Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 07.09.2012 | |
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Aktenzeichen | L 1 KR 105/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 13 SGB 1, § 46 Abs 1 Nr 2 SGB 5, § 192 Abs 1 Nr 2 SGB 5 |
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Im Streit steht ein Krankengeldanspruch, welchen der Kläger gegenüber der Beklagten für die Zeiträume vom 3. Dezember 2006 bis zum 5. Dezember 2006 und vom 3. Januar 2007 bis zum 31. Januar 2007 geltend macht.
Der 1952 geborene Kläger war in der Zeit vom 8. Januar 2005 bis zum 2. November 2005 als Bezieher von Arbeitslosengeld bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Diese zahlte ihm ab 3. November 2005 bis zum 4. April 2006 Krankengeld. Vom nächsten Tag bis zum 10. Mai 2006 bezog er Übergangsgeld von der Deutschen Rentenversicherung Bund. Anschließend leistete die Beklagte vom 11. Mai 2006 bis 2. Dezember 2006 erneut Krankengeld.
Der Kläger befand sich vom 23. November 2006 bis Samstag, den 2. Dezember 2006 in stationärer Behandlung zur Behandlung akuter Herzbeschwerden, welche sich als Vorhofflimmern herausstellten.
In einem Telefonat teilte der behandelnde Arzt des Krankenhauses Dr. K am 1. Dezember 2006 (Freitag) der Beklagten ausweislich deren Aktenvermerks mit, dass der Kläger am nächsten Tag entlassen werde. Aus internistischer Sicht bestünden keine Bedenken, wenn sich dieser der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung stelle. Dies entscheide aber nicht das Krankenhaus, sondern der behandelnde Hausarzt. Die Beklagte telefonierte auch mit dem behandelnden Hausarzt Dr. G. Dieser erklärte, die Kasse verstehen zu können. Er habe aber auch Verständnis für die Situation des Klägers.
Der Kläger hatte bereits im Krankenhaus unter Rachenschmerzen gelitten, hatte aber dort zur Linderung - nach seinen Angaben – nur Lutschbonbons erhalten.
Am Entlassungstag wurde dem Kläger vom Krankenhaus keine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit (AU) bescheinigt. Der Kläger suchte am Montag, den 4. Dezember 2006, Dr. G auf. Auch dieser stellte keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. Am Dienstag, dem 5. Dezember 2006 wurde er bei seiner HNO-Ärztin Dr. K vorstellig. Diese bescheinigte ihm rückwirkend ab 4. Dezember 2006 AU wegen einer akuten Laryngotracheitis. Auf dem späteren Auszahlungsschein vom 4. Januar 2007 attestierte Dr. K weitergehend, dass die AU bereits ab 3. Dezember 2006 bestanden habe.
Für die Zeit ab dem 5. Dezember 2006 war ursprünglich eine Aufnahme des Klägers zur psychiatrischen Behandlung in der Tagesklinik S in S.
Die Beklagte zahlte dem Kläger nochmals vom 6. Dezember 2006 bis zum 2. Januar 2007 Krankengeld. Sie teilte ihm mit Schreiben vom 3. Januar 2007 mit, dass er am 3. Dezember 2006 nach ärztlicher Bescheinigung nicht arbeitsunfähig gewesen sei und sich bei der Bundesagentur für Arbeit hätte melden können. Seit dem 4. Dezember 2006 sei er neu erkrankt und habe nur noch im nachgehenden Leistungsanspruch nach § 19 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf Krankengeld bis einschließlich 2. Januar 2007.
Der Kläger, der ab Februar 2007 erneut Arbeitslosengeld bezog, erhob mit Fax-Schreiben vom 5. Februar 2007 Widerspruch. Er sei sowohl im Zeitraum vom 3. Dezember 2006 bis zum 5. Dezember 2006 als auch später arbeitsunfähig gewesen und habe sich vom 12. Dezember 2006 bis 31. Januar 2007 in der Tagesklinik S befunden.
Am 7. März 2007 hat er Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben.
Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2007 zurückgewiesen. Die fortgesetzte Mitgliedschaft als Bezieher von Krankengeld habe mit Entlassung aus der stationären Behandlung am 2. Dezember 2006 geendet. Nach § 19 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) habe der Kläger anschließend nur noch für einen Monat, also bis 2. Januar 2007 Leistungen erhalten können. Ein erneuter Anspruch auf Krankengeld habe (erst) ab 6. Dezember 2006 bestanden.
