Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Niederlassungserlaubnis; mangelnde Sicherung des Lebensunterhalts; Ausnahmetatbestand...

Niederlassungserlaubnis; mangelnde Sicherung des Lebensunterhalts; Ausnahmetatbestand wegen Krankheit oder Behinderung; eingeschränkte Erwerbsfähigkeit; Erwerbsminderung; mangelnder Nachweis ernsthafter Arbeitsbemühungen


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 13.12.2011
Aktenzeichen OVG 12 B 10.11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 9 Abs 2 S 1 Nr 2 AufenthG, § 9 Abs 2 S 6 AufenthG, § 9 Abs 2 S 3 AufenthG

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Januar 2011 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die 1955 geborene Klägerin aus dem Kosovo begehrt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Nachdem die Klägerin sich bereits von Oktober 1990 bis Januar 1991 in Deutschland aufgehalten hatte, reiste sie Mitte 1992 erneut nach Deutschland ein und lebt seitdem mit dem 1949 geborenen R.N. in gemeinsamer Wohnung zusammen. Herr N. hält sich seit 1970 in Deutschland auf und war ausweislich des vorliegenden Versicherungsverlaufs über mehr als 30 Jahre in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Aus der Beziehung der Klägerin mit Herrn N., den sie 1994 geheiratet hat, sind drei gemeinsame Kinder hervorgegangen. Nach den Angaben der Klägerin und ihres Ehemannes in der mündlichen Verhandlung wohnen die Kinder unverändert im elterlichen Haushalt und befinden sich in einer Ausbildung bzw. einem Studium. Herr N. ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Seit November 1994 sind der Klägerin befristete Aufenthaltserlaubnisse zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft erteilt worden.

Ausweislich eines Vermerks in der Ausländerakte der Klägerin gab Herr N. im März 2009 bei einer Vorsprache in der Ausländerbehörde an, weder er noch seine Frau seien um Arbeit bemüht. Er selbst sei zu alt und seine Frau sei bestimmt auch noch für das nächste Jahr krank geschrieben. Daraufhin hörte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 24. März 2009 zur beabsichtigten Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis wegen fehlender Sicherung des Lebensunterhaltes an. Die Klägerin beantragte daraufhin neben der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis auch die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Sie fügte dem Antrag zahlreiche ärztliche Atteste und Bescheinigungen über Krankenhausaufenthalte seit dem Jahre 1995 und über fortbestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen bei. Daneben legte sie Begutachtungen des Vertragsarztes der Bundesagentur für Arbeit vom 27. Juli 2007 und 16. November 2009 vor, in denen es heißt, dass die Klägerin im Umfang von täglich 3 bis 6 Stunden für leichte Tätigkeiten arbeitsfähig sei. In der Begutachtung vom 16. November 2009 wird darüber hinaus angegeben, nach eingehender Untersuchung und unter Einbeziehung der Krankengeschichte und der vorliegenden zahlreichen ärztlichen Unterlagen bestehe bei der Klägerin aus sozialmedizinischer Sicht nur Leistungsfähigkeit für 4 Stunden täglich für leichte Arbeiten entsprechend dem Leistungsprofil. Die Einschränkungen würden als dauerhaft eingeschätzt.

In den Jahren 2005 bis 2008 nahm die Klägerin an mehreren Maßnahmen im Rahmen des Projektes „Schaffung von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ sowie an Qualifizierungsmaßnahmen zur Förderung des Erwerbs der deutschen Sprache und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt teil. Zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses kam es nicht. Die Klägerin bezieht seit längerer Zeit Leistungen nach dem SGB II.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 8. Juli 2009 die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab. Er gab zur Begründung an, die Klägerin sei nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu sichern. Ein Nachweis dafür, dass dieser Umstand auf einer körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung oder auf einer Behinderung beruhe, sei nicht erbracht. Aus dem vorgelegten Gutachten der Bundesagentur für Arbeit ergebe sich nicht, dass die Klägerin erwerbsunfähig sei. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin, deren Aufenthaltserlaubnis mittlerweile verlängert worden war, gegen diese Verwaltungsentscheidung Klage.

Zur Begründung hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht, sie sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu sichern und könne sich daher auf die gesetzliche Ausnahmevorschrift in § 9 Abs. 2 Satz 3 und 6 AufenthG berufen.

