Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 28.03.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 5 N 24.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 103 Abs 1 GG, § 86 VwGO, § 108 Abs 1 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO, § 8 RuStAG, § 9 RuStAG, § 10 RuStAG, § 11 S 1 Nr 1 RuStAG |
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. Mai 2011 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 10 000,00 EUR festgesetzt.
I.
Die 1971 in Gaza geborene Klägerin begehrt ihre Einbürgerung. Sie ist palästinensische Volkszugehörige, ihre Staatsangehörigkeit ist nach eigenen Angaben ungeklärt.
Die Klägerin hatte im Jahr 1999 erstmals einen Antrag auf Einbürgerung gestellt, der von der Beklagten abgelehnt worden war. Mit Urteil vom 29. November 2005 - VG 2 A 100.04 - hatte das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Nach Klagerücknahme wurde das Urteil mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. April 2006 für wirkungslos erklärt.
Den im März 2008 von der Klägerin erneut gestellten Antrag auf Einbürgerung lehnte die Senatsverwaltung für Inneres und Sport durch Bescheid vom 15. Januar 2010 mit der Begründung ab, dass sie nach den Erkenntnissen des Berliner Verfassungsschutzes dem Umfeld des Berliner Islamischen Kultur- und Erziehungszentrums (IKEZ) zuzurechnen sei, das als Treffpunkt der palästinensischen islamistischen Terrororganisation HAMAS gelte und enge Verbindungen zu der Muslimbruderschaft unterhalte.
Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Klage durch Urteil vom 5. Mai 2011 mit im Wesentlichen folgender Begründung abgewiesen: Dem auf der Grundlage der §§ 8 bis 10 StAG geltend gemachten Einbürgerungsanspruch der Klägerin stehe jedenfalls § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegen, weil tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigten, dass sie Bestrebungen insbesondere des Al-Aqsa e.V. und damit mittelbar der HAMAS unterstützt habe, wodurch die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet würden. Hiervon sei die Kammer aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie der Einlassungen der Klägerin sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren überzeugt. Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag hinsichtlich einer unzutreffenden Beurteilung der HAMAS und der Muslimbruderschaft als „terroristische Organisationen“ brauche nicht gefolgt zu werden, weil es sich dabei um keine Tatsachen handele, die allein Gegenstand einer Beweiserhebung sein könnten.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit dem auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 5 VwGO gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen sämtlich nicht vor.
1. Die Antragsbegründung zeigt mit ihren auf eine fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht zielenden Rügen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf.
Im Hinblick darauf, dass das Verwaltungsgericht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet, kann die Rüge einer fehlerhaften Sachverhalts- oder Beweiswürdigung ernstliche Richtigkeitszweifel an der angegriffenen Entscheidung nur begründen, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweisen. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung des vorliegenden Tatsachenmaterials oder das Ziehen anderer Schlussfolgerungen rechtfertigt die Zulassung der Berufung hingegen nicht (vgl. Beschluss des Senats vom 22. März 2010 - OVG 5 N 13.08 -, juris Rn. 9, mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung).
