Gericht | OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 06.09.2011 | |
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Aktenzeichen | 10 UF 74/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 25.3.2010 abgeändert. Der Mutter wird das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und zur Stellung von Anträgen nach sozialhilfrechtlichen Vorschriften für die Kinder A… M… und W… M… allein übertragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.500 € festgesetzt.
Die Mutter (geboren 12/1983) und der Vater (geboren 6/1981) waren Eheleute. Beide stammen aus Kasachstan. Eine erste im Jahr 2002 geschlossene Ehe der Eltern wurde im Jahr 2004 geschieden. Ca. neun Monate nach der Scheidung heirateten sie erneut. Seit 2006 lebt die Familie in Deutschland. 2007/2008 erfolgte erneut die Trennung und sodann die Scheidung der Eltern. Der zweite Scheidungsausspruch ist seit dem 11.8.2009 rechtskräftig. Aus den Ehen sind die beiden Kinder
- A…, geboren am …. Juli 2002, und
- W…, geboren am …. September 2006,
hervorgegangen.
Nachdem es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern gekommen war, hielt sich die Mutter vom 7.9. bis zum 10.9.2008 im Frauenhaus in F… auf. Sie kehrte anschließend jedoch zunächst wieder zum Vater zurück. Ab 10/2008 hatte die Mutter in S… eine eigene Wohnung angemietet. Sie bewohnte diese mit den Kindern ab dem 4.3.2009.
Am 16.3.2009 nahm das Jugendamt auf Veranlassung des Vaters einen unangemeldeten Hausbesuch in der Wohnung der Kindesmutter vor. In einem Gespräch mit A… äußerte das Kind, dass die Eltern heftig streiten, sie erlebt habe, dass der Vater die Mutter gehauen habe, und dass auch sie und ihr Bruder durch den Vater schon öfter auf den Po gehauen worden seien. Außerdem ziehe der Vater W… immer an den Ohren. Nach der Einschätzung des Jugendamtes wirkte die Kindesmutter am 16.3.2009 ängstlich, sie habe gezittert. Ferner habe sie gegenüber der Jungendamtsmitarbeiterin erklärt, große Angst vor ihrem Ehemann und seiner Gewalttätigkeit zu haben. Sie habe A… an diesem Tag (16.3.2009) nicht zur Schule geschickt aus Sorge, dass der Vater sie dort abholen und nicht zurückbringen würde. Das Jugendamt sah auf Grund der Gesamtumstände und der häuslichen Gewaltsituation eine akute Gefahr für das Wohl der beiden Kinder gegeben. Es nahm deshalb am 17.3.2009 die beiden Kinder in seine Obhut. Die Kinder wurden - gegen den Willen der Eltern - in einer Bereitschaftspflegestelle (Pflegefamilie) untergebracht. Am 18.3.2009 hat das Jugendamt beim Amtsgericht die vorläufige Übertragung des Rechts zur Aufenthaltsbestimmung für A… und W…, zur Stellung von Anträgen auf Gewährung öffentlicher Hilfen und für die Gesundheitsfürsorge auf sich bis zur Klärung, wo die Kinder in Zukunft leben werden, beantragt.
Am 19.3.2009 hat das Amtsgericht zunächst gegenüber dem Vater und zum Schutz der Mutter Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz beschlossen. Am 1.4.2009 ist vor dem Amtsgericht mündlich verhandelt worden. In diesem Termin haben die Eltern eine Vereinbarung über ein begleitetes stundenweises Umgangsrecht des Vaters mit den beiden Kindern geschlossen. Ferner sind den Eltern vom Amtsgericht Auflagen erteilt worden. Am 3.4.2009 wurden A… und W… (nach einem 2 ½-wöchigen Aufenthalt in der Pflegefamilie) wieder in die Obhut der Mutter gegeben. Dieser wurde vom Jugendamt Familienhilfe gewährt.
