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Entscheidung VG 6 L 492/14.A


Metadaten

Gericht VG Potsdam 6. Kammer Entscheidungsdatum 02.07.2014
Aktenzeichen VG 6 L 492/14.A ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 80 Abs 5 VwGO

Leitsatz

(Fall eines offenbar in Italien international Schutzberechtigten) (Antrag verfristet; Antrag unbegründet)

Tenor

Der Eilrechtsschutzantrag des Antragstellers wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

1.

Das Eilrechtsschutzgesuch des Antragstellers ist bereits unzulässig.

Der gem. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 75 Abs. 1, 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG statthafte Eilrechtsschutzantrag ist entgegen der einwöchigen Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474) erst am 4. Juni 2014 (Mittwoch) angebracht worden, wohingegen der angegriffene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Mai 2014 dem Antragsteller bereits am 27. Mai 2014 (Dienstag) mit zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung zugestellt worden war, was der Antragsteller selbst einräumt. Die Antragsfrist endete mithin am 3. Juni 2014 (Dienstag). Daher ist der Eilrechtsschutzantrag verfristet und deshalb unzulässig.

Die Zustellung des genannten Bescheides an den Antragsteller entspricht der einschlägigen Regelung in § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG, wonach die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG dem Ausländer selbst zuzustellen ist, und sie steht in Einklang mit der seit dem 1. Januar 2014 geltenden Regelung des Art. 26 Abs. 1 der Verordnung (EU) 604/2013 („Dublin III-VO“). Danach setzt der um Wiederaufnahme eines Asylantragstellers ersuchende Mitgliedstaat – hier: Deutschland – die betreffende Person von seiner Überstellungsentscheidung im Falle der Wiederaufnahmebereitschaft des ersuchten Mitgliedstaates – hier: Italien nach Maßgabe des unbeantwortet gebliebenen Wiederaufnahmeersuchens vom 27. März 2014, das auf den Eurodac-Treffer „IT1CT00PTO“ gestützt ist, – in Kenntnis; wird die betreffende Person durch einen Rechtsbeistand vertreten, so können die Mitgliedstaaten sich dafür entscheiden, die Entscheidung diesem Rechtsbeistand zuzustellen und sie ggf. der betroffenen Person mitzuteilen. Demnach steht es Deutschland also frei, bei der schon bisher geltenden Zustellungsweise zu verbleiben.

Der Antragsteller hat keine Wiedereinsetzung in die Antragsfrist (vgl. § 60 Abs. 1 VwGO) beantragt, geschweige denn Gründe hierfür vorgebracht oder gar glaubhaft gemacht. Auch von Amts wegen ist nicht ersichtlich, warum es ihm unzumutbar gewesen sein sollte, den Eilrechtsschutzantrag fristgerecht anzubringen. Soweit im Zusammenhang mit der zweiwöchigen Klagefrist eine Verwechslung, ggf. beim Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, aufgetreten sein sollte, handelt es sich um zurechenbares (Eigen-)Verschulden.

2.

Der Eilrechtsschutzantrag bleibt unter Berücksichtigung aller derzeit erkennbaren Umstände auch in der Sache ohne Erfolg. Im Rahmen der in Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers an einem Verbleib in Deutschland bis zum Abschluss des Klageverfahrens und dem öffentlichen Interesse an einem Vollzug der auf § 34a Abs. 1 AsylVfG gestützten Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Mai 2014 überwiegt letzteres. Denn der Antragsteller zeigt mit dem lapidaren Hinweis, dass er nicht wisse, ob er in Italien ausreisepflichtig ist, keine ernstlichen Rechtmäßigkeitszweifel hinsichtlich des angegriffenen Bundesamtsbescheides oder eine hiermit verbundene unbillige Härte auf (vgl. zum Prüfungsmaßstab § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO), so dass sich der auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützte Bundesamtsbescheid als rechtmäßig erweisen dürfte.

