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Entscheidung L 16 R 739/10


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 16. Senat Entscheidungsdatum 17.11.2011
Aktenzeichen L 16 R 739/10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 43 SGB 6

Leitsatz

Rente wegen voller Erwerbsminderung, Eintritt des Leistungsfalls

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung (EM) für die Zeit ab 1. Februar 2005.

Der 1970 geborene Kläger ist gelernter Baufacharbeiter und war nach einem Studium des Umweltingenieurswesens an der Brandenburgischen Technischen Universität C zuletzt als Planungsingenieur versicherungspflichtig bis 28. Februar 2003 beschäftigt. Weitere Pflichtbeitragszeiten wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld legte er vom 1. März 2003 bis 3. März 2003 zurück. Seither ist der Kläger selbständig tätig. Am 4. Mai 2002 hatte der Kläger einen Vorderwandinfarkt erlitten, infolgedessen ihm ein Defibrillator implantiert wurde.

Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 anerkannt aufgrund folgender Leiden: koronare Herzkrankheit nach abgelaufenem Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen, Herzschrittmacherversorgung, entzündlich-rheumatische Erkrankung der Wirbelsäule; das Merkzeichen „G“ ist zuerkannt (Neufeststellungsbescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales – Versorgungsamt – Berlin vom 17. März 2009).

Im Februar 2005 beantragte der Kläger die Gewährung von EM-Rente. Die Beklagte ließ den Kläger durch den Internisten und Sozialmediziner Dr. G untersuchen und begutachten (Gutachten vom 9. Juni 2005), der dem Kläger noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne „wesentliche“ qualitative Einschränkungen bescheinigte. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 5. Juli 2005 ab. Im Widerspruchsverfahren, in dem der Kläger ergänzende ärztliche Unterlagen, u.a. einen Bericht der Rheumaklinik Berlin-Buch vom 23. August 2005 vorlegte, veranlasste die Beklagte noch ein weiteres internistisch-rheumatologisches Fachgutachten durch Dr. P. Diese Ärztin hielt den Kläger noch vollschichtig einsetzbar für körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung der aufgezeigten qualitativen Leistungseinschränkungen (Gutachten vom 7. November 2005). Der Widerspruch blieb erfolglos. Volle bzw. teilweise EM lägen nicht vor (Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2005).

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Berlin Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers erstatten lassen, und zwar von der Rheuma-Klinik Buch (Dr. S) vom 3. Mai 2006 und dem Internisten Dr. B vom 23. Mai 2006. Das SG hat den Arzt für Orthopädie, Rheumatologie, Handchirurgie und physikalische Medizin Prof. Dr. S als Sachverständigen eingesetzt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 10. Dezember 2006 (Untersuchung am 4. Dezember 2006) folgende Gesundheitsstörungen des Klägers mitgeteilt: Spondilytis ankylosans mit geringem Aktivitätsgrad und nur geringer morphologischer Umformung der Wirbelsäule, Herzinsuffizienz nach Vorderwandinfarkt. Der Kläger könne täglich regelmäßig und noch „mindestens“ acht Stunden körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit dreimaliger Möglichkeit pro Stunde zum Gehen und Stehen, ohne dass ein freier Wechsel der Haltungsarten erforderlich wäre, unter Berücksichtigung der aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen sowie seinem Bildungsniveau entsprechende geistige Arbeiten ausführen. Die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sei erhalten.