Unter dem 16.3.2009 ist von der Mutter das vorliegende Verfahren auf Sorgerechtsübertragung auf sich allein eingeleitet worden. Der Vater hat unter dem 25.3.2009 einen entsprechenden Gegenantrag gestellt. Durch Beschluss vom 1.4.2009 hat das Amtsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Regelung der elterlichen Sorge, des Aufenthaltsbestimmungsrechts sowie des Umgangs angeordnet. Die Sachverständige Dipl.-Psych. S… T… erstellte ihr Gutachten unter dem 1.3.2010.
Bis Anfang Juli 2009 fand ein begleiteter stundenweiser Umgang des Vaters mit den beiden Kindern statt. Anschließend war der Vater für einige Wochen in seiner Heimat Kasachstan. Nach seiner Rückkehr gewährte die Mutter dem Vater am 10.8.2009 Einlass in ihre Wohnung Nach Darstellung der Mutter kam es an diesem Tag im Beisein der Kinder zu einem gewalttätigen Übergriff des Vaters. Die Mutter begab sich sodann mit beiden Kindern in ein Frauenhaus in Fr…. Dort blieb sie vom 10./11.8. bis zum 16.9.2009. Sie meldete die Kinder in Fr… auch in der Schule bzw. in einem Kindergarten an. Auf Grund des Umzugs der Mutter nach Fr… beendete das Jugendamt am 11.8.2009 die Familienhilfe und den begleiteten Umgang. Nachdem der Vater die Adresse des Frauenhauses in Fr… ermittelt hatte, wechselte die Mutter mit den Kindern am 16.9.2009 in ein B… Frauenhaus.
Auf Grund einer bestehenden Epilepsieerkrankung von A… war bereits seit längerem ein stationärer Aufenthalt im Epilepsiezentrum in B… ab dem 29.9.2009 geplant. Während dieses Aufenthalts, der bis zum 14.10.2009 dauerte, ließ sich der Vater mit aufnehmen. Er hielt sich vom 8. bis zum 14.10.2009 zusammen mit A… im Krankenhaus auf. Im Hinblick auf die bevorstehende Krankenhausentlassung hat das Jugendamt unter dem 12.10.2009 beim Amtsgericht beantragt, durch einstweilige Anordnung in das Sorgerecht der Eltern einzugreifen, da das Kindeswohl akut gefährdet sei. Der Vater zeige sich gegenüber der Mutter verbal aggressiv und grenzüberschreitend. Es bestehe die Gefahr, dass die Mutter mit den Kindern aus Angst vor dem Vater erneut eine andere Unterkunft suchen werde, nachdem der Vater geäußert habe, er wisse, wo sich die Mutter mit den Kindern in B… aufhalte. Beide Kinder müssten einen strukturierten Tagesablauf bekommen. A… müsste (ohne erneuten Schulwechsel) ihrer Schulpflicht nachkommen und W… dringend in die Kita gehen. Beide Kinder müssten emotional zur Ruhe kommen.
Das Amtsgericht hat auf der Grundlage dieses Jugendamtsantrags zunächst ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss vom 13.10.2009 beiden Eltern das Sorgerecht entzogen und die Entscheidung nach mündlicher Verhandlung durch Beschluss vom 28.10.2009 bestätigt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, A… habe gegenüber der Verfahrenspflegerin den Wunsch geäußert, weiter im Heim zu leben. Die fehlende Streitkultur der Eltern gefährde das Wohlergehen der Kinder massiv. Wegen der nicht aufklärbaren gegenseitigen Gewaltvorwürfe könne ohne Sachverständigengutachten keine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder getroffen werden. Gegen die Bestätigung der Sorgerechtsentziehung in dem Beschluss vom 28.10.2009 hat die Mutter zunächst sofortige Beschwerde eingelegt, diese im Senatstermin vom 10.12.2009 jedoch wieder zurückgenommen.
