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Entscheidung 13 Sa 255/11


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 13. Kammer Entscheidungsdatum 24.06.2011
Aktenzeichen 13 Sa 255/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 242 BGB

Leitsatz

Auch leitende Angestellte können Ansprüche aus einer betrieblichen Übung herleiten.

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. Dezember 2010 - 55 Ca 17670/09 - wird auf ihre Kosten bei einem Streitwert von 6.345,00 EUR in der II. Instanz zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Jubiläumszahlung an den Kläger anlässlich des 25. Dienstjubiläums am 01.10.2006. Der Kläger ist der Vorsitzende des Gesamtsprecherausschusses der leitenden Angestellten bei der Beklagten.

Mit der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen wurden „über die Jahre hinweg immer wieder in unterschiedlicher Höhe, teilweise auch durch Einzelfallentscheidungen, Jubiläumsleistungen gewährt“ (vgl. den Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 13.10.2009, S. 3, Bl. 10 d. A.), darunter auch an leitende Angestellte, und für diese Dienstjubiläen Rückstellung in Millionenhöhe gebildet (vgl. den Jahresabschluss zum 30.06.1999, Bl. 59 ff., 61, der eine Rückstellung zum 30.06.1999 für Dienstjubiläen i. H. v. von 16.941.350,00 Euro ausweist). Dabei wurde unstreitig zum 25. Dienstjubiläum mindestens ein Monatsgehalt seit dem 05.10.1981, dem Eintritt des Klägers in das Vorgängerunternehmen der Beklagten, bis zum Inkrafttreten der Gesamtbetriebsvereinbarung ab 30.06.1999 als Jubiläumsleistung gezahlt.

Mit Datum vom 04.11.1999 schloss der Gesamtbetriebsrat mit Wirkung ab 30.06.1999 mit der Beklagten eine Gesamtbetriebsvereinbarung über die Behandlung von Dienstjubiläen (im Folgenden: GBV). Dort heißt es in I.1. und II.1.:

„1. Ein Dienstjubiläum tritt ein bei ununterbrochener Betriebszugehörigkeit nach 10, 25 und 40 Dienstjahren (erstes, zweites und drittes Dienstjubiläum).

        

…       

        

1. Dienstjubilare erhalten folgendes Jubiläumsgeld:

        

a) erstes Dienstjubiläum ein halbes Monatsgehalt, wobei das zuletzt gezahlte Monatsfestgehalt relevant ist.

b) zweites Dienstjubiläum ein Monatsgehalt, wobei das zuletzt gezahlte Monatsfestgehalt relevant ist.

c) drittes Dienstjubiläum ein Monatsgehalt, wobei das zuletzt gezahlte Monatsfestgehalt relevant ist.

die auf das Jubiläumsgeld zu zahlenden Steuern hat der Jubilar zu tragen. Das Jubiläumsgeld wird im Monat des Jubiläums fällig und zusammen mit dem Monatsgehalt gezahlt.

        

…“    

(vgl. die Gesamtbetriebsvereinbarung in Kopie Bl. 89-91 d. A.). Ohne dass hierüber eine Richtlinie mit dem Sprecherausschuss der leitenden Angestellten geschlossen wurde, erhielten auch leitende Angestellte analog dieser GBV Jubiläumszuwendungen in Geld. Anlässlich seines 25. Dienstjubiläums hat der Kläger von der Beklagten zunächst ein Monatsgehalt i. H. v. 6.345,00 Euro brutto nebst Zinsen seit dem 01.11.2006, später drei Monatsgehälter i. H. v. 19.035,00 Euro brutto nebst Zinsen gefordert und sich zur Begründung auf eine betriebliche Übung berufen.

Das Arbeitsgericht Berlin hat der am 30.09.2009 erhobenen Klage hinsichtlich der Zahlung eines Bruttomonatsgehalts nebst Zinsen entsprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien in der I. Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15.12.2010 (Bl. 232-250 d. A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 28.01.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 01.02.2011 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangene und am 28.04.2011 nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.04.2011 begründete Berufung der Beklagten.

