Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 25.05.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 5 A 1.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 3 Abs 1 GG, § 47 Abs 1 Nr 2 VwGO, § 26 Abs 1 OBG BB, § 1 Abs 1 HuHV BB, § 3 HuHV BB |
Die Anträge werden abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens haben die Antragstellerinnen zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsstellerinnen können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die im Ortsteil Alt Golm der Gemeinde Rietz-Neuendorf im Landkreis Oder-Spree wohnhaften Antragstellerinnen wenden sich als Hundehalterinnen gegen die Anordnung eines allgemeinen Leinenzwanges für Hunde in der Ortslage Alt Golm in zwei ordnungsbehördlichen Verordnungen der Gemeinde.
In der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet der Gemeinde Rietz-Neuendorf vom 28. September 2009 - GemO 2009 -, veröffentlicht im Amtsblatt der Gemeinde Rietz-Neuendorf vom 10. November 2009, Seite 2, ist ausschließlich geregelt, dass Hunde in der Ortslage Alt Golm nur angeleint geführt werden dürfen (§ 2). Die Anleinpflicht ist gem. § 3 bußgeldbewehrt; die Gemeindeordnung ist am 11. November 2009 in Kraft getreten (§ 4).
In der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf dem Gebiet der Gemeinde Rietz-Neuendorf vom 17. Mai 2010 - GemO 2010 - (ABl. vom 23. Juni 2010, Seite 2) ist neben zahlreichen anderen Regelungen ebenfalls vorgeschrieben, dass Hunde in der Ortslage Alt Golm nur angeleint geführt werden dürfen (§ 5 Abs. 3). Die Anleinpflicht ist gem. § 10 Abs. 1 Nr. 3 bußgeldbewehrt; diese Gemeindeordnung ist am 30. Juni 2010 in Kraft getreten (§ 11). Die Aufhebung der Gemeindeordnung vom 28. September 2009 ist infolge eines Versehens unterblieben.
Mit ihrem am 3. August 2010 eingegangenen Antrag begehren die Antragstelle-rinnen, die Gemeindeordnung 2009 insgesamt und die Gemeindeordnung 2010 in § 5 Abs. 3 für unwirksam zu erklären. Zur Begründung tragen sie vor: Die beiden Gemeindeordnungen entbehrten einer Ermächtigungsgrundlage. Soweit in ihren Einleitungen jeweils auf § 10 Abs. 4 des Landesimmissionsschutzgesetzes Bezug genommen werde, erschließe sich der Zusammenhang nicht. Die weiter zitierte Vorschrift des § 26 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes ermächtige nur zum Erlass von Verordnungen zur Abwehr abstrakter Gefahren. Dafür, dass von unangeleinten Hunden in der Ortslage Alt Golm generell Gefahren für andere Hunde oder für Menschen ausgingen, gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Auf den Gemeindevertreterversammlungen sei lediglich von diffusen Ängsten älterer Leute die Rede gewesen. Zwar seien ihre Hunde in mehrere Beißvorfälle verwickelt gewesen. Jedoch hätten sie keine, jedenfalls keine schwerwiegenden Verletzungen zur Folge gehabt und lägen teilweise mehrere Jahre zurück. Außerdem hätten sich die Vorfälle überwiegend außerhalb der Ortslage zugetragen. Die eingeleiteten Verwaltungs- und Bußgeldverfahren seien überwiegend eingestellt worden. Die Antragstellerinnen verweisen in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 27. Januar 2005, nach der das subjektive Unsicherheitsgefühl den Erlass eines Leinenzwangs nicht rechtfertige. Im Übrigen gebe die Hundehalterverordnung dem Ordnungsamt schon genügend Mittel an die Hand, auffällig gewordene Hunde zu sanktionieren. Beim Zustandekommen der fraglichen Gemeindeordnungen seien die Verfahrensregeln nicht eingehalten worden. Den auf den Gemeindevertreterversammlungen anwesenden Hundehaltern sei kein Gehör gewährt worden. Insbesondere sei die „Initiative gegen die Diskriminierung von Hundehaltern in Alt Golm“ nicht gehört worden. Stattdessen seien nur am Leinenzwang interessierte Bürger zu Wort gekommen. Der Ortsvorsteher von Alt Golm, … sei Befürworter des Leinenzwangs und Mitglied der Gemeindevertreterversammlung. Der Antrag auf Erlass der Verordnung sei vom Ortsbeirat Alt Golm gestellt worden, deren Mitglieder H… maßgeblich in der Gemeindevertreterversammlung für den Erlass geworben hätten, während die Betroffenen keine Gelegenheit gehabt hätten, den Gemeindevertretern ihre Sicht der Dinge darzulegen. Das Thema sei von den Gemeindevertretern auf einer Zusammenkunft am 19. April 2010 vor der Beschlussfassung zur zweiten Gemeindeordnung diskutiert worden. Lediglich der Beschluss sei dann im Beisein der Öffentlichkeit auf der Gemeindevertreterversammlung gefasst worden. Die Öffentlichkeit sei zwar nicht ausgeschlossen gewesen, es sei aber auch nicht ausdrücklich eingeladen worden mit der Folge, dass sich die Betroffenen nicht hätten äußern können. Der Leinenzwang sei unverhältnismäßig, weil die Anleinpflicht für die Ortslage Alt Golm flächendeckend angeordnet worden sei, ohne Auslaufflächen vorzusehen. Auf Flächen außerhalb der Ortslage könnten Hundehalter nicht ausweichen, weil sich dort Waldflächen mit Wildschongebieten befänden, in denen das ganze Jahr über ein Leinenzwang bestehe. Älteren und gebrechlichen Hundehaltern seien die langen Wege ins Umland ohnehin nicht zuzumuten. Die umliegenden Äcker würden von privaten Eigentümern ganzjährig bewirtschaftet. Eine Wiese liege ca. 20 Min. Fußweg vom Ort entfernt. Die Fläche werde nur einmal im Jahr abgemäht und weise ansonsten einen Bewuchs von bis zu 1 m Höhe auf. Auf das im Eigentum des Ehemannes der Antragstellerin zu 1 stehende ca. 2 ha große Grundstück, bei dem es sich um eine Pferdekoppel handele, könnten die Antragstellerinnen und erst recht die übrigen Einwohner von Alt Golm nicht verwiesen werden. Es sei auch nicht gerechtfertigt, nur die Hundehalter von Alt Golm dem Anleinzwang zu unterwerfen. Weiter sei unberücksichtigt geblieben, dass es im ländlichen Gebiet Alt Golm selten zu Kontakten zwischen Hundehaltern, die mit ihren Hunden unterwegs seien, und anderen Mitbürgern komme. Die Gemeindeordnungen hätten schließlich zwischen gefährlichen und ungefährlichen ebenso wie zwischen kleinen und großen Hunden differenzieren müssen. Der generelle Leinenzwang und die damit verbundene dauernde Einschränkung für Hunde, ihrem Bewegungsbedürfnis nachzukommen und die arttypische Kommunikation mit anderen Hunden aufzunehmen, habe Verhaltensfehlentwicklungen zur Folge, die als Schäden im Sinne von §§ 1, 2 TierSchG anzusehen seien. Die Antragstellerinnen verweisen hierzu auf eine fachkundige Stellungnahme der Fachtierärztin für Verhaltens- und Tierschutzkunde Dr. Feddersen-Petersen vom Zoologischen Institut der Christian-Albrechts-Universität Kiel sowie auf einen Aufsatz in der Zeitschrift „Deutsches Tierärzteblatt“ 12/2008.
