Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 14.06.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 N 10.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 27 Abs 1a Nr 2 AufenthG, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO |
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. November 2010 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 EUR festgesetzt.
I.
Die 1984 geborene türkische Klägerin begehrt die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug zu ihrem hier mit Niederlassungserlaubnis lebenden, 1971 geborenen türkischen Ehemann, den Beigeladenen zu 2.
Den nach Eheschließung in der Türkei im Januar 2009 gestellten Antrag auf Visumserteilung lehnte die Beklagte zunächst durch Bescheid der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Ankara vom 3. April 2009 und sodann durch Remonstrationsbescheid vom 18. Januar 2010 jeweils wegen Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte für die Annahme einer Nötigung zur Eheschließung und zudem fehlender Sicherung des Lebensunterhalts ab.
Die hiergegen erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht Berlin durch Urteil vom 26. November 2010 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, angesichts der Angaben der Klägerin im Visumsantrag vom 30. Januar und anlässlich ihrer Befragung in der Botschaft am 26. März 2009 sowie darüber hinaus bei einem am 11. Februar 2009 durch sie mit einer Mitarbeiterin der Botschaft geführten Telefongespräch, wozu auch der Inhalt eines anonymen Schreibens vom 4. März 2009 an die Botschaft passe, begründeten tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme ihrer Nötigung zur Eheschließung. Darüber hinaus scheitere das Visumsbegehren aber auch an der gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen Lebensunterhaltssicherung, da die Einnahme- und Überschussrechnung 2009 für den Imbissbetrieb des Ehemanns den notwendigen Bedarf schon nicht decke und die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Betriebswirtschaftlichen Auswertungen für den Zeitraum von Januar bis Oktober 2010 mangels Einstellung des vollständigen Nutzungsentgelts, der Mietkosten für die drei Spielautomaten, des Übernahmeentgelts für Einrichtungen an den früheren Inhaber und nicht plausibler Personalkosten nicht nachvollziehbar seien und deshalb keinen hinreichenden Nachweis eines erzielten Einkommens in dieser Zeit darstelle.
II.
Der am 14. Januar 2011 eingegangene Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das ihr am 15. Dezember 2010 zugestellte Urteil, der am 15. Februar 2011 auch rechtzeitig begründet worden ist, hat auf der allein maßgeblichen Grundlage der Darlegungen in dieser Antragsbegründung (vgl. § 124a Abs.4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO) keinen Erfolg.
Dabei mag letztlich dahinstehen, ob der Zulassungsantrag deshalb unzulässig ist, weil die Klägerin nicht hinreichend deutlich macht, inwieweit ihr Vorbringen einem der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO zuzuordnen ist.
1. Soweit sie sich darauf beruft, das angegriffene Urteil stelle ein unter Verwehrung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) zustande gekommenes „Überraschungsurteil“ dar, dürfte die Klägerin allerdings einen Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend machen. Konkret rügt sie, die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Nötigung zur Eheschließung sei in der mündlichen Verhandlung weder angesprochen noch erörtert worden. Insbesondere habe das Gericht auch keinen Hinweis darauf gegeben, dass es den anonymen Hinweis auf eine Zwangsehe „ernst nehme und deshalb kein Visum erteilen wolle. Zu alledem habe der im Termin anwesende Beigeladene zu 2., d.h. der Ehemann, als präsenter Zeuge befragt werden müssen.
Als unzulässiges „Überraschungsurteil“ stellt sich eine Entscheidung dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. April 1991 - 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235, und Beschluss vom 23. Dezember 1991 - 5 B 80.91 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241).
Davon ausgehend ist ein Verstoß gegen die dem Gericht obliegende Hinweis- und Erörterungspflicht (§ 86 Abs. 3 und § 104 Abs. 1 VwGO) und die Pflicht, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG), auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin nicht feststellbar. Denn die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Nötigung zur Eheschließung im Sinne des § 27 Abs. 1a Nr. 2 AufenthG war bereits Gegenstand und sogar einer der Ablehnungsgründe sowohl des Ablehnungsbescheids der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Ankara vom 3. April 2009 als auch, nachdem dies im Rahmen der Remonstration beanstandet worden war, des Remonstrationsbescheids vom 18. Januar 2010. Ferner war dies u.a. zum Thema der Klagebegründung gemacht worden. Auch hatte sich die Beklagte im Rahmen des Klageerwiderungsschriftsatzes vom 30. März 2010 ausdrücklich auf diesen Ablehnungsgrund berufen. Insofern liegt unabhängig davon, ob dieser Gesichtspunkt - wie ohne Beweisantritt behauptet - im Rahmen der mündlichen Verhandlung tatsächlich nicht ausdrücklich angesprochen bzw. erörtert worden ist - das Verhandlungsprotokoll vermerkt, dass die Sach- und Rechtslage mit den Erschienenen ausführlich erörtert worden ist -, weder ein bis dahin nicht erörterter Gesichtspunkt vor noch wurde dem Rechtsstreit damit eine Wendung gegeben, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen mussten.