Demgegenüber hat der Beklagte im erstinstanzlichen Klageverfahren die Auffassung vertreten, § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG sei nur im Falle der dauerhaften Erwerbsunfähigkeit anzuwenden.

Mit Urteil vom 25. Januar 2011 hat das Verwaltungsgericht Berlin den Beklagten verpflichtet, der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Die Klägerin sei zwar nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu sichern, doch sei gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 und 6 AufenthG von diesem Erfordernis abzusehen, weil sie die Voraussetzung wegen ihrer Erkrankung nicht erfüllen könne. Auch wenn keine vollständige Erwerbsunfähigkeit vorliege, sei die Vorschrift anwendbar, denn es erfolge im Gesetz keine Differenzierung nach dem Umfang der Erwerbsminderung. Daher bedürfe es stets einer einzelfallbezogenen Betrachtung dahingehend, inwieweit der Ausländer bei einer ihm theoretisch möglichen Tätigkeit seinen Lebensunterhalt verdienen könne. Danach sei hier nicht erkennbar, dass die Klägerin in der Lage sei, ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. In diesem Zusammenhang müsse auch davon ausgegangen werden, dass die Klägerin (noch) ausreichende Bemühungen um eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt nachgewiesen habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Beklagten. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er halte zwar nicht mehr an der bisher vertretenen Auffassung fest, dass nur vollständig Erwerbsunfähige von der Privilegierung des § 9 Abs. 2 Satz 3 und 6 AufenthG erfasst würden. Dem Ergebnis des Verwaltungsgerichts könne jedoch gleichwohl nicht gefolgt werden. Die genannte Bestimmung sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Ursächlich für die fehlende Lebensunterhaltssicherung müsse allein die festgestellte Krankheit oder Behinderung sein. Sei ein Ausländer eingeschränkt erwerbsfähig, habe die fehlende Lebensunterhaltssicherung ihre Ursache regelmäßig nicht ausschließlich in der Krankheit oder Behinderung. Vielmehr müssten zusätzlich andere Umstände - wie vorliegend die geringe berufliche Qualifikation der Klägerin - hinzutreten, um eine mögliche Unterhaltssicherung als unwahrscheinlich erscheinen zu lassen. Erforderlich sei daher stets, dass der nur eingeschränkt Erwerbsfähige, der seinen Lebensunterhalt nicht sichern könne, aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung auch nicht in der Lage sei, sich weiter beruflich zu qualifizieren, um seine Einkommensaussichten zu verbessern. Einen entsprechenden Nachweis habe die Klägerin nicht beigebracht.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Januar 2011 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die trotz ordnungsgemäßer Ladung ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anwaltlich nicht vertretene Klägerin verteidigt inhaltlich das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsstreitakte und die von dem Beklagten eingereichte Ausländerakte der Klägerin Bezug genommen. Die Akten haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Senats gemacht worden.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Unrecht stattgegeben, wobei der Senat der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung in weiten Teilen folgt. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten erweisen sich somit als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis.

Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Klageanspruch kommt nur § 9 Abs. 2 AufenthG in Betracht. Die Klägerin besitzt seit 1994 eine Aufenthaltserlaubnis und erfüllt damit die Voraussetzung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass es deshalb unter Berücksichtigung der Privilegierungen in § 104 Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG allein an der Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG fehlt, weil die Klägerin seit Jahren öffentliche Leistungen nach dem SGB II bezieht.

Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Urteil die Auffassung vertritt, die Klägerin könne sich mit Erfolg auf die in § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG bestimmte Ausnahme berufen, wonach von den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 abgesehen werden kann, folgt der Senat dem im Ergebnis nicht.

Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG wird auf die Einhaltung der Voraussetzung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 verzichtet, wenn der Ausländer diese aus den in Satz 3 genannten Gründen nicht erfüllen kann. § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG bestimmt in diesem Zusammenhang, dass von der Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung abgesehen wird, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann. Mit dem Verwaltungsgericht nimmt der Senat an, dass sich auch der noch eingeschränkt erwerbsunfähige Ausländer auf den Ausnahmetatbestand nach § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG berufen kann, wenn er wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Die Regelung enthält weder eine Verpflichtung zur beruflichen Weiterqualifizierung noch wird der Nachweis krankheitsbedingter Unmöglichkeit einer Weiterqualifizierung gefordert (vgl. dazu wegen der Einzelheiten der Begründung Urteil des Senats vom 13. Dezember 2011 - OVG 12 B 24.11).