Der Kläger hat vor Gericht sein Vorbringen bekräftigt, ununterbrochen arbeitsunfähig gewesen zu sein. Er hat auf die Bescheinigung der K vom 15. Januar 2007 verwiesen, wonach er weiterhin arbeitsunfähig gewesen sei.
Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes hätte er nicht bei der Bundesagentur für Arbeit melden können. Im Übrigen habe das gesamte medizinische Personal seinen Sonderfall hinsichtlich der Bedeutung der AU-Bestätigung nicht erkannt. Auch habe die Beklagte unzulässig Einfluss auf seine Ärzte genommen.
Im Erörterungstermin am 1. März 2010 ist er persönlich angehört worden. Auf das Protokoll wird ergänzend verwiesen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. März 2010 abgewiesen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Krankengeldanspruch seien nicht entstanden. Die Mitgliedschaft des Klägers habe sich nur bis zum Ende des stationären Aufenthalts des Klägers am 2. Dezember 2006 im Hinblick auf § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V fortgesetzt. Es hätte danach in unmittelbar zeitlichem Anschluss einer neuen ärztlichen Feststellung fortbestehender Arbeitsunfähigkeit bedurft. Die erst am 5. Dezember 2006 neu festgestellte AU habe frühestens am 6. Dezember 2006 einen Anspruch auf Krankengeld auslösen können, jedoch die frühere Mitgliedschaft nicht fortsetzen können. Das Erfordernis der ärztlichen festgestellten Arbeitsunfähigkeit habe auch nicht ausnahmsweise fehlen dürfen, weil der Kläger nach Überzeugung des SG nicht gehindert gewesen sei, seine AU rechtzeitig feststellen zu lassen (Bezugnahme auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 08.11.2005 - B 1 KR 30/04 R -, BSGE 95, 219). Er habe weder mit dem Krankenhausarzt über die Ausstellung einer AU-Bescheinigung gesprochen, noch am Montag bei seinem Hausarzt Dr. G, sondern erstmals am Dienstag bei der HNO-Ärztin. Er habe im Erörterungstermin geäußert, es sei ihm damals wahrscheinlich klar gewesen, dass er eine neue AU-Bescheinigung brauche, wenn es sich um eine neue Erkrankung handele. Das Gericht habe deswegen nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger die Notwendigkeit der neuen AU-Bescheinigung nicht bewusst gewesen sei. Es gebe auch keine entscheidenden Anhaltspunkte für eine Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit. So sei er in der Lage gewesen, sich am Montag selbständig und ohne fremde Hilfe um einen Termin bei seinem Hausarzt zu bemühen und sich - obwohl ihm von einem Erscheinen wegen der vollen Praxis abgeraten worden sei, auch durchzusetzen und einen Termin noch am Abend zu erhalten. Er habe einen weiteren Termin bei seiner HNO-Ärztin vereinbaren und dort am Dienstag erscheinen können sowie ferner die psychiatrische Tagesklinik in S darüber informieren können, dass er sich wegen seiner Herz- und Rachenbeschwerden noch in anderweitiger Behandlung befinde.
Den nachgehenden Anspruch nach § 19 Abs. 2 SGB V habe die Beklagte gewährt.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 1. April 2010. Entgegen der Auffassung des SG sei dem Kläger das Versäumnis, sich rechtzeitig um eine AU-Bescheinigung zu bemühen, nicht zuzurechnen. Die Erforderlichkeit sei für ihn nicht erkennbar gewesen. Er sei nämlich von einer fortbestehenden lückenlosen Arbeitsunfähigkeit ausgegangen. Soweit er im Erörterungstermin ausgeführt habe, ihm sei wahrscheinlich klar gewesen, dass er eine neue AU-Bescheinigung wegen der neuen Erkrankung brauche, habe sich dies ausschließlich auf die neue Diagnose bezogen. Er habe im Übrigen bereits eine Einweisung für Dienstag, den 5. Dezember in die psychiatrische Tagesklinik in S gehabt. Zum Zeitpunkt der Entlassung habe er neben seinen psychischen Problemen verschiedene starke Medikamente einnehmen müssen und sei in erheblichem Umfang in seiner Handlungs- und Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt gewesen Niemand habe ihn aufgeklärt oder beraten im Sinne der §§ 13 ff Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I).
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 3. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2007 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 3. bis zum 5. Dezember 2006 und vom 3. Januar bis zum 31. Januar 2007 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Im Einverständnis aller Beteiligten konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zur Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, auf die gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird.
Die Berufungsbegründung gibt zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage keinen Anlass.