Die Antragstellerinnen beantragen,
§ 2 der ordnungsbehördlichen Verordnung der Gemeinde Rietz-Neuen-dorf vom 28. September 2009 sowie § 5 Abs. 3 der ordnungsbehördlichen Verordnung derselben Gemeinde vom 17. Mai 2010 für unwirksam zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor: Aufgrund der zahlreichen Beißvorfälle im Ortsteil Alt Golm habe es eine privat initiierte Unterschriftensammlung gegeben, bei der sich ein Viertel der Bewohner von Alt Golm für eine Leinenpflicht ausgesprochen hätten. Daraufhin sei vom Ortsbeirat Alt Golm ein entsprechender Antrag in der Gemeindevertreterversammlung eingebracht worden. Da die erste Gemeindeordnung von 2009 inhaltlich durch die zweite Gemeindeordnung 2010 abgelöst worden sei, bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung der Gemeindeordnung 2009. Deren erfolgreiche Anfechtung brächte für die Antragstellerinnen keine Verbesserung ihrer Rechtsstellung. Im Übrigen seien die Anträge unbegründet. Entgegen der Behauptung der Antragstellerinnen sei die Öffentlichkeit bei der Diskussion und Beschlussfassung in den Sitzungen des Ortsbeirats und der Gemeindevertretung nicht ausgeschlossen gewesen. Durch Amtliche Bekanntmachungen vom 16. September 2009 bzw. vom 3. Mai 2010 sei zu den Gemeindevertretersitzungen am 28. September 2009 und am 17. Mai 2010 ordnungsgemäß eingeladen worden. Bei der Sitzung vom 19. April 2010 habe es sich um eine nicht-öffentliche Zusammenkunft der Gemeindevertreter mit den Ortsbeiräten gehandelt, auf der die Frage einer Erstreckung der Anleinpflicht auf die übrigen Ortsteile der Gemeinde besprochen worden sei. Ein von den Antragstellerinnen in Anspruch genommenes Recht auf Anhörung der Hundehalter oder von Bürgerinitiativen bestehe nicht. Die Hundehalter hätten in den Einwohnerfragestunden bei den öffentlichen Sitzungen des Ortsbeirats und der Gemeindevertreterversammlung Gelegenheit zur Äußerung gehabt, von der auch einige Bürger Gebrauch gemacht hätten. Die Nennung des § 10 Abs. 4 LImSchG in der Präambel der Verordnungen sei bedenkenfrei, weil in der Verordnung 2010 auch Gegenstände des Immissionsschutzes, wie z.B. Ausnahmen von der Nachtruhe, geregelt würden. Die Anleinpflicht finde ihre Rechtsgrundlage in § 26 Abs. 1 OBG. Die hiernach erforderliche abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ergebe sich aus dem arttypischen Verhalten von Hunden. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung gehe von unangeleinten Hunden die Gefahr einer Verletzung von Menschen und Tieren aus. Dabei sei auch das zunächst bloß subjektive Unsicherheitsgefühl, das viele Menschen, vor allem Kinder und ältere Menschen, gegenüber frei laufenden Hunden beschleiche, zu berücksichtigen. Darüber hinaus gebe es konkrete dokumentierte Vorfälle, bei denen Menschen und andere Hunde auf dem Gebiet von Alt Golm zu Schaden gekommen seien. Das betreffe Beißvorfälle mit den Hunden der Antragstellerinnen vom 27. Oktober 2007, 30. Mai 2008 und 5. April 2009 sowie einen Beißvorfall zwischen Hunden am 18. Februar 2007, einen Beißvorfall am 11. April 2009, bei dem in Alt Golm ein Kind von einem freilaufenden Hund angesprungen und gebissen worden sei, sowie einen Vorfall vom 22. Oktober 2010, bei dem in Alt Golm ebenfalls ein Mensch durch einen freilaufenden Hund gebissen worden sei. Demgegenüber habe es in dem Zeitraum seit 2007 im übrigen Gemeindegebiet nur einen Vorfall im Ortsteil Drahendorf gegeben. Daraus werde ersichtlich, dass sich Alt Golm zu einem Gefahrenschwerpunkt entwickelt habe. Gerade mit der Beschränkung des Leinenzwanges auf die Ortslage Alt Golm habe die Gemeinde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen. Der Leinenzwang sei auch sonst verhältnismäßig. Es gebe außerhalb der Ortslage Alt Golm ausreichend Flächen, auf denen Hunde unangeleint herumlaufen könnten. Das gelte für die Hunde der Antragstellerin zu 1 im Besonderen, weil sie bzw. ihr Ehemann Eigentümer eines 2 ha großen Grundstücks sei, das für den Auslauf der Hunde nutzbar sei. Im Übrigen stünden in der Gemarkung Alt Golm ca. 380 ha Acker- und Wiesenflächen mitsamt Wegen zur Verfügung, die für den Auslauf genutzt und fußläufig erreicht werden könnten. Eine Differenzierung nach Art und Größe der Hunde sei vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gefordert. Nach dem Tierschutzgesetz seien die Hundehalter für eine artgerechte Haltung selbst verantwortlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den Entstehungsvorgang für beide Verordnungen Bezug genommen.