Daraus folgt indessen nicht, dass jeder aufgrund einer Krankheit oder Behinderung eingeschränkt Erwerbsfähige ohne Weiteres die genannte Privilegierung für sich in Anspruch nehmen kann. Hinzukommen muss vielmehr das Bemühen und die erkennbare Anstrengung, die fortbestehende oder verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung von Einkommen zu nutzen. Sind dahingehende Feststellungen nicht möglich, kommt die Anwendung der beschriebenen Ausnahmeregelung nicht in Betracht, weil in einem solchen Fall der Nachweis der Kausalität der eingeschränkten Erwerbsfähigkeit für die mangelnde Unterhaltssicherung nicht geführt ist. Darauf aber kommt es entscheidend an. Soweit folglich das Verwaltungsgericht am Ende seiner Entscheidung konstatiert, im Fall der Klägerin könne davon ausgegangen werden, dass sie (noch) ausreichende Bemühungen um eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt nachgewiesen habe, folgt der Senat dem nicht. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin im Einzelnen aufgeführt und daraus den Schluss gezogen, es könne sich nicht zu ihren Lasten auswirken, dass sie nicht mehr Bemühungen um einen Arbeitsplatz nachgewiesen habe. Dem ist entgegenzuhalten, dass nach den Unterlagen, die die Klägerin im Verwaltungsverfahren bei dem Beklagten und im Verwaltungsstreitverfahren vorgelegt hat, messbare Bemühungen der Klägerin, ein Arbeitsverhältnis zu begründen, nicht verzeichnet werden können. Dazu hätte aber, zumindest nachdem der Ehemann der Klägerin nach langjähriger Beschäftigung seine Arbeit verloren hatte, Veranlassung bestanden. Dass die Klägerin in den vergangenen Jahren versucht hätte, eine ihr zumutbare Beschäftigung in dem Umfang aufzunehmen, wie er durch die ärztlichen Begutachtungen der Bundesagentur für Arbeit als zumutbar erachtet worden ist, ist nicht ersichtlich. Dazu muss festgestellt werden, dass die von der Klägerin zwischen 2005 und 2008 absolvierten Maßnahmen zum Versuch einer beruflichen Eingliederung und zur Verbesserung der Sprachkompetenz ohne jedes Ergebnis geblieben sind.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Klägerin sich ganz offenbar in den langen Jahren der Berufstätigkeit ihres Ehemannes ganz der Familie und der Versorgung der gemeinsamen drei Kinder gewidmet hat. Dass dies mit Erfolg geschehen ist, beweist der in der mündlichen Verhandlung dargestellte berufliche Werdegang der Kinder, die sämtlich die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Daraus entsteht der Eindruck, dass die Klägerin seit jeher dem Bild einer „Hausfrauenehe“ gefolgt ist und weiter folgt, in der der Ehemann für die Einkommenserzielung und die Ehefrau für die familiäre Versorgung, insbesondere das Wohl der gemeinsamen Kinder zuständig ist. Vor diesem Hintergrund vermittelt das Verhalten der Klägerin den Eindruck, dass es - unabhängig von ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen - nicht zu ihrem Lebensentwurf gehört, nach dem Ende der Berufstätigkeit ihres Ehemannes als nunmehr 56jährige Frau in dem ihr möglichen und zumutbaren Maße den Weg in eine Erwerbstätigkeit zu suchen. Auch wenn damit der Senat keine Zweifel an der durch die jahrzehntelange versicherungspflichtige Berufstätigkeit des Ehemannes der Klägern und die offensichtlich gelungene Eingliederung der gemeinsamen Kinder in die in Deutschland bestehenden Lebensverhältnisse verkörperten Rechtschaffenheit und Integration der Eheleute hat, kann die Klägerin damit die Vorteile der Privilegierung in § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG für sich nicht in Anspruch nehmen. Im Übrigen hat auch der Beklagte bereits erkannt (vgl. Bl. 142 der die Klägerin betreffenden Ausländerakte), dass die genannten Umstände keine Veranlassung bieten dürften, die Beendigung des Aufenthalts der Klägerin und ihres Ehemannes in Erwägung zu ziehen. Im Übrigen bleibt es der Klägerin unbenommen, bei einer weiteren Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und einen dadurch möglicherweise verursachten Eintritt vollständiger Erwerbsunfähigkeit oder aber mittels des Nachweises ernsthafter Arbeitsbemühungen bei dem Beklagten erneut einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zu stellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.