Auf Grund des Beschlusses vom 13.10.2009 brachte das Jugendamt beide Kinder in einer Wohngruppe in E… unter. Dort lebten die Kinder bis zum Erlass der einstweiligen Anordnung des Senats vom 30.8.2010.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 25.3.2010 hat das Amtsgericht - der Empfehlung der Sachverständigen T… folgend - beiden Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht zum Stellen von Anträgen nach sozialhilferechtlichen Vorschriften entzogen und dem Jugendamt übertragen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Kindeswohl sei „aufgrund der pathologischen Elternbeziehung akut gefährdet“, so dass eine Fremdunterbringung unvermeidbar sei.
Gegen diese Entscheidung haben beide Eltern Beschwerden eingelegt, mit denen sie sich gegen die teilweise Sorgerechtsentziehung wenden. Beide rügen eine Verletzung ihres Elternrechts und wenden sich gegen die Ausführungen der Sachverständigen und des Amtsgerichts.
Die Mutter beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Strausberg vom 25.3.2010 ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge sowie das Recht zur Stellung von Anträgen nach sozialhilfrechtlichen Vorschriften für die Kinder A… M…, geb. ….7.2002, und W… M…, geb. ….9.2006, allein zu übertragen.
Der Vater beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Strausberg vom 25.3.2010 ihm die alleinige elterliche Sorge für die Kinder A… M…, geb. ….7.2002, und W… M…, geb. ….9.2006, zu übertragen.
Im Übrigen haben beide Eltern die Zurückweisung der jeweils gegnerischen Beschwerde beantragt.
Nach mündlicher Verhandlung am 12.8.2010 hat der Senat durch Beweisbeschluss vom 30.8.2010 die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens durch den Diplom-Psychologen M… D… angeordnet, das dieser unter dem 31.3.2011 erstellt hat. Ferner hat er mit Beschluss vom gleichen Tag den Vollzug des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 25.3.2010 ausgesetzt und die Trennung der Kinder A… und W… von den Eltern mit sofortiger Wirkung vorläufig aufgehoben. Die Kinder wurden einstweilen in die Obhut der Mutter zurückgeführt, und ihr wurde vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A… und W… unter gleichzeitiger Anordnung von Auflagen übertragen. Gleichzeitig ist im Wege der einstweiligen Anordnung eine Umgangsregelung zu Gunsten des Vaters getroffen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsatze der Eltern, die gerichtlichen Beschlüsse und Sachverständigengutachten Bezug genommen.
II.
Die gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG nach altem Recht zu beurteilenden Beschwerden beider Eltern sind gemäß § 621 e ZPO a.F. zulässig und führen zu einer Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts vom 25.3.2010. In der Sache ist nur das Rechtsmittel der Mutter begründet, das auf die Übertragung des Rechts zur Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Stellung von Anträgen nach sozialhilferechtlichen Vorschriften für die Kinder A… und W… auf sich allein zielt. Die beantragte Übertragung von Teilen des Sorgerechts - insbesondere des Aufenthaltsbestimmungsrechts - auf die Mutter allein entspricht dem Wohl beider Kinder am besten, § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Gemäß § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB ist nach der Trennung der Eltern die elterliche Sorge ganz oder teilweise auf Antrag einem Elternteil allein zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge oder eines Teilbereichs davon sowie die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Stellen die Eltern einen Antrag auf Übertragung nur eines Teils der elterlichen Sorge, etwa des Aufenthaltsbestimmungsrechts, so ist eine Entscheidung nur insoweit erforderlich, im Übrigen bleibt die gemeinsame elterliche Sorge bestehen (Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 5. Aufl., § 1671, Rn. 18; Palandt/Diederichsen, BGB, 70. Aufl., § 1671, Rn. 4 f.).
Maßstab für die zu treffende Sorgerechtsentscheidung ist nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB das Kindeswohl. Dabei geht der Senat davon aus, dass beim Fehlen elterlicher Kooperationsbereitschaft und/oder -fähigkeit die Nachteile oder Risiken für das Wohl des Kindes, das vom zu erwartenden Streit oder von den Konflikten der Eltern über die einzelnen Sorgeangelegenheiten mitbetroffen, wenn nicht gar in den Streit hineingezogen werden wird, so groß sind, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge - ganz oder teilweise - zum Kindeswohl erforderlich ist (vgl. hierzu Senat, FamRZ 2003, 1953; Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671, Rn. 38 m. w. N.). So liegt der Fall hier.