Die Normenkontrollanträge sind zulässig.
Bei beiden Gemeindeordnungen handelt es sich um jeweils im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften, über deren Gültigkeit das Oberverwaltungsgericht nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung im Land Brandenburg (Brandenburgisches Verwaltungsgerichtsgesetz - BbgVwGG) in der Fassung vom 22. November 1996 (GVBl. I S. 317), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. April 2009 (GVBl. I S. 26), auf Antrag entscheidet.
Die am 3. August 2010 eingegangenen Anträge sind gem. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO fristgerecht innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Gemeindeordnungen am 10. November 2009 bzw. 23. Juni 2010 gestellt worden.
Da der in beiden Gemeindeordnungen vorgeschriebene bußgeldbewehrte Leinenzwang als Verhaltenspflicht die Antragstellerinnen als Hundehalter zumindest in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) unmittelbar betrifft, sind sie antragsbefugt im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Der Erlass der Gemeindeordnung 2010 lässt das Interesse der Antragstellerinnen an der gerichtlichen Kontrolle der Gemeindeordnung 2009 nicht entfallen. Denn § 5 Abs. 3 GemO 2010 mag die gleichlautende Regelung in § 2 GemO 2009 inhaltlich insoweit ersetzt haben, dass die Regelung in der jüngeren Gemeindeordnung diejenige in der älteren Gemeindeordnung nach allgemeinen Kollisionsregeln verdrängt. Die Gemeindeordnung 2009 ist jedoch nicht förmlich außer Kraft gesetzt worden. Denn in § 11 Satz 2 GemO 2010 ist versehentlich das Außerkrafttreten einer nicht existierenden Gemeindeordnung vom 14. Dezember 2009 anstelle der Gemeindeordnung vom 28. September 2009 angeordnet. Mangels Änderung bzw. Aufhebung und mangels Beschränkung ihrer Geltungsdauer gilt die Gemeindeordnung 2009 nach § 31 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (Ordnungsbehördengesetz - OBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. August 1996 (GVBl. I S. 266), geändert durch Gesetz vom 23. September 2008 (GVBl. I S. 202, 206), deshalb bis zum 10. November 2029 fort. Allein die Erklärung der Unwirksamkeit von § 5 Abs. 3 GemO 2010 brächte den Antragstellerinnen somit keinen entscheidenden Vorteil, weil dann die gleichlautende Regelung in § 2 GemO 2009 wieder Anwendung fände. Da umgekehrt auch die Aufhebung der Regelung in § 2 GemO 2009 bei Fortgeltung der Regelung in § 5 Abs. 3 GemO 2010 den Antragstellerinnen für die Zukunft keinen Vorteil brächte und ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Aufhebung allein für den Zeitraum vom Inkrafttreten der Gemeindeordnung 2009 bis zum Inkrafttreten der Gemeindeordnung 2010 nicht ersichtlich ist, hat das zur Folge, dass beide Anträge nur im Verbund zulässig sind. Dieser Umstand ist für die materiell-rechtliche Prüfung angesichts der Identität der Regelungen unerheblich, formelle Fehler müssen dagegen, um sich entscheidungserheblich auszuwirken, in gleicher Weise bei beiden Gemeindeordnungen aufgetreten sein.
Die Anträge sind unbegründet.
Die in den Gemeindeordnungen geregelte generelle Anleinpflicht für Hunde in der Ortslage Alt Golm ist formell nicht zu beanstanden.
Die Gemeindevertretung der Gemeinde Rietz-Neuendorf war nach § 26 Abs. 3 OBGfür den Erlass der Verordnungen zuständig. Die Formvorschriften sind eingehalten, insbesondere ist die erlassende Behörde (§ 29 Nr. 7 OBG) mit „Der Bürgermeister - der Gemeinde Rietz-Neuendorf als örtliche Ordnungsbehörde gemäß dem Beschluss der Gemeindevertretung“ jeweils korrekt bezeichnet. Die Gemeindeordnungen sind ordnungsgemäß vom Bürgermeister ausgefertigt und im Amtsblatt der Gemeinde als dem nach § 11 Abs. 2 der Hauptsatzung der Gemeinde Rietz-Neuendorf vom 9. Februar 2009 (ABl. Nr. 3 vom 6. Mai 2009) vorgesehenen Verkündungsorgan verkündet worden (vgl. § 32 OBG).
Der örtliche Geltungsbereich der Gemeindeordnung (vgl. § 29 Nr. 5 OBG) ist jeweils in § 1 beider Ordnungen mit „…gilt für das gesamte Gebiet der Gemeinde Rietz-Neuendorf, sofern in den nachfolgenden Bestimmungen nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt ist“ hinreichend bestimmt angegeben. Die Beschränkung der Geltung des Leinenzwangs auf die Ortslage Alt Golm in § 2 GemO 2009 und in § 5 Abs. 3 GemO 2010 genügt dem Bestimmtheitsgebot ebenfalls. Mit Blick auf die geringe Eingriffsintensität, die mit dem bloßen Anleinen des Tieres verbunden ist, und dem schützenswerten Interesse Dritter, durch das unberechenbare Verhalten freilaufender Hunde nicht gefährdet zu werden, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin den gefahrenabwehrrechtlich zu verstehenden Begriff der Ortslage verwendet. Mit „Ortslage“ wird allgemein der bebaute Teil des Ortes bezeichnet und von den Betroffenen auch regelmäßig so verstanden. Für den rechtsunkundigen, aber verständigen, durchschnittlichen Hundehalter ist ohne weiteres erkennbar, dass er seinen Hund dort anleinen muss, wo gewöhnlich mit dem Erscheinen von Personen und/oder anderen Tieren zu rechnen ist. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn eine nicht nur vereinzelte Bebauung mit Wohnhäusern oder sonstigen Gebäuden besteht (so zutreffend OVG Koblenz, Urteil vom 21. September 2006 - 7 C 10539/06 -, juris Rn. 17 f.).