Das Verwaltungsgericht ist auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes sowie der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der Überzeugung gelangt, dass u.a. die Muslim-bruderschaft, die HAMAS, der Al-Aqsa e.V. und das IKEZ auswärtige Belange gefährdende Bestrebungen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StAG verfolgt haben. Diesen Verdacht, den das Verwaltungsgericht auf eine Vielzahl von Indizien gestützt hat, vermag die Antragsbegründung nicht ansatzweise zu erschüttern. Weder der Hinweis, dass es anerkannten Regeln des Völkerrechts widerspreche, eine Organisation insgesamt als terroristisch einzustufen, ohne „zwischen militärischen Aktionen gegen militärische und paramilitärische Ziele und der Zivilbevölkerung zu unterscheiden“, noch der Umstand, dass unter seriösen Wissenschaftlern schon mindestens seit 2005 klar sei, dass die Muslimbruderschaft weder terroristisch noch islamistisch-fundamentalistisch sei, und ähnliches für die HAMAS gelte, stellt substantiiert die auf der Grundlage langjähriger Beobachtungen gewonnenen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes in Frage, dass die beiden Organisationen jedenfalls bis in die jüngste Vergangenheit Bestrebungen verfolgt haben, die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Der vor diesem Hintergrund von dem Verwaltungsgericht gezogene Schluss, dass es angesichts der Gesetzesformulierung in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG („verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat“) nicht darauf ankommt, ob die beiden Organisationen gegenwärtig als terroristisch gelten, begegnet, anders als die Antragsbegründung meint, nicht deshalb ernstlichen Zweifeln, weil „alleine einzelne politische und humanitäre oder sonstige Ziele einer Organisation unterstützt“ worden seien. Denn dabei hat es die Klägerin nicht belassen. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr festgestellt, dass auf Grund ihrer Aktivitäten und Verhaltensweisen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie die auswärtigen Belange gefährdenden Bestrebungen der genannten Organisationen, insbesondere des Al-Aqsa e.V. und damit mittelbar der HAMAS unterstützt hat. Hierzu verhält sich die Antragsbegründung nicht.
Soweit die Antragsbegründung beanstandet, dass von der Klägerin nicht verlangt werden könne, die frühere Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen einzuräumen, sondern ihr ausdrückliches Einräumen der zu Grunde liegenden Tatsachen für ein Abwenden im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ausreichend sein müsse, zeigt sie ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf. Das Verwaltungsgericht hat beanstandungsfrei angenommen, dass ein Abwenden zunächst erfordert, dass der Einbürgerungsbewerber zumindest nicht bestreitet, früher Bestrebungen der in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genannten Art unterstützt zu haben, weil die erforderliche innere Abkehr nämlich nur dann erfolgen bzw. glaubhaft sein kann, wenn eine Einsicht bezüglich des früheren Verhaltens und seiner Neubewertung besteht. Eine solche innere Abkehr hat es bei der Klägerin nicht feststellen können, weil diese ihre früheren Unterstützungshandlungen bagatellisiert hat. Die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Feststellung wird durch die Antragsbegründung nicht in Zweifel gezogen. Denn diese beschränkt sich nicht darauf, Tatsachen einzuräumen, sondern versucht die tatbestandliche Unterstützung selbst in Abrede zu stellen, indem sie meint, dass die Klägerin „mit ihrer damaligen Unterstützung auch die anerkannten gemeinnützigen Ziele des Vereins unterstützt hat und nicht etwa irgendwelche terroristischen“. Angesichts dessen kann von einer Einsicht der Klägerin in ihr früheres Verhalten keine Rede sein.
2. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor, weil die Rechtssache im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, die einer Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfen. Soweit sich diese nach Auffassung der Klägerin im Übrigen aus der Einschätzung der Muslimbruderschaft und der HAMAS als terroristischen Vereinigungen einerseits und den „Anforderungen an die Distanzierung“ andererseits ergeben sollen, wendet sie sich in Wahrheit erneut gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, wenn auch nunmehr unter dem Etikett des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Diesem Vorbringen kann aus den unter 1. genannten Gründen kein Erfolg beschieden sein.
3. Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die sich im Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Rechtsfortbildung der Klärung bedarf. Dementsprechend setzt sie die Formulierung einer bestimmten, für die Berufungsentscheidung erheblichen Rechts- oder Tatsachenfrage und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. zu diesen Anforderungen Beschluss des Senats vom 1. Februar 2008 - OVG 5 N 13.07 -, BA S. 4, unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -, juris Rn. 2).