Das SG hat daraufhin auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Facharzt für Innere Medizin Dr. B mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 7. Dezember 2007 (Untersuchungen am 22. Oktober und 6. November 2007) folgende Gesundheitsstörungen mitgeteilt: Morbus Bechterew, koronare Herzkrankheit, Depression, Zwänge, Ängste. Die Leistungsfähigkeit des Klägers sei auf drei Stunden täglich auch bei leichten körperlichen Tätigkeiten reduziert. Die kardiologische Erkrankung sei anders bewertet worden. Zudem sei auch die psychische Leistungseinschränkung zu berücksichtigen. Das SG hat den Allgemeinmediziner und Diplom-Psychologen Brandt als Sachverständigen eingesetzt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 20. Mai 2008 (Untersuchung am 9. Mai 2008) dem Kläger noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen – unter Beachtung der aufgezeigten qualitativen Einschränkungen – für körperlich leichte Tätigkeiten ohne regelmäßigen Haltungswechsel und für schwierige geistige Arbeiten bescheinigt. In einem ergänzend vom SG veranlassten neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 7. Januar 2009 (Untersuchung am 5. Dezember 2008) hat der Sachverständige Dr. I eine depressive Angststörung, einen rezidivierenden Spannungskopfschmerz und ein chronisches Schmerzsyndrom der Wirbelsäule diagnostiziert. Das verbliebene Leistungsvermögen des Klägers sei durch die auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet festgestellten Leiden auf „aktuell“ maximal vier Stunden für körperlich leichte Arbeiten mit den aufgezeigten qualitativen Einschränkungen limitiert. Anhand der Vorgutachten und der deutlichen Zunahme der affektiven Leidenssymptomatik „dürfte… spätestens“ ab dem 1. Januar 2007 die festgestellte Leistungsminderung vorliegen.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Abs. 1 SGG hat das SG schließlich noch ein Sachverständigengutachten von der Neurologin und Psychiaterin Dr. B erstatten lassen. Diese Ärztin hielt den Kläger noch für fähig, vier bis unter sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten in allen Haltungsarten bei spontan möglichem Haltungswechsel und bei Beachtung der aufgeführten sonstigen qualitativen Einschränkungen zu verrichten. Stündlich seien mindestens 10 Minuten Pause erforderlich. Die seelische Problematik habe sich „im Verlaufe des Jahres 2007“ zur Krankheitswertigkeit entwickelt. Ein früheres Auftreten der Leistungsbeeinträchtigung werde nicht gesehen.

Mit Urteil vom 3. Juni 2010 hat das SG die auf Gewährung von Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser EM für die Zeit ab 1. Februar 2005 gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser EM gemäß § 43 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) in der seit 01. Januar 2001 geltenden Fassung (im Folgenden ohne Zusatz zitiert). Denn er sei zwar nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seit Dezember 2006 nicht mehr in der Lage, auch nur körperlich leichte Arbeiten sechs Stunden täglich und mehr auszuüben und verfüge auch nicht über einen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien abgestellt auf diesen Leistungsfall jedoch nicht erfüllt. Ein Eintritt voller bzw. teilweiser EM bis spätestens am 2. März 2005 sei nicht feststellbar.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: Er könne bereits seit Mai 2002 (Herzinfarkt), Januar 2003 (psychische Leiden) bzw. September 2003 (Morbus Bechterew) nicht mehr sechs Stunden und mehr täglich erwerbstätig sein. Der Kläger legt Atteste von Dr. Bär vom 29. Juni 2010 und des behandelnden Kardiologen Dr. L vom 5. Juli 2010 vor, auf deren Inhalt verwiesen wird. Auf die Schriftsätze des Klägers vom 26. Oktober 2011 und 10. November 2011 wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2005 zu verurteilen, ihm für die Zeit ab 01. Februar 2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Kläger auch nach der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme nach wie vor nicht zu einem Zeitpunkt vor dem 1. Januar 2007 für voll erwerbsgemindert.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Abs. 1 SGG den mitbehandelnden Kardiologen Dr. L als Sachverständigen eingesetzt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 5. März 2011 (Untersuchung am 22. Februar 2011) dem Kläger eine regelmäßige tägliche Arbeitszeit von vier Stunden für die noch möglich gehaltenen Tätigkeiten attestiert. Die aus der Herzerkrankung resultierende Leistungseinschränkung bestehe seit „2002“, im Übrigen seit dem 13. Januar 2010 (ICD-Aggregatwechsel). Den Beginn der Angststörung datiere er „spätestens“ auf den 11. Februar 2003. Auf die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 28. März 2011 wird Bezug genommen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen, wegen der medizinischen Feststellungen auf die eingeholten ärztlichen Unterlagen, Befundberichte und Sachverständigengutachten nebst ergänzender Äußerungen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers, mit der dieser seine statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG insoweit weiter verfolgt, als er (nur) noch Rente wegen voller EM für die Zeit ab 1. Februar 2005 geltend macht, ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller EM für die Zeit ab 1. Februar 2005. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür sind in der Person des Klägers nicht erfüllt.

