Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 15.11.2011 | |
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Aktenzeichen | L 1 KR 295/11 B ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 133 BGB, § 52 Abs 1 SGB 10 |
Zur Auslegung eines Mahnschreibens
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. September 2011 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 558,-- € festgesetzt.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die Beschwerde ist zulässig. Der etwaig einzuhaltende Beschwerdewert von 750,-- € nach §§ 172 Abs. 3 Nr. 1, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wird erreicht. Im Streit ist nicht nur die Festsetzung von (bisher) 744,-- € Säumniszuschläge, sondern auch die ab November 2010 in Höhe von 15,50 € monatlich anfallenden.
Es kann somit dahingestellt bleiben, ob es sich angesichts der insoweit feststellenden Wirkung des angegriffenen Widerspruchsbescheids bei der Klage gegen diesen um eine gegen einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt im Sinne des § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG handelt.
Die Beschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg. Zur Sachverhalt und zur Begründung nimmt der Senat auf die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Bezug, deren sorgfältig dargestellte Gründe er sich zu Eigen macht (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).
Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung:
Der Senat teilt die Auffassung der Antragsgegnerin nicht, dass die Bezeichnung eines Schreibens für die Frage, ob es aus objektivierter Empfängersicht als Verwaltungsakt nach § 31 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) anzusehen ist, unmaßgeblich sei. Die Bezeichnung spricht vielmehr als solche für die Annahme, die Behörde wolle eine der Bezeichnung entsprechende Erklärung abgeben.
Denn insoweit handelt es sich um einen Teil der zu berücksichtigenden Gesamtumstände:
Die Auslegung, ob ein Verwaltungsakt erlassen werden soll und mit welchem Inhalt, richtet sich nach den für Willenserklärungen maßgebenden Auslegungsgrundsätzen. Dabei ist § 133 Bürgerliches Gesetzbuch heranzuziehen (Bundessozialgericht –BSG- SozR 2200 § 1409 Nr. 2) und das gesamte Verhalten des Erklärenden zu berücksichtigen; neben dem Erklärungswortlaut kommt es auch auf die Begleitumstände, insbesondere dem Zweck der Erklärung an. Das danach maßgebende Gesamtverhalten des Erklärenden ist vom Standpunkt dessen zu bewerten, für den die Erklärung bestimmt ist. Maßgebend ist somit nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn bei objektiver Würdigung der Empfänger verstehen konnte (BSG a.a.O.; BSGE 48, 57; BSG VersorgB 1983, 131). Maßgebend ist also nicht, was die Verwaltung mit ihrer Erklärung gewollt hat, sondern wie der Empfänger sie verstehen durfte; andererseits kann der Empfänger sich nicht darauf berufen, er habe die Erklärung in einem bestimmten Sinne verstanden, wenn diese objektiv - unter Berücksichtigung aller Umstände - nicht so verstanden werden konnte (so insgesamt weitgehend wörtlich BSG, U. v. 08.12.1993 - 10 RKg 19/92, juris-Rdnr. 20). Hier durfte der Antragssteller das mit „Beitragsforderung der Kasse hier: Erneute Mahnung – Neubeginn der Verjährung“ überschriebene Schreiben als das auffassen, als das es im Betreff bezeichnet wurde. Das Schreiben macht auch als Mahnung Sinn: Der Antragssteller als Empfänger wird auf die Höhe der bereits aufgelaufenen Forderung hingewiesen. Der Zusatz „Neubeginn der Verjährung“ mag zwar darauf hinweisen, dass die Antragsgegnerin die Herbeiführung der Rechtsfolge des § 52 Abs. 1 SGB X (Hemmung der Verjährung) bezweckt haben könnte. Dies wird aber aus dem restlichen Inhalt des Schreibens nicht deutlich. Kenntnis der zitierten Vorschrift konnte die Antragsgegnerin jedenfalls nicht voraussetzen.
Auch dem Umstand, dass das Mahnschreiben förmlich zugestellt wurde, kommt für sich alleine betrachtet wie in der Gesamtschau keine relevante indizielle Bedeutung zu. Der Nachweis des Zugangs ist nämlich nicht nur bei Bescheiden sinnvoll, sondern auch bei anderen Erklärungen einer Behörde, sei es bei (echten) Willenserklärungen wie bei Kündigungen, sei es bei willenserklärungsähnlichen wie Mahnungen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Abs. 1 und 2, 43 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (die Hälfte des im Hauptsacheverfahren angefallenen Betrages in Höhe von 744 € + 12 x 15,50 € Säumniszuschläge bis jetzt + 12 x 15,50 € künftige Säumniszuschläge entsprechend §§ 43 Abs. 2 i. V. m. 42 Abs. 2 S. 1 GKG).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).