Der Senat folgt zunächst nicht den Empfehlungen der Sachverständigen T…, die sich in ihrem schriftlichen Gutachten vom 1.3.2010, in ihrer ergänzenden schriftlichen Stellungnahme vom 28.7.2010 und bei ihrer mündlichen Anhörung vom 12.8.2010 für eine Fortdauer der Heimunterbringung von A… und W… ausgesprochen hat. Darauf hat der Senat bereits in seiner einstweiligen Anordnung vom 30.8.2010 hingewiesen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. Die Ausführungen der Sachverständigen lassen nicht erkennen, dass sie sich der hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Trennung eines Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen bewusst war und dass sie ihren Empfehlungen für die Teilentziehung der elterlichen Sorge diesen strengen Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt hat. Im Übrigen sind sich alle Beteiligten einig - und davon geht auch der vom Senat beauftragte Sachverständige D… aus - dass die Frage nach einer Trennung von Eltern und Kindern nicht (mehr) im Raum steht und dass es nur noch um den künftigen Lebensmittelpunkt der Kinder bei einem Elternteil geht.
Nach allgemeiner Einschätzung haben die Eltern ihre Trennungsauseinandersetzungen noch nicht abgeschlossen. Auf der sogenannten Paarebene bestehen trotz der schon länger zurückliegenden Ehescheidung weiterhin große Spannungen, die sich auf die sogenannte Elternebene übertragen. Nach Einschätzung des Sachverständigen D… sind die elterlichen Konflikte - auch wenn sie heute nicht mehr offen ausgetragen werden - nach wie vor so stark, dass sie insbesondere für A… "das Maß des für sie Erträglichen überschreiten". Soweit danach die gemeinsame Sorge aufzuheben ist, gewinnen für die Frage, auf welchen Elternteil das Sorgerecht zu übertragen ist, insbesondere folgende Gesichtspunkte Bedeutung, wobei der hier gewählten Reihenfolge im Hinblick auf ihren Stellenwert keine Bedeutung zukommt (vgl. hierzu auch Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671 BGB, Rn. 84):
- der Förderungsgrundsatz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung,
- die Bindung des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister,
- der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist und das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage ist,
- die Bindungstoleranz, also die Bereitschaft, den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zuzulassen und zu fördern, sowie
- der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Stetigkeit und die Wahrung der Entwicklung des Kindes abstellt.
Die einzelnen Kriterien stehen allerdings nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2011, 796; FamRZ 2010, 1060). Die Beurteilung des Kindeswohls anhand der genannten Gesichtspunkte und deren Gewichtung ist Aufgabe des Senats.
Da vorliegend zwischen den Eltern in erster Linie die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Streit steht und die Mutter- zu deren Gunsten im Ergebnis zu entscheiden ist - ihren Antrag vornehmlich darauf gerichtet hat, ist hier lediglich über diesen Teilbereich zu befinden. Unter Berücksichtigung der oben genannten Kindeswohlkriterien ist nach dem Akteninhalt und auf der Grundlage des vom Senat eingeholten Gutachtens des Sachverständigen D… vom 31.3.2011 davon auszugehen, dass die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für beide Kinder auf die Mutter allein dem Kindeswohl am besten entspricht.
Der Förderungsgrundsatz ist nicht geeignet, den Vorrang eines Elternteils bei der Frage, wer das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausüben soll, zu begründen. Vater und Mutter erscheinen bereit und nach dem Gutachten des Sachverständigen geeignet, den Alltag der Kinder in ihrer jeweiligen häuslichen Umgebung zu regeln. Durchgreifende, in Persönlichkeit oder Charakter begründete Zweifel an der Erziehungsfähigkeit sind nach den Ausführungen in dem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 31.3.2011 bei keinem Elternteil vorhanden. Beide Eltern haben - mit Unterstützung der Familienhilfe und anderer Dritter - zwischenzeitlich ihre Lebensverhältnisse stabilisieren können.
