhebung zugrunde liegenden Umstände ins Bild gesetzt worden. Außerdem stelle die hier vorgenommene Mengenänderung im Leistungsverzeichnis für die Bauleistung sehr wohl einen schwerwiegenden Grund i.S.v. § 17 I Nr. 3 VOB/A dar. Darüber hinaus vertritt er die Auffassung, das beschränkte Vergabeverfahren über die gegenständliche Bauleistung sei in jedem Fall frei von Fehlern. Eine Untersagung der Zuschlagserteilung durch den Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 24.07.2012 habe daher auch nicht erfolgen dürfen. Letztlich liege aus Sicht der Verfügungsklägerin jedoch spätestens seit dem 31.07.2012 keine Intransparenz hinsichtlich der Aufhebung der öffentlichen Ausschreibung am 11.07.2012 mehr vor, da sie an diesem Tage schriftlich über alle dahingehenden Gründe informiert worden sei. Daraus ergäben sich in der Folge veränderte Umstände, so dass der Beschluss vom 24.07.2012 gem. § 927 ZPO aufzuheben sei. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die beigefügten Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Widerspruch der Verfügungsbeklagten ist zulässig und in der Sache auch begründet.

Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch unter Zugrundelegung der seitens des Verfügungsbeklagten in seiner Widerspruchsbegründung vorgetragenen Tatsachen zulässig.

Für die vorliegende Streitigkeit ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gem. § 13 GVG eröffnet. Das Landgericht Frankfurt (Oder) ist sowohl in sachlicher, als auch in örtlicher Hinsicht für den Antrag der Verfügungsklägerin zuständig. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus §§ 937 I, 18 ZPO i.V.m. § 1 II BbgVwVfG, § 1 I der „Betriebsanweisung für den Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg“. Die sachliche Zuständigkeit folgt aus §§ 937 I ZPO, 53 I Nr. 1 GKG, 3 ZPO.

Richtiger Gegner ist vorliegend die Bundesrepublik Deutschland als Auftraggeber und zukünftiger Vertragspartner des Bieters. Auftraggeber und damit gleichzeitig Vergabestelle ist die Person oder Körperschaft, die nach den Vergabeunterlagen Vertragspartner des Bewerbers oder Bieters werden soll. Maßgeblich dafür sind die privatrechtlichen, nach den § 145 ff., 164 ff. BGB zu beurteilenden Vertragsverhältnisse. Die VOB/A verwendet in diesem Zusammenhang die Begriffe Auftraggeber und Vergabestelle synonym, (vgl. § 17 Nummer 1 Abs. 2a; Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB Teil A, 2. Auflage 2012, § 17 Rz. 20). Auftraggeber ist vorliegend die Bundesrepublik Deutschland, da sich aus den Vergabeunterlagen, Seite 2 oben ergibt, dass die Leistungen im Namen und für Rechnung der Bundesrepublik Deutschland Bundesstraßenverwaltung vergeben werden.

Soweit dort auch aufgeführt ist, dass die Leistungen auch im Namen und für Rechnung des Landes Brandenburg, Straßenbauverwaltung, vergeben werden, bezieht sich dies ausweislich der Vergabeunterlagen unter der Leistungsbeschreibung nur auf einen ganz geringen Teil der Dokumentation des Bauvorhabens. Zuzugeben ist der Verfügungsklägerin allerdings, dass die Aufforderung zur Angebotsabgabe vom 14.6.2012 insoweit widersprüchlich und unklar ist, als sie den Landesbetrieb Straßenwesen als Vergabestelle bezeichnet und auf Seite vier der Ausschreibung als Nachprüfungsstelle das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Brandenburg in Potsdam benennt.

Grundsätzlich kommt auf den Antrag des unterlegenen Bieters hin der Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen einen Auftraggeber, gerichtet auf die Untersagung der Zuschlagserteilung an einen Dritten, auch außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 97 ff. GWB in Betracht. Somit ist der Teilnehmer an einem Vergabeverfahren im Unterschwellen-bereich nicht auf die Inanspruchnahme lediglich sekundären Rechtsschutzes verwiesen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2010 - Az.: I-27 U 1/09 - NZBau 2010, 328, 330; Kapellmann/Messerschmidt-Glahs, VOB/A und B, 3. Auflage, § 17 VOB/A, Rdn 25).