Sie meint, dass ein Anspruch des Klägers aus der Zeit vor Inkrafttreten der GBV nicht bestanden habe, da unstreitig Jubiläumszahlungen in unterschiedlicher Höhe erbracht worden seien. Andere Anspruchsgrundlagen als eine betriebliche Übung schieden ebenfalls aus. Angesichts der kurzen Anwendungsdauer könne auch die analoge Anwendung der bis 2004 geltenden GBV keine eigenständige betriebliche Übung begründen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 15.12.2010 – 55 Ca 17670/09 – die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und meint, dass er schon aus der Zeit vor Inkrafttreten der GBV einen Anspruch auf Zahlung von mindestens einem Monatsgehalt zum 25. Dienstjubiläum habe, jedenfalls aber seit Inkrafttreten der GBV.

Wegen des weiteren konkreten Parteivortrags in der II. Instanz wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 28.04.2011 (Bl. 266 ff. d. A.) und 21.06.2011 (Bl. 296 ff. d. A.) sowie des Klägers vom 03.06.2011 (Bl. 285 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b, Abs. 6; 66 Abs. 1 S.1 und S. 5 ArbGG; §§ 519, 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache hat die Berufung der Beklagten jedoch keinen Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus betrieblicher Übung – der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage – auf Zahlung eines Bruttomonatsgehalts anlässlich seines 25. Dienstjubiläums i. H. v. unstreitigen 6.345,00 Euro brutto.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG wird unter einer betrieblichen Übung die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitsgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Dem Verhalten des Arbeitgebers wird eine konkludente Willenserklärung entnommen, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 BGB angenommen werden kann. Dadurch wird ein vertragliches Schuldverhältnis geschaffen, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit einem entsprechenden Verpflichtungswillen gehandelt hat. Die Wirkung einer Willenserklärung oder eines bestimmten Verhaltens tritt im Rechtsverkehr schon dann ein, wenn der Erklärende aus der Sicht des Erklärungsempfängers einen auf eine bestimmte Rechtswirkung gerichteten Willen geäußert hat. Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung aufgrund der Gewährung von Leistungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss deshalb danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte gemäß § 242 BGB und der Begleitumstände auf ein Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften.

Eine Bindung des Arbeitgebers durch betriebliche Übung kann auch bezüglich Einmalleistung entstehen. Bei Jubiläumszuwendungen sind als Bezugsperiode nur Zeiträume zu betrachten, in denen sie tatsächlich vom Arbeitgeber erbracht wurden. Jahre, in denen eine Jubiläumszuwendung weder anfiel noch gezahlt wurde, können weder zu Gunsten noch zu Lasten berücksichtigt werden. Es ist dabei unerheblich, ob der betreffende Arbeitnehmer selbst bisher schon in die Übung einbezogen worden ist. Eine Mitteilung über die an andere Arbeitnehmer erfolgten Zahlungen gegenüber den übrigen Arbeitnehmern ist ebenso wenig erforderlich wie eine allgemeine Veröffentlichung im Betrieb. Es ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass derartige begünstigende Leistungen allgemeine bekannt werden. Eine allgemeinverbindliche Regel, ab welcher Anzahl von Leistungen der Arbeitnehmer erwarten darf, dass auch er die Leistung erhält, sobald er die Voraussetzungen erfüllt, gibt es nicht. Die Regel, dass eine dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarkt, ist für jährlich an die gesamte Belegschaft geleistete Gratifikationen aufgestellt worden. Bei anderen Sozialleistungen ist auf Art, Dauer und Intensität der Leistungen abzustellen. Wie lange die Übung bestehen muss, damit die Arbeitnehmer berechtigt erwarten können, dass sie fortgesetzt werde, hängt davon ab, wie häufig die Leistungen erbracht worden sind. Dabei kommt es auf die Zahl der Anwendungsfälle im Verhältnis zur Belegschaftsstärke an. Ferner sind in die Bewertung der Relation von Anzahl der Wiederholungen und Dauer der Übungen auch Art und Inhalt der Leistung einzubeziehen. Bei für den Arbeitnehmer weniger wichtigen Leistungen sind an die Zahl der Wiederholungen höhere Anforderungen zu stellen, als bei bedeutsameren Leistungsinhalten (vgl. nur BAG 28.05.2008 – 10 AZR 274/07- EzA § 242 BGB 2002 Betriebliche Übung Nr. 8, Rz. 15 ff. m.w.N. aus der ständigen Rechtsprechung des BAG).