Dem in § 29 Nr. 3 OBG geregelten Zitiergebot ist entsprochen, insbesondere nennen die Gemeindeordnungen § 26 Abs. 1 und 3 OBG als Ermächtigungsgrundlage. Die Einleitung der GemO 2010 nennt darüber hinaus zu Recht auch § 10 Abs. 4 LImSchG, soweit die Verordnung - hier allerdings nicht von Interesse - in § 8 Ausnahmen von der Nachtruhe regelt. Da die GemO 2009 ursprünglich eine solche Vorschrift ebenfalls enthalten sollte, die Regelung aber zurückgestellt worden ist, ist der in der Einleitung verbliebene Hinweis auf das Landesimmissionsschutzgesetz überflüssig, macht das Zitat im Übrigen jedoch nicht fehlerhaft und die Gemeindeordnung 2009 nicht unwirksam.
Im Interesse der Rechtsschutzfunktion des Zitiergebots ist nur zu fordern, dass die Ermächtigungsgrundlage so genau bezeichnet wird, dass keine Zweifel darüber bestehen, welche Vorschrift gemeint ist. Das Zitiergebot soll dem Adressaten einer Verordnung die Kontrolle ermöglichen, ob die Verordnung mit dem ermächtigenden Gesetz übereinstimmt. Werden mehrere Ermächtigungsgrundlagen genannt, obgleich nur eine davon für die fragliche Eingriffsnorm erforderlich ist, wird der Rechtsschutz für den Adressaten beim Auffinden der Rechtsgrundlage und die Kontrolle der Gemeindeverordnung nicht wesentlich erschwert. Anders wäre es nur, wenn überhaupt ein Zitat fehlte, nur eine nicht einschlägige Ermächtigungsvorschrift angeführt (vgl. Nierhaus in Bonner Kommentar, Rn. 328 zu Art. 80 Abs. 1 GG) oder wenn eine so große Zahl in Wahrheit nicht einschlägiger Ermächtigungsgrundlagen benannt würde, dass der Adressat die einschlägige Ermächtigungsgrundlage nicht ohne weiteres herauslesen kann; so aber liegt es hier nicht. Es kommt hinzu, dass von einem etwaigen Formfehler nur die Gemeindeordnung 2009 betroffen wäre, eine isolierte Aufhebung dieser Verordnung den Antragstellerinnen aber keinen Vorteil brächte, weil - wie gesagt - das Zitat in der Gemeindeordnung 2010 fehlerfrei ist und diese Ordnung aktuell gültig ist.
Eine von den Antragstellerinnen für sich und andere Gegner des Leinenzwanges in Anspruch genommene Anhörungspflicht als Teil des Normsetzungsverfahrens ist dem Gesetz fremd. § 36 Abs. 2 Satz 1 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg (BbgKVerf) vom 18. Dezember 2007 (GVBl. I S. 286), zuletzt geändert durch Artikel 15 des Gesetzes vom 23. September 2008 (GVBl. I S. 202, 207), schreibt nur die Öffentlichkeit der Sitzungen der Gemeindevertretung und deren öffentliche Bekanntmachung vor. Auch die Hauptsatzung der Gemeinde Rietz-Neuendorf trifft hierzu keine weitergehenden Regelungen. Nach § 11 Abs. 5 der Hauptsatzung werden Zeit, Ort und Tagesordnung der Sitzung der Gemeindevertretung, der Ortsbeiräte und des Hauptausschusses durch Aushang im Bekanntmachungskasten der Gemeinde - im Ortsteil Alt Golm am Verbrauchermarkt neben dem Grundstück Dorfstr. 7 - öffentlich bekannt gemacht. Verstöße gegen diese Regelungen machen die Antragstellerinnen nicht (mehr) geltend und sind auch sonst nicht ersichtlich. Darüber hinaus mag eine Anhörung Betroffener in der Gemeindevertretung nach deren Ermessen zulässig sein; eine dahingehende Anhörungspflicht ist - wie gesagt - dem Gesetz nicht zu entnehmen. Somit mussten die Antragstellerinnen zu den Gemeindevertreterversammlungen auch nicht ausdrücklich eingeladen werden. |
Der weitere Vortrag, auf den Gemeindevertreterversammlungen sei den anwesenden Hundehaltern kein Gehör gewährt worden, vielmehr seien nur Befürworter der Anleinpflicht zu Worte gekommen, ist unsubstantiiert. Das "zu Worte gekommen" bezieht sich ausweislich des Schriftsatzes des Antragstellerbevollmächtigten vom 13. Dezember 2010 auf zwei Ortsbeiratsmitglieder aus Alt Golm, die - wohl mindestens im Fall von Herrn H…- zugleich in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Gemeindevertretung - "zu Worte gekommen sind", jedenfalls aber als Mitglieder des Ortsbeirates von Alt Golm Gelegenheit hatten, den Antrag des Ortsbeirates vor der Gemeindevertretung zu begründen. Das lässt Verfahrensfehler nicht erkennen. Es liegt in der von den Gerichten nicht überprüfbaren Entscheidungsfreiheit des Normgebers, welchen Begründungs- und Anhörungsaufwand er vor Erlass einer Norm treiben will. Das betrifft auch die Besprechung von Gemeindevertretern mit den Ortsbeiräten am 19. April 2010. Bei dieser Besprechung handelte es sich nicht um eine Sitzung der Gemeindevertretung; vielmehr diente sie der Gemeindevertretung dazu, sich Kenntnis von der Auffassung der anderen Ortsbeiräte zu verschaffen, ob sie eine Ausdehnung der Hundeanleinpflicht auf andere Ortsteile wünschen, was nicht der Fall war. Es steht der Gemeindevertretung nach dem Gesetz frei, sich die für ihre Entscheidung benötigten Informationen auch außerhalb einer öffentlichen Gemeindevertreterversammlung zu verschaffen. Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass die Antragstellerinnen und andere Gegner der Anleinpflicht Gelegenheit hatten, ihr Anliegen während der Einwohnerfragestunde im Rahmen der Sitzung der Gemeindevertretung zu Gehör zu bringen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 3 der Hauptsatzung). Dass ihnen dieses Recht abgeschnitten worden sei, behaupten die Antragstellerinnen selbst nicht.
Der in § 2 bzw. § 5 Abs. 3 der Gemeindeordnungen 2009 und 2010 angeordnete Leinenzwang ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Anleinpflicht findet ihre Rechtsgrundlage in § 26 Abs. 1 OBG. Danach können die örtlichen Ordnungsbehörden zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung Verordnungen erlassen.