Die Klägerin hält im Zusammenhang mit § 11 Abs. 1 Nr. 1 StAG folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:
„Die Gewährung der finanziellen Unterstützung und die Teilnahme an Aktivitäten im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StAG liegt dann nicht vor, wenn der Bewerber einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele einer Organisation unterstützt, nicht aber auch deren verfassungsfeindliche Bestrebungen, und die Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen und Spenden für als gemeinnützig anerkannte Organisation lediglich der Wahrnehmung seiner Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und freie Betätigung dient - insbesondere bei einer Unterstützung des IKEZ und des Vereins Al-Aqsa. Es liegt auf der Hand, dass diese Unterstützung von seinerzeit von vielen tausend Menschen erfolgte.“
„Eine Abwendung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StAG wird nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass sich der Bewerber darauf beruft, dass der von ihm unterstützte Verein seinerzeit nicht nur nicht verboten, sondern sogar gemeinnützig anerkannt war und von vielen tausend Menschen unterstützt wurde.“
Diese Fragen tragen den in Rede stehenden Zulassungsgrund nicht. Die erste Frage gibt lediglich den von dem Verwaltungsgericht selbst gewählten Prüfungsmaßstab für den Tatbestand des Unterstützens wieder und greift in dieser abstrakten Einkleidung die vom Verwaltungsgericht getroffene Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Anhaltspunkte an, die die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin Organisationen zu einer Zeit unterstützt hat, als diese auswärtige Belange gefährdende Bestrebungen verfolgt hat. Mit diesen gegen die verwaltungsgerichtliche Tatsachenwürdigung im Einzelfall gerichteten Ausführungen wird indes keine entscheidungserhebliche Tatsachen- oder Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargelegt. Gleiches gilt im Ergebnis für die zweite Frage, die sich nicht gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts wendet, wonach der zwingende Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG gemäß dem letzten Halbsatz der Regelung nur im Fall der Glaubhaftmachung einer inneren Abkehr entfallen kann, sondern gegen dessen einzelfallbezogene Einschätzung, dass die Klägerin ihre früheren Unterstützungshandlungen bagatellisiert hat.
Im Übrigen verdeutlicht das Vorbringen der Klägerin zu diesem Zulassungsgrund, dass sich die Frage, ob in Bezug auf die Person eines Einbürgerungsbewerbers tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt oder unterstützt hat oder sich glaubhaft davon abgewandt hat, nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles beantworten lässt (vgl. Beschluss des Senats vom 22. März 2010, a.a.O., juris Rn. 15, unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2009 - BVerwG 5 B 51.08 -, juris Rn. 5).
4. Schließlich vermag auch die im Zusammenhang mit der Ablehnung des Beweisantrages der Klägerin erhobene Verfahrensrüge im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ermangelte die Ablehnung des von ihrem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2011 gestellten Beweisantrages nicht der hinreichenden Begründung. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist die Begründung mündlich erfolgt; eine schriftliche Begründung verlangt § 86 Abs. 2 VwGO nicht (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 29. Februar 2008 - 21 ZB 08.26 -, juris Rn. 8). Abgesehen davon oblag es der Klägerin, bei einer aus ihrer Sicht ungenügenden Begründung durch Stellung weiterer Beweisanträgen eine weitere Sachaufklärung zu erreichen. Wenn sie das unterlassen hat, kann sie jedenfalls im Berufungsverfahren mit dieser Rüge nicht mehr durchdringen (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 29. Februar 2008, a.a.O.).
Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht mit der Ablehnung des Beweisantrages weder seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO noch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die vom Verwaltungsgericht für die Ablehnung gegebene Begründung, der Beweisantrag ziele hinsichtlich der Einschätzung der Muslimbruderschaft sowie der HAMAS als „terroristische Organisationen“ auf eine dem Beweis nicht zugängliche Wertung, zutreffend ist. Denn die Ablehnung lässt im Ergebnis keinen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler erkennen. Das Verwaltungsgericht hat seine Überzeugung, dass die beiden genannten Organisationen jedenfalls bis in die jüngste Vergangenheit auswärtige Belange gefährdende Bestrebungen verfolgt haben, u.a. auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes gewonnen und darauf hingewiesen, dass es angesichts der Gesetzesformulierung in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht darauf ankommt, ob die beiden in Rede stehenden Organisationen jedenfalls heute nicht mehr als „terroristisch“ bezeichnet werden könnten. Damit war die unter Beweis gestellte Frage nach dem insoweit maßgeblichen Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich, so dass prozessrechtlich keine Veranlassung bestanden hat, dem Beweisangebot nachzugehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).