2. Nach diesen Maßstäben ist ein Anspruch aus betrieblicher Übung auf Jubiläumszuwendungen in bisheriger Höhe von einem Bruttomonatsgehalt, vorliegend also i. H. v. 6.345,00 Euro, entstanden.

a) Der Beklagte war weder durch individuelle Arbeitsverträge noch durch Betriebsvereinbarungen, Richtlinien nach dem Sprecherausschussgesetz, Tarifvertrag oder Gesetz zur Zahlung von Jubiläumszuwendungen verpflichtet. Gleichwohl hat sie über Jahre hinweg Zuwendungen für 25. Betriebsjubiläen in Höhe eines Monatsgehalts brutto insbesondere auch an leitende Angestellte geleistet. Die Zahlung aufgrund der GBV band die Beklagte gegenüber den leitenden Angestellten nicht, da das für die GBV die gesetzliche Grundlage bildende BetrVG gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG auf leitende Angestellte keine Anwendung findet. Für eine gegenüber einer betrieblichen Übung vorrangigen Anspruchsnorm hätte es einer Richtlinie gemäß § 28 Abs. 1 SprAuG bedurft, die vorliegend unstreitig nicht vorliegt.

Schließlich finden die Grundsätze der betrieblichen Übung auch auf leitende Angestellte Anwendung. Denn leitende Angestellte, sind Arbeitnehmer im allgemeinen arbeitsrechtlichen Sinn. Sie sind aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet (vgl. nur Fitting, BetrVG, 25. Aufl. 2010, § 5 Rz. 340).

b) Aufgrund der jahrelang geübten Praxis der Beklagten konnten auch die übrigen Arbeitnehmer davon ausgehen, sie würden dieselben Leistungen bekommen, sobald sie ihrerseits die Voraussetzungen erfüllte. Die Einzelleistungen beruhten auf einem generalisierenden Prinzip, welches in der GBV für die nichtleitenden Angestellten festgeschrieben und unstreitig analog für die leitenden Angestellten angewandt wurde. Mit dem Bekanntwerden der auf einem generalisierenden Prinzip beruhenden Einzelleistungen in Verbindung mit dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes wird ein zurechenbarer objektiver Bindungswille des Arbeitgebers deutlich (vgl. nur BAG, 28.05.2008, a.a.O., zu Rz. 23 m.w.N.).

c) Die Zahl der Anwendungsfälle im Verhältnis zur Belegschaftsstärke ist auch ausreichend hoch.

Dabei haben die absoluten Zahlen vorliegend keine Bedeutung. Denn unstreitig haben alle Angestellten inklusive der leitenden Angestellten während der fünf Jahre der Laufzeit der GBV Jubiläumszahlungen nach dem Muster der GBV erhalten. Die Zahl der leitenden Angestellten im Unternehmen der Beklagten ist auch nicht unbedeutend. Da ein Gesamtsprecherausschuss besteht, muss es mindestens zwei Betriebe der Beklagten mit mindestens jeweils zehn leitenden Angestellten geben (vgl. § 1 Abs. 1; § 16 Abs. 1 SprAuG).