Eine hiernach erforderliche abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung liegt vor, wenn bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die polizeilichen Schutzgüter im Einzelfall, d.h. eine konkrete Gefahrenlage, einzutreten pflegt. Dabei hängt der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie dem Ausmaß des möglichen Schadens ab. Geht es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, wie etwa Leben und Gesundheit von Menschen, so kann auch die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts ausreichen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 3. Juli 2002 - BVerwG 6 CN 8.01 -, BVerwGE 116, 347 [350] = juris Rn. 32, und vom 18. Dezember 2002 - BVerwG 6 CN 3.01 -, juris Rn. 24; Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 12. Juli 2001 - VerfGH 152/00 -, juris Rn. 103; VGH Mannheim, Urteil vom 15. November 2007 - 1 S 2720/06 -, juris Rn. 25; OVG Brandenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2000 - OVG 4 B 155/00.NE -, juris Rn. 155 und Urteil des Senats vom 27. Mai 2010 - OVG 5 A 1.08 -, juris Rn. 26 ff. -, nachgehend Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2011 - BVerwG 6 BN 2.10 -, juris).
Die Rechtsprechung nahezu aller Obergerichte einschließlich des erkennenden Senats nimmt an, dass von unangeleinten Hunden aufgrund der Unberechenbarkeit ihres Verhaltens Gefahren für Menschen an Leib und Leben sowie für andere Hunde ausgehen können, die geeignet sind, die allgemeine Anordnung eines Leinenzwangs zu rechtfertigen (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 11. September 1992 - OVG 2 B 3.90 -, LKV 1993, 169; OVG Brandenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2000 - OVG 4 B 155/00.NE -, juris Rn. 155 und Urteil vom 20. Juni 2002 - 4 D 89/00.NE -, juris Rn. 166; Urteil des erkennenden Senats vom 27. Mai 2010, a.a.O., Rn. 27 ff. -, nachgehend Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2011, a.a.O.; VGH Mannheim, Urteil vom 15. November 2007 - 1 S 2720/06 -, a.a.O., und Beschluss vom 6. Juli 1989 - 1 S 3107/88 -, juris Rn. 16; OVG Münster, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 5 A 83/07 -, juris Rn. 6 ff.; VGH Kassel, Beschluss vom 27. Februar 1995 - 6 N 903/92 -, juris Rn. 34; OVG Koblenz, Urteil vom 21. September 2006 - 7 C 10539/06 -, juris Rn. 16; OVG Weimar, Urteil vom 26. April 2007 - 3 N 699/05 - juris, Rn. 53 f., nachfolgend Beschluss des BVerwG vom 24. Januar 2008 - BVerwG 6 BN 2.07 -, juris; VGH München, Beschluss vom 12. September 2001 - 24 N 00.1638 -, juris Rn. 21; OVG Schleswig, Urteil vom 29. Mai 2001 - 4 K 8/00 -, juris Rn. 96; a.A. soweit ersichtlich nur OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Januar 2005 - 11 KN 38/04 - juris Rn. 38 ff.; aus der Rechtsprechung zum Recht der Ordnungswidrigkeit bei Verstößen gegen die Anleinpflicht: OLG Dresden, Beschluss vom 7. Februar 2007 - Ss (Owi) 395/06 - juris, Rn. 21; OLG Jena, Beschluss vom 30. Mai 2007 - 1 Ss 103/06 -, juris Rn. 11 ff.; Verfassungsgerichtshof des Freistaats Sachsen, Beschluss vom 20. Juli 2007 - Vf. 50-IV-07 -, juris Rn. 8 ff.).
Dabei bedarf es - entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg - keines Nachweises einer entsprechenden Gefahrenlage durch statistische Zahlen oder gar verlässlich dokumentierte Vorfälle mit unangeleinten Hunden im Geltungsbereich der Verordnungen. Denn schon die allgemeine Lebenserfahrung belegt aufgrund der (potentiellen) Konfliktträchtigkeit einer Begegnung von Hunden und Menschen die erforderliche abstrakt-generelle Gefahrenlage. Zum natürlichen Verhaltensrepertoire von Hunden gehören nämlich das Beißen, Hetzen, Reißen, Anspringen, Schnappen, Nachrennen und Beschnüffeln, das sich bei freilaufenden Hunden spontan und unberechenbar äußert und zu einer Gefährdung unbeteiligter Dritter führen kann, welche die Schwelle der bloßen Lästigkeit überschreitet. Auch ein zunächst bloß subjektives Unsicherheitsgefühl, das viele Menschen - vor allem Kinder und ältere Menschen - gegenüber freilaufenden Hunden beschleicht, ist hier zu berücksichtigen; denn gerade auch ängstliches Verhalten kann bei ansonsten unauffälligen Hunden weitere Reaktionen und auf diese Weise einen gefahrerhöhenden Kreislauf in Gang setzen (vgl. Urteil des Senats vom 27. Mai 2010, a.a.O., Rn. 28 f.).
Im Übrigen liegen statistische Daten über registrierte Beißvorfälle durchaus vor. Wie der Senat in seinem den Beteiligen bekannten und bereits mehrfach zitierten Urteil vom 27. Mai 2010 (a.a.O., Rn. 30) ausgeführt hat, geht aus einem im Internet veröffentlichten Schreiben des Brandenburgischen Ministeriums des Innern vom 20. Juli 2005 an den Club für Molosser e.V. in Duisburg hervor, dass es in Brandenburg im Jahre 2004 bei einer Gesamtpopulation von 99.589 (steuer-)re-gistrierten Hunden 797 registrierte Beißvorfälle an Menschen und an anderen Hunden gab, davon immerhin 68 Fälle mit tödlichem Ausgang für den anderen Hund. Stellt man nun der Einwohnerzahl Brandenburgs (2.515.896 im August 2009) die Zahl der 640 Einwohner im Ortsteil Alt Golm gegenüber - beides nach Wikipedia -, ergeben sich hochgerechnet eine Gesamtpopulation von 25 Hunden im Ortsteil Alt Golm und durchschnittlich 0,2 Beißvorfälle in diesem Ortsteil pro Jahr. Dass die Zahlen in Alt Golm von den Zahlen anderer Gemeinden in Brandenburg signifikant nach unten abweichen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Diese statistischen Zahlen sind jedenfalls geeignet, die allgemeine Lebenserfahrung, wonach von unangeleinten Hunden Gefahren für Menschen und andere Hunde ausgehen, zu untermauern. Auf die Zahl und den genauen Ort von Hundebissvorfällen in Alt Golm kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Die Anordnung eines Leinenzwanges ist durch § 3 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über das Halten und Führen von Hunden (Hundehalterverordnung - HundehV) vom 16. Juni 2004 (GVBl. II [Nr. 17] S.458), wonach in Brandenburg kein allgemeiner Leinenzwang für Hunde besteht, sondern nur an bestimmten Orten und zu bestimmten Gelegenheiten (z.B. in Einkaufszentren, Fußgängerzonen, Verwaltungsgebäuden und öffentlichen Verkehrsmitteln, bei Volksfesten, öffentlichen Versammlungen etc.) sowie für als gefährlich geltende Hunde angeordnet ist, nicht gesperrt. Denn gem. § 3 Abs. 4 HundehV bleiben kommunale Rechtsvorschriften hinsichtlich einer darüber hinausgehenden Leinenpflicht ausdrücklich unberührt. |
Der Leinenzwang verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz belässt dem Normgeber bei der Festlegung der von ihm ins Auge gefassten Regelungsziele wie bei der Beurteilung dessen, was er zur Verwirklichung dieser Ziele für geeignet und erforderlich halten darf, einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum, der je nach der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann. Insbesondere bei der gerichtlichen Kontrolle der Zwecktauglichkeit einer Rechtsvorschrift ist Zurückhaltung geboten. Bei der Einschätzung von Gefahren, die der Allgemeinheit drohen, und bei der Beurteilung der Maßnahmen, die der Verhütung und Bewältigung dieser Gefahren dienen sollen, ist der Beurteilungsspielraum des Normgebers erst überschritten, wenn die Erwägungen so fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für derartige Maßnahmen abgeben können (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 -, juris Rn. 66).