Italien ist nach Maßgabe des insoweit gem. Art. 49 Satz 2 der Verordnung (EU) 604/2013 („Dublin III-VO“) anwendbaren Zuständigkeitsregimes dieser Verordnung für die Prüfung des im Februar 2014 in Deutschland angebrachten Asylantrages des Antragstellers zuständig. Angesichts seiner eigenen Angaben im Verwaltungsverfahren, vor der auf dem Landweg erfolgten Einreise ins Bundesgebiet seit dem 24. Oktober 2012 in Italien, wo er erkennungsdienstlich behandelt worden sei, und später in den Niederlanden gewesen zu sein, erscheint dies nicht zweifelbehaftet. Auf die zutreffende Begründung des angegriffenen Bundesamtsbescheides wird Bezug genommen. Daher erschließt sich nicht, weshalb Deutschland entgegen dem Postulat in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO zuständig sein sollte, wonach ein innerhalb der Europäischen Union angebrachter Asylantrag nur von einem einzigen Mitgliedstaat, nämlich dem zuständigen, geprüft wird.

Es liegen keine Gründe für einen nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zulässigen Selbsteintritt Deutschlands in die Prüfung des abermaligen Asylantrages des Antragstellers zu Tage. Der Antragsteller hat unabhängig davon, dass er wahrscheinlich ohnehin keine (nochmalige) Prüfung eines Gesuchs auf internationalen Schutz beanspruchen kann – wenn seine Behauptung im Verwaltungsverfahren zutrifft, dass ihm in Italien ein solcher Schutz bereits zuteil geworden ist –, insbesondere keinen subjektiven, öffentlich-rechtlichen Anspruch darauf, dass Deutschland nach freiem Ermessen von der dort vorgesehen Möglichkeit eines Selbsteintritts in sein Asylverfahren Gebrauch macht (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 -, juris). Eine Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat – hier nach Italien – scheidet vielmehr lediglich dann aus, wenn diese Überstellung den Betreffenden der tatsächlichen Gefahr aussetzte, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh unterworfen zu sein (so bereits EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und C-493/10 -, juris). Dabei stehen einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Systems nicht schon (irgend)eine Verletzung von EU-Recht, vereinzelte Verstöße gegen sonstige Grundrechte sowie anderweitige Missstände unterhalb der Schwelle „systemischer Mängel“ entgegen (vgl. Thym, Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien, ZAR 2013, S. 331, unter Bezugnahme u.a. auf EGMR, Beschluss vom 2. April 2014 - Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336), sondern nur regelhafte Defizite des Asyl- und/oder Aufnahmeverfahrens, die den Antragsteller in seiner konkreten Situation betreffen können, sowie außergewöhnlich zwingende humanitäre Gründe, wie es in Art. 16 Dublin III-VO bereits angelegt ist.

Mit Blick auf die Entscheidungen des EGMR (vom 2. April 2013, Nr. 27725/10; ZAR 2013, 336; und vom 18. Juni 2013, Nr. 53825/11; ZAR 2013, 338), des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (vom 25. September 2013, OVG 3 S 68.13; und vom 17. Juni 2013, OVG 7 S 33.13; juris), des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt (vom 14. November 2013 - 4 L 44/13 -, juris), des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen (vom 30. Januar 2014 - 4 LA 167/13 -, AuAS 2014, 44) sowie der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz (vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13.A -, juris) und Nordrhein-Westfalen (vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris), auf die sämtlich Bezug genommen wird und die sich mit der Situation in Italien in Auswertung nahezu aller ins Verfahren eingeführten Erkenntnisunterlagen befassen, können die immer wieder pauschal behaupteten systemischen Mängel des italienischen Asylverfahrens in dieser Allgemeinheit nicht angenommen werden.

Der Zuständigkeit Italiens kann der Antragsteller in diesem Zusammenhang nicht (bloß) entgegen halten (lassen), dass er nicht wisse, „ob er in Italien ausreisepflichtig“ sei. Im Verwaltungsverfahren hatte er sich jedenfalls dahin eingelassen, in Italien internationalen Schutz zuerkannt bekommen zu haben, so dass das jetzige Vorbringen als taktisch motiviert erscheint. Es steht dem Antragsteller im Dublin-System nicht frei, den zuständigen Mitgliedstaat nach eigenem Gutdünken z.B. aus wirtschaftlichen Erwägungen auszuwählen, sondern es ist grundsätzlich der erste erreichte und von systemischen Mängeln freie Mitgliedstaat zuständig. Der Antragsteller hat auch weder beim Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren ein konkretes Vorkommnis oder einen bestimmten Umstand angeführt, weshalb es ihm nicht mehr zumutbar gewesen sei, in Italien zu verbleiben, und der auf regelhafte Defizite des italienischen Asyl- und/oder Aufnahmeverfahrens weisen würde, die ihn persönlich treffen können (vgl. zu den Darlegungsanforderungen: BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris). Er lässt nicht erkennen, dass und inwieweit er sich zur Durchsetzung seiner vermeintlichen Rechte vergeblich Gehör bei den zuständigen italienischen Stellen verschafft, sich ggf. auch um gerichtliche Hilfe und evtl. um anwaltliche Unterstützung oder eine solche der zahlreichen Flüchtlingshilfeeinrichtungen bemüht hat, was ihm in Deutschland aber offensichtlich mühelos möglich ist. Es ist indes davon auszugehen, dass jedenfalls ein Asylerstantrag auch in Italien unionsrechtskonform geprüft und der Antragsteller derweil angemessen untergebracht und hinreichend versorgt wird (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen a.a.O.).