Im Rahmen der Eltern-Kind-Beziehung ist bei W… ein Vorrang der Mutter und bei A… ein solcher des Vaters festzustellen. W… ist eher ein "Mama-Kind" und A… ein "Papa-Kind". Der Sachverständige D… hat jedoch bei der mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens am 1.9.2011 dargestellt, dass - ungeachtet bestehender Ambivalenzer und einer gewissen Distanz - auch bei A… eine positive Bindungsqualität zur Mutter festzustellen ist. A… hat bei ihrer Mutter - so der Sachverständige - gut "angedockt". Das kommt auch in der anschaulichen Beschreibung der häuslichen Situation und Interaktion zwischen Mutter und Kindern beim Hausbesuch des Sachverständigen in der Wohnung der Mutter am 17.1.2011 zum Ausdruck. Nach den Erläuterungen des Sachverständigen D… im Senatstermin lassen sich auch aus dem Umstand, dass A… beim Test "Familie in Tieren" die Mutter als Spinne gemalt hat, nachdem sie zuvor erklärt hatte, vor Spinnen Angst zu haben, keine negativen Schlussfolgerungen für ihr Verhältnis zur Mutter herleiten. A… hat die Spinne sehr detailliert (mit Spinnenmund, Kreuz auf dem Rücken) gezeichnet und sodann bemerkt, dass die Spinne nicht glücklich aussehe. Die Zeichnung von A… ist danach nicht als Hinweis auf mögliche (besondere) Angstbelastungen durch die Mutter zu werten.
Auch der Wille von A… gebietet es nicht, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater zu übertragen. Er hat zwar wiederholt angegeben, die Tochter habe immer wieder den Wunsch geäußert, zu ihm ziehen zu wollen. Dies allein rechtfertigt jedoch bei der umfassenden Abwägung aller Umstände eine Sorgerechtsentscheidung zu seinen Gunsten nicht.
Der Kindeswille ist zum einen der verbale Ausdruck für die relativ stärkste Personenbindung, zum anderen von einem gewissen Alter an ein Akt der Selbstbestimmung des Kindes als zur Selbstständigkeit erzogener und strebender Person (Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671, Rn. 79). Dabei tritt der Gesichtspunkt der Selbstbestimmung hier auf Grund des Alters des Kindes in den Hintergrund, da davon auszugehen ist, dass der erst neun Jahre alten A… die verstandesmäßige und seelische Reife für eine tragfähige, selbstbestimmte und Vernunft geleitete Entscheidung über ihren Aufenthalt fehlt. Denn regelmäßig bildet der Kindeswille jedenfalls vor Vollendung des zwölften Lebensjahres eines Kindes keine (relativ) zuverlässige Entscheidungsgrundlage (vgl. Senat, a.a.O.; Johannsen/Henrich/Jaeger, a. a. O., § 1671, Rn. 81 m. w. N.). Nach dem Gutachten des Sachverständigen D… kann hier nicht angenommen werden, dass ein dem Vater gegenüber geäußerter Wunsch des Kindes tatsächlich Ausdruck einer etwas stärkeren Hinwendung zu diesem ist.
Ein geäußerter Kinderwille kann außer Acht gelassen werden, wenn er offensichtlich beeinflusst worden ist. Zwar ist zu berücksichtigen, dass auch durch Beeinflussung eine echte und damit schützenswerte Bindung entstehen kann und deshalb die „Disqualifizierung“ beeinflussten Kindeswillens nur dann gerechtfertigt ist, wenn die manipulierten Äußerungen des Kindes die wirklichen Bindungsverhältnisse nicht zutreffend bezeichnen (vgl. hierzu BVerfG, FamRZ 2001, 1057). So liegt der Fall hier.