Dass der generelle Leinenzwang geeignet ist, die in der Öffentlichkeit von Hunden im allgemeinen ausgehenden abstrakten Gefahren vor allem für die Gesundheit und das Leben von Menschen zu verringern, kann nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. Werden Hunde an der Leine geführt, können durch Anspringen oder Bisse verursachte Verletzungen weitgehend vermieden werden. Durch die Anleinpflicht wird darüber hinaus das subjektive Sicherheitsgefühl derjenigen Menschen, vor allem der Älteren und der Kinder, die in vielen Situationen bei einem oft nicht zu vermeidenden Näherkommen von unangeleinten Hunden Angst entwickeln, gestärkt. Der Verordnungsgeber ist nicht gehindert, auf subjektive Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen, die in größerer Zahl auftreten und - wie hier - vertretbare Gründe haben.
Das Anleingebot ist erforderlich, weil mildere Mittel zur Gefahrenabwehr nicht in Betracht kommen. Die von den Antragstellerinnen insoweit für geboten erachtete Differenzierung nach Art, Größe oder Gefährlichkeit des einzelnen Hundes ist nicht in gleichem Maße wirksam. Der Verordnungsgeber ist nicht verpflichtet, auf die besondere Gefährlichkeit des einzelnen Hundes abzustellen. Vielmehr handelt es sich bei der Hundehaltung um eine Massenerscheinung, bei der der Verordnungsgeber insbesondere zur Abwehr erheblicher Gefahren für höchste Rechtsgüter zu typisierenden Reglungen befugt ist (vgl. VerfGH Berlin, Urteil vom 12. Juli 2001, a.a.O., Rn. 104, unter Bezugnahme auf BVerfGE 78, 214, 226, m.w.N.). Gefahren gehen aber nach der oben angeführten Beißstatistik für das Land Brandenburg nicht nur von Hunden der in § 8 Abs. 2 und 3 HundehV als gefährlich gelisteten Rassen oder Gruppen sowie deren Kreuzungen aus, sondern z.B. auch von Hunden der Rassen Schäferhund, Boxer und Terrier. Hunde dieser Rassen sind mit großer Zahl an registrierten Beißvorfällen beteiligt. So ist dem für das Recht der Tiergefahren zuständigen Senat bekannt, dass Beißstatistiken regelmäßig von Schäferhunden angeführt werden, was seinen Grund im großen Anteil dieser Hunde an der Gesamtpopulation hat. Dies gilt auch für das Land Brandenburg: Hier sind es - abgesehen von Mischlingshunden und Hunden der als widerleglich gefährlich geltenden Rasse Rottweiler - die Hunde der Rassen Schäferhund (272 Vorfälle), Labrador (27 Vorfälle), Terrier (27 Vorfälle) und Boxer (25 Vorfälle), welche die Beißstatistik für das Jahr 2004 anführen. Dass Hunde der Rasse Dackel mit 25 registrierten Beißvorfällen in der Statistik vertreten sind - übrigens auch mit großem Anteil im Verhältnis zum vergleichsweise geringen Anteil an der Gesamtpopulation - zeigt, dass eine Differenzierung nach der Größe oder Beißkraft des Hundes nicht geeignet ist, um das Ziel der Verringerung der von unangeleinten Hunden ausgehenden Gefahren in gleich effektiver Weise zu erreichen. Erst recht ist der Verordnungsgeber nicht gehalten, mit der Anordnung des Leinenzwangs abzuwarten, bis sich ein Hund nach einem oder mehreren Bissvorfällen als gefährlich herausgestellt hat. Auch zeigt die verhältnismäßig große Zahl von Beißvorfällen im Land Brandenburg nach der Statistik für das Jahr 2004, dass offenbar die von den Antragstellerinnen für ausreichend erachteten Maßnahmen nach der Hundehalterverordnung im konkreten Einzelfall nicht genügen, um solche Vorfälle verlässlich zu minimieren.
Der Normgeber darf schließlich auch in der Weise typisieren, dass er in generellen Regelungen atypische Besonderheiten des Einzelfalls vernachlässigt und deswegen auch umsichtige Hundehalter, die immer rücksichtsvoll auftreten und in einer der Situation angemessenen Weise reagieren sowie ihren Hund - jedenfalls in der Regel - verlässlich im Griff haben, dieser Vorschrift unterwirft (so zutreffend VGH Mannheim, Beschluss vom 15. November 2007, a.a.O., Rn. 42).