Der Zeitraum der Gewährung von fünf Jahren mit einem generalisierenden und für alle Mitarbeiter geltenden Maßstab ist vorliegend auch ausreichend, um eine betriebliche Übung festzustellen. Zum einen ist der Zeitraum im Hinblick auf die Regeln für sonstige Gratifikationen (dreimalige vorbehaltslose Gewährung) bei einer jährlichen Zahlung fast doppelt so hoch. Zum anderen haben die Beklagte bzw. ihre rechtlichen Vorgängerinnen seit dem Eintritt des Klägers 1981 unstreitig mindestens ein Monatsgehalt bei Jubiläen geleistet.

d) Die Leistungen der Beklagten sind auch nicht im Verhältnis zur Zahl ihrer Anwendungsfälle unbedeutend. Das Jubiläumsgeld zum 25. Dienstjubiläum beträgt ein Monatsgehalt. Es sind Rückstellungen zum 30.06.1999 i. H. v. 16.941.350,00 Euro geleistet worden.

e) Der Anspruch auf Zahlung einer Zuwendung für das 25. Betriebsjubiläum in Höhe eines Bruttomonatsgehalts ist damit zum Inhalt des Arbeitsvertrages des Klägers geworden, da der Arbeitgeber mittels der betrieblichen Übung einseitig vertragliche Ansprüche geschaffen hat (vgl. BAG, 28.05.2008 – a.a.O., Rz. 27).

3. Der Anspruch des Klägers aus betrieblicher Übung ist auch nicht wirksam beseitigt worden oder entfallen.

a) Ist ein Anspruch aufgrund einer betrieblichen Übung entstanden, kann er nur durch Kündigung oder einzelvertragliche Vertragsänderung wieder beseitigt werden. Erfüllt der Arbeitgeber berechtigte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht oder hat der Arbeitgeber ein Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter geänderten Bedingungen abgegeben und schweigt der Arbeitnehmer hierzu, liegt im Verhalten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer weder ein Angebot noch eine Annahmeerklärung (vgl. dazu die im Verhandlungstermin erörterte Entscheidung des BAG vom 25.11.2009 – 10 AZR 779/08 – EzA § 242 BGB 2002 Betriebliche Übung Nr. 11). Dementsprechend konnte vorliegend die Absichtserklärung der Beklagten bereits zur Laufzeit der GBV auch an die leitenden Angestellten, nach dem 30.06.2004 keine Jubiläumsgeldzahlungen mehr zu leisten, die Ansprüche des Klägers nicht mehr beseitigen.

b) Die Ansprüche des Klägers sind aber auch nicht unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten entfallen. Denn die Beklagte hat die nichtleitenden Angestellten und die leitenden Angestellten nicht gleich behandelt. Sie hat den nichtleitenden Angestellten Jubiläumsgelder auf Grund einer (freiwilligen) Betriebsvereinbarung gezahlt, aus der die Arbeitnehmer nach Kündigung der GBV und der Erklärung der Beklagten, zukünftig für den bisherigen Leistungszweck keine Jubiläumszuwendungen mehr zu erbringen, keine Ansprüche herleiten können (vgl. zuletzt BAG 05.10.2010 – 1 ABR 20/09 – EzA § 87 BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 23). Demgegenüber hat sie für die leitenden Angestellten einseitig vertragliche Ansprüche geschaffen statt gemäß § 28 Abs. 1 SprAuG eine Richtlinie auf kollektiver Basis abzuschließen. Die unterschiedlichen Konsequenzen aus dieser Handhabung ergeben sich im vorliegenden Fall.

III.

Die Beklagte hat daher die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

IV.

Für eine Zulassung der Revision bestand entgegen der Auffassung der Beklagten kein Anlass. Die Entscheidung hält sich an die obergerichtliche zitierte Rechtsprechung und hat deren Grundsätze auf den vorliegenden Einzelfall angewandt.