Durch die Einreichung der Angebotsunterlagen im Rahmen der ersten öffentlichen Ausschreibung am 28.06.2012 ist zwischen den Parteien ein Rechtsverhältnis i.S.v. § 311 II BGB entstanden. Den Parteien obliegen im Rahmen dieses Rechtsverhältnisses vorvertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten. Wenn die Ausschreibung einer Bauleistung, wie im vorliegenden Fall, auf der Grundlage der VOB/A erfolgt, dann zählt zu den Sorgfaltspflichten der ausschreibenden Stelle auch die Beachtung der Vorgaben der VOB/A an den Verfahrensablauf. Der Bieter kann ab dem Zeitpunkt der Angebotsabgabe auf die Einhaltung dieser Regeln vertrauen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.05.2008 - 12 U 235/07 - NZBau 2008, 735).

Das Rechtsschutzbedürfnis, in Form eines Verfügungsgrundes, ist aus Sicht des Verfügungsklägers immer dann gegeben, wenn eine einstweilige Regelung des streitigen Rechtsverhältnisses notwendig ist (Thomas/Putzo-Reichold, a.a.O., Rdn 5).Dies setzt die Notwendigkeit einer Regelung zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen für die Verfügungsklägerin voraus. Das Bestehen dieser Notwendigkeit hat die Verfügungsklägerin hier glaubhaft gemacht. Da das erste, öffentliche Ausschreibungsverfahren durch die rechtswidrige Aufhebung beendet worden ist, stand der Verfügungsklägerin hier nur die Möglichkeit zur Seite, die Zuschlagserteilung in dem nun laufenden beschränkten Vergabeverfahren durch die Erlangung einer Regelungsverfügung gem. § 940 ZPO zu verhindern. Eine Zuschlagserteilung in diesem Ausschreibungsverfahren hätte die Möglichkeiten der Verfügungsklägerin auf effektiven Rechtsschutz vereitelt, sie mithin in ihrem Grundrecht aus Art. 19 IV GG verletzt. Ausweislich der Unterlagen zur Aufforderung über die Abgabe eines Angebotes für die ausgeschriebene Bauleistung war das für die Zuschlagserteilung maßgebende Kriterium der Preis, zu dem die Ausführung der Bauleistung von den Bietern angeboten wurde. Aus der Ergebnisliste der im Rahmen der öffentlichen Ausschreibung eingereichten Unterlagen geht hervor, dass die Verfügungsklägerin das günstigste aller Angebote eingereicht hat.

Begründetheit des Verfügungsantrags

Die einstweilige Verfügung war auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten hin aufzuheben, denn ein Verfügungsanspruch der Klägerin besteht nicht.