Der generelle Leinenzwang ist schließlich angemessen, d.h. verhältnismäßig im engeren Sinne in Bezug auf den vom Verordnungsgeber verfolgten Regelungszweck. Im Hinblick auf den hohen Rang, der insbesondere den betroffenen Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit, Eigentum und Freiheit von Menschen zukommt (dies im Zusammenhang mit [gefährlichen] Hunden betonend BVerfG, Urteil vom 16. März 2004, a.a.O., Rn. 87), ist die Anordnung eines Leinenzwangs grundsätzlich als eine angemessene, den betroffenen Hundehaltern bzw. -führern zumutbare Belastung anzusehen. Trägt der Leinenzwang der Konfliktträchtigkeit bestimmter Situationen, in denen sich Hunde, andere Tiere und Menschen begegnen, Rechnung, ist er rechtlich nicht zu beanstanden, weil damit nur relativ geringfügige, jedenfalls aber im überwiegenden Allgemeininteresse hinzunehmende Einschränkungen für den Tierhalter bzw. -führer verbunden sind. Das Grundrecht der Hundehalter auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), also das Recht, von belastenden Vorschriften der Hundehaltung verschont zu bleiben, muss hinter die Grundrechte der anderen in der Gemeinde/im Ortsteil lebenden oder aufhältlichen Menschen aus Art. 2 Abs. 2 GG (Leben und Gesundheit) sowie aus Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentum an Sachen einschließlich Hunden) und aus Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit in Form der Freiheit, von Hundeattacken, auch wenn sie nicht zu Verletzungen an Leib, Leben oder Eigentum führen, beim Aufenthalt in der Gemeinde verschont zu bleiben) zurücktreten. Auch durch die Begegnung mit unangeleinten Hunden ausgelöste Ängste sind, unabhängig davon, ob sie objektiv begründet sind, jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit rechtserheblich, weil sie andere Menschen in ihrem Anspruch, frei von Angst ihrer Wege gehen zu dürfen (Art. 2 Abs. 1 GG), beeinträchtigen (vgl. Urteil des Senats vom 27. Mai 2010, a.a.O., Rn. 38, m.w.N.).
Soweit die Antragstellerinnen durch den Leinenzwang die Möglichkeit einer artgerechten Hundehaltung beeinträchtigt sehen, indem Hunde nicht mehr ausreichend Auslauf im Freien außerhalb eines Zwingers oder einer Anbindehaltung (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 Tierschutz-Hundeverordnung vom 2. Mai 2001 [BGBl. I S. 838]) gewährt werden könne, ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich nicht die Antragsgegnerin das artgerechte Halten von Tieren sicherzustellen hat, sondern hierfür der Hundehalter selbst zu sorgen hat (so zutreffend VGH München, Beschluss vom 12. September 2001, a.a.O., juris Rn. 24). Das folgt nicht zuletzt aus § 2 Nr. 1 und 2 TierSchG, wonach derjenige, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend verhaltensgerecht unterzubringen hat und die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken darf, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Ebenso wenig wie die Halter anderer Heimtiere verlangen können, dass die Allgemeinheit ihnen Räume, Fläche oder sonstige Gelegenheit für eine artgerechte Haltung ihrer Tiere zur Verfügung stellt, gilt dies auch für Hundehalter (vgl. Urteil des Senats vom 27. Mai 2010, a.a.O., Rn. 38, m.w.N., insoweit bestätigt durch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2011 - BVerwG 6 BN 2.10 -, juris Rn. 7).
Mit der Begrenzung der Geltung des Leinenzwanges auf den Ortsteil Alt Golm in der Gemeinde verstößt die Antragsgegnerin nicht gegen das Willkürverbot nach Art. 3 Abs. 1 GG, insbesondere bestand für sie keine Verpflichtung, aus Gründen der Gleichbehandlung die Anleinpflicht auf das gesamte Gebiet der Gemeinde zu erstrecken. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Willkürverbot die Gemeinde bei gleicher Gefahrenlage in allen 14 Ortsteilen aber unterschiedlichen Mehrheitsentscheidungen in den jeweiligen Ortsbeiräten gezwungen wäre, sich über das Votum der einen oder der anderen gewählten Ortsbeiräte (vgl. § 45 Abs. 2 BbgKVerf i.V.m. § 8 Abs. 1 der Hauptsatzung) hinwegzusetzen und den Leinenzwang entweder in allen Ortsteilen anzuordnen oder aber auf die Anordnung insgesamt zu verzichten. Denn jedenfalls rechtfertigt die höhere Zahl der Beißvorfälle im Ortsteil Alt Golm im Vergleich zum übrigen Gemeindegebiet eine Differenzierung bei der örtlichen Geltung.
Es sind in der Zeit vom 18. Februar 2007 bis zum Erlass der Gemeindeordnung 2009 im Ortsteil Alt Golm insgesamt vier Beißattacken von Hunden aktenkundig geworden - einmal auf Menschen, dreimal auf andere Hunde -, dagegen nur ein Beißvorfall in einem der 13 anderen Ortsteile der Gemeinde (am 3. Juli 2009 im Ortsteil Drahendorf); vor Erlass der Gemeindeordnung 2010 kam ein weiterer Vorfall in Alt Golm hinzu (am 11. April 2010). An den Vorfällen vom 18. Februar 2007, vom 27. Oktober 2007, 30. Mai 2008 und 5. April 2009 in Alt Golm waren jeweils von den Antragstellerinnen unangeleint geführte Hunde beteiligt. Zwar sind jeweils der genaue Hergang der Vorfälle, der Umfang der Hundebissverletzungen sowie das Verschulden der jeweiligen Hundehalter bzw. -führer im Einzelnen zwischen den Beteiligten streitig. Es wurden in allen Fällen Bußgeld- bzw. Strafverfahren eingeleitet, die dann zwar jeweils - bis auf den Vorfall am 11. April 2010 - eingestellt wurden. Es ist jedoch weder Aufgabe der Gemeindevertretung bei der Abwägung, für welches Gebiet der Leinenzwang angeordnet werden soll, noch Sache des Normenkontrollgerichts, die Vorfälle im Einzelnen aufzuklären.