Der von dem Kläger erhobene Anspruch bestimmt sich nach § 43 Abs. 2 SGB VI, weil der Kläger seinen vorliegend maßgebenden Rentenantrag im Februar 2005 gestellt hat und Rente wegen voller EM ausschließlich für Zeiträume nach dem 31. Dezember 2000 geltend macht (vgl § 300 Abs. 2 SGB VI). Die Vorschrift des § 43 Abs. 2 SGB VI setzt zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EM voraus (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI). Darüber hinaus muss volle EM vorliegen (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI).

Die besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung der so genannten Drei-Fünftel-Belegung nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI wurde mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingeführt und betrifft alle Fälle, in denen volle EM nach dem 31. Dezember 1983 eingetreten ist. Lag eine EM – wofür vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich sind – bis zu diesem Zeitpunkt bereits vor, bestand und besteht ein Anspruch auf Rente wegen EM bereits ohne die Drei-Fünftel-Belegung allein durch die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Der Kläger ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens frühestens seit 1. Januar 2007 (voll) erwerbsgemindert. Tatsachen, aus denen sich das Vorliegen voller EM bereits zu einem Zeitpunkt bis spätestens 30. April 2005, dem letztmöglichen Datum für die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, ergeben würde, sind im erforderlichen Vollbeweis nicht dargetan.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Der Kläger konnte und kann frühestens seit 1. Januar 2007 täglich regelmäßig nur noch vier Stunden einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Dies folgt zur Überzeugung des Gerichts aus den insoweit schlüssigen, umfassend begründeten und in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Sachverständigengutachten von Dr. Iund Dr. B, die ihre Einschätzung auf eine detaillierte Würdigung der zeitnäheren Vorgutachten und des – progredienten – Krankheitsverlaufs bei dem Kläger gestützt haben. Ein früherer Leistungsfall ist zur vollen Überzeugung des Senats nicht feststellbar. Denn zum Einen haben die im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. G und Dr. Pauf internistisch und internistisch-rheumatologischem Fachgebiet noch im Juni 2005 bzw. im November 2005 keine Befunde erhoben, die die Annahme eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens plausibel begründen könnten. Gleiches gilt für den Gerichtssachverständigen Prof. Dr. S. Der Einschätzung von Dr. B, die von ihm gesehene Leistungseinschränkung auf drei Stunden täglich bestehe „seit 2002“, ist bereits deshalb nicht zu folgen, weil diese Einschätzung ungeachtet dessen, dass auch die Leistungsbeurteilung dieses Sachverständigen im Hinblick auf die eine wesentliche Einschränkung der kardialen Belastbarkeit objektiv nicht begründenden Befunde erheblichen Bedenken begegnet, nicht ansatzweise im Rahmen einer Diskussion des bisherigen Verlaufs des Krankheitsgeschehens begründet worden ist. Die zum Eintritt