Ein auf Unterlassung der Zuschlagserteilung gerichteter, im Wege des Primärrechtsschutzes durchsetzbarer Verfügungsanspruch käme nur in Betracht, wenn die Verfügungsklägerin glaubhaft macht, dass die vorangegangene Aufhebung der Ausschreibung durch den Verfügungsbeklagten rechtswidrig war und die Verfügungsklägerin aus diesem Grunde in einem Hauptsacheverfahren einen Anspruch gegen den Verfügungsbeklagten auf Rücknahme der Aufhebung der Ausschreibung und Fortsetzung des Verfahrens durchsetzen könnte. Einen solchen Anspruch, der sich im Streitfall allein aus Art. 3 Abs. 1 GG ergeben könnte, hat die Verfügungsklägerin jedoch nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Zwar ist eine gerichtliche Nachprüfung der Aufhebung der Ausschreibung nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der öffentliche Auftraggeber im Rahmen des auch hier geltenden allgemeinen Vertragsrechts grundsätzlich nicht gezwungen werden kann, einen der Ausschreibung entsprechenden Auftrag an einen geeigneten Bieter zu erteilen, selbst wenn er nach den maßgeblichen Vergabevorschriften keinen Grund zur Aufhebung des Ausschreibungsverfahrens hat (vgl. BGHZ 139, 259, 268f.; BGH NZBau 2003, 168, 169; BGH NZBau 2003, 293, 294f.). Auch ein öffentlicher Auftraggeber darf seine Ausschreibung jederzeit durch Einstellung oder Aufhebung beenden, selbst wenn ihm ein Aufhebungsgrund nach § 17 Nr. 1 VOB/A nicht zur Seite steht. Dies schließt eine gerichtliche Nachprüfung der Aufhebung der Ausschreibung jedoch nicht in jedem Fall aus, sondern nur dann, wenn die Aufhebung der Ausschreibung gleichsam Ausdruck unabänderbaren Willens des Ausschreibenden ist, den ausgeschriebenen Auftrag nicht zu vergeben. Dagegen kommt eine gerichtliche Überprüfung mit dem Ziel der Anordnung der Fortsetzung des Ausschreibungsverfahrens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in Betracht, wenn der Vergabewille des Auftraggebers, die ausgeschriebenen Leistungen zu vergeben, unverändert fortbesteht (vgl. BGH a.a.O.; Brandenburgisches OLG - 13. Zivilsenat - VergabeR 2008, 294 ff.). Von dem Fortbestand des Vergabewillens des Verfügungsbeklagten ist im Streitfall auszugehen, da er unstreitig im Aufhebungsschreiben vom 11.07.2012 angekündigt hat, zeitnah ein neues Vergabeverfahren hinsichtlich des zu vergebenden Bauabschnitts einzuleiten.

Die Verfügungsklägerin kann jedoch nicht mit Erfolg aus Art. 3 Abs. 1 GG von dem Verfügungsbeklagten die Rücknahme der Aufhebung und Fortsetzung der Ausschreibung verlangen.

Einigkeit besteht dabei zunächst darüber, dass der Primärrechtsschutz des GWB im Streitfall ausgeschlossen ist und dass der Ausschluss in § 100 Abs. 1 GWB verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Der Bieter wird dadurch weder in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG noch in seinem Anspruch auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 GG verletzt (vgl. dazu im Einzelnen BVerfG NJW 2006, 3701 ff. m.w.N.). Angesichts des vom Gesetzgeber gewollten Ausschlusses des Primärrechtsschutzes nach dem GWB kommt auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften nicht in Betracht, fehlt es doch ersichtlich an einer planwidrigen Regelungslücke, die im Wege der Analogie geschlossen werden könnte (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 12.02.2008 - 4 U 190/07).

Nach der Rechtsprechung des BVerfG (a.a.O.) folgt jedoch aus Art. 3 Abs. 1 GG unter bestimmten Voraussetzungen ein subjektives Recht auf Gleichbehandlung, das im Rahmen des Justizgewährungsanspruchs gerichtlich verfolgt werden kann. Danach hat jede staatliche Stelle bei ihrem Handeln, unabhängig von der Handlungsform und dem betroffenen Lebensbereich, die in dem Gleichheitssatz niedergelegte Gerechtigkeitsvorstellung zu beachten. Der staatlichen Stelle, die einen öffentlichen Auftrag vergibt, ist es daher verwehrt, das Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich zu bestimmen. Darüber hinaus kann die tatsächliche Vergabepraxis zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen. Auf Grund dieser Selbstbindung kann den Verdingungsordnungen als den verwaltungsinternen Regelungen über Verfahren und Kriterien der Vergabe eine mittelbare Außenwirkung zukommen. Jeder Bewerber muss eine faire Chance erhalten, nach Maßgabe der für den spezifischen Auftrag wesentlichen Kriterien und des vorgesehenen Verfahrens berücksichtigt zu werden. Eine Abweichung von solchen Vorgaben kann eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG bedeuten. Insofern verfügt jeder Bewerber über ein subjektives Recht, für das effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden muss (vgl. BVerfG a.a.O. S. 3703 Rz. 64f.). Das bedeutet, dass in Vergabeverfahren, die nach der VOL/A oder VOB/A durchgeführt werden, ein Verstoß gegen die in den Verdingungsordnungen formulierten Vergabevorschriften eine Verletzung des Rechts der Bieter auf Berücksichtigung nach Maßgabe des vorgesehenen Verfahrens und damit eine Verletzung der über Art. 3 Abs. 1 GG geschützten Bieterrechte darstellt, sofern dadurch die Zuschlagschancen des betroffenen Bieters gleichheitswidrig beeinträchtigt werden und die betreffenden Verfahrensregeln auch die Gleichbehandlung der Bieter sicherstellen sollen (vgl. Krohn, Primärrechtsschutz außerhalb des Anwendungsbereiches des GWB, in: Müller-Wrede (Herausgeber), Kompendium des Vergaberechts, 2008, Rn. 23; Braun NZBau 2008, 160, 161).