Auch für den Fall, dass ihm in Italien internationaler Schutz zuerkannt worden ist und er nicht mehr den Aufnahmeerleichterungen während eines laufenden Asylverfahrens unterliegt, kann der Antragsteller keinen Selbsteintritt Deutschlands in die Prüfung des nochmaligen Schutzgesuchs beanspruchen. Die mit der Anerkennung verbundene Erteilung eines Aufenthaltsrechts (permesso di soggiorno) bedeutet in der Praxis, dass sich die Personen mit Schutzstatus grundsätzlich selbst um eine Unterkunft und um eine Arbeit kümmern müssen. Sie können nicht mehr in CARA unterkommen, da diese nur Asylbewerbern offenstehen. Sie können sich aber für Plätze im SPRAR-System bewerben, sofern sie die maximale Verweildauer noch nicht überschritten haben. Tatsächlich wird eine große Zahl der Plätze im SPRAR-System von Personen mit Schutzstatus belegt. Allerdings bestehen zum Teil lange Wartezeiten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Hier dürfte die geplante Ausweitung der SPRAR-Plätze eine deutliche Entlastung bringen. Daneben bieten die Gemeinden Unterkünfte an. Jedenfalls in Rom betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen solchen Platz allerdings drei Monate und in Mailand einen bis drei Monate (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27 und S. 30). Schließlich können sich Personen mit Schutzstatus, die keine Unterkunft finden, an kirchliche Organisationen und Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas oder das Consiglio Italiano per i Rifugiati wenden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013). Verlässliche Zahlen, wie viele Schutzberechtigte von keiner dieser Möglichkeiten Gebrauch machen können und letztlich obdachlos werden, fehlen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist im Regelfall oder gar überwiegend aber nicht davon auszugehen, dass Flüchtlinge in Italien beziehungsweise Rückkehrer nach der Dublin-Verordnung dort unter Verhältnissen leben müssen, welche man gemeinhin als „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (Betteln, Leben auf der Straße etc.)" bezeichnen könne. Hierbei handle es sich eher um Einzelfälle (Auswärtiges Amt vom 21. Januar 2013). In Italien gibt es auch für italienische Staatsangehörige kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Lebensunterhaltssicherung vor dem 65. Lebensjahr. Die Zuständigkeit für die Festsetzung von Sozialhilfeleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen wird die Höhe des Sozialgeldes durch die Kommune festgesetzt. Öffentliche Fürsorgeleistungen weisen daher deutliche Unterschiede je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft auf (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 48). Auch wenn sich die Situation damit deutlich schlechter und unsicherer darstellt als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet dies für sich genommen keinen systemischen Mangel (zu allem OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris)

Außergewöhnliche humanitäre Gründe für einen Selbsteintritt Deutschlands in die Prüfung der Asylantrages hat der Antragsteller nicht vorgebracht, geschweige denn glaubhaft gemacht, und sind bei ihm auch sonst in Bezug auf Italien nicht erkennbar. Er lässt nicht nachvollziehen, dass und inwieweit er eine besondere Schutzbedürftigkeit aufweist, die für ihn ein höheres Maß an Fürsorge begründet als sie Asylantragstellern in Italien bei zumutbarer Eigenanstrengung gemeinhin zuteil wird.

Zuletzt hat der Antragsteller kein durch das Bundesamt im Rahmen der auf § 34a Abs. 1 AsylVfG gestützten Abschiebungsanordnung zu berücksichtigendes Abschiebungshindernis i.S.v. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht, das der Rückführung entgegenstehen würde.

3.

Die Kostenfolgen beruhen auf §§ 154 Abs. 1 VwGO; 83b AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).