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Visum; Nigeria; Kindernachzug; alleinige Personensorge; Personensorge für nichteheliches Kind; Child's Rights Act; common law; prima-facie-Sorgerecht der Mutter; Legitimation durch Vater; (bloßes) Zusammenleben; Stammesrecht; Zulassungsantrag; Darlegungserfordernisse; ernstliche Zweifel; grundsätzliche Bedeutung; Klärung ausländischen Rechts als Tatsachenfrage


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 15.08.2013
Aktenzeichen OVG 3 N 170.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 32 Abs 2 AufenthG

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Juli 2012 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von der Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO sind nach den insoweit allein maßgeblichen Darlegungen des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht gegeben.

Die Richtigkeit des Urteils, mit dem das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, dem Kläger ein Visum zum Zwecke des Nachzugs zu seiner Mutter zu erteilen, unterliegt keinen ernstlichen Zweifeln im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Beklagte wendet sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Mutter des Klägers sei nicht erst auf Grund der gerichtlichen Sorgerechtsübertragung vom 18. März 2009, sondern bereits vor der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers am 11. November 2007 allein personensorgeberechtigt im Sinne des § 32 Abs. 3 AufenthG gewesen. Hiergegen macht sie zunächst geltend, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass der Mutter des Klägers nach common law ein prima-facie-Sorgerecht zugestanden habe, das ihre alleinige Personensorge im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG begründet habe. Ihre Ausführungen stellen die Auffassung des Verwaltungsgerichts indessen nicht schlüssig in Frage.

Das Verwaltungsgericht hat sich in der angefochtenen Entscheidung der Auffassung des Sachverständigen angeschlossen, der in dem zum nigerianischen Sorgerecht eingeholten Rechtsgutachten vom 7. Januar 2012 (einschließlich der ergänzenden Stellungnahme vom 18. März 2012) zunächst ausgeführt hat, der Children’s Rights Act (CRA) von 2003 enthalte in den maßgeblichen Bestimmungen (Art. 68, 69) keine Regelung dazu, wem die elterliche Sorge über ein nichteheliches Kind zustehe. Dies richte sich nach wie vor nach dem in Nigeria übernommenen common law. Während im alten common law der Grundsatz gegolten habe, dass ein nichteheliches Kind niemandes Kind sei, sei im Laufe des 19. Jahrhunderts in der Gerichtspraxis klargestellt worden, dass „prima facie“ die Mutter die elterliche Sorge ausüben dürfe. Die hieraus folgende Rechtsstellung der Mutter sei diejenige einer allein Personensorgeberechtigten im aufenthaltsrechtlichen Sinne. Insbesondere handele es sich nicht nur um eine widerlegbare, auf einer tatsächlich gelebten Beziehung beruhende Vermutung. Dies ergebe sich zum einen aus der vom Gutachter angeführten Entscheidung R. v. Nash (1883, 10 Q.B.D. 454), in der von einem natürlichen Anspruch (der Mutter des nichtehelichen Kindes) auf das Sorgerecht („natural right to its custody“) die Rede sei, obwohl diese das Kind kurz nach der Geburt aus den Händen gegeben habe, und folge zum anderen aus der nachfolgenden Verfestigung der rechtlichen Stellung der Mutter eines nichtehelichen Kindes im englischen Recht (UA S. 8/9). Die Beklagte meint demgegenüber, die der Entscheidung Nash zu Grunde liegende Konstellation lasse den Schluss zu, dass das „natürliche Recht“ zur Personensorge auf die Blutsverwandtschaft und die Tatsache der direkten Abkommenschaft gestützt sei und somit auch für den leiblichen Vater eines unehelichen Kindes gelten könne. Belege dafür, dass dieser Schluss im englischen common law gezogen würde, führt sie nicht an. Solcher Belege hätte es indessen bedurft, um die Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts, das sich in seinem Urteil nicht nur auf das Sachverständigengutachten, sondern auch auf Literatur zum englischen Familienrecht gestützt hat, schlüssig in Frage zu stellen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils legt die Beklagte auch nicht dar, soweit sie sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wendet, es sei nicht nachgewiesen, dass eine Legitimation des Kindes erfolgt sei, die zu einer rechtlichen Teilhabe des Vaters an der Personensorgeberechtigung geführt hätte. Für die Frage einer Beteiligung des Vaters am Sorgerecht für den Kläger nach den Regeln des anwendbaren englischen Rechts gilt dies bereits deshalb, weil das Verwaltungsgericht insoweit ausgeführt hat, nur eine nachträgliche Heirat der Eltern oder eine Eintragung des Vaters im Geburtenregister - an beiden fehle es - könne dessen sorgerechtliche Verantwortung herbeiführen; dagegen reiche es nicht aus, dass die Eltern in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebten. Diese vom Verwaltungsgericht auf von ihm zitierte Literatur zum englischen Kindschaftsrecht gestützten Ausführungen greift die Beklagte nicht substantiiert an. Sie beanstandet vielmehr die „Würdigung der Zeugenaussagen“, die dazu geführt habe, dass das Verwaltungsgericht ein aussagekräftig langzeitiges Zusammenleben des Kindsvaters mit dem Kläger und seiner Mutter für nicht festgestellt halte. Auf diese kam es jedoch nach der insoweit maßgeblichen Auffassung des Verwaltungsgerichts für die Frage des Sorgerechts nach common law nicht an. Im Übrigen hat aber das Verwaltungsgericht nicht etwa, wie die Beklagte meint, der Aussage des vom Vertrauensanwalt der Botschaft befragten früheren Vermieters „geringeres Gewicht beigemessen“ als der Aussage der Mutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 2010, sie habe mit dem Vater ihrer Kinder zu keiner Zeit zusammengelebt. Es hat vielmehr darauf hingewiesen, dass auch der Vermieter lediglich von einer kurzen Zeitspanne des Zusammenlebens berichtet habe.

Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte auch gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die der Mutter nach common law zustehende elterliche Sorge für ein nichteheliches Kind sei als alleiniges Personensorgerecht im Sinne des § 32 Abs. 3 AufenthG anzusehen. Auf die von der Beklagten hierzu angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 ff.), wonach ein alleiniges Sorgerecht nur dann vorliegt, wenn dem anderen Elternteil bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule, Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes zustehen (BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O., Rn. 16), hat sich auch das Verwaltungsgericht bezogen. Es hat sich für seine Einschätzung, das prima-facie-Sorgerecht der Mutter eines nichtehelichen Kindes erfülle diese Anforderungen, zunächst auf das eingeholte Gutachten und - wie bereits oben ausgeführt - Literatur zum englischen Familienrecht gestützt. Seine weitere rechtliche Würdigung, der Umstand, dass nach Art. 68 Abs. 1 CRA der andere Elternteil das Recht habe, eine gerichtliche Entscheidung über die Sorgeberechtigung einzufordern, stehe der Annahme nicht entgegen, dass es sich bei dem Sorgerecht der Mutter eines nichtehelichen Kindes nach common law um ein alleiniges Sorgerecht im Sinne des § 32 Abs. 3 AufenthG handele, stützt das Verwaltungsgericht auf die überzeugende Erwägung, dass der - hier allein maßgebliche - Umfang der Rechte nicht von ihrer Beständigkeit abhängt, und dass für die von der Beklagten aus dem vermeintlich schwachen, da nicht (durch eine Gerichtsentscheidung) abgesicherten Sorgerecht der Mutter abgeleitete inhaltliche Beschränkung ein rechtlicher Ansatzpunkt weder genannt noch sonst erkennbar sei. Dies stellt die Beklagte mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht schlüssig in Frage. Sie wiederholt ihre Auffassung, aus der in Art. 68 CRA vorgesehenen Möglichkeit der gerichtlichen Übertragung des Sorgerechts auf Mutter oder Vater folge entsprechend dem „Rechtsschutzgedanken, dass für einfache Personensorgebedürfnisse eine prima-facie-Übertragung ausreicht, aber bei rechtlich relevanten Entscheidungen, wie z.B. der Verbringung des Kindes in ein anderes Land, eine Sorgerechtsentscheidung zu treffen ist“, dass nach dem geltenden Recht ein Elternteil eine Gerichtsentscheidung erwirken müsse, um eine rechtlich anerkannte alleinige Sorgeberechtigung innezuhaben. Einen rechtlichen Ansatzpunkt für diese Auffassung zeigt die Beklagte jedoch weiterhin nicht auf, sondern stellt ihre abweichende Meinung der des Verwaltungsgerichts gegenüber, von dem sie meint, seine Argumentation reiche „nicht aus, um die hier erforderliche positive Entscheidung zu treffen“, die Inhaberin eines prima-facie-Sorgerechts habe die rechtliche Befugnis, derartige Entscheidungen allein zu treffen. Damit wird die Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts schon deshalb nicht schlüssig in Frage gestellt, weil es an der erforderlichen substantiierten Auseinandersetzung mit den Argumenten des Verwaltungsgerichts und den von diesem herangezogenen Materialien fehlt.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung legt die Beklagte schließlich auch nicht dar, soweit sie sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts wendet, von einer Legitimation des Klägers durch den Vater auf Grund nigerianischen Stammesgewohnheitsrechts könne nicht ausgegangen werden. Auf die bereits aufgezeigten Einwände gegen die Argumentation der Beklagten, soweit sie die Würdigung des Verwaltungsgerichts angreift, ein aussagekräftig langzeitiges Zusammenleben des Kindesvaters mit dem Kläger und seiner Mutter könne nicht festgestellt werden, kommt es auch vorliegend im Ergebnis nicht an, denn das Verwaltungsgericht hat selbständig tragend darauf abgestellt, dass, auch wenn der Kläger und seine Mutter von 1995 bis 1998 mit dem Vater zusammengelebt hätte, damit kein Anerkennungsakt hinreichend belegt wäre. In den von der Beklagten angeführten Darstellungen (Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Nigeria, Stand Oktober 1982, Seite 21; Brandhuber/Zeyringer/Heussler, Standesamt und Ausländer, Stand 2011, Nigeria, Seite 7) werde nicht das Zusammenleben als solches als ausreichender Anerkennungsakt angesehen, sondern darüber hinaus die Behandlung des Kindes wie ein eheliches als Zeichen der Anerkennung der Vaterschaft gefordert. Ein Anzeichen dafür, dass der Kindesvater sich zu dem Kläger als eigenes Kind bekannt habe, sei indes nicht feststellbar. Der Umstand, dass der Vater auch bei Geburt des zweiten Kindes nicht als Vater in das Geburtsregister eingetragen worden sei, deute im Gegenteil eher darauf hin, dass er (weiterhin) seinen Kindern gegenüber keine elterliche Verantwortung habe wahrnehmen wollen. Mit dieser Argumentation des Verwaltungsgerichts setzt sich die Beklagte nicht substantiiert auseinander, sondern beschränkt sich auf die - nicht belegte - Behauptung, in der nigerianischen Rechtspraxis gelte das Zusammenleben des leiblichen Vaters mit seinen Kindern als Ausübung des Sorgerechts; ein weiterer besonderer Anerkennungsakt sei nicht mehr erforderlich.

Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Für die Darlegung grundsätzlicher Bedeutung ist es erforderlich, eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufzuwerfen und zu erläutern, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Wird die Klärung einer Tatsachenfrage begehrt, genügt es nicht, wenn lediglich Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung geäußert werden und behauptet wird, dass die maßgeblichen Verhältnisse anders zu beurteilen seien. Vielmehr bedarf es zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die - entscheidungserhebliche - Tatsachenfrage etwa im Hinblick auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Entscheidungen oberer Gerichte möglicherweise anders zu würdigen ist (vgl. Beschluss des Senats vom 30. Dezember 2009 - OVG 3 N 10.08 -). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der von der Beklagten aufgeworfenen Fragen zum nigerianischen Personensorgerecht, dessen Auslegung und Anwendung Teil der tatrichterlichen Sachverhaltsfeststellung ist (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 16.12 - Rn. 26), nicht erfüllt, weil die Beklagte sich, wie oben ausgeführt, nicht hinreichend substantiiert, und vor allem nicht unter Angabe von Rechtsprechung oder Literatur, mit der eingehenden und mit Belegen versehenen Auffassung des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt. Dies gilt zunächst für die sich allein mit dem nigerianischen Recht befassenden Fragen, „ob, insbesondere nach mehrjährigem Zusammenleben, beide Elternteile prima facie ein Sorgerecht für ihr nichteheliches Kind haben oder ob dieses nur der Mutter zusteht“ und „welche Maßstäbe an den Nachweis einer nach Stammesrecht erfolgten Anerkennung eines Kindes zu legen sind“. Die weitere Frage, ob „schon das prima-facie-Sorgerecht als alleiniges Personensorgerecht im Sinne des § 32 AufenthG anzusehen ist“, bezieht sich im Kern ebenfalls auf den Inhalt des prima-facie-Sorgerechts und damit auf die Auslegung ausländischen Rechts; auch insoweit fehlt es nach den obigen Ausführungen an der hinreichend substantiierten Auseinandersetzung mit dem angegriffenen Urteil. Soweit es in der Frage weiter darum geht, ob dieses Recht seinem Inhalt nach als alleiniges Personensorgerecht im Sinne des § 32 AufenthG anzusehen ist, ist eine klärungsbedürftige Frage des deutschen Rechts ebenfalls nicht aufgeworfen. Der Begriff des alleinigen Personensorgerechts im Sinne des § 32 AufenthG ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O., Rn. 16). Die Beklagte wendet sich gegen seine Anwendung im konkreten Fall, die eine grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht zu begründen vermag.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).