Zunächst ist es nach den Erfahrungen des Senats nicht ungewöhnlich, dass ein Kind gegenüber demjenigen Elternteil, bei dem es sich gerade aufhält, erklärt, dort ständig leben zu wollen. Solche Äußerungen entspringen häufig keinem autonomen Willen des Kindes (vgl. Senat, a.a.O.). Hinzu kommt, dass A… auch nach Einschätzung der Verfahrenspflegerin bei dem Gespräch, das sie am 1.7.2011 mit beiden Kindern im Haushalt des Vaters führte und in dem sich A… ausdrücklich dafür aussprach, künftig beim Vater leben zu wollen, "sehr angespannt und vorbereitet" wirkte. Sie schien ihre Antworten immer sehr gut überlegt zu geben. Auch im Senatstermin vom 1.9.2011 hat die Verfahrenspflegerin angegeben, sie habe in dem Begegnungstermin vom 1.7.2011 nicht den Eindruck einer autonomen Willensäußerung von A… gehabt.
Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang schriftlich ausgeführt und im Anhörungstermin nochmals darauf hingewiesen, dass A… nach den Befunden zwar eine etwas größere Nähe zum Vater empfindet. Daraus lasse sich jedoch nicht ableiten, dass sie zum Vater ziehen wolle. Trotz aller von ihr geäußerten Kritik an der Mutter vermeidet A… in "neutraler Umgebung" eine eindeutige Willensäußerung zu ihrem zukünftigen Lebensmittelpunkt. Sie empfindet eine große Ambivalenz und bringt durch ihr Verhalten große Loyalitätskonflikte zum Ausdruck. Sie hat - auch auf einer projektiven Ebene - vermieden, sich diesbezüglich zu äußern und zu positionieren. Gespräche über dieses Thema mussten nach Angaben des Sachverständigen abgebrochen werden, weil A… unter großen Druck geriet und zu weinen begann. Im Ergebnis zeigt die unbeeinflusste Kommunikation des Sachverständigen mit A…, dass die Sorgerechtsentscheidung nicht maßgebend auf den Willen von A… gestützt werden kann.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen D… besteht auf Seiten des Vaters eine "ausgeprägte Bindungsintoleranz". Diese kommt in seinen Augen z.B. darin zum Ausdruck, dass der Vater erklärt hat, er würde nicht um die Kinder kämpfen, wenn er die Mutter für erziehungsfähig erachtete. Der Vater lässt damit eine fehlende Akzeptanz der Mutter erkennen. Er wusste auch gegenüber dem Sachverständigen keine positiven Eigenschaften der betreuenden Mutter zu benennen. Demgegenüber hat die Mutter die Bedeutung des Vaters für beide Kinder erkannt und akzeptiert. Nach ihren Äußerungen könne der Vater gut mit den Kindern umgehen und mache "seine Sache als Vater gut". Sie lässt es damit besser als der Vater zu, dass dieser im Leben der Kinder präsent sein darf. Nach den Feststellungen des Sachverständigen verfügt die Mutter jedenfalls über eine deutlich ausgeprägtere Bindungstoleranz als der Vater. Dieser kann die in seinen Augen fehlende Bindungstoleranz der Mutter auch nicht aus dem Umstand herleiten, dass die Mutter über den Umgang hinaus telefonische Kontakte zwischen dem Vater und den Kindern absprachewidrig nicht zugelassen bzw. erschwert habe. Der Senat hat in seiner einstweiligen Anordnung vom 30.8.2010, die eine Umgangsregelung zu Gunsten des Vaters enthält, keine Telefonkontakte zwischen Vater und Kindern angeordnet. Nach den Angaben des Sachverständigen D… im Senatstermin vom 1.9.2011 bilden Telefonate außerhalb der Umgangstage Konfliktstoff zwischen den Eltern. Sie sind eher als schädlich zu beurteilen, weil sie nicht für den Beziehungserhalt oder das Kindeswohl erforderlich sind, störend wirken können und oft nur der Kontrolle dienen, ob es den Kindern beim anderen Elternteil ausreichend gut geht. Der Sachverständige hat es daher als verständlich bezeichnet, dass die Mutter solchen Telefonaten im Alltag ablehnend gegenübersteht.