Soweit die Klägerin darüber hinaus meint, das Gericht habe einen Hinweis darauf geben müssen, dass es den anonymen Hinweis auf eine Zwangsehe „ernst nehme und deshalb kein Visum erteilen wolle“, ist darüber hinaus darauf zu verweisen, dass dieses „anonyme Schreiben“ nur insoweit zum Gegenstand der Begründung des Urteils gemacht wird, als ausgeführt ist, dessen Inhalt „passe“ zum geschilderten - und zuvor mit den Erklärungen der Klägerin bei den Befragungen vom 30. Januar und 26. März 2009 sowie anlässlich eines Telefonats vom 11. Februar 2009 begründeten - Sachverhalt. Damit aber liegt darin keine tragende Begründung, so dass das angefochtene Urteil auf dem gerügten Verfahrensmangel nicht beruhen könnte (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang rügt, zu alledem habe der im Termin anwesende Beigeladene zu 2., d.h. der Ehemann, als präsenter Zeuge befragt werden müssen, kann dahinstehen, ob damit auch ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz als Verfahrensverstoß im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO gerügt werden sollte. Denn eine Aufklärungsrüge wäre ebenfalls unbegründet. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhalts-aufklärung grundsätzlich nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat, wobei der Beweisantrag spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen ist (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 -, juris Rz. 4, und Beschluss vom 14. September 2007 - 4 B 37.07 -, juris Rn. 2). Weder drängte sich angesichts der vorliegend dokumentierten Erklärungen der Klägerin im Visumsverfahren weitere Beweiserhebung auf noch hat der Verfahrensbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung insoweit einen Antrag auf Vernehmung des anwesenden Ehemanns gestellt.
2. Das weitere Vorbringen zur Berufungszulassung ist mangels Darlegung eines anderen Zulassungsgrundes dahingehend zu verstehen, dass inhaltlich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemacht werden (vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 3. Auflage, 2010, § 124 Rz. 190 m.w.N.).
Dieser Zulassungsgrund setzt allerdings voraus, dass ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten angegriffen wird und im Ergebnis eine andere als die angegriffene Entscheidung ernsthaft in Betracht kommt (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, juris Rz. 15). Das ist vorliegend nicht der Fall.
Insoweit macht die Klägerin zunächst geltend, alle im Urteil enthaltenen Vorwürfe einer Zwangsehe seien entschieden als nicht den Tatsachen entsprechend zurückzuweisen. So seien die im Verwaltungsvorgang befindlichen Niederschriften und Vermerke nicht auf die Klägerin zurückzuführen, es handele sich lediglich um Eintragungen von Sachbearbeitern. Sie seien auch unzutreffend, was der Ehemann dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin glaubhaft versichert habe. Damit sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungen nicht dargelegt. Es werden keine konkreten Anhaltspunkte dafür angegeben, dass und ggf. weshalb die Verfasser der vom Verwaltungsgericht ausgewerteten Niederschriften und Vermerke die dort festgehaltenen Aussagen der Klägerin erfunden oder verfälscht haben sollten, und das Verwaltungsgericht hat auch ausdrücklich und begründet festgestellt, dass die Angaben nicht - wie vom Beigeladenen zu 2. vermutet - von der Mutter der Klägerin stammen. Durch das gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin erfolgte Bestreiten des Beigeladenen zu 2. können die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen schon deshalb nicht erschüttert werden, weil dieser bei den Befragungen der Klägerin am 30. Januar und 26. März 2009 nicht anwesend war und auch nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich ist, dass er etwa selbst mitgehört hätte, was seine Ehefrau den Mitarbeitern der Beklagten in den in deren Akte vermerkten Telefongesprächen mitgeteilt hat. Zur Richtigkeit des Inhalts der über die Befragungen und Telefonate gefertigten Niederschriften kann er danach aber schon mangels eigener Anschauung nichts Verlässliches aussagen. Eine Erklärung der Klägerin selbst über die behauptete Unrichtigkeit ist weder mit der vorliegenden Zulassungsbegründung noch später vorgelegt worden. Im Übrigen muss die Aussagekraft oder gar der Beweiswert der Angaben des Ehemannes auch angesichts der gerade gegen ihn gerichteten Vorwürfe eher zweifelhaft erscheinen.