der Leistungsminderung abgegebenen Beurteilungen von Dr. I und Dr. Bgründen demgegenüber auf einer konkreten Würdigung des – gerade auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet – progredienten Krankheitsverlaufs, der sich auch anhand der im Übrigen vorliegenden ärztlichen Unterlagen in der Zeit bis zum 30. April 2005 nicht in der Ausprägung gezeigt hat, wie er schließlich von Dr. I und Dr. B anlässlich der gutacherlichen Untersuchungen am 5. Dezember 2008 bzw. 20. und 26. November 2009 überzeugend festgestellt worden ist. Dr. B hat hierzu anschaulich klargestellt, dass die seelische Problematik erst im Lauf des Jahres 2007 Krankheitswert erreicht habe, während Dr. I eine deutliche Zunahme der affektiven Leidenssymptomatik bereits im Verlauf des Jahres 2006 sieht und den Eintritt der quantitativen Leistungsminderung spätestens auf den 1. Januar 2007 datiert. Ärztliche Unterlagen, die aussagekräftige psychische Befunde des Klägers in der Zeit bis 30. April 2005 dokumentieren, liegen nicht vor. Eine entsprechende fachärztliche Behandlung des Klägers fand seinerzeit auch nicht statt. Wenn nunmehr die behandelnden Kardiologen des Klägers in ihren Attesten vom 29. Juni 2010 und 5. Juli 2010 auf bestehende Ängste des Klägers bereits seit dem Herzinfarkt im Mai 2002 hinweisen, rechtfertigt dies in Anbetracht der fachkompetenten Begutachtung und eingehenden Würdigung durch Dr. Bär und Dr. I keine andere Beurteilung, zumal Dr. L als behandelnder Arzt des Klägers auch in seinem Gutachten vom 5. März 2011 fachfremd, ohne entsprechenden psychischen Befund und ohne nachvollziehbare Begründung ausführt, die von Dr. B und Dr. I aufgeführten Beschwerden und Symptome hätten bereits sei der Erstkonsultation des Klägers am 11. Februar 2003 vorgelegen. Letztlich dürfte der Sachverständige hier zugunsten des Klägers eine nicht in seiner fachlichen Kompetenz liegende Beurteilung abgegeben haben. Die Diskrepanzen in der Beurteilung der neurologisch-psychiatrischen Fachgutachter zu der Einschätzung von Dr. L beruhen auch nicht auf einander widersprechenden Tatsachen. Denn Dr. I und Dr. B haben sämtliche vorliegenden ärztlichen Unterlagen und anamnestischen Angaben des Klägers eingehend gewürdigt. Soweit Dr. L einschätzt, dass ein auf unter sechs Stunden täglich gesunkenes Leistungsvermögen bereits aufgrund der kardialen Beschwerden seit „2002“ vorliege, tragen seine gutachterlichen Feststellungen auch diese Beurteilung nicht. Neue leistungslimitierende Befunde auf kardiologischem Fachgebiet hat dieser Sachverständige nicht erhoben. Der Kläger war bis 125 Watt ergometrisch belastbar, was eine quantitative Einschränkung für körperlich leichte Arbeiten nicht begründet. Dr. L hat in seiner ergänzenden Äußerung auch eingeräumt, dass die Herzleistung des Klägers nur „gering“ eingeschränkt sei und er – der Sachverständige – weitergehende kardiologische Fragestellungen ohnehin nicht beantworten könne. Im Verlauf seit dem stattgehabten Vorderwandinfarkt sind bis zum 30. April 2005 auch keine Befunde ersichtlich, die ein Abweichen von der – zeitnahen – Leistungsbeurteilung