Ein Anspruch auf Krankengeld, der gleichzeitig die Mitgliedschaft als gesetzliche Krankenversicherung fortsetzt, scheitert hier nach der zutreffenden erstinstanzlichen Entscheidung, die der ständigen Rechtsprechung des BSG folgt, daran, dass der Anspruch nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V immer erst ab dem Tag entsteht, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung folgt. Dieses Erfordernis gilt auch bei Folgebescheinigungen.
§ 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ist keine bloße Zahlungsvorschrift sondern originäre Voraussetzung (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.2007 - B 1 KR 8/07 - SozR 4-2500 § 44 Nr. 12 Rdnr. 13).
Nach § 190 Abs. 12 SGB V endet die Mitgliedschaft eines Beziehers von Arbeitslosengeld mit Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung bezogen wird. Dies war hier mit Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs am 4. April 2006 der Fall. Die Mitgliedschaft des Klägers blieb darüber hinaus nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur erhalten, so lange er Übergangsgeld der Deutschen Rentenversicherung Bund (Zeitraum bis 10. Mai 2007) bzw. Krankengeld von der Beklagten bezog.
Ein Ausnahmefall, in welchem eine unterbliebene rechtzeitige ärztliche Feststellung rückwirkend nachgeholt werden kann, liegt hier nicht vor.
Dazu hätte der Kläger unverschuldet daran gehindert sein müssen, alles seinem Verantwortungsbereich mögliche zu unternehmen, um vor Ablauf des bisherigen Arbeitsunfähigkeitszeitraumes (hier durch die stationäre Behandlung am 2. Dezember 2006) eine rechtzeitige Verlängerung zu erlangen (BSG, a. a. O., Rdnr. 17 mit weiterem Nachweis). Hier ist das Krankenhaus am 2. Dezember 2006 nicht von AU des Klägers ausgegangen. Es hat keine Bescheinigung ausgestellt. Entsprechend hatte sich der behandelnde Krankenhausarzt der Beklagten ausweislich deren Aktenvermerkes bereits am Vortag geäußert. Auch der Hausarzt Dr. G ging am Montag, dem 4. Dezember 2006 nicht von AU aus, da er den Kläger trotz dessen Halsbeschwerden lediglich an die HNO-Fachärztin zur Abklärung überwiesen hat.
Dass diese ärztlichen Einschätzungen bezogen auf den maßgeblichen 3. Dezember 2006 offenbar unrichtig gewesen sind, ist nicht ersichtlich: Auch die HNO-Ärztin Dr. K schrieb den Kläger zunächst nämlich ab dem Vortag der Vorstellung dort, Montag den 4. Dezember 2006, arbeitsunfähig krank.
Das SG hat auch zutreffend ausgeschlossen, dass der Kläger wegen Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit daran gehindert gewesen sein könnte, sich zeitnah um eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu bemühen. Der Senat schließt sich dessen Ausführungen aus eigener Überzeugung an.
Soweit der Kläger auf §§ 13 ff SGB I verweist, hat das BSG bereits ausgeführt (Urteil vom 10.05.2012 - B 1 KR 19/11 R), dass es zwar im Hinblick auf die „differenzierende gesetzliche Regelung der Krankengeldansprüche“ wünschenswert erscheine, wenn die Versicherten über ihre Obliegenheiten aufgeklärt würden. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch greife aber nicht schon dann, wenn eine allgemeine Aufklärung nach § 13 SGB I unterblieben sei (BSG, a. a. O., Rdnr. 28 m. w. N.). Eine Pflicht zur Spontanberatung setze voraus, dass die Krankenkasse erkennen konnte, dass ihr Versicherter bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit den Zeitraum verstreichen lasse, bevor er erneut einen Arzt aufsuche (Bezugnahme insoweit auf BSGE 106, 296).
Auch wenn unterstellt wird, dass der Kläger auch am 2. und 3. Dezember 2006 arbeitsunfähig war, konnte die Beklagte nicht erkennen, dass die Entlassung aus dem Krankenhaus ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung falsch gewesen ist und sich der Kläger zwingend noch am selben (Sams-)Tag um eine AU-Bescheinigung hätte bemühen müssen. Dass der Kläger an diesem Tage bereits eine zur AU führende Rachenentzündung gehabt hat, steht zudem aber keinesfalls fest. Neben der fehlenden AU-Bescheinigung spricht dagegen, dass das Krankenhaus während des Aufenthaltes dort eine Linderung der Halsschmerzen lediglich durch Lutschbonbons für ausreichend gehalten hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.