Dass zur Zulassungsbegründung ferner darauf verwiesen wird, aus der Ehe sei ein im Oktober 2008 geborenes Kind hervorgegangen, stellt die Art und Weise des Zustandekommens der Eheschließung ohne vorheriges Einverständnis der Ehefrau (Klägerin) ebenso wenig in Frage wie deren bei den Befragungen in der Botschaft am 30. Januar und 26. März 2009 abgegebene Erklärungen oder den Inhalt des Telefonats mit ihr, hinsichtlich deren aus verständlichen Gründen um Diskretion gegenüber dem Ehemann gebeten worden sei.
Soweit zur Beschwerdebegründung weiterhin beanstandet wird, das Verwaltungsgericht habe den Erwerb des Sprachzertifikats durch die Klägerin zu Unrecht nicht als Indiz für den Willen zur Einreise nach Deutschland zu ihrem Ehemann anerkannt, weil es dem Verlust des Zertifikats eine falsche Bedeutung beigemessen habe, wird die diesbezügliche Urteilsbegründung verkannt. Diese stellt keineswegs entscheidend auf dessen zwischenzeitlichen Verlust ab, sondern hält dieses Indiz insoweit nur für „relativiert“. Vorrangig begründet das Urteil die insoweit fehlende Indizwirkung vielmehr mit der nachvollziehbaren Angstsituation der Klägerin, die auch deren Visumsantragstellung und die Erteilung der Prozessvollmacht an ihren Verfahrensbevollmächtigten erkläre.
Unabhängig von dem Versagungsgrund gemäß § 27 Abs. 1a Nr. 2 AufenthG hat das Verwaltungsgericht sein Urteil selbstständig tragend aber auch damit begründet, dass der Lebensunterhalt der Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht hinreichend gesichert sei. Dementsprechend kommt eine andere Entscheidung im Ergebnis auch deshalb nicht ernsthaft in Betracht, weil jedenfalls dieser Versagungsgrund mit dem Zulassungsvorbringen nicht ernstlich in Frage gestellt wird.
Die Feststellung im angegriffenen Urteil, dass für das Jahr 2009 kein ausreichend verlässliches Einkommen des Ehemannes belegt sei, wird mit der Beschwerde nicht bestritten. Hinsichtlich der detaillierten Feststellung im Urteil, dass auch das Einkommen für die Monate Januar bis Oktober 2010 anhand der vorgelegten Betriebswirtschaftlichen Auswertung (BWA) nicht nachvollziehbar dargelegt sei, wird konkret zum einen lediglich geltend gemacht, die Miete der Spielautomaten sei bereits vom insoweit vereinnahmten Gewinn abgezogen und deshalb verdeckt in den Betriebseinnahmen enthalten. Zum anderen wird ausgeführt, der Betrag für die Übernahme des Imbissgeschäftes (Geschäftseinrichtung) werde nach Nutzungsjahren abgeschrieben und sei deshalb nur mit einem geringen Anteil verbucht. Ein Nachweis für diese jedenfalls nicht ohne weiteres nachvollziehbaren oder gar nachprüfbaren Behauptungen, insbesondere eine Bestätigung des Unternehmens „…, die die BWA erstellt und auf die sich der Ehemann nach eigenen Angaben als „Laie“ verlassen habe, wird allerdings, obwohl dies nahe lag, mit der Zulassungsbegründung nicht vorgelegt und ist auch bis heute nicht nachgereicht worden. Die schlichte Berufung auf ein einzuholendes Sachverständigengutachten genügt bei dieser Sachlage nicht, um ernstliche Zweifel an den diesbezüglichen Urteilsfeststellungen zu begründen. Darüber hinaus fehlen aber jedenfalls auch Ausführungen zu den weiteren vom Verwaltungsgericht insoweit beanstandeten Punkten (unvollständige Einstellung des Nutzungsentgelts für das Grundstück und Erklärung der monatlich stark differierenden Personalkosten) im Beschwerdevorbringen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).