von Dr. G im Verwaltungsverfahren (Untersuchung am 9. Juni 2005) nahe legen könnten. Soweit Dr. L seine Beurteilung auf psychische und/oder rheumatologische Befunde stützt, liegen hierzu fachkompetente gutachterliche Feststellungen vor, die einen Leistungsfall bis spätestens 30. April 2005 nicht zu begründen vermögen. Wenn der Kläger schließlich in seinem Schriftsatz vom 10. November 2011 darauf abhebt, es lägen drei „analoge“ kardiologische Leistungsbeurteilungen vor, so enthebt dies das Gericht nicht einer zweifelsfreien und gutachterlich fachkompetent untermauerten Feststellung der entsprechenden Tatsachen. Eine umfassende Begutachtung und Abklärung aller Leiden ist in den Gutachten von Dr. I und Dr. B erfolgt, auch was die Wechselwirkungen mit der kardiologischen Erkrankung betrifft. Die Sachverständigen haben sich auch zum Eintritt der quantitativen Leistungsminderung unmissverständlich verhalten. Weiterer Aufklärungsbedarf, insbesondere durch eine nochmalige Anhörung von Dr. I bzw. Dr. B, besteht daher nicht, auch nicht vor dem – nachvollziehbaren – Hintergrund, dass der Kläger die Einschätzungen von Dr. I und Dr. B zum Eintritt der Leistungsminderung nicht teilt. Dass sich eine schwerwiegende neurologisch-psychiatrische Erkrankung „zu einem früheren Zeitpunkt als 2005“ (vgl Schriftsatz des Klägers vom 26. Oktober 2011) nicht zweifelsfrei belegen lässt und eine entsprechende Erkrankung „nie ernsthaft untersucht worden ist“ (vgl. ebenda), ändert nichts daran, dass die Feststellungslast für die den Klageanspruch begründenden Tatsachen nach Ausschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten des Gerichts der Kläger trägt. Er hat keine neuen Tatsachen vorgetragen – und diese sind auch im Übrigen nicht ersichtlich -, die eine weitere Sachaufklärung erfordert hätten. Sein Vorbringen in den Schriftsätzen vom 6. Oktober 2011. 26. Oktober 2011 und 10. November 2011 zielt vielmehr darauf ab, eine andere Beurteilung bereits festgestellter gesundheitlicher Einschränkungen ohne Änderung der Tatsachengrundlage herbeizuführen (vgl. BSG, Beschluss vom 19. November 2007 – B 5a/5 R 382/06 B = SozR 4-1500 § 160a N 21; BSG, Beschluss vom 27. August 2009 – B 13 R 177/09 B – juris). Letztlich spiegelt sich der progrediente Verlauf der Krankheitsbilder auf neurologisch-psychiatrischem und orthopädisch-rheumatologischem Fachgebiet auch in den Neufeststellungen des GdB von ursprünglich 50 (Bescheid des Versorgungsamts vom 30. Oktober 2002 nur mit kardiologischen Diagnosen) auf 60 (Bescheid vom 16. Juni 2005, nunmehr mit entzündlich-rheumatischer Erkrankung der Wirbelsäule), 70 (Widerspruchsbescheid vom 15. April 2008) und zuletzt 80 (Bescheid vom 17. März 2009 mit Merkzeichen „G“) wider. Daraus erhellt, dass ein letztlich konstantes Krankheitsgeschehen – worauf der Kläger offenkundig abhebt - seit Mai 2002 nicht vorgelegen haben kann, sondern eine quantitative Leistungsminderung auf unter sechs Stunden täglich im Verlauf eingetreten sein muss. Zur Überzeugung des Senats war dies jedenfalls bis 30. April 2005 – wie dargelegt – nicht der Fall.