Davon ausgehend kommt ein Unterlassungsanspruch in Betracht, wenn der Auftraggeber vorsätzlich rechtswidrig, sonst in unredlicher Absicht oder jedenfalls in Bezug auf das Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich gehandelt hat (vgl. OLG Hamm a.a.O.; OLG Stuttgart NZBau 2002, 395; LG Bad Kreuznach NZBau 2007, 471) bzw. wenn offenkundig ist, dass sich für die durch die zweigeteilte gesetzliche Regelung und die durch sie bewirkte Ungleichbehandlung kein sachlicher Grund finden lässt (vgl. Weyand, Vergaberecht, 2012, GWB § 100 Rn. 1238 ff., 1242). Dabei ist bezogen auf den Streitfall anzunehmen, dass solche Umstände, die ein willkürliches Verfahren begründen könnten, ausscheiden, wenn sich der Verfügungsbeklagte bei der Aufhebungsentscheidung von einem sachlichen Grund hat leiten lassen (OLG Brandenburg Urteil vom 2.10.2008 AZ 12 U 91/08). Art. 3 Abs. 1 GG ist bei der Vergabe öffentlicher Aufträge erst dann verletzt, wenn die Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruhen, es muss mithin eine „krasse Fehlentscheidung“ vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.02.2008 - 1 BvR 437/08 - zitiert nach ibr-online).

Entgegen der Ansicht der Verfügungsklägerin ist der Maßstab auch kein anderer, wenn nach der Rechtsprechung des EuGH das Primärrecht der Europäischen Union im Unterschwellenbereich zu beachten ist, weil ein grenzüberschreitendes Interesse an dem Auftrag vorliegt. Zunächst sind ausreichende Anhaltspunkte für ein grenzüberschreitendes Interesse von der Verfügungsklägerin nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht und auch sonst nicht ersichtlich. Dies erscheint im Hinblick auf den verhältnismäßig geringen Auftragswert von 260.000 € zweifelhaft. Die Tatsache, dass die vorgesehenen Bauleistungen in einer Grenzregion auszuführen sind, dürfte nicht ausreichen (vgl. Urteil des EuGH vom 23.12.2009, VergabeR 2010,469 Rz 25 m.w.N.).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unterscheiden sich der Ober- und der Unterschwellenbereich dadurch, dass der Ersterer den in den Vergabekoordinierungsrichtlinien detailliert vorgesehenen, besonderen und strengen Regeln unterliegt, die im Bereich unterhalb des jeweils einschlägigen Schwellenwerts, der auch im Streitfall nicht erreicht worden ist, nicht gelten (EuGH Urteil vom 15.5.2008, VergabeR 2008,625). Hier müssen öffentliche Auftraggeber nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union aber das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und sonst die "grundlegenden Vorschriften" des Unionsrechts beachten (EuGH, aaORn. 20), insbesondere diejenigen über die Freiheit des Warenverkehrs, die Dienstleistungsfreiheit und das Niederlassungsrecht, sowie die daraus abgeleiteten Grundprinzipien, insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Verhältnis-mäßigkeit und der Transparenz (EuGH, Urteil vom 23. Dezember 2009 - VergabeR 2009, 469 Rn. 23 - Serrantoni).

Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Aufhebung der Ausschreibung ist zum Einen bereits deshalb nicht gegeben, weil die Entscheidung über die Aufhebung nicht nur die Verfügungsklägerin, sondern sämtliche am Verfahren beteiligten Bieter gleichermaßen betrifft, so dass eine Ungleichbehandlung der Verfügungsklägerin gegenüber einem anderen Mitbewerber bereits aus diesem Grunde ausscheidet.

Zum Anderen hat die Verfügungsklägerin nicht glaubhaft zu machen vermocht, dass die Entscheidung des Verfügungsbeklagten zur Aufhebung der Ausschreibung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. Der Verfügungsbeklagte hat zur Begründung seiner Aufhebungsentscheidung mit Schreiben vom 31.7.2012 u. a. angeführt, dass die öffentliche Ausschreibung deshalb aufgehoben wurde, weil er festgestellt hatte, dass ein Mengen Fehler bei der Ermittlung der Leistungen entstanden sei. Einschließlich des vorgesehenen Profilausgleichs bestehe nur ein Bedarf von 940 in Tonnen Kaltasphalt gegenüber der ursprünglichen Ausschreibung von der 1150 t. Da es sich bei diesem Teil der Bauleistung um rund 75 % der Gesamtkosten handele und nicht ausgeschlossen sei, dass sich im Hinblick auf die reduzierte Menger auch Materialpreise und Leistungsanreize verändern würden, liege ein schwerwiegender Grund im Sinne von § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A vor.

Die Ausführungen des Verfügungsbeklagten lassen jedenfalls erkennen, dass die Entscheidung über die Aufhebung auf sachlichen Erwägungen beruht, unter Abwägung der für und gegen eine Aufhebung sprechenden Umstände erfolgt ist und somit eine willkürliche oder unsachlich motivierte Vorgehensweise des Verfügungsbeklagten, die sich als „krasse Fehlentscheidung“ darstellt, nicht festgestellt werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass diese Erwägungen erst im Nachhinein vorgenommen worden sind, sind nicht ersichtlich; im Übrigen wäre der Verfügungsbeklagte auch nicht daran gehindert, eine sachliche Begründung für die Aufhebungsentscheidung noch in dem laufenden Rechtsstreit „nachzuschieben“.

Die Annahme eines sachlichen Grundes besagt im Übrigen nichts darüber, ob der Verfügungsbeklagte rechtmäßig gehandelt hat, ob ihm also ein schwerwiegender Grund i.S.d. § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A zur Seite gestanden hat oder die Aufhebung der Ausschreibung aus anderen Gründen gerechtfertigt war. Ein möglicherweise rechtswidriges Verhalten muss nicht zwingend willkürlich oder vorsätzlich rechtswidrig sein und der Verfügungsklägerin ein subjektives Recht auf Rücknahme der Aufhebung und Fortsetzung des Ausschreibungs-verfahrens einräumen (OLG Brandenburg a.a.O.).

Aus diesem Grunde kann letztlich dahinstehen, ob tatsächlich einer der Aufhebungsgründe des § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A vorgelegen hat. Auch die Tatsache, dass Auftraggeber sich grundsätzlich nicht auf Gründe berufen kann, die er selbst schuldhaft herbeigeführt hat (OLG München 28.8.2012, AZ: VerG 11/12; Kapellmann/Messerschmidt-Glahs, a.a.O., § 17 VOB/A, Rdn 12), führt vorliegend nicht zur Willkür der Aufhebung und damit nicht zu einer anderen Beurteilung.

Die Kostenentscheidung richtet sich daher nach § 91 I 1ZPO.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gem. §§ 53 I Nr. 1 GKG, 3 ZPO. Der Streitwert beträgt hier ca. 5 % des Bruttobetrages des von der Verfügungsklägerin eingereichten Angebots im Vergabeverfahren.