Das Begehren des Vaters bietet auch hinsichtlich seines Wunsches nach einer Geschwistertrennung und einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich allein für die Tochter keinen Erfolg. Eine solche Trennung von A… und W… ist nicht vorzunehmen.
Der Senat geht vom Grundsatz der Vermeidung einer Geschwistertrennung aus. Die Bindungen eines Kindes zu seinen Geschwistern sind bei der Entscheidung über die elterliche Sorge von großer Bedeutung (vgl. Senat, a.a.O.; Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671, Rn. 73). Die Trennung von Geschwistern bei einer insgesamt positiven Geschwisterbeziehung ist grundsätzlich zu vermeiden und nur bei Vorliegen besonderer Ausnahmegründe zuzulassen (vgl. Senat, a.a.O.; OLG Celle, FamRZ 1992, 465; Johannsen/Henrich/Jaeger, a. a. O., § 1671, Rn. 74). Zwischen A… und ihrem Bruder bestehen (positive) Bindungen. Zwar hat A… in der Interaktionsbeobachtung teilweise "genervt" auf W… reagiert. Zum einen erstaunt das jedoch nicht angesichts des Altersabstands und der Reife von A…, für die W… kein "vollwertiger" Spielpartner ist. Zum anderen ist nach allgemeiner Einschätzung eine enge und insgesamt positive Geschwisterbeziehung vorhanden, was nicht zuletzt in der Beschreibung des gemeinsamen Plätzchenbackens am 17.1.2011 in der Wohnung der Mutter durch den Sachverständigen anschaulich zum Ausdruck gekommen ist. Hinzu kommt, dass A… beim Spiel am Familienbrett ausdrücklich vermerkt hat, dass sie traurig wäre, wenn W… bei der Mutter und sie beim Vater leben würde. Nicht unberücksichtigt bleiben kann ferner, dass die vorhandene Geschwisterbeziehung A… und W… in der Vergangenheit geholfen hat, die Umstände, die zu der längeren Fremdunterbringung der Kinder geführt haben sowie die Fremdunterbringung selbst (besser) zu bewältigen. Schließlich würde die Alternative einer Geschwistertrennung bedeuten, dass A… und W… nicht mehr die Möglichkeit haben, sich auf einer gleichberechtigten Ebene im alltäglichen familiären Rahmen zu begegnen. Damit würde ihnen auch die Möglichkeit genommen, (unvermeidbare) elterliche Erziehungsfehler mittels gegenseitiger Unterstützung zu kompensieren. Eine Geschwistertrennung ist daher zu vermeiden.
Ergänzend und zu Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des Senats in der einstweiligen Anordnung vom 30.8.2010, die zu der einstweiligen Unterbringung der Kinder im Haushalt der Mutter geführt haben, Bezug genommen.
Im Ergebnis ist der Mutter antragsgemäß das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Stellung von Anträgen nach sozialhilferechtlichen Vorschriften für die Kinder A… und W… auf die Mutter allein zu übertragen. Im Interesse des Kindeswohls legt der Senat ihr dabei dringend nahe, den Empfehlungen des Sachverständigen D… zu folgen und die von ihr und dem Vater verursachte Störung der Lebens- und Beziehungssituation der Kinder fachkundig aufarbeiten zu lassen.
Mit dem vom Sachverständigen empfohlenen ausgeweiteten Umgang zwischen Vater und den Kindern hat es der Senat im Rahmen dieser Endentscheidung nicht mehr zu tun. Anders als im Rahmen der einstweiligen Anordnung vom 30.8.2010 hätte eine neue Umgangsregelung zu Gunsten des Vaters jetzt nicht mehr „dienende Funktion“.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG a.F..