Ausgehend von einem Eintritt der vollen EM im erforderlichen Vollbeweis frühestens am 1. Januar 2007 (Dr. I) ist das Erfordernis der so genannten Drei-Fünftel-Belegung im maßgebenden Rahmenzeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2006 mithin nicht erfüllt. Dies gilt auch für jeden späteren „Versicherungsfall“ einer vollen EM wie für jeden „Versicherungsfall“ einer vollen EM nach dem 30. April 2005. Denn der Kläger hat in diesem – wie in jedem nach dem 30. April 2000 beginnenden – fünfjährigen Rahmenzeitraum keine drei Jahre Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet, sondern zuletzt im März 2003. Somit liegt auch für jeden nach dem 30. April 2005 eingetretenen potentiellen EM-Leistungsfall die erforderliche Drei-Fünftel-Belegung nicht vor.

Der Kläger hat für die Zeit ab 01. Januar 1984 auch nicht durchgehend Anwartschaftserhaltungszeiten i.S. des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI zurückgelegt. Nach der genannten Vorschrift sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der EM für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt, haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der EM mit Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine der nachfolgenden Zeiten liegt, Berücksichtigungszeiten, Zeiten des Bezuges einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Zeiten des gewöhnlichen Aufenthaltes im Beitrittsgebiet vor dem 01. Januar 1992 belegt ist. Der 1970 geborene Kläger hat schon die allgemeine Wartezeit vor dem 01. Januar 1984 nicht erfüllt. Zudem besteht eine Lücke im Versicherungsverlauf seit 4. März 2003, die der Kläger auch nicht mehr durch die nachträgliche Entrichtung freiwilliger Beiträge schließen kann.

Die so genannte Drei-Fünftel-Belegung wäre auch dann entbehrlich, wenn die volle EM aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (vgl. § 43 Abs. 5 SGB VI). Auch ein derartiger Tatbestand liegt bei dem Kläger indes nicht vor, weil er jedenfalls nicht wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit, einer Wehr- oder Zivildienstbeschädigung oder wegen eines Gewahrsams vermindert erwerbsfähig geworden ist und die (volle) EM auch nicht vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung eingetreten ist (vgl. § 53 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB VI).

Der Kläger kann auch zur Anwartschaftserhaltung rückwirkend keine freiwilligen Beiträge mehr zahlen. Denn freiwillige Beiträge sind grundsätzlich nur wirksam, wenn sie bis zum 31. März des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden (vgl. § 197 Abs. 2 SGB VI). Zwar kann in Fällen besonderer Härte nach § 197 Abs. 3 SGB VI, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente, auf Antrag des Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der genannten Frist zugelassen werden, wenn der Versicherte an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert war. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger an der rechtzeitigen – und fortlaufenden - Zahlung freiwilliger Beiträge nach Beendigung seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung ohne Verschulden gehindert gewesen wäre. Auch Rechtsunkenntnis oder wirtschaftliche Schwierigkeiten begründen keine Schuldlosigkeit des Versicherten an der nicht erfolgten Beitragszahlung.

Auch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist eine Zulassung des Klägers zur Zahlung freiwilliger Beiträge für die genannte Lücke nicht möglich. Der Herstellungsanspruch ist von der Rechtsprechung entwickelt worden. Er verpflichtet die Behörde dort, wo dem Versicherten durch Verwaltungsfehler ein Nachteil in seinen sozialen Rechten entstanden ist, den sozialrechtlichen Zustand herzustellen, der bestanden hätte, wenn die Behörde von Anfang an richtig gehandelt hätte. Da es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, setzt der Herstellungsanspruch kein Verschulden voraus (vgl. BSGE 49,76). In Betracht käme hier nach Lage der Sache nur ein Beratungsfehler, der dazu geführt hat, dass es der Kläger mangels ausreichender Informationen versäumt hat, rechtzeitig freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung zu zahlen und damit seine Anwartschaft auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu sichern. Anhaltspunkte für einen derartigen Beratungsfehler der Beklagten oder eines anderen Sozialleistungsträgers (vgl. bei Beratungsfehlern anderer Behörden: BSGE 51,89; BSG SozR 1200 § 14 Nr. 19, 29) sind jedoch nicht zu ersehen und auch von dem Kläger nicht vorgebracht worden. Aufgrund des Rentenantrages des Klägers vom Februar 2005 käme nur noch eine Zahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit ab 1. Januar 2004 in Betracht. Damit ist dem Kläger aber eine vollständige Schließung der Lücke in seinem Versicherungsverlauf nicht mehr möglich. Etwaige beratungsrelevante Kontakte zu anderen Behörden sind für den maßgeblichen Zeitraum nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.