Jedenfalls aber kann auf der Grundlage des eigenen Vorbringens der Antragstellerinnen davon ausgegangen werden, dass im Fall vom 18. Februar 2007 bei einem Waldspaziergang zwei Hunde der Antragstellerin zu 2 (Boxer-Labrador-Mischlingshündin „Bonny“ und Rüde „Bolle“) unangeleint waren, auf einen anderen Hund (Schäferhund) zusprinteten und dabei der Antragstellerin zu 2 aus dem Blickfeld gerieten. Ob der andere Hund bei der Begegnung Verletzungen davontrug, ist streitig. Am 27. Oktober 2007 kam es zu einer Beißerei zwischen zwei von der Antragstellerin zu 1 unangeleint geführten Hunden (Schäferhund-Mischling „Bismarck“ sowie Rhodesian Ridgeback „Carlo“) und einem anderen Hund (Havaneser) kam, bei der der andere Hund verletzt wurde (Risswunde und schmerzhafte Hautablösungen). Die aus Anlass dieses Falles angeordnete Ordnungsmaßnahme (Einstufung des Hundes „Bismarck“ als gefährlicher Hund mit der Folge u.a. eines Leinen- und Maulkorbzwanges) wurde bestandskräftig. Die für die von der Antragstellerin zu 1 geführten Hunde bestehende Haftpflichtversicherung übernahm den Schadensausgleich. Bei dem Vorfall am 30. Mai 2008 verletzte der von der Antragstellerin zu 1 unangeleint geführte Schäferhund „Bismarck“ einen Jogger (Wunde an der linken Wade). Das wegen des Verstoßes gegen die Anleinpflicht verhängte Bußgeld wurde bezahlt, das Strafverfahren nach Zahlung eines Geldbetrages an den Geschädigten eingestellt. Bei dem Vorfall am 5. April 2009 kam es zu einem Angriff des unangeleint geführten Hundes „Bonny“ der Antragstellerin zu 2 auf zwei angeleint geführte Hunde (Pekinesen) einer anderen Halterin. Das daraufhin gegen die Antragstellerin zu 2 eigeleitete Bußgeldverfahren wurde vom Amtsgericht gem. § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Am 11. April 2010 kam es zu einem Angriff eines freilaufenden Hundes auf ein Kind. Das verhängte Bußgeld wurde bezahlt.
Der Vergleich dieser Vorfälle zu dem einen Beißvorfall in der übrigen Gemeinde rechtfertigt die Annahme der Antragsgegnerin, dass sich der Ortsteil Alt Golm zu einem Gefahrenschwerpunkt entwickelt hat, weil vor allem die Antragstellerinnen, die jeweils mehrere Hunde im Haus halten (im Haushalt der Antragstellerin zu 1 befinden sich fünf Hunde) entweder nicht willens oder nicht in der Lage sind, bei der Hundehaltung außerhalb ihres Besitztums gegenüber Menschen und Hunden anderer Halter die notwendige Rücksichtnahme walten zu lassen und damit eine nicht unberechtigte Furcht bei anderen Einwohnern gerade des Ortsteils Alt Golm auslösen.
Davon, dass - wie die Antragstellerinnen meinen - die Vorfälle zeitlich zu lange zurücklägen, um als Rechtfertigung für die örtliche Begrenzung der Anleinpflicht zu dienen, kann bei einem zeitlichen Abstand von bis zu zwei Jahren bis zum Erlass der ersten Verordnung keine Rede sein. Ebenso spielt der Einwand der Antragstellerinnen, die Vorfälle mit ihren Hunden hätten sich zwar innerhalb der Gemarkung Alt Golm, aber - jedenfalls teilweise - außerhalb der Ortslage ereignet, im Rahmen der Prüfung einer etwaigen Ungleichbehandlung der Hundehalter im Ortsteil Alt Golm keine Rolle.
Eine von den Antragstellerinnen geforderte Ausweisung von Auslaufflächen innerhalb der 46 ha großen Ortslage ist nicht erforderlich. Der Leinenzwang in der Ortslage lässt den Auslauf von Hunden in der freien Landschaft der Gemarkung auf privaten Wegen und Pfaden sowie Feldrainen, Heide-, Öd- und Brachflächen sowie landwirtschaftlichen Nutzflächen außerhalb der Nutzzeit zu. Als Nutzzeit gilt die Zeit zwischen der Saat oder Bestellung und der Ernte, bei Grünland die Zeit des Aufwuchses (vgl. § 44 Abs. 1 Satz und 2 des Gesetzes über den Naturschutz und die Landschaftspflege im Land Brandenburg [Brandenburgisches Naturschutzgesetz - BbgNatSchG] idF der Bekanntmachung vom 26. Mai 2004 [GVBl. I S. 350]). Im Wald dagegen dürfen Hunde nicht unangeleint geführt werden (vgl. § 15 Abs. 8 Satz 1 des Waldgesetzes des Landes Brandenburg vom 20. April 2004 [GVBl. I 137]).Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die hundehaltenden Einwohner des Ortsteils Alt Golm ihre Hunde unangeleint auf den Wegen, den ca. 380 ha umfassenden Acker- und ca. 68 ha umfassenden Wiesenflächen außerhalb der Nutzzeit laufen lassen können.
Warum diese Freiflächen außerhalb der Ortslage für "ältere" und "gebrechliche" Menschen nicht nutzbar sein sollen, wie die Antragstellerinnen behaupten, erschließt sich dem Senat nicht. Immerhin muss, wer Hunde außerhalb des befriedeten Besitztums führt, nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 HundehV körperlich und geistig die Gewähr dafür bieten, jederzeit den Hund so beaufsichtigen zu können, dass Menschen, Tiere oder Sachen nicht gefährdet werden. Der Hundeführer hat den Hund ständig zu beaufsichtigen und sicher zu führen. Wie in der mündlichen Verhandlung besprochen ist der unbebaute Teil der Gemarkung von jedem Punkt der Ortslage Alt Golm innerhalb von weniger als 10 Minuten Fußweg zu erreichen. Ist aber ein Hundehalter zur Überwindung schon dieser Wegstrecke nicht in der Lage, ist er als Hundehalter ungeeignet. Ebenfalls in der mündlichen Verhandlung hat der Senat darauf hingewiesen, dass die im Internet verfügbare Satelliten-Luftaufnahme den Schluss zulässt, dass die Grundstücke im Ortsteil Alt Golm nahezu ausschließlich mit freistehenden Einzelhäusern bebaut sind und Gartenflächen aufweisen, auf denen Hunde bereits genügend Auslauf finden. Werden die Hunde dann auch noch - wie bei den Antragstellerinnen zu 1 und 2 - nicht einzeln gehalten, bedürfte es nicht einmal der weiteren Kontaktaufnahme mit anderen Hunden (vgl. § 2 Abs. 3 Tierschutz-Hundeverordnung).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit den hier entsprechend anwendbaren § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.